Butcher Codex Alera 5
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-641-05792-3
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Befreier von Canea
E-Book, Deutsch, Band 5, 608 Seiten
Reihe: Codex Alera
ISBN: 978-3-641-05792-3
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jim Butcher ist der Autor der dunklen Fälle des Harry Dresden, des Codex Alera und der Cinder-Spires-Serie. Sein Lebenslauf enthält eine lange Liste von Fähigkeiten, die vor ein paar Jahrhunderten nützlich waren - wie zum Beispiel Kampfsport -, und er spielt ziemlich schlecht Gitarre. Als begeisterter Gamer beschäftigt er sich mit Tabletop-Spielen in verschiedenen Systemen, einer Vielzahl von Videospielen auf PC und Konsole und LARPs, wann immer er Zeit dafür findet. Zurzeit lebt Jim in den Bergen außerhalb von Denver, Colorado.
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1
Auf Tavis früheren Reisen übers Meer hatte es stets mehrere Tage gedauert, bis er sich von der Seekrankheit erholt hatte – aber diese Fahrten hatten ihn bislang nicht auf die Weiten des Ozeans geführt. Es gab, so hatte er festgestellt, einen riesigen Unterschied, ob man innerhalb eines Tages die Küste entlang segelte oder sich tatsächlich hinaus aufs tiefe Meer wagte. Er hätte nicht geglaubt, wie hoch sich die Wellen hier draußen in der unendlichen Weite auftürmten. Häufig erschien es ihm, als fahre die Schleiche einen großen blauen Berg hinauf, um ihn auf der anderen Seite, sobald der Kamm erreicht war, wieder hinunterzurutschen. Mit Hilfe des Windes und der Erfahrung von Demos’ Halunken-Mannschaft blieben die Segel immer voll, und schon bald hatte die Schleiche die Führung in der Flotte übernommen.
Auf Tavis Befehl hin überholte Demos jedoch nicht die Treues Blut, das Flaggschiff des Canim-Führers Varg. Demos’ Männer ärgerten sich über diese Anordnung, wie Tavi nicht entging. Obwohl die Treues Blut für ihre Größe ein unglaublich elegantes Schiff war, bewegte sie sich im Vergleich zur Schleiche wie ein Flusskahn voran. Demos’ Mannschaft hätte den Canim liebend gern gezeigt, was in ihrem Schiff steckte, und den riesigen schwarzen Segler das Heck von hinten sehen lassen.
Tavi war beinahe versucht, es zu erlauben. Er war überhaupt für alles, das diese Reise beschleunigen würde.
Die höheren Wellen hatten ihn noch empfindlicher werden lassen auf alle Bewegungen, und trotzdem hatte die Krankheit gnädigerweise nach den ersten fünf Tagen des Leidens nachgelassen. Allerdings hatte sie nicht vollständig aufgehört, und Essen blieb weiterhin ein heikles Unterfangen. Er konnte ein wenig Brot bei sich behalten, auch dünne Brühe, mehr jedoch nicht. Außerdem litt er unablässig unter Kopfschmerzen, die ihn jeden Tag reizbarer werden ließen.
»Kleiner Bruder«, knurrte der graue alte Cane, »ihr Aleraner habt ein kurzes Leben. Bist du schon so alt und schwach, dass du mitten im Unterricht ein Nickerchen machen musst?«
Aus der Hängematte, die zwischen den Balken in der kleinen Kabine hing, ließ Kitai ein silbrig tönendes Lachen erklingen.
Tavi riss sich aus seinem Tagtraum los und sah Gradash an. Der Cane besaß eine Eigenschaft, die Tavi von den Angehörigen der Kriegerkaste eigentlich nicht kannte: Er war alt. Wie Tavi wusste, lebte Gradash bereits über neun Jahrhunderte nach Zählweise der Aleraner, und mit dem Alter war der Cane auf die jämmerliche Größe von sieben und einem halben Fuß geschrumpft. Seine Kraft war nur noch ein schwacher Abglanz dessen, was er in seinen besten Kriegerjahren zu bieten gehabt hatte. Nach Tavis Einschätzung war er heute kaum drei- oder viermal stärker als ein Mensch. Sein Fell hatte sich fast vollständig silbrig gefärbt, und nur an einigen wenigen nachtschwarzen Stellen, an einem bestimmten Muster von Schnitten in den Ohren sowie an den Verzierungen an seinem Schwertgriff konnte man erkennen, dass er zu Vargs ausgedehnter Blutlinie gehörte.
»Ich bitte um Verzeihung, älterer Bruder«, erwiderte Tavi und sprach ebenso wie Gradash auf Canisch. »Meine Gedanken sind abgeschweift. Ich habe keine Entschuldigung vorzubringen.«
»Er ist so krank, er schafft es kaum aus der Koje«, sagte Kitai, deren Canisch deutlich besser klang als Tavis, »wenn das keine Entschuldigung ist.«
»Wenn man überleben will, kann man auf Krankheiten keine Rücksicht nehmen«, knurrte Gradash ernst. Dann fügte er in einem Aleranisch mit starkem Akzent hinzu: »Allerdings will ich zugeben, dass er sich nicht mehr schämen muss, wenn er unsere Zunge spricht. Es war ein guter Gedanke, die Sprache zu tauschen.«
Aus Gradashs Mund war diese Bemerkung ein großes Lob. »Jedenfalls ist es sinnvoll«, antwortete Tavi. »Zumindest für mein Volk. Legionares, die zwei Monate nichts zu tun haben, werden von Langeweile gepeinigt. Falls es je wieder zu Zwist zwischen unseren Völkern kommt, sollte es dafür schwerwiegende Gründe geben und nicht nur den, dass wir unsere Sprachen gegenseitig nicht verstehen.«
Gradash fletschte kurz die Zähne. Einige waren abgebrochen, die meisten jedoch weiß und scharf. »Alles Wissen über einen Feind ist wertvoll.«
Tavi erwiderte die Geste. »Das kommt noch dazu. Läuft es auf den anderen Schiffen gut mit dem Unterricht?«
»Ja«, antwortete Gradash. »Ohne ernsthafte Zwischenfälle.«
Tavi runzelte leicht die Stirn. Aleranische Maßstäbe unterschieden sich in dieser Hinsicht deutlich von denen der Canim. Für einen Cane bedeutete ohne ernsthafte Zwischenfälle letztlich nur, dass niemand zu Tode gekommen war. Es lohnte sich allerdings nicht, der Sache weiter nachzugehen. »Sehr schön.«
Der Cane nickte und erhob sich. »Dann würde ich mit deiner Zustimmung auf das Schiff meines Rudelmeisters zurückkehren.«
Tavi zog eine Augenbraue hoch. Das war ungewöhnlich. »Willst du nicht vorher mit uns zu Abend essen?«
Gradash zuckte zur Verneinung mit den Ohren und erinnerte sich eine Sekunde später daran, die Antwort mit dem aleranischen Gegenstück dieser Geste zu beantworten: Er schüttelte den Kopf. »Ich möchte zurückkehren, ehe der Sturm beginnt, kleiner Bruder.«
Tavi sah Kitai an. »Welcher Sturm?«
Kitai zuckte mit den Schultern. »Demos hat nichts erwähnt.«
Gradash knurrte: Das Lachen der Canim. »Ich weiß, wann es Sturm gibt. Das spüre ich im Schwanz.«
»Dann bis zum nächsten Unterricht«, sagte Tavi. Er neigte den Kopf nach Art der Canim ein wenig zur Seite, und Gradash antwortete entsprechend. Dann tappte der alte Cane hinaus. Er musste sich ducken, um durch die kleine Tür zu passen.
Tavi blickte Kitai an, doch die Marat schwang sich bereits aus der Hängematte. Sie strich ihm mit den Fingerspitzen durch das Haar, als sie an seiner Koje vorbeiging, lächelte ihn kurz an und verließ die Kabine ebenfalls. Einen Augenblick später kehrte sie mit Magnus zurück, dem obersten Burschen der Legion.
Magnus war für einen Mann seines Alters in hervorragender Verfassung, allerdings fand Tavi, dass er mit dem Kurzhaarschnitt der Legion seltsam aussah. Als die beiden die antiken Ruinen des romanischen Appia erkundet hatten, hatte er sich an Magnus’ weißen Haarschopf gewöhnt. Der alte Mann hatte sehnige, kräftige Hände, einen ansehnlichen Bauch und triefende Augen. Nach all den Jahren, in denen er verblasste Schriften bei schlechtem Licht entziffert hatte, litt er unter Kurzsichtigkeit. Außerdem war Magnus nicht nur ein Gelehrter mit beachtlichem Wissen, sondern auch Kursor Callidus, einer der ranghöchsten Spione der Krone, und in dieser Eigenschaft war er gewissermaßen Tavis Lehrmeister geworden.
»Kitai hat Demos berichtet, was Gradash gesagt hat«, begann Magnus ohne Vorrede. »Und der gute Kapitän wird das Wetter im Auge behalten.«
Tavi schüttelte den Kopf. »Das genügt nicht«, sagte er. »Kitai, bitte Demos, er möge Nachsicht mit mir haben. Er soll sich auf einen ausgewachsenen Sturm vorbereiten und den anderen Schiffen Signal geben, es ebenso zu tun. Wenn ich es recht verstanden habe, hatten wir bis jetzt für die späte Jahreszeit sehr mildes Wetter. Gradash ist nicht so alt geworden, weil er dumm ist. Im günstigsten Fall ist es einfach nur eine Übung.«
»Er wird das schon hinkriegen«, sagte Kitai voller Zuversicht.
»Sei bitte so höflich, ja?«, bat Tavi.
Kitai verdrehte die Augen und seufzte. »Ja, Aleraner.«
Magnus wartete, bis Kitai gegangen war, ehe er Tavi zunickte. »Danke.«
»In ihrer Gegenwart kannst du stets offen sprechen, Magnus.«
Tavis alter Lehrer blickte ihn angespannt an. »Hoheit, bitte. Die Botschafterin ist und bleibt schließlich trotz allem die Vertreterin eines fremden Volkes. Ich habe mir in meinem Beruf schon genug Nachlässigkeiten erlaubt.«
Um richtig zu lachen, war Tavi zu schlapp, trotzdem bekam er bessere Laune. »Bei den Krähen, Magnus. Du kannst dir doch nicht vorwerfen, nicht erkannt zu haben, dass ich Gaius Octavian bin. Niemand hat das erkannt. Selbst ich habe nicht begriffen, dass ich Gaius Octavian bin.« Tavi zuckte mit den Schultern. »Was im Übrigen auch der Sinn der Sache war, nehme ich an.«
Magnus seufzte. »Ja, gewiss. Aber unter uns gesagt, meiner Meinung nach ist das wirklich eine Verschwendung. Du wärest als Historiker ein wahrer Schrecken geworden. Diese Sturköpfe an der Akademie hätten sich generationenlang nicht von all dem erholt, was du in Appia aufgespürt hättest.«
»Ich brauche ja nur zu versuchen, die Kleinigkeiten beizusteuern, die ich schon vorzuweisen habe«, sagte Tavi und lächelte schwach. Dann verblasste das Lächeln. In einem Punkt hatte Magnus recht. Tavi würde niemals in dieses einfache Leben zurückkehren können, um unter Magnus’ Leitung Ausgrabungen vorzunehmen und die antiken Ruinen zu erkunden. Ein wenig bereute er das. »In Appia war es schön.«
»Mmm«, stimmte Magnus zu. »Friedlich. Immer interessant. Ich habe noch eine Truhe voller Abschriften, die ich übersetzen muss.«
»Ich würde dich ja bitten, mir ein paar davon zu bringen, aber …«
»Die Pflicht«, sagte Magnus und nickte. »Wo wir gerade von der Pflicht reden.«
Tavi setzte sich auf und ächzte vor Anstrengung, als Magnus ihm mehrere Blatt Papier reichte. Stirnrunzelnd betrachtete er sie. Es...