Charyn | Unter dem Auge Gottes | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Literatur

Charyn Unter dem Auge Gottes


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-03734-650-1
Verlag: diaphanes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Literatur

ISBN: 978-3-03734-650-1
Verlag: diaphanes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Good news: Isaac Sidel ist wieder da! Seit 1974 steigt der Cop aus der Bronx umso höher, je krimineller und mörderischer er agiert und je besser er als Mensch ist. Er ist inzwischen Vizepräsident der Vereinigten Staaten und muss dennoch New York City vor dem Zugriff gieriger Politicos beschützen: mit Hilfe von Verbindungen, die tief in die Geschichte der jüdischen Mafia zurückreichen – und auch wenn er dazu raus muss aus dem Big Apple und dem mythischen Hotel Ansonia. Ausgerechnet nach Texas.

Jerome Charyn 'ist einer unserer wagemutigsten und interessantesten Schriftsteller', weiß die New York Times schon lange. In seinem breiten Œuvre nehmen die Sidel-Romane einen wichtigen Platz ein und gehören zu den Großereignissen der zeitgenössischen Literatur. Sie sind harte Kriminalliteratur, urbane Mythomanien, metropole Visionen, realistische Alpträume und bewusstseinsverändernde Literatur.

 

'Unter dem Auge Gottes' wurde ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimi Preis (International) und ist auf der KrimiZEIT-Jahresbestenliste 2013 vertreten.

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Weitere Infos & Material


Teil Eins
  1
Siege bedeuteten Isaac Sidel wenig. Er hasste Wahlkämpfe mit dem ganzen Pomp und Tamtam, den erbitterten Schlachten. Ohne seinen Secret Service-Mann fuhr er rauf in die Bronx. Er stellte sich gern auf eine Anhöhe und blickte hinunter auf die von Brandbomben gezeichneten Straßen. All die Trostlosigkeit und Verwüstung schien ihn gütig zu stimmen. Big Guy brauchte eine ordentliche Prise Chaos. Das Weideland mit seinen entkernten Gebäuden besaß eine eigentümliche Schönheit, vergleichbar vielleicht mit einem Diorama aus Backsteinzähnen. Er stand allein im Claremont Park, und was er sah, weckte seine Neugier. Landvermesser und Pioniere der Army hatten mit ihren Stativen und magischen Messinstrumenten einen anderen Hügel erklommen. Hier ging es nicht um zivile Belange. Ein Militärpolizist bewachte die Ausrüstung. Big Guy wanderte zu den Pionieren hinüber. Sie salutierten. „Hallo, Mr. President.“ „Mein Gott“, erwiderte Isaac, „ich komme nicht in Frage als euer nächster Oberbefehlshaber. Ihr seht hier die unwichtigere Hälfte des Doppelpacks vor euch.“ Der leitende Offizier lächelte ihn an. Sein ganzes Auftreten hatte nichts Bedrohliches, seine Augen wanderten nicht wild hin und her. „Für uns sind Sie trotzdem der Präsident“, sagte er. „Aber was macht Ihr eigentlich hier? Die Bronx ist wohl kaum ein Spielplatz.“ „Ist so was wie ’ne Übung, Sir. Meine Pioniere müssen sich auf jedes Gelände einstellen können.“ Er zückte eine Genehmigung, ausgestellt vom NYPD. Trotzdem beunruhigte es Isaac – die Kavallerie marschierte in den Claremont Park ein. Aber er wollte diese Pioniere nicht weiter belästigen. Sie setzten ihre Arbeit fort. „Machen Sie’s gut, Mayor Sidel.“ Er konnte nicht einfach so verschwinden, ohne einen kleinen Ansturm von Autogrammjägern auszulösen. Also setzte er seinen „Sidel“ auf kleine Stücke Pappe und Schirme von Baseballkappen. Eine Frau streichelte seinen Ärmel. „Wir wollen nicht Michael“, raunte sie ihm zu. „Wir wollen dich.“ Isaac stahl sich aus dem Park, während die Pioniere von ihrer Anhöhe aus weiter die Süd-Bronx vermaßen. Seine Fans grüßten ihn von Feuerleitern auf der anderen Straßenseite. Gegen den ganzen Trubel im Umfeld der Präsidentschaftswahl konnte Isaac kaum etwas machen. Es war bekannt als das Massaker von ’88. Die Demokraten droschen auf die Republikaner ein und schlugen sie vernichtend. Der amtierende Präsident Calder Cottonwood schaffte es nicht mal, seinen eigenen Bundesstaat zu holen. Beim selben Erdrutsch verlor er Arizona. Doch die Demokratische Partei war zerfressen von Verbitterung. Bei Meinungsumfragen rasten die Werte ihres Bannerträgers J. Michael Storm, Baseball-Zar und gewählter Präsident, rapide in den Keller. Er war ein schamloser Casanova. Nach der Wahl war eine seiner Mätressen aufgetaucht und verlangte Schweigegeld von den Demokraten. Die Partei würde sich dumm und dusselig zahlen müssen. Das war aber noch nicht das Schlimmste. Die Partei musste auch J. Michaels krumme Grundstücksgeschäfte sowie die Scheinfirmen vertuschen, die er zusammen mit seiner alkoholsüchtigen Ehefrau Clarice gegründet hatte. Er konnte von Glück reden, dass er einen Vize wie Sidel hatte, einen ehemaligen Commissioner, der stets mit einer Glock in der Hose durch die Gegend rannte und selbst noch auf Wahlkampftour Verbrecher dingfest machte. Ohne Sidel hätte die Partei die Wahlen niemals gewinnen können. Er war erheblich populärer als ein amtierender Präsident oder ein Baseball-Zar. Eigentlich hätte er als Bürgermeister zurücktreten müssen, aber die Einwohner New Yorks wollten von Isaac bis zu dem Tag regiert werden, an dem er nach DC abschwirrte. Michael war mit seinem Übergangsteam ins Waldorf gezogen. Isaac stahl J. Michael aber selbst dann noch die Schau, wenn er mit seinem alltäglichen Blödsinn mal wieder ordentlich auf die Pauke gehauen hatte. Und deshalb mussten die Demokraten Isaac aus Manhattan rausholen. Der Chefstratege der Partei und ehemalige Kampfflieger in ’Nam, Tim Seligman, beschloss, Isaac mit irgendeiner verrückten Donquichotterie auf Reisen zu schicken. Er durfte sich über jedes Thema unter der Sonne die Lunge aus dem Hals schreien, solange er nur nicht J. Michael Storm erwähnte. Als Geschenk des Democratic National Committee bekam er zu diesem Zweck auch einen eigenen Tourbus. Und Tim Seligman begleitete ihn als Babysitter. Sie flogen nach Dallas, wo Isaac seine Rundreise durch Texas beginnen sollte. Er war der Gotteskrieger der Demokraten. Jedoch durfte er nicht zusammen mit Marianna Storm reisen, Michaels zwölfjähriger Tochter, die in der Öffentlichkeit als Kleine First Lady bekannt war. Das Stimmvolk hatte sich während des Wahlkampfs in sie verliebt. Aber sie ging nicht mit ihrem Vater auf Tour. Sie war stets an Isaacs Seite. Big Guy brauchte eine „Gefährtin“. Marianna hatte mit ihm in der Grace Mansion kampiert, weil sie ihre Mutter und ihren Vater nicht ertragen konnte, und sie hatte Walnusskekse für Isaac und seine Leute gebacken. Und jetzt verbannte Seligman sie aus Isaacs Bus, und Isaac ging auf Tim los und drohte, als Gotteskrieger der Demokraten abzudanken, wenn er die Kleine First Lady nicht bekam. Tim aber musste sich um den scharfen Beschuss im Anschluss an den Wahlkampf kümmern. Die Demokraten besaßen ein Foto von Calder, wie er in den Rose Garden des Weißen Hauses pinkelte, und sie drohten mit Veröffentlichung, sollte der republikanische Parteiapparat weiter auf Michaels Mätressen herumreiten. „Isaac, da draußen tobt ein Krieg“, sagte Tim. „Es hagelt förmlich Bomben. Wollen Sie dieses kleine Mädchen vernichten?“ „Indem sie bei mir sitzt?“ „Die Republikaner brüten eine ziemlich groß aufgeblasene Geschichte aus. Und wie können wir dagegen vorgehen? Falls Marianna nicht verschwindet, werden die Ihnen vorwerfen, Sie hätten einen Lolitakomplex.“ „Wie jetzt, welche Lolita denn?“ „Isaac, so was nennt man Verleumdung. Die sprechen laut von Pädophilie.“ Der zukünftige Vizepräsident stürzte sich auf Tim und brachte damit den ganzen Bus ins Schwanken. Der Secret Service musste sie trennen. Martin Boyle, Chef der für Isaac abkommandierten Einheit, gebürtig aus Oklahoma und einsachtundachtzig groß, musste Big Guy anflehen. „Sir, versprechen Sie mir, sich wie ein anständiger Mensch zu benehmen, wenn ich Sie jetzt loslasse?“ „Nein, nicht bevor ich Tim abgemurkst hab.“ „Dann werde ich Sie hier bis in alle Ewigkeit festhalten.“ „Perfekt. Dann muss ich nicht nach Texas.“ „Und anschließend haben wir Präsident Cottonwood an der Backe“, sagte Tim. „Er steckt hinter der Schmutzkampagne. Wir haben Calders Privatleben unter die Lupe genommen. Wir haben uns seine Astrologin geschnappt.“ „Calder hat eine Astrologin? Er ist ja genau wie der verschissene Adolf Hitler.“ „Er kann keinen einzigen Schritt ohne sie machen. Jetzt ist er völlig außer sich.“ „Wie heißt sie?“ Isaac musste das einfach fragen. „Markham, Mrs. Amanda Markham.“ „Und wie, bitte schön, habt ihr sie euch geschnappt, Timmy, häh? Der Präsident muss doch versucht haben, diese Amanda unter Einsatz seines Lebens zu beschützen.“ „Sie ist einfach gegangen.“ „Wie? Aus freien Stücken? Da ist doch was faul. Sie kommt in unser Camp und bietet uns ihre Dienste an, und Sie wittern nichts? Was ist los mit Ihnen? Calder ist völlig durchgeknallt, also leiht er uns seine Lieblingsspionin aus?“ „Isaac, wir sind ja nicht blöd. Wir haben sie natürlich überprüft. Wir besitzen Aufnahmen von ihr zusammen mit dem Präsidenten.“ Big Guy war nicht begeistert. „Ihr habt Wanzen im Weißen Haus versteckt? Boyle, hast du das gehört?“ „Nein“, erwiderte Isaacs Secret Service-Mann. „Es ist mir nicht erlaubt, Sir, Ihren Unterhaltungen zuzuhören. Ich bin einzig und allein hier, um Ihr Leben zu schützen.“ „Ich glaub’s einfach nicht. Nichts ergibt einen Sinn… Und was habt ihr aus diesen Aufzeichnungen erfahren, Timmy Boy?“ „’Ne Menge. Zum Beispiel Calders Winkelzug von wegen Pädophilie. Er hat Fotos manipuliert und gefälscht. Fotos von Ihnen und Marianna. Und genau das war dann der Punkt, an dem Mrs. Markham aufzumucken begann.“ „Wieso?“ „Es hat sie angewidert. Sie ist ein großer Fan von Ihnen. Der Präsident ist dahinter gekommen und hat ihr daraufhin die Nase gebrochen. Und da ist sie dann gegangen.“ „Wo steckt diese Mata Hari jetzt?“ „Hier im Bus. Und sie ist nicht Mata Hari.“ „Sie ist eingestiegen, und Sie haben mir nichts davon erzählt?“ „Ich wollte, dass Amanda Sie analysiert, ohne dass Sie von ihr wissen. Sie ist Astrologin, und sie ist die Beste. Sie arbeitet momentan an Ihrem Horoskop. Sie kann uns helfen, einen Plan für unsere Zukunft auszuhecken… Ihre Zukunft und die der Partei.“ „Hol Sie der Teufel“, fauchte Isaac. „Sie stehlen mir Marianna und halsen mir eine beschissene Himmelsguckerin auf.“ „Wer ist eine Himmelsguckerin?“ Isaac musste den Hals recken, andernfalls hätte er die Quelle dieses schrillen Aufschreis nicht entdecken können. Eine pummelige Frau mit verbundener Nase hockte im hinteren Teil des Busses. Bis zu diesem Moment war sie nicht in sein Gesichtsfeld vorgedrungen. Aber er hätte sie bemerken...


Jerome Charyn lebt und arbeitet in Paris und New York als Romancier, Comic-Szenarist, Sachbuch-Autor, Tischtennis-Crack und Film- und Genrehistoriker. Sein Werk umfasst weit über 50 Bücher der verschiedensten Art. Mit seiner Figur Isaac Sidel ist er einer der wichtigsten ästhetischen und intellektuellen Innovatoren der Kriminalliteratur und damit auch der Gegenwartsliteratur. Charyn erhielt den Rosenthal Award der American Academy of Arts and Letters und zahlreiche weitere internationale Preise und Ehrungen.



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