E-Book, Deutsch, 168 Seiten
Blei Lehrbuch der Liebe und Ehe
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95676-594-0
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 168 Seiten
ISBN: 978-3-95676-594-0
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
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Franz Blei (* 18. Jänner 1871 in Wien, † 10. Juli 1942 in Westbury, New York, USA) war ein österreichischer Schriftsteller, Übersetzer und Literaturkritiker. Das Werk “Lehrbuch der Liebe und Ehe” ist kein erotischer Leitfaden oder Sex-Handbuch. Franz Blei ist der Meinung, dass die Liebe im Vertraulichen und Gewöhnlichen des Alltags auf die Probe gestellt werden muss, da die sich nicht in den Flitterwochen oder nach der ersten Nacht beweist, sondern in den Jahren nach dem ersten Ehejahr. (Auszug aus Wikipedia)
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Zweites Kapitel
§ 1 Epikur meinte, wenn man mit Delikatesse von der Liebe spräche, spräche man nicht von ihr. Man soll es aber trotzdem versuchen, ohne die Wirklichkeiten zu fälschen, ohne die Tatsachen zu leugnen oder abzuschwächen und ohne aus Vorliebe für eine Utopie pedantisch zu werden. Diese Pedanterie ist wie die falsche Witzigkeit ein sicheres Zeichen jeden Mangels an Witz und Takt. Die Liebe, dieses einzige Werk der Jugend, ist ein Akt, aber einer, der den Gefühlen Platz läßt. Zwischen Mann und Frau ist gewiß keine Liebe ohne Besitz von Fleisch zu Fleisch. Aber auch keine ohne das Geschenk des Herzens an das Herz. Der Weihrauch der Lust brennt nur über einer geistigen Flamme, um Leidenschaft zu werden, – welches der tragische Name für Liebe ist. Zu lieben mag wohl eine Lust sein, aber ein Vergnügen ist es nie, – genau wie das Leben. Damit ist annähernd das bestimmt, was man die wahre Liebe nennt oder nannte: als die Leidenschaft eines Herzens, das ganz Fleisch ist, sich zu geben und zu nehmen, als Rasen des Fleisches, ganz heimgesucht vom Herzen, um es zu nähren und gleichzeitig von ihm zu zehren. In dem Zaubergarten solcher Liebe wachsen die Giftpilze nicht, welche heißen: wie lange? oder: bist du treu? oder: wirst du mich vergessen? Hier ist so vollständiger Austausch und Besitz, daß Teilung nicht möglich ist. Hier ist so vollkommene Gegenwart, daß die Zeit still steht, Vergangenheit vergessen ist, Zukunft nicht bedacht wird. Die heutige Zeit wird sich die Definition leichter machen. Wird sagen, die wahre Liebe sei immer die Liebe, in der man sich gerade mit ebenso lebhaften wie angenehmen Gefühlen befinde. Aber den nachlassenden solchen Gefühlen gesellt sich alsbald der zweifelnde Gedanke, ob es die wahre Liebe sei, und den entschwundenen Gefühlen der sichere Gedanke, es sei die wahre Liebe nicht gewesen, – womit man wieder so klug ist wie zuvor. Man könnte sich mit dem Satz beruhigen, die wahre Liebe sei jene, welche sich etwas später immer als die nicht wahre herausstelle. Praktisch kommt man damit durch. Hat auch der junge Mensch so etwas wie eine Vorstellung davon, wie die wahre Liebe sein müsse, er wird dank der Illusionskraft der Jugend im eintretenden Falle immer diese Vorstellung verwirklicht meinen: der Hans wird der Held ihrer Träume sein und die Grete die Heldin der seinen, die nun Wirklichkeit geworden. Die Jugend ist ein entzückender, aber vergänglicher Zustand. So auch das Werk der Jugend, die Liebe. Schiller läßt eine Frau sagen: »Liebe, die mich verurteilt, schön zu sein, das ist nicht Liebe, ist gemeine Lust, die mich vertiert.« Dem jungen Manne ist nun jede Frau schön, die er liebt, nicht aber liebt er sie, weil sie schön ist. Solche Goldmacherkunst aber trifft nur die Jugend. Eine Frau klagte einmal: »Warum ist der Mann doch nur in seiner Jugend der Liebe fähig, wo er doch in allem andern so langweilig und ungeschickt und dumm ist? Und warum wird der Mann erst nett, wenn er älter, aber zur Liebe nicht mehr recht geeignet ist?« Die Antwort darauf ist: weil nur in der Jugend Phantasie stark genug ist, um Glaube zu werden. Glaube bis zur Dummheit, die den Jüngling sagen läßt: »die Frauen«, wie er sagt: »die Pferde«. Die ältere Klugheit ist skeptisch und weiß, es gibt diese Frau und jene Frau und eine dritte, die nur so aussieht als wäre sie eine. Als Sokrates dem jungen Phaidros auseinandersetzt, wie überlegen und höherstehend die vernünftige und kluge Liebe über die leidenschaftliche und dämonische sei, da fühlt er die Mißbilligung der ihn umgebenden und inspirierenden Geister, erinnert sich des Loses des Stesichoros, der geblendet wurde, weil er schlecht von Helena gesprochen, und ruft aus: »Nein, man kann menschliche Klugheit nicht mit göttlicher Eingebung vergleichen, noch kluge Liebe, die auf der Erde wandelt, mit der stürmischen, leidenschaftlichen, wilden Liebe, die Flügel hat und den Raum!« Die Liebe als ein von der Klugheit reguliertes Vergnügen ist eine Praxis des skeptischen Alters, aber sie ist nicht die wahre Liebe. Oder sie könnte es nur dann als deren Widerschein sein, wenn der Ältere das Bewußtsein davon sich bewahrt hat, daß hinter dem Vergnügen der Schmerz steht, hinter dem zärtlichen nackten Gotte die tragische verhüllte Gestalt. Von solcher Bewußtheit wird die Liebe des älteren Mannes zur geliebten Frau eine etwas melancholische Freundschaft bekommen, die ihre Kühle an den Sinnen leicht erwärmt. Die Liebe im Leben, das sind die drei Trüffelscheibchen beim Rebhuhn. Aber die meisten Menschen essen Suppenfleisch und dazu gibt's keine Trüffel. Wer sein Leben nur und nichts als dem Vergnügen der Liebe weiht, der ist bald am Ende des Vergnügens, denn nichts erschöpft sich leichter. Es ist der von Weib zu Weib Gehetzte, den die Teufel der Verzweiflung nicht erst am Schlusse, sondern vom Anbeginn seiner Karriere ab holen. Er liebt keine Frau, sondern sein Vergnügen an den Frauen. Er hat im Weiblichen ein sentimentales Gegenstück in jenen Frauen, welche ihr Leben lang von der großen Liebe träumen, die ihnen zuteil werden müsse, und die nur dafür leben. Solche Frauen glauben, das Leben sei die Liebe mit ein bißchen Stumpfsinn drum herum, während es sehr viel Stumpfsinn und Arbeit ist, mit einem ganz kleinen bißchen Liebe in der Mitte. Die für die große Liebe lebenden Frauen leben weder für sie, noch für die kleine, – ihre falsche sentimentale Einstellung bringt sie um alles Leben. § 2 Weniger von heftig und plötzlich anfallenden Sinnen gedrängt und daher viel unbegabter für die Phantasie als der Mann, besitzt die Frau nur in geringem Umfange die Fähigkeit, sich aus dem Manne »etwas zu machen«. Sie bekommt in der Möglichkeit das Kind, in dem sich ihre Liebeswahl fortsetzt. Und der Staat, das graue Ungeheuer, droht ihr direkt und indirekt mit Zwang und Verfemung: er fordert Eheschließung oder gebietet über die Gesellschaft weg Ausschließung der Frau, die sich ihm nicht beugt. Denn Staat gibt es nur, solange als Frauen Ehen schließen und in Ehen Kinder gebären. Solches aber machte in der Frau den Sinn ihrer Liebe unmittelbarer, sachlicher, erdlicher als den des Mannes. Ihr Risiko ist größer. Ihre Augen sehen schärfer. Ihr Instinkt sagt ihr, daß ein Irrtum sich furchtbar rächt, nicht am Manne, aber an ihr. »Ich habe mich täuschen lassen. Mir fehlt ein Sinn. Eros liebt mich nicht«, – das wird der tragische Monolog der Frau sein, die erschüttert merkt, daß sie sich in der Wahl geirrt hat und indem sie die wahre Liebe zu losen schien nur ein Abenteuer gewonnen hat, also für das Herz eine Niete, wenn auch Lust für eine Nacht. Die Niete für das Herz besteht allerdings nicht in der Erkenntnis, daß der gestern geliebte Mann nicht ein Fabrikant, sondern ein Schwindler ist, nicht darin, daß er keine Absicht zu heiraten hat, und nicht darin, daß man erfährt, er habe eine Frau oder sei wegen Totschlages drei Jahre eingesperrt gewesen. Denn das alles hat mit der Liebe nichts zu tun. Die Niete für das Herz ist: ich liebe ihn nicht. Das scheint wenig und ist doch für die Frau alles. Denn nicht besteht das Glück der Liebe darin, geliebt zu werden, sondern zu lieben. Ob man geliebt wird, das bleibt, und bewiesen es tausend Proben, immer im Zweifel. Unzweifelhaft völlig ist, daß man liebt. Denn liebend ist das Leben bis zu einem höchsten Gipfel gesteigert. Solche Steigerung des Lebens von dem Manne, dem man sich gab, erwartet und nicht erhalten haben: das ist die Niete des Herzens. Aber wer nicht zu schwimmen versteht, der bleibt besser in der Badewanne. Das Meer ist Schmeichelei und Zärtlichkeit nur für den, der mit ihm spielt. Das Leben ist dem gnädig, der es zu entzücken versteht. Das sogenannte Glück will gelernt sein wie Koloratursingen. Die Anstrengung ist das geringste dabei, mehr die Intelligenz, noch mehr der Wille. Der Geschmack am Leben leitet dabei, das wie ein Strom durch uns zieht. Es gibt ein Glück in den kleinen Dingen, wer es fühlt, der wird auch das Glück in den großen Dingen erfahren. Welche Schönheit versteht Ihr Blick dem zu geben, das Ihre Augen ansehen? Haben Sie manchmal solchen Hunger, daß Sie trockenes Brot essen? Lieben Sie die frische Kälte einer Quelle im Gebirge? Gilt Ihnen der Duft einer vergessenen Rose gleich viel wie die Süßigkeit neuer Lippen? Welche Frau das Glück dieser kleinen Dinge kennt, die wird das Glück der wahren Liebe erleben. Dieses Glück der Liebe ist aber kein behagliches Eiapopeia wärmlichen Wohlbehagens. Denn die Liebe ist die tragischste Geste, weil sie die blindeste ist. Und die unerschöpfliche Quelle der Leidenschaften und Tränen, von denen unser Leben verschönt wird. Darum meinen auch nur fade Schwärmerinnen, die Liebe sei das Leben oder der Sinn des Lebens sei, für die Liebe zu leben. Die Liebe ist nur ein Akt des Lebens unter vielen, wenn auch der intensivste. Der Liebende ist es, der diesen Akt ausführt; der Geliebte ist passiv. Der Geliebte kann ja nur das geben, was der Liebende ihm nehmen will. Aber diese Zeit steht in einer großen Krise erotischer Hysterie. Herr wie Knecht sind besessen von dem, was man Wirtschaft nennt; Besitz ist wahrhaft Besessenheit geworden. Und sie hat ihr Gegenstück in der Besessenheit von einer physiologischen Funktion, nicht höher zu werten als alle anderen Funktionen unseres animalischen Lebens. Aber diese Funktion oder das Interesse dafür ist die einzige Tätigkeit der faulen und zu gut genährten oder der degenierten Menschen geworden, – eine physiologische Frenesie ohne Schluß, ohne Ziel, ohne Resultat. Bei einigen angestrengter Wille, dieser Frenesie so was wie Schönheit zu geben, wenigstens dies. Bei Gelehrten nie erhörter...