E-Book, Deutsch, 184 Seiten
Reihe: MM-City
Bremer Bremen MM-City - mit Bremerhaven Reiseführer Michael Müller Verlag
3. Auflage 2024
ISBN: 978-3-96685-334-7
Verlag: Michael Müller Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Individuell reisen mit vielen praktischen Tipps.
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
Reihe: MM-City
ISBN: 978-3-96685-334-7
Verlag: Michael Müller Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Heimliche Hauptstraße Tour 2 Die Böttcherstraße ist ein einzigartiges Gesamtkunstwerk, eine „Stadt in der Stadt“. Die vielen expressionistischen Bauten aus dem frühen 20. Jh. galten unter den Nationalsozialisten als entartete Kunst. Über die Böttcherstraße führt der Weg an die Schlachte, Bremens wiederentdeckte maritime Meile. Paula Modersohn-Becker Museum, erstes Museum weltweit, das dem Werk einer Malerin gewidmet wurde Himmelssaal, Art-déco-Ensemble im Haus Atlantis Weserburg, moderne Kunst im Museum am Fluss Vom Marktplatz an die Weser Böttcherstraße und Schlachte Man könnte sie glatt übersehen, die Böttcherstraße. So schmal ist sie, eher eine Gasse als eine Straße. Und dennoch ist die Böttcherstraße Bremens „heimliche Hauptstraße“. Die Geschichte der Straße geht bis ins Mittelalter zurück. Damals war sie die Verbindung zwischen Markt und Weser und sah freilich noch ganz anders aus. Anno dazumal lebten und arbeiteten hier die Fassmacher, „Küfer“ und „Böttcher“ genannt. Man kann schon sagen, dass die Fässer früher eine ähnliche Bedeutung hatten wie heute die Container, die Böttcher brachten es so zu Ansehen und einem gewissen Reichtum. Schließlich wurde vom Hering über Salz und Butter bis hin zu Teer und Schießpulver alles in Fässern verpackt und verfrachtet. Doch mit der Industrialisierung verlor nicht nur der Hafen an der Schlachte an Bedeutung, sondern auch die Fassmacher in der Böttcherstraße. Die Böttcherstraße verkam zusehends, es stank zum Himmel unweit des Marktes. Die Häuser waren in einem erbärmlichen Zustand und der Rat der Stadt beschloss um die Wende vom 19. zum 20. Jh. das komplette Areal abzureißen. Zu Beginn des 20. Jh. begab es sich, dass die Besitzerinnen des Hauses Böttcherstraße Nr. 2 den Kaufmann Ludwig Roselius ansprachen mit der Bitte, er möge das dem Verfall geweihte Haus kaufen. Der junge Kolonialwarenhändler und Kaffeekaufmann erwarb das Anwesen (heute das Roselius-Haus) und machte es ab 1909 zur Zentrale seines Unternehmens. Der Gründer von Kaffee HAG und passionierte Kunstliebhaber Roselius hatte die Vision, die alte Böttcherstraße in ein Gesamtkunstwerk nach seinen Vorstellungen zu verwandeln. Mit den Architekten Eduard Scotland, Alfred Runge und Bernhard Hoetger begann er konkrete Pläne für die Umgestaltung der Böttcherstraße zu schmieden. Das Ergebnis war und ist bis heute eine eindrucksvolle Mischung: eine Verbindung von niederdeutscher Architektur, der Baukunst verschiedener mittelalterlicher Epochen und einer ganz und gar neuen, gewagten expressionistischen Architektur. Runge und Scotland knüpften eher an alte Traditionen an, während Hoetger sich ordentlich austoben durfte. Ihm hat die Nachwelt u. a. das Paula-Modersohn-Becker-Haus, das Haus Atlantis und das Robinson-Crusoe-Haus zu verdanken. Obwohl Hoetger und vor allem Roselius mit den Nationalsozialisten nicht nur sympathisierten, sondern sie geradezu verehrten, geriet das expressionistische Ensemble bei den Nazis auf die rote Liste. Die Böttcherstraße galt als entartete Kunst und sollte gar abgerissen werden. Wohl auch aufgrund Roselius’ guter Verbindungen kam es nicht dazu. Der Gründer der Böttcherstraße starb 1943, ein Jahr bevor sein Lebenswerk bei Bombenangriffen stark zerstört wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gesamtkunstwerk fast komplett und originalgetreu wieder aufgebaut. Seit 1973 steht die komplette Böttcherstraße unter Denkmalschutz. Dort, wo einst die Böttcher ihre Fässer hinrollten, liegt die Schlachte, der historische Bremer Hafen an der Weser. Der Name hat nichts mit „Schlacht“ oder „schlachten“ zu tun. Er hat seinen Ursprung in dem niederdeutschen Wort „Slagte“ oder auch „Slait“, was das Einschlagen der Pfähle zur Befestigung des Flussufers beschreibt. Bereits 1250 wurde das Areal erstmals urkundlich erwähnt und besiedelt, im 15. Jh. entstand hier eine hölzerne Kaianlage. Ende des 16. Jh. wurde das Hafenareal umfassend modernisiert, es wurde eine steinerne Kaimauer errichtet und die Schlachte wurde bebaut. Überwiegend waren es typische Kaufmannshäuser, die Wohn-, Kontor- und Lagerbereich unter einem Dach vereinten. Doch als im 19. Jh. die Hafenanlagen in Bremerhaven und im heutigen Walle/Gröpelingen entstanden, verlor die Schlachte als Stadthafen ihre Bedeutung. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Areal weitgehend zerstört, die Trümmer beim Wiederaufbau warf man einfach in die Weser und befestigte sie anschließend. So entstand die untere Weserpromenade, auch Untere Schlachte genannt. Aber sowohl dieser Uferweg als auch die historische Promenade an der Oberen Schlachte waren über Jahrzehnte eine triste und langweilige Ecke mitten in der Stadt. 1985 dann wurde die Uferpromenade zur Fußgängerzone umgewidmet und trotzdem war an der Schlachte weiterhin „tote Hose“. Erst zwischen 1993 und 2000 im Zuge des EXPO-Projekts „Stadt am Fluss“ wurde das Areal am Wasser wirklich neu belebt und zu dem entwickelt, was es heute ist: Bremens erste Gastronomie-Adresse, eine maritime Bummelmeile und ein riesiger Biergarten in allerbester Lage. Die untere Promenade wurde hübsch gemacht, im Wasser wurden Pontons und Anlegestellen installiert, an denen Schiffe aller Art festmachen können. Die Geschichte von der lange Jahre stiefmütterlich behandelten Weserpromenade hat etwas von der Geschichte des Aschenputtels, das zur Prinzessin wurde. Oder, wie der Bremer Weser Kurier zum zehnjährigen Jubiläum der Schlachte titelte: „Vom Hinterhof zur Flaniermeile“. Durch die Böttcherstraße mit ihren markanten expressionistischen Backsteinhäusern, dem Paula Modersohn-Becker und dem Ludwig Roselius Museum gelangt man auf diesem Spaziergang an die Obere Schlachte, die maritime Meile in Bremens Innenstadt. Nach einem Besuch im Museum Weserburg geht es an der Unteren Schlachte zurück zum Martinianleger, wo u. a. das berühmte „Beck’s-Schiff“, die Alexander von Humboldt, liegt. Von der Weserburg aus bietet sich ein Abstecher zu einer Brauerei-Besichtigung bei Beck’s an. Spaziergang Anbiederung an Adolf Hitler Der Lichtbringer Der Spaziergang beginnt direkt an der Westseite des Marktplatzes. Nach wenigen Schritten auf der Schüttingstraße fällt unweigerlich der „Lichtbringer“ am Eingang zur Böttcherstraße ins Auge: ein großes vergoldetes Bronzerelief von Bernhard Hoetger, erschaffen im Jahr 1936. Es zeigt einen unbekleideten Jüngling (Erzengel Michael) mit gelocktem Haar, ein Schwert in der Hand haltend, das er gegen ein Fabelwesen wie einen Drachen oder eine Schlange richtet. Forscht man jedoch nach, so erfährt man, dass Roselius und Hoetger den Eingang umgestaltet hatten, nachdem ihre Kunst bei den Nationalsozialisten in die Kritik geraten war. Die zuvor dort angebrachte expressionistische Glasskulptur ersetzten sie durch den „Lichtbringer“. Hoetgers Werk ist nichts anderes als eine Anbiederung und eine Verherrlichung Adolf Hitlers. Der Künstler hoffte, damit auszudrücken, „wie sehr ich unseren Führer und seine Taten verehre“. Es sollte, so Hoetger weiter, „ein Zeichen des Sieges unseres Führers über die Mächte der Finsternis“ sein. Der Jüngling ist also sinnbildlich niemand anders als Hitler selbst, so die Deutungen der Kritiker. Bereits 2012 kündigte der Bremer Senat an, dort eine Hinweistafel anzubringen. 2013 bekräftigte die Fraktion der Linken in der Bürgerschaft die Forderung, um auf „das einzige öffentliche Hitler-Denkmal, das heute noch existiert“, hinzuweisen. Bis heute vergebens. Bernhard Hoetger hatte sein Opportunismus übrigens nichts genützt; er wurde 1938 aus der NSDAP ausgeschlossen. Erstes Museum für eine Malerin Paula Modersohn-Becker Museum Direkt am Beginn der Böttcherstraße auf der linken Seite befindet sich das Paula-Modersohn-Becker-Haus, das wiederum das Paula Modersohn-Becker Museum beherbergt. Das Museum in dem expressionistischen Backsteinbau mit den Art-déco-Elementen, den verspielten Malereien und Lichteffekten sowie den beiden markanten Türmen wurde 1927 eröffnet und war das erste Museum weltweit, das einer Malerin gewidmet wurde. Roselius war ein großer Bewunderer der Worpsweder Malerin, die erst nach ihrem Tod 1907 weltweite Anerkennung als eine der wichtigsten Vertreterinnen des frühen Expressionismus in Deutschland erhielt. Roselius hatte ganz offensichtlich eher ein Auge und ein Gespür dafür als andere. Die ursprüngliche Sammlung des Mäzens wurde im Laufe der Jahrzehnte durch Neuankäufe und Leihgaben der Paula-Modersohn-Becker-Stiftung erweitert, und so präsentiert das Museum die Hauptwerke aus allen Schaffensphasen dieser Pionierin der modernen Malerei aus dem Beginn des 20. Jh. Seit 2005 ziert eine LED-Installation der US-amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer als „Hommage For Paula Modersohn-Becker“...