Buch, Deutsch, Band 48, 308 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 430 g
Geschlecht zwischen Affirmation, Subversion und Verweigerung
Buch, Deutsch, Band 48, 308 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 430 g
Reihe: Politik der Geschlechterverhältnisse
ISBN: 978-3-593-39451-0
Verlag: Campus
Widerspenstigkeit galt lange Zeit als spezifisch weibliche Untugend und auch heute noch kann Widerstand gegenüber sozialen und kulturellen Ausformungen von Geschlecht Irritation und Unbehagen auslösen. Der Band erörtert Widerspenstigkeit dagegen als eine Form des kreativen Umgangs mit gängigen Geschlechterrollen. Er beleuchtet Geschlechtszuschreibungen in verschiedenen historischen Situationen und kulturellen Räumen und leistet damit einen Beitrag über Geschlechternormen und deren mögliche Transformation.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Spezielle Soziologie Globalisierung, Transformationsprozesse
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Gender Studies, Geschlechtersoziologie
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Sozialisation, Soziale Interaktion, Sozialer Wandel
Weitere Infos & Material
Inhalt
Dank 9
Einleitung
Szenen von Widerspenstigkeit: Geschlecht zwischen Affirmation, Subversion und Verweigerung 13
Anne Brüske, Isabel Miko Iso, Aglaia Wespe, Kathrin Zehnder, Andrea Zimmermann
I. Reflexion der Begrifflichkeiten
Performativität
'Lass mal hier die richtigen Bitches ran!' Möglichkeiten und Grenzen performativer Widerspenstigkeit 31
Melanie Plößer
Mimesis
Kritische Mimesis: Widerspenstige Inszenierungen queerer Fem(me)ininität 51
Sabine Fuchs
Mimikry
Umdeutungen antiker Widerspenstigkeit in der Neuzeit:Der Fall der Antigone 73
Ingrid Simson
II. Im Spannungsfeld von Affirmation, Subversion und Verweigerung
Von affirmativen Anthropologien zur Subversion von Geschlecht
Widerspenstige Utopien in Michel Houellebecqs Les Particules élémentaires: Von der Apokalypse der heterosexuellen Matrix zur Ungeschlechtlichkeit? 99
Anne Brüske
›Ursprungsnarrationen‹ zwischen Affirmation und Subversion: Judith Butler und Joseph Ratzinger 119
Ruth Heß
Widerspenstigkeit ›auf Reaktionär‹: Michel Houellebecq und Joseph Ratzinger 141
Anne Brüske und Ruth Heß
Von der Verweigerung der heteronormativen Ordnung
Die eigensinnige Vagina: Zum Doppelgesicht des Schmerzes beim Koitus als Anpassung und Widerstand 147
Julia Riegler
'Eine ganz normale Familie': Nordwärts von Lorenz Langenegger treibt das Spiel der Mimesis mit der symbolischen Ordnung 167
Andrea Zimmermann
Vom Potenzial der Irritation 189
Julia Riegler und Andrea Zimmermann
Zur Normierung von Geschlecht
'Ich wünschte, ich hätte Testo bei mir': Körperliche Manipulation Intersexueller zwischen Unterwerfung und Selbstermächtigung 195
Kathrin Zehnder
Ein (post)moderner Raum zwischen Subversion und Affirmation: Performativität von Körper-, Geschlechts- und Sexualitätsdiskursen in der Dauerausstellung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden 215
Katrin M. Kämpf und Matthias Mergl
Hermaphroditos als Darstellung widerspenstiger Ganzheitlichkeit 235
Kathrin Zehnder, Katrin M. Kämpf und Matthias Mergl
Widerspenstige Mimikry: Körper und Geschlecht im kolonialen Kontext 239
Isabel Miko Iso
Von idealisierten, marginalisierten und subalternen Körpern 257
Isabel Miko Iso, Katrin M. Kämpf und Matthias Mergl
Widerspenstigkeit und Macht
Gleichzeitigkeit als Widerspenstigkeit? Das Beispiel postsowjetischer gleichgeschlechtlich liebender Migrantinnen und Migranten in Berlin 263
Ilka Borchardt
Erschöpfte Heldin der Arbeit und teilnahmsloser Hausmann: Geschlechterrollen in einem sowjetischen Dokumentarfilm 281
Aglaia Wespe
Ein Gespräch über Szenen von Macht und Widerspenstigkeit 301
Ilka Borchardt und Aglaia Wespe
Autor_innen 305
Szenen von Widerspenstigkeit: Geschlecht zwischen Affirmation, Subversion und Verweigerung
Anne Brüske, Isabel Miko Iso, Aglaia Wespe, Kathrin Zehnder, Andrea Zimmermann
Die William Shakespeare zugeschriebene Komödie Der Widerspenstigen Zähmung (The Taming of the Shrew, 1632) ist heute – zumindest dem Titel nach – allseits bekannt. Sie inszeniert die Geschichte einer sich dem Schicksal ihres Geschlechtes verweigernden, 'widerspenstigen' Jungfrau, die ›gezähmt‹ auf den Pfad von weiblicher Subordination und Selbstverleugnung zurückgezwungen wird. Uns interessieren im Folgenden nicht Vorgänge der Zähmung, sondern die Momente der Widerspenstigkeit, die durch solche Disziplinierungsmechanismen ausgelöst werden: Wie lassen sich Widerspenstigkeit und Irritationsmomente, die die Figur der Kate sowohl innerhalb der Fiktion als auch bei zeitgenössischen Leser_innen hervorruft, wissenschaftlich fassen? Und was kann der Begriff der Widerspenstigkeit in Bezug auf Geschlecht und die Geschlechterforschung leisten?
Widerspenstigkeit, so Ute Vorkoeper (2000), lässt sich als das beschreiben, 'was sich nicht fügt, was sich nicht glätten läßt. Eine dumme Haarsträhne oder eine Falte, die sich unerwünscht aufgeworfen hat und nur mit besonderen Mitteln, mit technischem Aufwand oder mit Desinteresse zu bewältigen ist. Oder aber mit Humor.' Interdisziplinäre Analysen gegenwärtiger Prozesse in den Geschlechterverhältnissen konstatieren als besonderes Kennzeichen eine paradoxe Gleichzeitigkeit von Persistenz und Wandel (vgl. Maihofer 2007: 282 ff.). Auch die jeweiligen Aktualisierungen von Geschlecht, durch die sich die Geschlechterordnung herstellt, finden in einer vielschichtigen Dynamik von intendierter oder erzwungener Affirmation, Irritation und Subversion der hegemonialen Geschlechternormen statt. Diese werden somit als '(un-)geschriebene Gesetze überliefert, fortgeführt und neu geschrieben' (Binswanger/Bridges/Schnegg/Wastl-Walter 2009: 11). Widerspenstigkeit eignet sich als zentraler Begriff, da er es erlaubt, sowohl diese paradoxe Gleichzeitigkeit gegenläufiger Prozesse (vgl. Engel 2009: 118) als auch deren Dialektik, das Umschlagen ein und derselben Bewegung in ihr Gegenteil (vgl. Maihofer 2007: 301), in den Blick zu nehmen.
Widerspenstig erscheint bisweilen auch die Geschlechterforschung selbst, wenn es um ihre Etablierung in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen oder als eigenständiges transversales Fach geht, das sich nicht ohne weiteres in den etablierten Fächerkanon einfügen lassen kann oder mag. In der Schweiz werden Geschlechterstudien besonders seit Beginn der 2000er Jahre auf Bundesebene durch die Einrichtung von Forschungszentren institutionalisiert. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, dem im Rahmen des Netzwerks der Graduiertenkollegien Gender Studies Schweiz ein interuniversitäres und interdisziplinäres Ausbildungsprogramm zur Verfügung steht. Der vorliegende Sammelband ist aus dem zweiten Basler Graduiertenkolleg 'Gender in Motion. Wandel und Persistenz in den Geschlechterverhältnissen' (2005–2008) hervorgegangen. Damit knüpft er an Erträge früherer oder gleichzeitig laufender Graduiertenkollegien an, wie zum Beispiel an die Sammelbände Gender in Motion: Die Konstruktion von Geschlecht in Raum und Erzählung (2007) oder Gender Scripts. Widerspenstige Aneignungen von Geschlechternormen (2009).