Büschel | Hilfe zur Selbsthilfe | Buch | 978-3-593-50074-4 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 16, 646 Seiten, Format (B × H): 149 mm x 220 mm, Gewicht: 827 g

Reihe: Globalgeschichte

Büschel

Hilfe zur Selbsthilfe

Deutsche Entwicklungsarbeit in Afrika 1960-1975

Buch, Deutsch, Band 16, 646 Seiten, Format (B × H): 149 mm x 220 mm, Gewicht: 827 g

Reihe: Globalgeschichte

ISBN: 978-3-593-50074-4
Verlag: Campus Verlag GmbH


'Hilfe zur Selbsthilfe' – dieses Buch zeichnet die Geschichte des wohl meistversprechenden Konzepts moderner Entwicklungspolitik nach. Deutlich werden dabei die postkolonialen Leitlinien, mit denen sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die DDR im Kalten Krieg miteinander in Afrika um den jeweils besseren Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit rangen. Die globalhistorische Pionierstudie analysiert anhand von Fallstudien auch Praktiken vor Ort. Sie zeigt: 'Hilfe zur Selbsthilfe', die sich ausdrücklich der einvernehmlichen Zusammenarbeit zwischen Afrikanern und Deutschen verschrieb, konnte zu sozialem Druck, Ausgrenzung und Gewalt führen.
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Inhalt

Einleitung 11

Hilfe zur Selbsthilfe in den afrikanischen Postkolonien 17 o Ein alternatives Entwicklungskonzept 19 o Hilfe zur Selbsthilfe als Forschungsgegenstand 23 Positionen zur Geschichte der Entwicklungsarbeit 27 o Der Kalte Krieg 28 o Moderne und Modernisierung 30 o Die statische Übermacht des globalen Nordens? 33 o Eine Verflechtungsgeschichte 36 o Quellen 41 o

Zum Aufbau 45

I. Das Konzept

1. Die Suche nach der ›besseren‹ Entwicklungshilfe: Deutsch-deutsche Konkurrenzen im Kalten Krieg 51

Westdeutsche Hilfe zur Selbsthilfe gegen ostdeutsche Internationale Solidarität 56 o Warum in Afrika? 63 o Wie die bundesdeutsche Entwicklungspolitik zur Hilfe zur Selbsthilfe kam 68 o Von der Entwicklungshilfe zur Entwicklungsarbeit: Handlungsanweisungen für die Praxis 73 o Internationale Solidarität als organische und naturgemäße Zwangsläufigkeit 75

2. Die globalen Versprechen der Hilfe zur Selbsthilfe 79

Vom schlechten Wesen des Schenkens 80 o Selbstständigkeit durch Selbsthilfe in Afrika 81

3. Hilfe zur Selbsthilfe als ›bestes‹ Entwicklungskonzept für Afrika 85

Entwicklung als Trauma und das Heilmittel Hilfe zur Selbsthilfe 85 o Die Wiederbelebung verlorener ›guter‹ afrikanischer Traditionen 93 o Genossen-schaften in Afrika: Zurück zur Urform der Selbsthilfe? 101 o Von ›Einge-borenen‹ zu afrikanischen ›Bauern‹ 109

4. Die lange Geschichte der Hilfe zur Selbsthilfe 116

Hunger als Antrieb in der Aufklärung 116 o Die ›protestantische Ethik‹, das katholische Subsidiaritätsprinzip und die Kritik an der Moderne 118 o Im Krieg gegen die Bedürftigkeit im langen 19. Jahrhundert 121 o Die ›Erziehung des Negers zur Arbeit‹ als Hilfe zur Selbsthilfe: Von Alabama nach Togo 130 o Mission und afrikanische Arbeitsethik: Von Bethel nach Lutindi 136 o Hilf Dir selbst! Globale Krisen und die Rettung der Welt durch die Techniken des Selbst 141 o Die spätkoloniale Entwicklungspolitik in Afrika: Hilfe zur Selbsthilfe als ›heilige Aufgabe der Zivilisation‹ 146 o Das ›Innere des Afrikaners‹ kennen: Ethnologisches Wissen als Grundlage von Hilfe zur Selbsthilfe 156 o Das Ende der kolonialen Zwangsarbeit und die neue Konjunktur der Hilfe zur Selbsthilfe 162 o Das britische Community Development 163 o Die französische Animation Rurale 169 o Afrikanische Jugend - Träger der Zukunft 172 o Hilft das alles? Die frühen Zweifel an der Hilfe zur Selbsthilfe in Afrika 175

5. Die strukturellen Paradoxien des vermeintlich ›besten‹ Entwicklungskonzepts aller Zeiten 179

II. Die Praktiker

1. Die Experten 185

1.1. Expertendienste: Institutionen der Hilfe zur Selbsthilfe 195

Die Erfindung der Nichtregierungsorganisationen 195 o Die westdeutschen Expertendienste im Dienste der Hilfe zur Selbsthilfe 197 o Die staatliche Entsendung aus der DDR 201 o Afrikanische Expertendienste: Die Erben des Kolonialismus 204 o Tanganjika und Sansibar: Die Entwicklungskomitees und der "Wille des Volkes" 206 o Togo und Kamerun: Gesellschaften verordneter Selbsthilfe 220

1.2. Vom Experten zum Berater: Zuschreibungen

und Anforderungen 227

Deutsche Experten als Freunde und Partner 229 o Postkoloniale Erwartun-gen an afrikanische Experten 235

1.3. Verständnis trainieren: Die Auswahl und Vorbereitung

von Experten 239

Gegen Rassismus und Arroganz: Die Auswahl und Vorbereitung west deutscher Experten 241 o ›Kader‹ für die ›Völkerfreundschaft‹: Die Auswahl und Ausbildung von Experten in der DDR 248 o Die Auswahl und Vorbereitung afrikanischer Entwicklungsexperten 251 o Ratgeber für Hilfe zur Selbsthilfe 259

1.4. Die Experten in der Praxis 266

Rassismus als Existenzprinzip 268 o Expertenbilder: Ins Zentrum der Hilfe zur Selbsthilfe gerückt 271 o Von der SS in die Entwicklungshilfe 275 o Der Habitus afrikanischer Experten 278 o Abgebrochen, gekündigt, ausgewiesen: Wenn Experten untragbar wurden 283 o Afrikanische Entwicklungsexperten im Kreuzfeuer der Kritik 289 o Erklärungen, Analysen und Rechtfertigungen 295

2. Die Entwicklungshelfer 306

Jugendliche als Retter in der Not 306 o Von Verdun nach Bihar: Jugendliche für ›Völkerverständigung‹, Frieden und Entwicklung 310

2.1. Die Jugenddienste 313

Die "Soldaten des Friedens": Der DED 316 o Die "Botschafter im Blau-hemd": Die FDJ-Freundschaftsbrigaden 326 o Jugenddienste der Staatsparteien in Tanganjika und auf Sansibar 333 o Die Jeunesse Pionnière Agricole in Togo 335 o Die Jeunesse Rurale in Kamerun 337

2.2. Die idealen Entwicklungshelfer 339

2.3. Schulen des engagierten Mitgefühls: Die Auswahl, Motive und Ausbildung von Entwicklungshelfern 344

Die Auswahl 346 o Hilfe zur Selbsthilfe beim Lernen: Die Vorbereitung in den westdeutschen Entwicklungsdiensten der 1960er-Jahre 350 o Simulation und ›Slumming‹: Die Vorbereitung ab 1971 357 o Gruppenzusammenhalt ausbilden: Die Vorbereitung der Mitglieder von Freundschaftsbrigaden 364 o Drill und Disziplin: Die Vorbereitung afrikanischer Jugendlicher für die Hilfe zur Selbsthilfe 367

III. Die Praxis

1. Projekte der Hilfe zur Selbsthilfe: Zur Theorie und Methodik von Fallstudien 373

2. Das Archiv der Entwicklungspraxis: Kulturtechniken zwischen Peripherie und Zentrum 377

Erforschen, Planen und Evaluieren: Die Herstellung von Evidenz 380 o Be-richten und Bitten: Von der Kunst, Misserfolge, Errungenschaften und Be-dürfnisse plausibel zu machen 386 o Bekunden und Bezeugen: Beweise von Hilfe zur Selbsthilfe 392 o Wahrhaftigkeit: Die Bekundungen der Afrikaner 397

3. Drei ›Musterdörfer‹ in Togo: Vom Vorzeigeprojekt zur Entwicklungshilferuine 401

Die ›Musterdörfer‹ als Entwicklungslabore 406 o Lobpreisungen 411 o 1965: Die Wende im Projekt 413 o Leitlinien gegen Praktiken? 416 o Zur "dichten Beschreibung" des Projektverlaufs 417 o Probleme, Lösungs-strategien und unüberbrückbare Konflikte 422 o Der Bruch 427 o ›Othering‹ und Rassismus: Deutsche Evaluationen des Scheiterns 432 o Paradoxien der Projektanlage 435

4. Das Ausbildungszentrum Wum in Kamerun: Ein Straflager als Selbsthilfeprojekt 437

Schule der Selbstsorge 441 o Landkämpfe 443 o Eine Schule ohne Schüler 445 Zwangsarbeit als Hilfe zur Selbsthilfe? 447 o Widerstand und Vertrauens-krisen 449

5. Das Bauprojekt Bambi auf Sansibar: Anspruch und Realität der ›Völkerfreundschaft‹ 452

Freundschaftserzählungen 457 o Plattenbauten auf Sansibar: Von Neuberlin bis Bambi 462 o Entwicklungsarbeit als Politik 467 o Selbstzweifel, Reibungsflächen und Konflikte 469 o Das Kollektiv zerfällt 474 o Ritualisiertes Ende 477

6. Die Kategorien für Scheitern und Gelingen 482

7. Nur ein Dorf in Tansania? Gewalt als Mittel zum Zweck 487

Anklagen, Beschimpfen und Schlagen 489 o Die Legitimierung von Gewalt als ein Mittel zum Zweck 492 o Litowa: Das Ende einer Utopie und die Ge-waltsamkeit der Ujamaa-Dörfer 493 o Ethnisierte Gewalt und soziale Ex-klusion 504

Schluss 509

Das globale Einvernehmen: Das ›beste‹ Entwicklungskonzept aller Zeiten 511 o Wenn Postkolonien keine Entwicklungshilfe wollen: Hilfe zur Selbsthilfe als Ausweg 513 o Aufgrund einer Provokation eine Geschichte schreiben 515 Das Konzept: Kalter Krieg und globaler Austausch 517 o Ein alter Wein in neuen Schläuchen 519 o Die Praktiker: Mit Hilfe zur Selbsthilfe über sich hinauswachsen 523 o In der Praxis durchgefallen? 526 o Bis zu brachialer Gewalt 528 o Ein ›zweideutiges Moralprinzip‹ 530

Abbildungsverzeichnis 535

Abkürzungen 537

Quellen- und Literaturverzeichnis 540

Namensregister 627

Sachregister 632

Projektbericht und Dank 641


Einleitung
"Wir sind […] hergekommen auf der Suche nach den letzten Überresten einer alten, überlebten Kultur eines Nomadenvolkes. Wir fanden ihre Kinder. Wir fan-den sie rechnend, lesend, schreibend. Lernend und singend. Singend von der Zukunft der freien Jugend Tansanias."
Mit diesen Worten beschrieben die ostdeutschen Reiseschriftsteller Fritz Rudolph und Percy Stulz ihren Besuch in einer Internatsschule für Massai-Kinder im Norden Tansanias im Jahr 1968. Sie fuhren fort:
"Selbst die Zeigerstellung der Uhren muß [im Schulunterricht] erst erklärt werden, denn in den Hütten der Hirtennomaden hat eine Uhr noch Seltenheitswert; doch die Kinder lernen schon, was die Stunde geschlagen hat, und die selbstgebastelten Häuschen aus Papier haben schon die Form von morgen. Die hier lernen, werden es selber verwirklichen, daß aus den kindlich geformten Modellen die Wohnstätten ihrer zukünftigen Familien werden. Ihre Kinder werden nicht mehr in Erdhütten aufwachsen und sich nicht mehr mit Rinderurin waschen."
Diese Sätze sind geradezu typisch für Diskurse der 1960er- und 1970er-Jahre über ›alte, überlebte Kulturen‹, über sogenannte ›Unterentwicklung‹ und die Notwendigkeit zur eigenständigen und selbstbestimmten Arbeit von Afrikanern an ihrer Zukunft, ob sie nun von Ost- oder Westdeutschen, von Briten, Franzosen und Nord-Amerikanern stammten. Sie stehen für eine Vielzahl von Annahmen, die Zeitkonzepte und Entwicklung in Zusammenhang brachten mit Termini wie ›Wandel‹, ›Fortschritt‹ und ›Selbstbestimmung‹.
Hier findet sich immer auch das Bild von der vermeintlichen Zeitlosigkeit und Zeitunkenntnis als unterentwickelt angesehener Gesellschaften. In Broschüren, Büchern, Tagebuchaufzeichnungen oder Radiosendungen war die Rede davon, dass viele Afrikaner allmählich erst "lernen" oder "begreifen" müssten und tatsächlich auch würden, dass für sie die "Stunde geschlagen" habe, sich endlich selbst zu entwickeln.
Von durch die Regierung Tansanias bereits verwirklichter Selbsthilfe beeindruckt hatte sich bereits 1964 der Vorsitzende der CDU in der DDR, Gerald Götting, nach einem Aufenthalt in Dar es Salaam geäußert:
"Was mir besonders auffiel, waren die neuen großen Hütten, die, in bunten Farben getüncht, sauber und einladend an den Straßen am Stadtrand erst in letzter Zeit entstanden sind. Vor ihnen wickelt sich das tägliche Leben der Familie ab, so wie es nach Tradition und Klima jahrhundertelang geschah. Alle diese Häuser wurden in Selbsthilfe errichtet. […] Nur die Materialien wurden von der Regierung geliefert, alles andere machen die Einwohner in freiwilliger, unbezahlter Arbeit selbst".
Götting berichtete auch vom ersten Präsidenten des unabhängigen Tansania, Julius Nyerere, der Selbsthilfe als tragendes Entwicklungsprinzip des Landes ausgerufen hatte, die "Selbsthilfe im Kampf gegen Armut, Unwissenheit und Krankheit". Überall seien Tansanier "zu Hunderttausenden" jenem "Ruf zu den Waffen der friedlichen Selbsthilfe" gefolgt. Nicht nur Wohnhäuser, sondern auch Schulen, Krankenstationen, feste Straßen und Wasserleitungen seien in gemeinschaftlicher, unentgeltlicher und freiwilliger Arbeit der Menschen vor Ort errichtet worden. So habe man alles gebaut, "was jetzt im Interesse der Afrikaner notwendig [sei], weil es die Kolonialherren dem Volk bisher vorenthalten" hätten. Man handele in der "Gewissheit", nun endlich nur für sich selbst zu arbeiten und zu bauen. Entsprechend gebe es sehr viel Freude und Dankbarkeit.
Dabei brauche es allerdings auch oft Impulse von außen, sprich aus der DDR. So betonte man immer wieder den eigenen Beitrag zur Entwicklung Afrikas in Hilfe zur Selbsthilfe, die in der Regel unter dem Begriff Internationale Solidarität subsummiert wurde. Beispielsweise hieß es im Bericht einer Delegation der Sozialistischen Einheitspartei (SED), die 1965 Tansania einschließlich der Insel Sansibar besucht hatte: Es sei unbedingt notwendig, dass die Tansanier sich erst einmal grundsätzlich ihrer "erbärmlichen und lebensunwürdigen Lage" bewusst würden; mit Hilfe von Beratern der DDR sollten sie erkennen, dass sie "wie die Tiere leben". Daraus würden sie überall in ihrem Land den Antrieb gewinnen, durch eigene Arbeit entschlossen ihr Leben zum Besseren zu verändern.
Dieser Logik folgend wurde 1969 von Sansibar berichtet, dass DDR-Entwicklungsexperten, Brigaden der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und afrikanische Jugendliche eine ganze Stadt in Hilfe zur Selbsthilfe aufbauen würden: "Hand in Hand", einvernehmlich, "ohne Bedingungen" und mit der "Schöpferkraft" eines vom "Kolonialismus befreiten Volkes" entstünde dort die Siedlung Bambi, ein wahres "Kind der Freundschaft".
Ähnlich wie Autoren der DDR priesen auch Westdeutsche die Bedeutung ihrer Hilfe zur Selbsthilfe für die Entwicklung Afrikas: So schrieb der Theologe und Entwicklungsexperte Jochen Schmauch, durch dieses Entwicklungskonzept könnten sich in jenem am wenigsten entwickelten Kontinent "objektiv ablesbare Fortschritte" einstellen, die den "Namen ›Entwicklung‹" verdienen würden, wie
"der Schritt von der Wurfsaat zur Reihensaat, von der Hacke zum Ochsenpflug, oder: der Wechsel vom Holzfeuer zum Elektroherd, vom Regenmacher zur Bewässerung, vom Trampelpfad zur Asphaltstraße, vom Geheimniskrämer zum Arzt. Oder: der Übergang von der Selbstversorgung zur Marktproduktion, von der wirtschaftlichen Abhängigkeit zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit, von der politischen Fremdbestimmung zur politischen Selbstbestimmung."
Nach einer Stippvisite in den Usambara-Bergen Tansanias Mitte der 1970er-Jahre berichtete Lenelotte von Bothmer, Mitglied des Bundestages für die SPD, begeistert von einem entsprechenden deutsch-tansanischen Entwicklungsprojekt. In einer Landwirtschaftsschule sollten Mädchen und Jungen wirtschaftliches Haushalten, Feldanbau und Viehhaltung lernen. Hier sei wirklich erreicht worden, was man oft nur "in schönen Reden" höre. Denn es sei den "Menschen die Möglichkeit gegeben worden, sich selber zu helfen." Jeder Deutsche arbeitete gleichrangig mit einem Counter-part zusammen, der alsbald "fähig sein sollte, die Stelle alleine auszufüllen." In der Tat war es häufig die Konzeption dieses einheimischen Partners - des Counterparts -, an der sich der Beifall für Hilfe zur Selbsthilfe entzündete.
Der Theologe Wilfried Warnek, der 1962 für die West-Berliner Arbeitsgemeinschaft Weltfriedensdienst im südkamerunischen Dorf Nkpwang tätig gewesen war, konnte mit einer ähnlichen Erfolgsgeschichte aufwarten. Warneck hatte sich einem seit 1958 bestehenden internationalen Aufbaulager für ein Musterdorf mit landwirtschaftlichem Ausbildungszentrum angeschlossen, zu der die kamerunische Jugendorganisation Action Paysanne junge arbeitslose Männer und Frauen verpflichtete. Entwicklungshelfer aus der Bundesrepublik Deutschland, anderen europäischen Staaten und den USA waren als Straßenbauingenieure, Architekten, Statiker, Vermessungstechniker, Mechaniker, Facharbeiter, Ärzte oder Seelsorger beratend tätig. Die jungen Afrikaner sollten angeregt werden, ihr Leben in die Hand zu nehmen, engagiert über ihre Probleme nachzudenken, Lösungsstrategien für die ›Verbesserung‹ ihrer Lebenssituation zu entwickeln und diese weit-gehend selbstständig in die Tat umzusetzen. Auch hier wurde Hilfe zur Selbsthilfe geübt. Als das Schulungszentrum schließlich eingeweiht werden konnte, berichtete Warneck: Den "Weißen und Schwarzen als Freunde und Brüder" sei in der Tat gelungen, "gemeinsam etwas Neues" zu schaffen.
Die zitierten Berichte aus dem Feld west- und ostdeutscher Entwicklungsarbeit in Afrika sind nur einige Beispiele für die überall in der Welt in den 1960er- und 1970er-Jahren aufgestellte Behauptung, dass Hilfe zur Selbsthilfe ein ›gutes‹, wenn nicht gar das einzig geeignete Entwicklungskonzept für die sogenannte Dritte Welt sei. Bereits im Jahr 1949 verkündete der Präsident der USA Harry Truman in seinem berühmten "Point-Four-Program", das vielfach als Gründungsdokument moderner Entwicklungspolitik angesehen wird: Entwicklungsarbeit müsse künftig vor allem darin bestehen, "underdeveloped nations" darin zu helfen, "to help themselves". Und auch im Weltbankreport zu Tanganjika von 1961 ist beispielsweise zu lesen: Es sei nur zu hoffen, dass die Menschen in diesem ostafrikanischen Land möglichst schnell "begreifen" würden, dass sie vor allem durch ihre eigenen Anstrengungen ihre Lebensbedingungen "verbessern" könnten.
Die Etikettierung von Hilfe zur Selbsthilfe als Garant ›guter‹ Entwicklung war so wirkungsmächtig, dass es sogar zur Gründung von Entwicklungsagenturen kam, die sich schon ihrem Namen nach ausschließlich dieser Form von Entwicklungsarbeit verschrieben. Nur ein Beispiel ist die Kübel-Stiftung für Hilfe zur Selbsthilfe des hessischen Möbelfabrikanten Karl Kübel aus Bensheim, die 1966 ins Leben gerufen wurde.


Hubertus Büschel ist Juniorprofessor für Kulturgeschichte am Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) und an der Justus-Liebig-Universität Gießen.


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