Carmack Seeking Her - Nie wieder ohne dich
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8025-9917-0
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 0,5, 150 Seiten
Reihe: Alles ...
ISBN: 978-3-8025-9917-0
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
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2
Ich kam direkt neben der Universität aus der Metro nach oben, und den Botanischen Garten entdeckte ich auch schon bald. Er lag neben einem Kloster. Dächer mit grünen Kuppeln und goldenen Spitzen standen im Vordergrund, dahinter erstreckte sich der Garten. Hinter mir lag der Fluss, und die kühle Brise brachte den Duft von Blumen mit sich, sodass ich einen Moment lang von meiner Suche abgelenkt war. Wenn ich sie nicht beobachten hätte müssen, wäre dies der perfekte Ort zum Zeichnen gewesen. Skizzen anzufertigen beruhigte mich. Vielleicht weil es Ordnung in eine unordentliche Welt brachte. Aber es war mehr als das. Es erlaubte mir, mehr zu tun als nur eine chaotische Welt in Ordnung zu bringen – es erlaubte mir zu fliehen. Indem ich mich auf das Blatt Papier konzentrierte, vergaß ich beinahe alles um mich herum. Ich gelangte auf eine andere Ebene und fand Frieden in etwas Schönem. Und obwohl dies manchmal unmöglich schien bei all der Hässlichkeit der Welt, gab es doch immer mindestens einen Gegenstand, der schön war. Im Moment war es viel mehr als einer. Der Duft des Gartens war so anders als alles, was ich je wahrgenommen hatte – leicht, süß und verlockend gleichzeitig. Der Wind spielte im Laubdach, und schlagartig wurde mir bewusst, wie müde mich der Flug um die halbe Welt gemacht hatte. Ich blinzelte, schüttelte den Kopf und dehnte meine Halsmuskeln. Konzentrier dich, Hunt. Du bist hier nicht im Urlaub. Wieder zog ich das GPS auf meinem Handy zurate. Der Garten war voll verschlungener Pfade, und es gab keine gerade Linie zwischen Kelsey und mir – es sei denn, man wollte sich quer durch zweifellos seltenes und teures Grünzeug schlagen. Deshalb schätzte ich so gut es ging. Wann immer es die Möglichkeit gab, in Kelseys Richtung abzubiegen, schlug ich diesen Pfad ein. Manchmal schlängelte er sich dann in eine vollkommen andere Richtung, und ich musste umkehren und einen anderen Pfad nehmen. Ich hätte mir einen Plan oder eine Karte besorgen sollen, aber das hatte ich versäumt. Also tat ich mit dem Handy in der Hand mein Bestes. Endlich war ich so nah dran, dass ich sie eigentlich gleich um die nächste Biegung finden hätte müssen. Nur dass der Pfad, auf dem ich mich befand, keine Kurve beschrieb. Er blieb gerade und führte geradewegs an der Stelle vorbei, an der sich Kelsey laut App befinden sollte. Verwirrt blieb ich stehen. Vielleicht würde sich ein anderer Weg zu dieser Stelle winden. Ich ging zum letzten Pfad zurück und bog auf den nächsten in Richtung Kelsey ab, wobei ich mir sicher war, dass dieser mich zu ihr führen würde. Tat er aber wieder nicht. Erneut stellte ich fest, dass sich der Pfad, auf dem ich mich befand, von dem Ziel, das mir mein Handy anzeigte, entfernte. Seufzend ließ ich den Blick umherschweifen, um mich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war, dann verließ ich den Pfad, betrat ein Waldgebiet und hoffte, dass der Zutritt nicht verboten war. Zweige brachen unter meinen Stiefeln; und obwohl ich etwas tat, wofür ich vielleicht hinausgeworfen würde, fühlte ich mich wohl. In der Wildnis hatte ich mich schon immer zu Hause gefühlt. Man sollte annehmen, dass man davon genug hatte, wenn man in Texas aufgewachsen war, aber nicht in meiner Familie. Mein Vater kam allerhöchstens beim Golfspielen mit der Natur in Berührung. Ich schüttelte meine Gedanken und Sorgen ab und versenkte mich in die Geräusche der Natur. Ich konzentrierte mich auf das GPS und genoss den gleichmäßigen Rhythmus meiner Schritte im Wald. Ich wurde langsamer, als ich mich dem Bereich näherte, in dem Kelsey sich aufhalten sollte, damit ich mich nicht verriet. Ich trat behutsam auf und bewegte mich lautlos zwischen den Bäumen hindurch. Ich erwartete dauernd, dass ich gleich um einen Baumstamm herumgehen und sie sehen würde, aber sie war nicht da. Nicht einmal, als ich mich direkt über dem Signal befand. Doch da sah ich ihren Rucksack, der neben einem Busch auf der Erde lag – eine Wasserflasche, ein Lippenstift und ein Reisepass ragten oben aus der offenen Tasche heraus. Mein Herz schlug einmal und beschleunigte dann auf doppelte Geschwindigkeit. Adrenalin schärfte meinen Blick. Wachsam behielt ich meine Umgebung im Auge, stahl mich aus meinem Versteck und kniete mich neben den Rucksack. Ich schlug den Reisepass auf, und da war sie. Gott, sogar ihr Passbild war atemberaubend. Langes, zerzaustes blondes Haar und lebhafte grüne Augen. Ich schloss das kleine Buch, drückte es zwischen meinen Fingern und überprüfte wieder mit Blicken meine Umgebung. Vielleicht war mein ursprünglicher Drang zu Panik gar nicht so abwegig gewesen. Ich zwang mich dennoch, Ruhe zu bewahren und die Tatsachen zu betrachten. Nach ihrer Ankunft hatte sie keine Anrufe getätigt, es sei denn vielleicht auf der Flughafentoilette. Das war die einzige Zeit gewesen, in der ich sie aus den Augen gelassen hatte. Ich war ihr in die Metro und durch die Straßen zu ihrer Jugendherberge gefolgt. Ich hatte beobachtet, wie sie eingecheckt hatte, und alles hatte ganz normal gewirkt. Weil ich annahm, dass es ein wenig dauern würde, bis sie sich eingerichtet hätte, hatte ich mich um die Ecke zu dem Gästehaus davongestohlen, an dem ich auf dem Weg zu ihrer Unterkunft vorbeigekommen war. Ich versuchte mich an sie und den Typen zu erinnern, mit dem sie auf dem Moped davongefahren war. Sie hatte die Wange an seinen Rücken gelegt, also war er größer. Sie selbst war auch recht groß, deshalb musste der Kerl wohl um die einsneunzig gewesen sein. Etwa meine Größe, oder fast. Er hatte einen Helm getragen, deshalb hatte ich keine Ahnung, wie er aussah – nur dass er größer war, groß genug, um sie zu überwältigen, wenn es das war, was er wollte. Sie hatte sich an seiner Jacke festgehalten und ihm nicht die Arme um die Taille gelegt. Was bedeutete das? Wenn er ihr Freund wäre, hätte sie sich bestimmt an ihm und nicht an seinen Klamotten festgehalten. Etwas in mir entspannte sich bei diesem Gedanken, aber gleichzeitig flutete noch mehr Sorge in meinen bereits schmerzenden Kopf. Wenn er nicht ihr Freund war, dann hieß das, dass sie mit einem vollkommen Fremden mitgegangen war. Aber warum? Gerade als ich die Hoffnung fahren lassen und meine Tarnung aufgeben wollte, indem ich ihren Namen rief, hörte ich hinter mir ein Lachen. Leise ging ich um den Busch herum und sah zwei Beine hinter einem Baum hervorragen. Dunkle Jeans und Stiefel, nicht die ultrakurzen Shorts und die Riemchensandalen, die Kelsey getragen hatte. Ich zog mich hinter eine andere Baumreihe zurück und schlich mich dann vorsichtig näher. Ein weißes Hemd hing an einem Zweig und wehte in der duftenden Brise hin und her. Das hätte mir eigentlich einen Hinweis geben sollen. Doch mein Gehirn war noch immer im Missionsmodus, deshalb setzte ich meine langsamen, leisen Schritte fort, bis ich Kelsey sah – ohne Oberteil … rittlings auf einem Kerl, der vermutlich der Mopedfahrer war. Ich formte einen Fluch mit den Lippen, aber ich schaute nicht weg. Ihre Haut war glatt und gebräunt, und ich war fasziniert von der Linie ihrer Wirbelsäule, die wie ein leeres Flussbett tiefer wurde, wenn sie sich nach vorne wölbte. Ihre Haarspitzen tanzten über ihren Rücken, schwankten mit ihren Bewegungen hin und her. Ihr BH war smaragdgrün, fast wie ihre Augen. Mein Mund wurde trocken, als sie sich nach hinten beugte – und ich einen vollen Blick auf sie erhaschte. Fast gelang es mir, den Kerl, der bei ihr war, zu ignorieren und die Art und Weise, wie er ihren Hals bis hinunter zum Schlüsselbein mit Küssen bedeckte. Fast konnte ich so tun, als wäre dies nicht alles so was von absolut falsch. Fast. Ich war wie gebannt, an Ort und Stelle erstarrt, hilflos – ich konnte sie nur anstarren – sie und die vollkommene Selbstvergessenheit auf ihrem Gesicht. Wer weiß, wie lange ich noch so dagestanden hätte, wenn der Typ nicht aufgeblickt und mir in die Augen gesehen hätte. Ich fluchte stumm vor mich hin, wirbelte herum und presste meinen Rücken gegen einen Baum. Er sagte etwas, und ich machte mich bereit zu fliehen. »Was?«, fragte Kelsey. Ihre Stimme war in einer Art belegt und sinnlich, dass ich ihr Bild auf einmal so perfekt vor mir sah, als hätte sie in Wirklichkeit vor mir gestanden. Verdammt. Das ist eine Mission. Konzentrier dich. Der Typ wiederholte, was er gesagt hatte, dieses Mal lauter, in einer anderen Sprache. »Das klingt fabelhaft, aber ich verstehe nicht, was du da gerade sagst.« Langsam und unsicher sagte der Kerl: »Mann.« »Ja, das bist du«, erwiderte Kelsey lachend. »Nein, Mann.« Hinter mir scharrte es, und ich hörte, wie Kelsey spöttisch »Hey« sagte. Ich betrachtete es als Stichwort zu verschwinden und entfernte mich, wobei ich darauf achtete, hinter den Bäumen zu bleiben, bis ich weit genug weg war, um loszurennen. Ich wurde nicht langsamer, als ich den Pfad erreichte, sondern rannte weiter, bis ich wieder in die belebteren Bereiche des Gartens gelangte, wo ich mich unter die anderen Leute mischen konnte. Ich fand einen Platz auf den Stufen und hob eine Zeitung auf, die jemand zurückgelassen hatte. Ich konnte die gedruckten Worte nicht lesen, aber der Schutz, den sie mir bot, war mir mehr als willkommen, während ich mich hinter den dünnen Seiten...