Statt eines Prologs
Ein Arbeitstag im Frühjahr: säen, pflanzen – es werde!
Nichts wird,
nichts ist,
nichts bleibt
im Himmel und auf Erden
als diese zwei:
das eine ist TUN, das andere WERDEN.
– Daniel Czepko von Reigersfeld, deutscher Poet
Ein Mittwochmorgen im Mai. Noch bevor ich mit meiner Frau und den Kindern frühstücke, mache ich kurz einen Rundgang zu den Tieren. Fast jeden Tag, wenn ich morgens zur Haustür hinausgehe, überwältigt mich, was ich sehe.
Da ist zuallererst unser Hausgarten mit den vielen Kräutern und Blumen. Um diese Zeit bedeckt noch Tau alle Pflanzen. Doch mit den ersten Sonnenstrahlen trocknen sie und fangen sofort an zu duften. Dahinter liegt eine Wiese mit Weiher, dem kreisförmig angelegten Gemüsegarten und einem kleinen Acker. Diesem Acker habe ich den Muskelkater zu verdanken, der mich heute früh schon seit dem Aufwachen mächtig plagt. Wenn ich den Acker jetzt aber so sehe und mich erinnere, dass wir hier gestern unsere Kartoffeln gelegt habe und daran denke, welch üppige Ernte wir hoffentlich im Herbst erhalten werden, lässt mich das den Muskelkater fast vergessen.
Hinter dem Garten sehe ich ein kleines Stück vom Tegernsee, und an dessen Ende erheben sich gleich die Alpen. Das komplette Panorama der Tegernseer Berge kann man von der Haustüre aus sehen. Ein paar Gipfel werden schon von der Morgensonne angestrahlt, andere warten noch auf das erste Licht. Um diese Zeit herrscht noch eine ganz eigene Ruhe. Manchmal bilde ich mir ein, man könne diese Ruhe, dieses Unverbrauchte des Tages sogar in der Luft riechen. Und dann fällt mir auf, dass es so ruhig gar nicht ist. Hunderte, wahrscheinlich sind es eher Tausende Vögel veranstalten ihr allmorgendliches Konzert. Mit den tollsten Melodien buhlen die Herren der Vogelschöpfung um die Gunst eines Weibchens.
Herrn Kuckuck habe ich vor einer Woche zum ersten Mal wieder gehört. Ich bin mir sicher, dass es derselbe Kuckuck ist wie schon in den Jahren zuvor. Unser Kuckuck stottert nämlich. Seinen Ruf würde ich unter allen anderen heraus kennen. Familie Kuckuck ist dieses Jahr spät aus ihrem Winterquartier zurückgekommen. Hoffentlich nicht zu spät. Die anderen Vögel waren dieses Jahr viel früher da als sonst. Hoffentlich findet Frau Kuckuck noch ein Nest, in das sie ihr Ei legen kann.
Dann gehe ich in den Stall, mache das Fenster bei den Hühnern auf, damit die ins Freie können. Die beiden Hähne bedanken sich draußen prompt mit lautem Krähen. Die Laufenten dürfen auch raus. Nach einem kurzen Bad im Weiher beginnen sie sofort mit der Schneckenjagd. Die Schnecken brauchen sie im Moment dringend, weil sie fast jeden Tag ein Ei legen und die Schnecken hierfür ein willkommener Eiweiß- und Kalklieferant sind. Unser altes Gänsepaar folgt den Enten auch Richtung Weiher, nur viel, viel langsamer. Sie haben ihre Gänseküken im Schlepptau. Stolze Eltern mit ihren drei Kindern. Im Juli kommen noch mindestens 30 kleine Adoptivkinder dazu. Bis dahin dürfen sie frei herumlaufen, dann müssen sich die Gänse auf der Weide wieder an einen Zaun gewöhnen.
Jetzt muss ich noch schauen, ob bei den Weideschweinen, den Rindern, den Hähnchen und den Pferden alles in Ordnung ist. Nachsehen, ob alle genügend Wasser haben und ob die Zäune in Ordnung sind – und schon steht einer Tasse Kaffee und einem Frühstück nichts mehr im Weg. Um unsere Kätzchen brauche ich mich nicht zu kümmern. Die werden von unseren Kindern noch vor der Schule ausgiebig bemuttert. Das genießt auch die Katzenmama sehr.
So richtig viel Zeit bleibt heute aber nicht für das Frühstück. Gerade jetzt, kurz nach den Eisheiligen – also in der Zeit, in der es bei uns oft nochmals so richtig kalt wird –, hat die Arbeit im Garten und auf dem Acker Hochsaison. All die Pflanzen, die seit Wochen im Gewächshaus oder im Haus vorgezogen wurden, werden jetzt in den Garten gepflanzt. Die Chance, dass ein letzter Nachtfrost oder eine unerwartete Rückkehr des Schnees die zarten Jungpflanzen erwischt, wird von Tag zu Tag kleiner.
Heute ist Fruchttag. Wir sind zwar keine Demeter-Bauern, aber auch wir orientieren uns an planetaren Konstellationen und richten unsere Arbeit großteils nach dem Aussaatkalender von Maria Thun. Vor allem die Einflüsse des Mondes auf Pflanzen und Boden spielen hier eine große Rolle. Gestern war Wurzeltag, das heißt, an so einem Tag sind alle Arbeiten mit denjenigen Pflanzen besonders günstig, bei denen das Hauptaugenmerk auf der Wurzel liegt, also Karotten, Rote Bete oder Kartoffeln. Und heute ist es eben für diejenigen Pflanzen günstig, bei denen es eher um die Frucht geht, wie Tomaten, Gurken, Melonen, Zucchini, Kürbis usw.
So haben wir gestern Karottensamen gesät, und heute pflanzen wir die Karotten, die wir den Winter über in Sandkisten gelagert hatten. Das heißt, wir stecken ein paar Karotten, die wir im vergangenen Herbst geerntet haben, wieder zurück in den Boden. Immer wenn ich so etwas tue, stelle ich mir vor, was da einer denken könnte, der vom Gemüsebau keine Ahnung hat. Dabei ist es ganz einfach: Diese Karotten sind nicht mehr zum Verzehr vorgesehen. Karotten blühen erst im zweiten Jahr und bilden dann Samen aus. Diese Samen brauchen wir, um sie in den nächsten Jahren wieder zu säen. Und weil die Samen die Früchte der Karotte sind, pflanzen wir sie heute. Genauso wie die anderen Pflanzen, von denen wir die Frucht ernten wollen. Das sind sowohl die Früchte, die wir essen, als auch die Früchte, deren Samen wir für die neue Saat wieder brauchen.
Neben Frucht- und Wurzeltagen gibt es noch Blatt- und Blütetage. Blatttage sind für alle Kohlgewächse, Salate, Spinat oder Petersilie sehr günstig, Blütetage für alle Blumen, aber auch für Brokkoli und manche Ölfrucht.
Und dann gibt es auch noch Tage, an denen die planetare Konstellation günstig ist, um – nichts zu tun. Auch daran halten wir uns. Wer nach dem Mondkalender sät, pflanzt und erntet, muss sich gelegentlich schon mal die eine oder andere spöttische Bemerkung gefallen lassen. Aber der Aussaatkalender hilft uns auch dabei, nicht immer gleich den ganzen Berg an Arbeit zu sehen. Denn vor allem jetzt, da alle Pflanzen ins Freie wollen, ist dieser Arbeitsberg ganz schön hoch. Heute sind aber zum Glück nur die Pflanzen interessant, die an einem Fruchttag an der Reihe sind – und schon wird der Berg um ein ganzes Stück kleiner.
Trotzdem haben wir ein bisschen Zeitdruck. Morgen wäre zwar auch noch Fruchttag, aber da müssen wir uns um den Hofladen kümmern. Da geht es schon frühmorgens mit dem Brotbacken los, der Laden muss bestückt, Kuchen gebacken und Aufstriche müssen zubereitet werden. Denn ab Donnerstag, 14 Uhr, kommen unsere Kunden und wollen viel von dem, was wir ein paar Stunden, aber auch Tage, Wochen und Monate vorher vor- und zubereitet haben, einkaufen.
Bis zum gemeinsamen Mittagessen mit unseren Kindern sind wir heute mit dem Karottensäen schon ganz schön weit gekommen. Die Arbeit in unserem Gemüsegarten bedeutet sehr viel Hand-Arbeit. Auch das Säen der Karotten ist reine Handarbeit. Da häufeln wir die Erde an, legen die Samen in eine kleine Furche und bedecken sie sogleich mit etwas Erde. In den letzten Tagen hat es nicht geregnet. Da ist sogar unser sonst so schwerer Boden schön krümelig. Wenn wir wieder ein paar Reihen fertig haben, mulchen wir die Zwischenräume. Mulchen heißt, wir bedecken den offenen Boden. Wir machen das mit Heu. Das schützt den Boden vor Austrocknung und Abtragung und hindert die meisten Beikräuter am Keimen. Bei all der vielen Arbeit sind uns die gemeinsamen Mahlzeiten sehr wichtig. Erstens sind das feste Pausen, und zweitens geben sie uns Raum für Austausch und Kommunikation.
Am Nachmittag geht es weiter, wir pflanzen den Rest und werden dabei von unseren Gänsen, den Enten und den Rindern immer wieder aufmerksam beäugt. Zwischendrin treibt mich die Neugier zum Brutkasten. Dort liegen Hühnereier und werden künstlich ausgebrütet. Heute schlüpfen die kleinen Küken. Es ist immer wieder beeindruckend zu sehen, wie die Kleinen sich aus der Enge der Eierschale befreien. Wenn ihr gelber Flaum trocken ist, kann man sich kaum mehr vorstellen, dass diese kleinen Geschöpfe noch vor wenigen Minuten in einem Ei steckten.
Am frühen Abend haben wir es geschafft. Alle Pflanzen sind im Garten und im Gewächshaus, genau da, wo sie hingehören. Jetzt heißt es hoffen, dass diese Arbeit im Laufe des Jahres bis zum Herbst gute Früchte trägt. Eigentlich wäre heute auch die Zeit für einen Pflegeschnitt der Obstbäume sehr günstig, besonders für die Apfel- und Birnenbäume. Fruchttage eignen sich auch dafür besonders gut. Gleich nach der Blüte, wenn die Früchte noch ganz klein sind, schneide ich die Obstbäume am liebsten. In den meisten Büchern zum Thema Obstbaumschnitt wird ein Pflegeschnitt im Winter empfohlen. Da reagiert der Baum meistens mit unheimlich vielen neuen Ästen. Wenn ich aber erst jetzt nach der Blüte schneide, schickt der Baum seine ganze Kraft in die Früchte. Aber für den Schnitt bleibt heute sowieso keine Zeit mehr.
Nach einer gemeinsamen Tasse Kaffee mit meiner Frau auf einer Bank an unserem Weiher betrachten wir unser Tagwerk. Jetzt heißt es noch mal kurz alle Kräfte bündeln und einen Teil der Teige für den morgigen Backtag vorbereiten. Viele unserer Teige »gehen« über Nacht im Kühlen. Das macht vor allem die schweren Roggenteige viel bekömmlicher. So gegen 18 Uhr sind sie fertig, der Holzofen ist schon mit Brennholz bestückt und wartet darauf, irgendwann zwischen zwei und drei Uhr nachts angefeuert zu werden. Dann hat der Ofen...