Beyse | Lawrence und wir | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 112 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 185 mm

Reihe: diaphanes Broschur

Beyse Lawrence und wir


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-03734-542-9
Verlag: diaphanes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 112 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 185 mm

Reihe: diaphanes Broschur

ISBN: 978-3-03734-542-9
Verlag: diaphanes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In einer unbestimmten Zukunft: Wanderarbeiter, die in Zeltstädten leben, in Aluminiumhallen arbeiten, im Sickerlicht der Kabelschächte die Tage verbringen. Wir sehen Wachhunde mit blauem Fell und orange gekleidete Aufseher. Es gibt scheinbar kein Außen, nur die Teilnahme am großen Spiel, das auf den Handys läuft: die Kuppeln des Wissens. Wer sie zum Einsturz bringt, hat das große Los gezogen. Aber niemand weiß etwas Genaues, keiner versteht das Geringste, die Zusammenhänge fehlen - »Lawrence und wir« erzählt die Geschichte einer Rebellion und ihres vermeintlichen Anführers in einem geschlossenen Funktionskreislauf, in dem jeder Ausbruchsversuch aussichtslos erscheint. Ein Text von brennender Aktualität: Von unserer durch mediale Dauerberieselung und auf maximale Technisierung zugerichteten Gegenwart spricht er aus der Zukunft zu uns und zeigt uns alle als Eingeschlossene.



Jochen Beyse lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Er hat zahlreiche Romane und Erzählungen veröffentlicht, darunter »Der Ozeanriese« und »Larries Welt«.
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WENN man erst mal hier ist: alles hell, Aluminiumhallen voller Leuchtkörper. Ein einziges Strahlen. Es gibt auch Zelte, wo Funzeln düstergelb im Wind schwanken. Die Schatten jagen sich dann wie Gespenster, die dem Leben hinterherhetzen. Im Osten ungezählte Schlachthöfe, im Westen die Zuchtanstalten, angeblich.

Es ist egal. Im Norden und Süden ähnliche Bilder –

Was das heißt …

Technikmärkte, Lebensmitteldepots, Pipelines. Darüber der Himmel mal grau, mal blau. Oft alles voller Vieh. Heute sind die Weiden leer, kein einziges Rind. Und morgen? Da wird vor lauter Rinder- oder Schweinekörpern auf den Weiden kein bisschen braunes Land zu sehen sein. Nur Hügel und Ebenen voller Windräder, Bohrtürme, Sendemasten … dazwischen die Herden und ab und zu dreckfarbene Zeltstädte. Rückt man gegen die eigene vor, knattern laut und lauter ihre Planen im Wind.

Wie lange kanns noch dauern, bis man ein bisschen kapiert? Die Tatsachen sind reif, Faktum für Faktum. Die Fragen werden sich wohl bald von selber klären. Trotzdem sollten wir darauf drängen, dass Lawrence … dass der uns die Geschichte begreiflich macht, sofort. Wir müssen endlich versuchen, ein paar Dinge zu ordnen. Wenn es durch die Konglomerate geht, durch ihre Randgebiete – allein ihre Größe! Und auf der Suche nach Arbeit ist ein Landstrich wie der andere. Die Leute benutzen ihre Beine. Sie laufen dahin, wo schon viele andere zusammengelaufen sind, Haufen über Haufen. Jeder trägt exotische Sachen, um sich etwas zu unterscheiden, schließlich kommt man aus sämtlichen Weltgegenden. In der Aufregung der Menschenvermischung hat sich das Temperament in den Kleiderfalten versteckt: Schon daraus, wie jemand seine Sachen glattstreicht, nachdem er sich gebückt hat, lassen sich vage Schlüsse ziehen. Bei manchen wirkt es, als wären sie ganz ihren Träumen überlassen.

Auf die Kleidung wird jede Menge Wert gelegt –

Die Aluminiumhallen. Selbst im Innern der riesenhaften Areale ist nicht leicht auszumachen, was genau hier abläuft. In manchen Hallen, den weit entfernten, riecht es nach Tier, nach dem Blut von Tieren … riesige Schlachtbuden müssen das sein. Da die Schlachtbuden, hier die Weideflächen – aber nicht nur. Pflanzenzuchten, bei uns wird viel mit Pflanzen angestellt. So oder so: Jede Halle bietet genug Anlässe, um sich wegzusehnen. Stahlgerüste werden verschoben oder abgebaut, aufgebaut, es ist nicht klar. Wie eine von Magnetstürmen verrückt gemachte Kompassnadel zittert man hierhin, dahin. Beim ersten Mal, kommt einer in die Hallen, ist alles nur ein Schwindel – Fluchten ohne Ende, oder sie sind nicht zu sehen, ganze Areale menschenfrei, maschinenfrei … heute werden in unergründlich tiefen Gängen Kartons gestanzt, morgen wird in großem Stil geschreddert, sieht so aus … man reagiert demnach sehr schnell auf die wechselnden Bedürfnisse der Menschen in und außerhalb der Konglomerate. In den meisten Hallen aber wird geerntet, gepflanzt – die Gewächshäuser tragen ein riesiges B auf den Aluminiumwänden. Aberhunderte von Leuten, die Grünzeug eintopfen, umtopfen, keine Ahnung … Tomaten, hier wachsen auch Millionen von Tomaten, beispielsweise – man glaubt, jemand dirigiere im Verborgenen ein Konzert aus hohen oder tiefen Peitschenschlägen, weil sich die vielen Rücken in einem schmerzhaft exakten Rhythmus auf und ab bewegen. In der Grelle ungezählter Leuchtstäbe Männer in Orange, die unvermeidlichen Männer in Orange … überwachen uns, jeden unserer Schritte. Immer hat man das Gefühl, ein Eingeborener zu sein, den aufgeblasene Aufseher in Overalls zu irgendwelchen Sklavendiensten verurteilt haben. Die Leuchtstäbe produzieren künstliches Sonnenlicht, wahrscheinlich. Es brennt mit höchster Energie runter auf den Boden, wo Riesenpflanzen im fetten, schwarzen Humus wachsen: Edelhölzer, sehr kostbare Stämme, teuerste Biomasse. Wir tragen Handschuhe. Wir dürfen die Stämme nicht mit nackten Händen berühren. Wie eine schwarzlila Wolke aus zehntausend dicht gedrängten Tropfen hängen weit da oben irgendwelche Fruchtkelche, deren Nektar, komisches Wort … der Nektar wird eingesammelt. Man steht auf Gerüsten. Der Nektar klebt. Er riecht süßlich. Komplizierte Aromen breiten sich aus, ein einziges exotisches Schweißtuch, unangenehm feucht. Manchmal bilden sich Regenbögen im oberen Raumdrittel der Hallen. Diese Pflanzenzuchtanstalten behämmern uns mit ihren Farben. Und mit dem Getöse ihrer Luftumwälzer, so heißt das Wort. Manche von uns müssen die Umwälzer warten. Wenn die grünen Lampen brennen, ist alles im grünen Bereich, blinken die roten, ist Achtung angesagt. Diese Dinger, ihre Sogkraft … kann uns gegen die Fanggitter drücken, als wären wir hülsentrockene Fliegen. Die Sogwirkung der Volumenströme ist so beträchtlich, dass die Tellerventile und Quellenauslässe während der Wärmerückgewinnung aus der Abluft … die Sache bleibt unklar, aber wir wissen, wo die Tellerventile und Quellenauslässe liegen und dass uns die brausenden Wogenkämme aus feuchter Hitze gegen die Luftdurchlässe schleudern können. Die Geschichte alles andere als ungefährlich. Fast werden einem die Haare vom Kopf gerissen. Die Umwälzer sind apokalyptische Ungeheuer.

Dann die Arbeit in den Kabel- und Rohrschächten. Untertage die Gänge auf verschiedenen Ebenen, übertage die Strommasten, die Versorgungspipelines, die Sendetürme. Betonpisten in größerer Entfernung. Es gibt ungezählte Schienenstränge, Überführungen, Unterführungen. Und in jeder Himmelsrichtung die bronzefarbenen Silhouetten der großen Städte. Das Rauschen muss vernünftigerweise aus den Städten kommen, aber die sind viel zu weit entfernt. Dann kommts also doch von den Umwälzern? Die Sache bleibt unklar.

Diese Unzahl Handlanger … überall Handlanger. Beim ersten Mal in den Hallen oder unter Tage in den Schächten kapiert man nichts und beim zweiten Mal noch immer nichts, dann wirds weniger fremd und ist bald normal: Jetzt kennt man sich aus.

Zum Beispiel die Geschichte mit den Hunden … nein, lieber die Rinder, Schweine. Die Herden kommen und gehen. Zwischen den Hügeln tauchen sie auf, nachts schimmert im Mondlicht ihr Fell. Wir halten uns Taschentücher vors Gesicht, wegen des Gestanks und der Millionen Fliegen. Auch die Taschentücher schimmern dann im Mondlicht. Hier draußen ist es wie in den Hallen oder unten in den Kabelschächten: Die nötigsten Handgriffe kann jeder, und jeder führt mit ihnen bestimmte Dinge aus.

DIE Tage unterscheiden sich wenig, die Nächte auch. Während der Arbeit oder in den Zeltstädten ist immer irgendjemand neben einem, und es spielt keine Rolle, wie es zu der Bekanntschaft kam. Mit etwas Glück spricht man dieselbe Sprache. Wenigstens eine ähnliche, eine mit halbwegs vertrauten Lauten, auf die man … auf die sich ein Reim machen lässt. Etwas wird sich schon verstehen lassen, wenn die Sickerlaute … wenn aus dem Mund eines Nebenmanns ein paar Worte –

»Alles klar, bis morgen!«

»Bis morgen, alles klar!«

Nach einem langen Tag in den Hallen oder Kabelschächten findet man sich eines Abends vielleicht bei einer rötlich versinkenden Sonne im Freien wieder und sieht dünne Linien auf den Feldern in die Länge wachsen – Schatten rostiger Eisentürme. Leitern gehen von den Türmen in die Tiefe, durchstoßen Betonfundamente, verwandeln sich in enge Wendeltreppen, drehen sich in den Grund – Sendemasten sind das vielleicht, Beobachtungsplattformen, Bohrtürme womöglich für Energie, um frische Energie anzuzapfen, der Bedarf ist riesig, unersättlich. Man steht einfach da, Seite an Seite, schaut ins rote Abendlicht, versucht, den Eindrücken etwas abzugewinnen. Dieses Zittern tief im Boden geht hier draußen zwischen den Türmen Tag und Nacht, als würden die Wurzeln der Grasbüschel wie Saiten schwingen. Wenigstens bekommen sie was zum Fühlen, die Steppengewächse, auf der Unterseite, während hier oben die Halme längst totgetreten sind. In einem Landschaftspark geht’s kaum lebendiger zu! Wir wandern also zwischen den Türmen hin und her, um endlich einen zu besteigen und dann so zu tun, als würden wir es vor lauter schönen Panoramablicken … als könnten wir es nicht mehr aushalten. Die wenigsten von uns sind verschossen in die weiten Ausblicke. Wenn die Aluminiumhallen in der Abendsonne aufglühen, rücken sie unheimlich nah heran. In solchen Momenten glaubt man, nach ihnen greifen zu können.

Diese Sendemasten, Funktürme, die Aussichtsplattformen … als hätten die Antennen auf den Turmspitzen eine Verbindung mit dem Himmel hergestellt und würden vor Ehrfurcht noch ein bisschen nachbeben. Dazu klingt es, als wären die Reste verwehter Riesenseufzer nach unten gerieselt, auf die Plattformen, um mit einem letzten schwachen Wimmern zwischen dem Gestänge und den Stahlbolzen … keine Ahnung … die Antennen sind nicht für uns. Ein Geruch zieht durch die Luft, dieser Geruch ist für uns. Der Wind von den Hügeln hat etwas wie Schatten hineingewoben, Schlieren, die stärker riechen … nach Fäkalien und nach etwas anderem, Süßlichem, dass man die Luft anhält, kurz, denn die süßlichen Schwaden sind schnell verflogen. Auch der Rundblick ist eine schnelle Angelegenheit. Man kennt ja die Gegend inzwischen viel zu gut, die Ebene, die Hügelkette, weit hinten die gewaltigen Lebensmitteldepots, die uferlosen Technikmärkte, im Dunst die Umrisse irgendeiner Stadt. Selbst die...


Beyse, Jochen
Jochen Beyse lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Er hat zahlreiche Romane und Erzählungen veröffentlicht, darunter 'Der Ozeanriese' und 'Larries Welt'.

Jochen Beyse lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Er hat zahlreiche Romane und Erzählungen veröffentlicht, darunter 'Der Ozeanriese' und 'Larries Welt'.



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