E-Book, Deutsch, 701 Seiten
Cole Die Ehre der Familie
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98952-619-8
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 701 Seiten
ISBN: 978-3-98952-619-8
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Martina Cole ist eine britische Spannungs-Bestsellerautorin, die bekannt für ihren knallharten, kompromisslosen und eindringlichen Schreibstil ist. Ihre Bücher wurden für Fernsehen und Theater adaptiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Martina Cole hält regelmäßig Kurse für kreatives Schreiben in britischen Gefängnissen ab. Sie ist Schirmherrin der Wohltätigkeitsorganisation »Gingerbread« für Alleinerziehende und von »Women's Aid«. Die Website der Autorin: martinacole.co.uk/ Die Autorin bei Facebook: facebook.com/OfficialMartinaCole/ Bei dotbooks veröffentlichte Martina Cole ihre Thriller »Die Gefangene«, »Die Tochter«, »Kidnapped«, »Perfect Family«, »The Runaway« sowie die Spannungsromane »Eine irische Familie«, »Die Ehre der Familie«, und »Die Abgründe einer Familie«.
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Kapitel 1
»Er ist halt ein Halunke, genau wie sein Alter, aber was soll man da machen?« Barry Caldwell breitete seine Arme in einer Geste gespielter Hilflosigkeit aus, und die Männer in der Kneipe griffen sein Lächeln auf. Allerdings wirkte ihre Heiterkeit gequält, was Barry nicht entging und woraus er einen wichtigen Schluss zog. Er hatte dem Falschen ans Bein gepinkelt.
Patrick Brodie jedoch lachte herzlich über die Worte des Mannes.
Im Scherz war dies häufig über ihn gesagt worden, er aber wusste, dass es der Wahrheit entsprach. Barry hatte sich so richtig schön in die Nesseln gesetzt, und wie so mancher vor ihm würde er feststellen, dass man Patrick Brodie besser nicht in die Quere kam.
Pat wusste besser als jeder von ihnen, was er war. Und im Unterschied zu den Männern um ihn herum wusste er auch genau, wie weit zu gehen er bereit war, um zu bekommen, was er wollte. Sein ganzes Leben lang hatte man auf ihn herabgesehen, hatte ihn ausgenutzt und wie das letzte Stück Dreck behandelt. Zum Teil lag dies daran, dass sein Vater ein großer, stets besoffener Ire war, der häufig die Klappe zu weit aufriss und dessen leidenschaftlicher Hang zum Glücksspiel schon immer seine finanziellen Mittel deutlich überstiegen hatte. Folgerichtig war sein Sohn Pat Junior schweigsam, trank nur selten und bestritt seinen Lebensunterhalt neben anderem mit Wettgeschäften.
Aber es lag auch daran, dass er ohne Mutter aufgewachsen war, keine ordentliche Schulausbildung erfahren hatte und dass er sich der Einberufung in die Armee mit seinem fröhlichen Lächeln und jener ihm angeborenen Ungreifbarkeit entzogen hatte, die ihn schon in jungen Jahren unbeirrt einen eigenen Weg verfolgen ließ.
Er hatte nicht die Absicht, für ein Land zu kämpfen, das in seinen Augen die Menschen nun niederhielt und ihnen nichts weiter bot als armselige Knochenarbeit. Diese Meinung hatte er dem befehlshabenden Offizier seinerzeit deutlich zu verstehen gegeben. Außerdem hatte er die Vorratslager nach Strich und Faden geplündert. Schließlich florierte damals noch der Schwarzhandel, und das hatte er sich ausgiebig zunutze gemacht.
Die Armee hatte ihn daraufhin für ein Jahr in den Bau geschickt, und während dieser Zeit hatte er eine Menge über das Leben und das Wesen des Menschen gelernt, vor allem aber begriff er damals, dass man sich im Leben auf niemanden außer sich selbst verlassen konnte.
Von seinem Vater hatte er die Kämpfernatur geerbt und von seiner verschwundenen Mutter die Gleichgültigkeit anderen gegenüber sowie ihr Talent, Vergangenes einfach umzudeuten, wie es ihr gerade in den Kram passte. Und diese Kombination erwies sich für ihn immer häufiger als erfolgreich.
Die Armee entledigte sich seiner Person schließlich mit einem Seufzer der Erleichterung und einer unehrenhaften Entlassung, weil er sich ständig mit jedem anlegte, der anderer Meinung war als er – und dabei stets die Oberhand behielt. Als die Verabschiedung endlich vollzogen wurde, war er darüber ebenso glücklich wie die andere Seite.
Jetzt bestand die letzte Prüfung seiner Ausbildung darin, das ganz große Ding durchzuziehen und sich seinen Platz im Leben zu sichern. Barry hatte ihn reinzulegen versucht, eine Sache, die er niemals vergessen oder verzeihen würde. Patrick war ein Faktor, den jeder auf der Rechnung haben sollte, und diese Tatsache war umso erstaunlicher, da er praktisch als Einzelkämpfer operierte. Er wickelte seine Geschäfte alleine ab, trieb Gelder alleine ein und hatte mittlerweile den Ruf eines Mannes erworben, mit dem sich nur ein Dummkopf anlegen würde.
Doch die Hauptakteure waren inzwischen betagte Männer, was seinen Job immer schwieriger werden ließ. Sie führten sich auf wie alte Weiber, waren zögerliche Schwachköpfe, stets in panischer Angst, sie könnten im Knast landen, da die Richter plötzlich fette Strafen verteilten und an den Leuten Exempel statuierten. Dies war derzeit eine Welt, die geradezu darauf wartete, dass sie jemand an sich riss, so viel war ihm klar, und er nutzte jede sich bietende Gelegenheit, seine Ausgangsposition dafür zu verbessern.
Sein Vater hatte Mitläufer stets toleriert, hatte sich an den Theken mit ein paar Gläsern Bier, ein paar Geschichten und seinem irischen Charme seine wackligen Freundschaften erkauft. Sein Sohn dagegen vertraute keinem, brauchte keinen und behielt mit seinem intuitiven Vorgehen ein ums andere Mal recht. Er hatte keine Zeit für seine Angehörigen, keiner von denen war jemals mehr als schnorrendes Fußvolk gewesen, und er hatte diesem Schmarotzertum ein Ende bereitet. Er war ein Einzelkämpfer, konnte nur sich selbst vertrauen, das verstand er und danach lebte er.
Er hatte zwar ein paar junge Kerle, die für ihn arbeiteten, aber ihm war jetzt plötzlich klar geworden, dass er nach dem bevorstehenden Einschnitt mit der nötigen Sorgfalt Leute anwerben musste. Die Geschäfte nahmen Ausmaße an, die er allein nicht mehr bewältigen konnte. Er war froh, dass Barry keine nennenswerte Rückendeckung besaß, sonst würde diese Angelegenheit womöglich anders ausgehen.
Es wurde Zeit, seine Erfolge zu teilen, das wusste er, aber erst stand die Begleichung einer längst überfälligen Rechnung an. Eine Rechnung, die Barry zu ignorieren versucht hatte, in dem Glauben, dass Pat es nicht wagen würde, sich mit ihm anzulegen.
Brodie war bekannt für seine Verschlagenheit, und wie er wusste, sorgten am heutigen Abend nur die Gerüchte über die Umstände seiner unehrenhaften Entlassung und über seine berüchtigten Wutanfälle sowie das Überraschungsmoment dafür, dass er nicht in einen Mündungslauf blickte.
Er lächelte. Ein Blick in die Runde verriet ihm, dass derjenige, mit dem er sich verbünden würde, eine neue Kraft sein müsste, ein aufstrebender Typ wie er selbst, der den Mut besaß, es mit den etablierten Gegenspielern aufzunehmen. Die Welt veränderte sich. Die jüngeren Leute brauchten Geld und die älteren eine Lektion darin, wie die Realitäten aussahen. Das Land war noch immer im Wiederaufbau begriffen, die Gebäude ebenso wie die Wirtschaft, und die üppigen Chancen auf schnelles Geld hatten Brodie nicht nur zu einem vermögenden Mann gemacht, sondern auch zu einem Mann, dessen Wort man besser ernst nahm und dem man vor allen Dingen den nötigen Respekt entgegenbringen sollte.
Mit dem Krieg war alles anders geworden. Patrick hatte erkannt, dass eine neue Ära anbrach und dass diese neue Welt, in der sie demnächst leben würden, die vielfältigsten Möglichkeiten für profitable Unternehmungen bot. Es bedurfte also auch entsprechender organisatorischer Veränderungen im kriminellen Milieu, und Brodie war fest entschlossen, bei dieser Neuordnung eine bedeutende Rolle zu spielen. Darauf hatte er hingearbeitet, dafür war er der geworden, der er jetzt war, und aus diesem Grund stand Barry nun sein Sturz bevor.
Die Sechziger waren angebrochen und es lebte sich angenehm für jeden, der einen Funken Geschäftssinn besaß und ein paar Scheine in der Tasche hatte, um sich seinen Lebensweg ein wenig zu versüßen.
Patrick zählte zu den Ersten, die Männer wie Barry Caldwell und deren Anhang herausforderten. Das Motto hieß: Lasst die Jungen ran, weg mit den Alten.
Sie alle hatten geahnt, dass dieser Tag kommen würde, hatten nur nicht den Weitblick besessen, irgendwelche Vorkehrungen für den Fall des rüden Erwachens zu treffen. Na, scheiß auf sie alle! Sein Ruf würde heute Nacht weit genug wachsen, um seinen Namen überall in East London bekannt zu machen.
Zu allem entschlossen griff er nach seinem Bier, leerte das längs-geriffelte Courage-Glas mit einem Zug und wuchtete es anschließend mit all seiner Kraft in Barry Caldwells wabbliges, käsiges und merkwürdig überrascht blickendes Gesicht.
Patrick besaß den psychologischen Vorteil, er hatte zuerst zugeschlagen, und als keiner der Männer um ihn herum Anstalten traf, einzuschreiten, stand für ihn ohne jeden Zweifel fest, dass er mit seiner Intuition wieder einmal goldrichtig gelegen hatte.
Sie machten alle einen besiegten Eindruck, wirkten schockiert und schienen nur zu befürchten, einer von ihnen könnte der nächste Punkt auf Patricks Tagesordnung sein. Sie waren alt, vorzeitig gealtert durch Trinkgelage, Kettenrauchen und leicht verdientes Geld. Keiner von ihnen hatte sich seit den Tagen ihrer Militärzeit ernsthaft anstrengen müssen, um seine Position zu behaupten. Sie waren Ausschussware, gehörten längst vergangenen Zeiten an, Zeiten, in denen das Leben grau und leer gewesen war, und ihr antiquierter Moralkodex erstickte junge Leute wie ihn bloß. Sie waren nur noch Kadaver, alte, verhutzelte Schwächlinge. Sie waren am Ende, und sie alle wussten es.
Nun, er dagegen war noch jung genug, um etwas auf die Beine zu stellen, und zugleich alt genug, um ernst genommen zu werden. Pat Brodie hatte Rückenwind, und mit neunundzwanzig war er bereit, seinen gewöhnlich einsilbigen Worten entschlossene Taten folgen zu lassen.
Die Gerichte verteilten gerade lange Haftstrafen, aber das wirkte nicht abschreckend, sondern ließen ihn und seine Geschäftspartner nur noch rücksichtsloser und brutaler vorgehen, denn wenn sie schon so lange einfahren sollten, dann wenigstens für keine Scheiß-Lappalie.
Er sah auf Barry hinunter. Wenn schon, denn schon. Dann sollte man auch gleich reinen Tisch machen.
Lily Diamond war todmüde. Sie hatte eine lange Schicht hinter sich, und ihre Beine waren angeschwollen, nachdem sie vierzehn Stunden auf dem eiskalten Boden der ungeheizten Fabrik gestanden und anschließend mehr als eine Stunde auf den Bus gewartet hatte, der sie etwa zehn Gehminuten von ihrem Zuhause absetzte.
Sie gähnte bereits beim Eintreten in das Haus. Ihre Mutter nahm ihr den Mantel ab, hängte...




