E-Book, Deutsch, 201 Seiten
Blei Himmlische und irdische Liebe in Frauenschicksalen
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95864-060-3
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 201 Seiten
ISBN: 978-3-95864-060-3
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Franz Blei (* 18. Jänner 1871 in Wien, † 10. Juli 1942 in Westbury, New York, USA) war ein österreichischer Schriftsteller, Übersetzer und Literaturkritiker. Franz Blei machte sich auch als Literaturkritiker einen Namen. In der von ihm mit Carl Sternheim veröffentlichten Zeitschrift Hyperion debütierte Franz Kafka. Als Übersetzer verdanken wir ihm unter anderem die Werke von Charles Baudelaire. (Auszug aus Wikipedia)
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Messalina
Die Legende hat ihren Namen zum Symbol gemacht und ihr Wesen zu einer Monstrosität. Eine übermäßige Sinnlichkeit wird dem Manne gut, der Frau schlecht geschrieben, gilt dort als Vorzug, hier als Laster. Die antike Welt schätzte die Keuschheit, aber nicht weniger auch deren Gegenteil: sie gab beiden Lebensäußerungen kultische Formen. Auch wenn man den Skandalschriftstellern und Pamphletisten Roms, die sich über die Kaiserin ausgelassen haben, nicht alles glauben will, bleibt genug. Sie hat Liebhaber vergiften lassen oder ihnen befohlen, sich die Adern zu öffnen. Aber äußerste Macht über Menschen hat zu allen Zeiten jene, die sie innehatten, trunken gemacht, und die Verlockung, sich von jenen zu befreien, die man liebte und nicht mehr liebt, ist groß. Besonders wenn sie lästig werden. Rom hat den Tiberius und den Caligula gehabt – nach ihnen mußte ihm die Herrschaft des Claudius und der Messalina fast als ein paradiesischer Zustand erscheinen. 1. Messalina. Nach einer antiken griechischen Münze Verschliffene Kameen geben ein undeutliches Bild dieser Frau und vor allem einen wichtigen Zug nicht: den Blick ihrer tiefgrünen Augen. Das Gesicht ist auffallend kindlich, von runder, klarer, weiblicher Form, aufgebaut auf einem soliden, festen, fast viereckigen Kiefer. Überreich quillt das Haar tief in die ganz kurze Stirn, ein Zeichen mächtigen fruchtbaren Blutes. Das Gliederwerk ihres Leibes war von höchster Zartheit. Fein und weiß die Haut bis auf eine kleine Stelle innen am rechten Oberschenkel, wo alle Salben der Welt ein behaartes Fleckchen nicht wegzubringen vermochten. Und Messalina verstand sich auf Salben und Parfüme, deren sie selber viele erfand, auf Bäder und auf Spiegel, von denen sie eine berühmte Sammlung besaß in jedem Material und in allen Formen. Stand ihre Art unter dem nichts als animalischen Zeichen jenes Fleckchens am Oberschenkel? Suchte sie nichts als die sinnliche Lust des Augenblickes im ständigen Wechsel? Oder das fleischgewordene Abbild eines Mädchentraumes, der sie zum erstenmal besessen hatte ohne sie zu besitzen? Ein alt-römischer Hochzeitsbrauch verlangte, daß die Braut vor der Eheschließung auf dem Hausaltar ihr Kinderspielzeug niederlegte: die Götter empfangen das bisnun Geliebte. Messalina opferte einen kleinen bronzenen Phallus. Der alte Gartengott, aus Feigenholz und rot bemalt an seiner vorragenden Stelle, war in diesen kaiserlichen Tagen der Göttereinfuhr aus allen Zonen zu städtischen Ehren gekommen, wenn auch nur zu bescheidnen, denn sein Tempel stand in einem üblen Viertel jenseits des Tiber, im Quartier der Seiltänzer und Tierbändiger, vor der Porta Aurelia, wohin keine würdige Matrone den Fuß setzt. Außer sie ist voll Aberglauben an jede Gottheit, wie Lepida, der Messalina Mutter, von der die Sage will, daß sie Priesterin des Miphisileth war, wie nun Priapus zu heißen sich gefallen lassen mußte, nachdem er, nicht mehr bäurisch, Gott des Urbs geworden und wie es die neue Mode verlangte asiatisch aufgemacht von einem Religionsunternehmer aus Phönizien, der seine Römer kannte. Die Sage will weiter, daß Lepida ihre zwölfjährige Tochter eines Nachts in diesen Tempel brachte, sie dem Miphisileth zu weihen durch Darbringung ihrer Jungfräulichkeit. Möglich so, denn die vor zweihundert Jahren erlassenen Gesetze gegen die bacchanalischen Weihen waren längst vergessen und außer Brauch. Die Stadt und das Reich waren zu groß geworden für einen sittlichen Rigorismus der Lebensführung ihrer Bewohner. Dennoch versäumten es Mutter und Tochter nicht, als sie am Frühmorgen jener Weihenacht auf dem Heimwege am Tempel der patrizischen Pudicitia vorbeikamen, ihr Gesicht zu verhüllen und abzuwenden, wie auch drei Finger ihrer linken Hand zur Beschwörung gegen den Tempel hin zu strecken. Frau Lepida war außerordentlich religiös erzogen und um gleiche Erziehung bei ihrer kleinen Tochter bedacht. Unterstützt darin von ihrer alten thessalischen Amme Thryphene, Meisterin in allen magischen Künsten, die Glück und vor allem Reichtum bringen sollten. Denn der Gatte Messala Barbatus war ziemlich ruiniert. Je geringer die Aussichten wurden, auf dem üblichen Weg der Geschäfte oder des Schuldenmachens diesen Ruin zu bessern, um so lebhafter wurde die Phantasie der Mutter. Hatte sie nicht trotz des dämmrigen Lichtes genau gesehen, wie im Tempel der Fortuna die Apollo-Statue ihr Knie vor ihr beugte, was doch Vorhersage großer Dinge bedeutet? Und flog ihr nicht aus dem Spiegel, in dem sie sich besah, Blinkendes von Gold und Geschmeiden entgegen? Sie rief gleich nach der fünfzehnjährigen Messalina, daß sie auch das Wunder sehe, aber als das Mädchen in den Spiegel schaute, war dieser wie jeder Spiegel und zeigte nichts als die lachenden, blinkenden, lustgierigen Zähne des kleinen Mädchens. War es doch ein Wunderspiegel? Sollte man Glück und Reichtum von der Tochter erwarten? Der stumpfsinnige und frühalte Messala Barbatus hatte ja auch die Erscheinung eines Familiengenius, der, wie er behauptete, dem Sokrates bis auf ein Barthaar glich. Aber er sah ihn nur, wenn er allein und betrunken war, und er trank viel, damit er ihn sah. Der Genius schützte ihn vor nichts als vor den Schlägen seiner Gattin, die müde es aufgegeben hatte, vom Gatten etwas zu erwarten. Also die Tochter? Messalina hatte keinerlei Visionen. Kein Gott beugte vor ihr das Knie. Keine übernatürliche Stimme sprach zu ihr, wenn sie sich in den ersten Fiebern ihres Verlangens auf dem Lager wälzte. Sie schlief ohne Träume. Sie beklagte den Mangel an Phantasie. Kaum vor der Venus Libitina, in deren Tempel an der Stadtmauer sie sich zuweilen begab, fiel ihr etwas ein, mehr als ein undeutliches Gebet. Manchmal dachte sie daran, Vestalin zu werden. Aber die Mutter erinnerte sie an die Strafe, welche jene trifft, welche die Priester über den Zustand ihrer Jungfräulichkeit täuscht, die Strafe, lebendig begraben zu werden. Ammenmärchen, dachte Messalina, die Siebenzehnjährige, dachte aber nicht weiter an Vesta. Eine eben in Rom eingetroffene Berühmtheit wie Simon den Magier kennenzulernen, dazu hatte Lepida, in allen okkulten Zirkeln bekannt, ein gutes Recht. Woher er gekommen war, wußte man nicht genau. Man behauptete, aus Samaria. Aber er besaß unermeßliche Reichtümer und ein köstliches Haus an der Via Appia, nicht weit vom Grabe der Cecilia Metella, und, so sagte man, sei da von syrischen Sklaven bedient, die ihn wie einen Gott verehren. Sagte auch selber, daß er Gott sei und tat Wunder. Manche meinten, er sei nur einer der vielen Scharlatane, die jetzt Rom überschwemmten, um die Neugierde auszubeuten. Immerhin stand fest, daß er sich nur durch die Kraft seines Geistes vom Boden erheben und fliegen könne. Auch nahm er kein Geld für Heilungen, die er durch nichts als Auflegen seiner Hände erziele. Er hatte einer gewissen Calpurnia ihre Perlen weggenommen im Zusammenhang mit einer Zauberei und sie hatte Mühe, sie zurückzuerhalten, weil Simon erklärte, ein böser Dämon, den er zitiert, hätte sie ihm gestohlen. Jene Frau drohte mit der Justiz. Da gab ihr Simon noch weit kostbarere Perlen, weil, wie er sagte, der Dämon sich, als er sie zurückbrachte, geirrt habe, und bat Calpurnia, darüber zu schweigen. Etwas später stellten sich die Perlen als falsch heraus. Aber diese alternde Calpurnia hatte immer solche Geschichten und man schenkte ihr darum wenig Glauben. Die Villa, die Simon bewohnte, war Eigentum eines gewissen Cethegus gewesen, im Getreidehandel reich und über den Tod seiner Tochter etwas närrisch geworden. Er hatte den Simon aufgesucht, ob er nicht seine Tochter, die er ein Jahr zuvor verloren, vom Tode auferwecken könne. Das sei schon möglich, sagte Simon, aber nicht leicht. Er habe in seiner Jugend in Bethanien in Palästina dieses Wunder von einem jüdischen Propheten namens Jesus verrichten sehen. Aber jener Tote war ein Mann und erst seit vier Tagen tot. Bei einem Mädchen, das schon ein Jahr tot sei, wäre es schwieriger und brauche viel Zeit. Er müsse in dem Hause wohnen, das die Tote bewohnt habe. So zog er in jene Villa. Der alte Cethegus beschäftigte sich in der Erwartung des Wunders mit Gartenarbeit. Dabei fiel er von einem Baum und starb daran, nicht ohne zuvor ein Testament gemacht zu haben, in dem er seine ganze Habe dem Magier Simon vermachte. Der lebte zusammen mit einer gewissen Helena. Er leugnete nicht, sie in einem öffentlichen Hause zu Tyrus gefunden zu haben, wo sie ihr zweites Leben lebte. In ihrem ersten sei sie die trojanische Helena gewesen. Er schien sie sehr zu lieben. Aber der reiche Lucius Agrippa erzählte jedem, der es wissen wollte, daß er eine Nacht mit dieser Helena verbracht und dafür tausend Goldtalente bezahlt habe. Der hohe Preis und der bekannte Geiz des Agrippa machten die Geschichte unwahrscheinlich. Man erfand sie wohl aus einer Sonderbarkeit des Simon, der seine Gäste auf die Schönheiten der Helena damit aufmerksam machte, daß er Teile ihres Leibes entblößte und sie zu bewundern aufrief. Die Philosophen verglichen ihn dem Pythagoras und dem Platon. Die Schmarotzer dem Lucullus. Viele nannten ihn einen Schwindler. Aber er hatte großes Ansehn bei den Armen, die er heilte und deren Gesellschaft er den Reichen vorzog. Ein Eunuch beschwor, daß er ihm die Männlichkeit wieder verschafft habe. Er war eine Sensation Roms. War es ein Zufall oder war es Zauberei des Simon, daß Messalina, als sie mit ihrer Mutter der Einladung des Magiers folgte, unter den Gästen die Männer traf, die in ihrem Leben eine Rolle spielen sollten? Als der Ostiarius die Türe aus Zedernholz hinter den eingetretenen Frauen hatte zufallen lassen, kam Lepida der rascher schreitenden Tochter...