Büschel / Speich | Entwicklungswelten | Buch | 978-3-593-39015-4 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 6, 325 Seiten, Format (B × H): 146 mm x 212 mm, Gewicht: 406 g

Reihe: Globalgeschichte

Büschel / Speich

Entwicklungswelten

Globalgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit

Buch, Deutsch, Band 6, 325 Seiten, Format (B × H): 146 mm x 212 mm, Gewicht: 406 g

Reihe: Globalgeschichte

ISBN: 978-3-593-39015-4
Verlag: Campus Verlag GmbH


Die einstige 'Entwicklungshilfe', heute Entwicklungszusammenarbeit genannt, sollte und soll die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit auf der Erde beseitigen. Ihr Erfolg ist umstritten. Fest steht aber, dass die damit verknüpften Visionen, Institutionen, Diskurse und Praktiken die Weltgeschichte seit 60 Jahren mitprägen. In diesem Band zeigen die Autorinnen und Autoren, auf welche Art und Weise verschiedene Akteure in verschiedenen Positionen innerhalb des Entwicklungsunterfangens die Welt als solche konzeptualisiert haben und wie diese globalen Vorstellungen den sozialen Wandel vor Ort beeinflussten. Der Band bietet damit eine erste globalgeschichtliche Analyse der Entwicklungszusammenarbeit.
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Inhalt

Einleitung - Konjunkturen, Probleme und Perspektiven der Globalgeschichte von Entwicklungszusammenarbeit
Hubertus Büschel/Daniel Speich

I. Globale Diskurse, Deutungshoheiten und Gewissheiten

Lernen vom Besserwisser: Wissenstransfer in der "Entwicklungshilfe"
aus historischer Perspektive
Philipp H. Lepenies

Wirtschaftliche Entwicklung und Souveränität im Mandatssystem des Völkerbunds: Rechtshistorische Überlegungen zum kolonialen Gehalt des Völkerrechts
Antony Anghie

"Großer Sprung nach vorn" oder "natürliche Entwicklung"? Zeitkonzepte der Entwicklungspolitik im 20. Jahrhundert
Niels P. Petersson

Nationale Armut, globale Armut und Neoliberalismus: Eine anthropologische Kritik
Akhil Gupta

II. Lokale Erfahrungen globaler Zusammenhänge

Der Blick von Lake Success: Das Entwicklungsdenken der frühen UNO als ›lokales Wissen‹
Daniel Speich

Eine Brücke am Mount Meru: Zur Globalgeschichte von Hilfe zur Selbsthilfe und Gewalt in Tanganjika
Hubertus Büschel

Entwicklungsutopien und globale Identitäten: Südkoreanische Krankenschwestern in der Bundesrepublik Deutschland der 1960er und 1970er Jahre
Young-Sun Hong

Fit für den Weltmarkt in fünf Jahren? Die Modernisierung der senegalesischen Erdnusswirtschaft in den 1960er Jahren
Martin Rempe

"So fanden wir auf der Karte diesen kleinen Staat": Globale Positionierung und lokale Entwicklungsfantasien der Schweiz in Rwanda in den 1960er Jahren
Lukas Zürcher

Nachwort
Andreas Eckert

Evaluationsbericht

Autorin und Autoren


Einleitung - Konjunkturen, Probleme und Perspektiven der Globalgeschichte von Entwicklungszusammenarbeit
Hubertus Büschel/Daniel Speich

1955 schrieb die amerikanische Anthropologin Margaret Mead in einem von der UNESCO herausgegebenen Band mit dem Titel Cultural Patterns and Technical Change, man müsse in der Entwicklungsarbeit in "Übersee" darauf achten, dass die Menschen, deren alltägliche Lebenswelt sich durch die "Entwicklungshilfe" schnell und einschneidend verändere, möglichst geringen psychischen und sozialen Schaden nehmen. Gerade bei den technischen Umbrüchen könne es in der "Heilsgewissheit schneller Veränderungen" zu unvorhergesehenen Störungen kommen. Beispielsweise könnten Traktoren in den ländlichen Gebieten der "Dritten Welt" auf die Bauern erschreckend und terrorisierend wirken, Stress auslösen und zu psychischen Problemen führen.

Mead war zu jener Zeit für die 1948 gegründete World Federation of Mental Health (WFMH) tätig, eine Körperschaft der UNO, in deren Rahmen sich gleich mehrfache Entwicklungswelten überlagerten. Die dort verfolgten Diskurse und Praktiken zielten darauf ab, die psychische Innenwelt als Resonanzraum und potentiellen Störfaktor von technischen Entwicklungsprozessen zur Geltung zu bringen. Zugleich machte man nicht nur das seelische Wohlbefinden der "zu Entwickelnden" zum Gegenstand der Sorge, sondern wollte auch durch Seminare und Anleitungsbücher friktionsfreie Kommunikationsräume schaffen, in denen ein "friedliches Zusammenleben" zwischen Entwicklungsexperten, Counterparts und Anwohnern vor Ort möglich würde - so äußerte sich jedenfalls der Leiter der WFMH, der ehemalige Militärpsychiater John Rawlings Rees. Fundamentale Zweifel an den Entwicklungszielen der Technisierung und an der Hierarchisierung der Verhältnisse in der Entwicklungsarbeit äußerten Mead und Rees trotz aller Warnungen vor psychischen Schäden nicht. Vielmehr ordneten sie sich in eine Expertengemeinschaft ein, in der Fachvertreter verschiedener Disziplinen - der Psychologie, der Soziologe, der Anthropologie und der Geschichtswissenschaft, vor allem aber der Ökonomie und der Ingenieurwissenschaften - neue Weltentwicklungsstrategien erarbeiteten, mit deren Hilfe die sozioökonomische Ungleichheit auf der Erde zum Verschwinden gebracht werden sollte.

Die praktische Tätigkeit und die diskursiven Problematisierungsweisen von Mead und Rees können Gegenstand einer Globalgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit sein, weil sie explizit einen weltweiten Anspruch verfolgten. Individuelle psychische Strukturen und die überschaubaren Kollektive lokaler Entwicklungszusammenhänge, denen ihre konkrete Aufmerksamkeit galt, aber auch der gewaltige technische Wandel der Moderne waren für die beiden Fachleute drei planetarische Universalien des Individuellen, des Sozialen und des Welthistorischen, die inhärent aufeinander verwiesen. Globalgeschichte, wie sie die Herausgeber dieses Bandes verstehen, will solche Weltbezüge benennen, historisch verorten und auf ihre geschichtliche Wirkung befragen. Das Beispiel von Mead und Rees zeigt, wie unterschiedlich dimensioniert diese Entwicklungswelten waren und wie sehr sie sich durchkreuzten. Vor allem aber verdeutlicht das Beispiel, wie eng sich im Bemühen um die Bedürftigen der "Dritten Welt" hegemoniale Durchsetzungsstrategien und zivilisationsmissionarische Gewissheiten mit den Handlungsoptionen und dem Engagement von Einzelpersonen verbanden. Diese spezifische Melange aus Paternalismus, Machtgebaren und Philanthropie hat sich immer wieder zu der inferiorisierenden Festschreibung der "zu Entwickelnden" auf die Rolle von jeglicher technischen Neuerung ängstlich gegenüberstehenden Nicht-Akteuren verdichtet. So lässt das Beispiel der WFMH und ihrer Exponenten vermuten, dass eine Globalgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit vor allem als eine Geschichte globaler Machtabsicherung und Entmächtigung, mithin von Ungleichheiten zu schreiben ist - und zwar gerade auch dort, wo im weltweiten Einvernehmen jenseits nationalstaatlicher Interessen und Vorteilsnahmen gehandelt wurde.

Der Titel dieses Bandes Entwicklungswelten steht für eine Forschungsperspektive, die sich gerade auf dieses globale Zusammenwirken richtet: Gemeint sind Sinnzusammenhänge, Deutungen oder Universen, in denen soziales Handeln in globalem Bezug steht, und zwar sowohl in historischer wie auch geografischer Hinsicht. Zu untersuchen sind Konzepte, Konstellationen, Institutionen und Praktiken, dort, wo sie entwickelt wurden, in ihrer Anwendung vor Ort und vor allem in ihrer gegenseitigen Verflechtung. Wie gegenwärtig zahlreiche globalhistorische Ansätze, so versuchen auch die Beiträge dieses Sammelbandes eurozentrische Perspektiven zu überwinden. Sie stellen Betrachtungen aus den (vermeintlichen) Peripherien an, aus den Projektorten der Entwicklungszusammenarbeit, und sie blicken auf die (vermeintlichen) Zentren, deren Zentralität in der hegemonialen Verdichtung von Deutungsmustern erst entstand. Dort, wo Programme entwickelt, entworfen, ausgewertet und dort, wo sie eingesetzt, Praktiken ausgehandelt und Erfahrungen gesammelt wurden, wirkten jeweils Prozesse der "Glokalisierung", deren jeweilige historische Kontingenz wiederum zu erforschen ist. So soll den Ambiguitäten, Vielschichtigkeiten und Aushandlungsprozessen, die Entwicklungszusammenarbeit seit dem Spätkolonialismus der Zwischenkriegszeit bedeuten konnte, Rechnung getragen werden.


Speich, Daniel
Daniel Speich, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiter im Bereich Geschichte und Philosophie des Wissens der ETH Zürich.

Büschel, Hubertus
Hubertus Büschel ist Juniorprofessor für Kulturgeschichte am International Graduate Centre for the Study of Culture der Universität Gießen.

Hubertus Büschel ist Juniorprofessor für Kulturgeschichte am International Graduate Centre for the Study of Culture der Universität Gießen.

Daniel Speich, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiter im Bereich Geschichte und Philosophie des Wissens der ETH Zürich.


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