Conaboy | Mutterhirn. Was mit uns passiert, wenn wir Eltern werden | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 464 Seiten

Conaboy Mutterhirn. Was mit uns passiert, wenn wir Eltern werden

»Ein tolles Geschenk zur Geburt, für Freunde mit Kindern oder für sich selbst, egal, ob die Kinder klein oder groß sind.« Claudia Schaumann

E-Book, Deutsch, 464 Seiten

ISBN: 978-3-7499-0561-4
Verlag: HarperCollins eBook
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



EIN KIND ÄNDERT ALLES – aber was eigentlich genau?


Ein Kind ändert alles. Viele Eltern hören diese Worte, doch was dahintersteht, darüber wird meist geschwiegen. Der ominöse Baby-Blues soll nach der Geburt rasch verklingen, und dank Mutterinstinkt wird die vergessliche Mama das Kind schon schaukeln. Doch was wissen wir tatsächlich über die Veränderungen, die unser Gehirn in der Schwangerschaft, der Geburt und der turbulenten Zeit danach erfährt?
In ihrem Buch belegt die preisgekrönte Journalistin Chelsea Conaboy, selbst zweifache Mutter, wie weit viele Verklärungen der Elternschaft an der Realität vorbeigehen. Aus einer Geburt geht nicht nur ein neuer Mensch hervor, sondern mindestens zwei. Eltern durchlaufen eine Entwicklungsphase, die Neurobiologen mit der Pubertät vergleichen.
Anhand aktueller Studien und Gesprächen mit renommierten Wissenschaftlern liefert die Autorin uns einen Einblick in ein faszinierendes Forschungsfeld, das selbst noch in den Kinderschuhen steckt. Was ist es, das Eltern so sonderbar wie besonders macht? Und was fangen wir als Erziehende jetzt damit an? Ein Buch für alle, die auf der Suche nach der Wahrheit hinter dem Mythos Elternschaft sind.
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Kapitel 1
DER SCHALTER WIRD UMGELEGT
Als ich klein war, wurde Jahr für Jahr in dem Kranz an unserer Eingangstür ein Nest gebaut. Die Rotkehlchenmutter schien es nicht weiter zu stören, dass ich ihr, nur wenige Zentimeter entfernt hinter der Glasscheibe, dabei zusah. Zumindest nehme ich das an, immerhin kehrte sie jedes Jahr wieder an diesen Ort zurück. Ich freute mich darüber. Es war wunderbar anzusehen, wie sie unermüdlich Zweig um Zweig aneinandersteckte und das Nestinnere mit Erde und Gras auskleidete, damit sie die schönen, zarten bläulichen Eier so sicher wie möglich darin ablegen konnte. Ihre Hingabe an die zerzausten, kleinen Rotkehlchen mit den stets aufgesperrten Schnäbeln war vollkommen. Sie war aufmerksam, wachsam, geduldig und selbstlos. Sie wusste einfach, was sie zu tun hatte, wie sie ihre Küken schützen musste, so, wie man es bei Müttern voraussetzt. Das dachte ich jedenfalls. Denn so heißt es in der Geschichte, die über die Zeit und Generationen hinweg erzählt wird, weitergegeben in Fabeln und Mythen, bis sie zum Inbegriff dessen wurde, wie wir die Welt um uns wahrnehmen und ordnen, wie wir uns selbst sehen. Wir sind hingebungsvolle Muttervögel, so die Geschichte. Wir folgen einem mütterlichen Instinkt, der sich im Laufe der Zeit zu einer soliden, verlässlichen Instanz vervollkommnet hat, wie eine glatte rote, unter einer gefiederten Brust verborgene Murmel. Wir nisten. Wir nähren. Wir verteidigen. Es liegt einfach in unserer Natur. 1 Doch dann geschieht etwas. Wir bekommen selbst ein Kind. Und wir stellen fest, dass diese hübsche Geschichte voller Wahrheit und Schönheit – einfach nur kompletter Mist ist. Sie stimmt nicht. Entweder das, oder mit uns selbst stimmt etwas nicht. Bei vielen von uns tritt der mütterliche Instinkt nicht in Erscheinung, oder jedenfalls nicht so, wie wir es erwartet hatten. Die Fürsorge für ein Neugeborenes ist keine angeborene Fähigkeit. Es gibt keinen Schalter, der umgelegt wird, wenn wir schwanger werden oder unser Baby zur Welt kommt. Viel zu selten stellen wir das Narrativ, demzufolge wir einfach wissen, was wir zu tun haben und wie wir uns dabei fühlen, auf den Prüfstand. Ein Narrativ, das einfach nicht berücksichtigt, dass Elternschaft eine ganze Reihe praktischer Fähigkeiten erfordert, die wir möglicherweise besitzen, möglicherweise aber auch nicht. Das alle Erfahrungen und äußeren Umstände unserer individuellen Lebenswege vor der Schwangerschaft und danach außer Acht lässt und behauptet, wir würden uns – abgesehen von ein bisschen Schlafmangel – ganz unbemerkt von einer Person, die sich zuerst und vor allem um ihr eigenes Überleben gekümmert hat, in eine Person verwandeln, die nun vollumfänglich für das Leben eines winzigen nonverbalen Wesens verantwortlich ist, das für die Erfüllung all seiner Bedürfnisse auf uns angewiesen ist. Statt dieses Narrativ zu hinterfragen, stellen wir uns selbst infrage. Genau das hat Emily Vincent getan. Als sich ihre erste Schwangerschaft dem Ende näherte, war sie davon überzeugt, dass sie den zwölf Wochen langen Mutterschaftsurlaub nicht benötigen würde. Sie war Kinderkrankenschwester und liebte ihren Beruf. Nach acht Wochen, schätzte sie, würde sie ihre Kollegen und ihre Patienten vermissen. Sie würde sich einsam fühlen, wenn sie die ganze Zeit zu Hause war. Dann kam ihr Sohn Will zur Welt, und sie konnte sich nicht vorstellen, von ihm getrennt zu sein. Acht Wochen waren vorbei, und sie wollte nicht wieder Vollzeit arbeiten gehen, noch nicht und vielleicht auch nicht, wenn die zwölf Wochen vorbei waren. Sie machte sich Sorgen wegen der Tagesbetreuung. Würde er dort auch sicher sein? Würden seine Betreuerinnen und Betreuer ihn rechtzeitig füttern? Würden sie ihn zu lange weinen lassen? Würde es ihm überhaupt gut gehen, außerhalb des Kokons aus Sicherheit und Fürsorge, den sie und ihr Mann um ihn herum gewoben hatten, mit Liebe, ja, aber auch aus einem Gefühl der Dringlichkeit und Sorge heraus? Solche Sorgen sind völlig normal für junge Eltern. Emily hatte jedoch das Gefühl, dass es Symptome von etwas Größerem, Umfassenderem waren. Die Arbeit als Krankenschwester hatte ihre Identität ausgemacht. Und diese Identität befand sich in einer Krise. Es ging allerdings nicht ausschließlich um Emilys Arbeit. Immer wieder kam ihr Dawn, das Baby aus Trainspotting, in den Sinn. Es tauchte eine ganz bestimmte Szene aus dem Bild vor Vincents geistigem Auge auf, obwohl es mindestens zehn Jahre her war, dass sie den Film gesehen hatte. Wenn Sie den Film kennen, wissen Sie, welche Szene ich meine, auch wenn Emily mich dringend gebeten hat, mir den Film auf keinen Fall anzusehen. Sie wollte nicht, dass mich diese Szene ebenso verfolgte wie sie. (»Sieh dir lieber Bao an«, riet sie mir, »und nimm dir Taschentücher mit«, als sei das ein wirksames Gegenmittel. Bao ist ein mit dem Oscar ausgezeichneter Pixar-Zeichentrickfilm; ein chinesisches Baozi-Hefeklößchen verwandelt sich in einen kleinen Jungen mit einer überfürsorglichen, aber sehr liebevollen Mutter.) Dawn und Will haben nichts gemeinsam, außer dass beide Säuglinge und naturgemäß ihrer Umgebung hilflos ausgeliefert sind. Baby Dawn stirbt vernachlässigt in einem fiktiven Edinburgh, während die Erwachsenen, die sich um sie kümmern sollten, in der Spirale der Heroinsucht untergehen. Will dagegen wird liebevoll zu Hause in Cincinnati umsorgt, seine Eltern haben die Mittel, sich für seine Erziehung einzusetzen. Dennoch musste Vincent ständig an das Bild der bewegungslos in ihrer Wiege liegenden Dawn denken, wenn ihr Sohn tagsüber ein Schläfchen machte, oder wenn sie frühmorgens, nachdem sie ihn gefüttert hatte, im Bett lag und sich immer wieder sagte: »Es geht ihm gut. Er ist in seinem Bettchen. Es geht ihm gut« – ein Mantra der Wahrheit gegen ihre größte Angst. Sie konnte es sich nicht erklären. »Ich kam mir so dumm vor, weil ich mich wegen dieser Filmszene dermaßen verrückt machte«, erzählte sie mir, als Will sechs Monate alt war. »Und ich kam mir auch dumm vor, weil ich nicht wieder in Vollzeit arbeiten wollte.« Sie hatte Angst vor dem, was sie empfinden würde, sagte sie, und wie es sich auf ihre Fähigkeit, eine gute Mutter zu sein, und auf ihre Selbstwahrnehmung auswirken würde. Auch Alice Owolabi Mitchell stellte sich selbst infrage. Vor der Geburt ihrer Tochter hatte sie sich auf alle möglichen Szenarien vorbereitet. Sie wusste, dass die Risiken lebensbedrohlicher Komplikationen vor und nach der Geburt für sie als Schwarze Frau in den Vereinigten Staaten weitaus höher waren als für eine weiße werdende Mutter. Als Teenager hatte Owolabi Mitchell miterlebt, wie ihre eigene Mutter zwei Wochen nach der Geburt eines Sohnes an Herzstillstand gestorben war. Ihr kleiner Bruder war inzwischen 14 Jahre alt, und sie hatte ihn gemeinsam mit ihrem Ehemann großgezogen. Die Geschichte ihrer Mutter und ihre eigene waren eine große Belastung. Während der Schwangerschaft hatte Owolabi Mitchell mit einer Therapie angefangen und sich bei einer Vereinigung von Doulas um einen Betreuungsplatz bemüht. Außerdem plante sie, sich im nahe gelegenen Boston und in der Nähe von Quincy, wo sie wohnte, einer diversen Müttergruppe anzuschließen. Doch dann wurde Everly einen Monat zu früh geboren. Owolabi Mitchell hatte keine Möglichkeit mehr, letzte Vorbereitungen zu treffen, bevor sie beurlaubt wurde – sie war Grundschullehrerin –, oder sich von ihrer Klasse zu verabschieden. Sie hatte das Gefühl, dass es ihr nicht möglich gewesen war, sich auf die Ankunft ihres Babys einzustellen. Wenige Tage nach Everlys Geburt wurden in den Vereinigten Staaten Schutzmaßnahmen und Lockdowns aufgrund der Coronavirus-Pandemie eingeführt. Owolabi Mitchells Milcheinschuss ließ auf sich warten, und sie und Everly hatten Schwierigkeiten beim Anlegen und Stillen. Sie fragte sich, ob Everly genügend zu sich nahm, ob ihr eigener Stress den Milchfluss negativ beeinflusste und auf wie vielen Ebenen die Pandemie ihrer Familie gefährlich werden könnte. Alle Selbsthilfegruppen waren abgesagt. Da die meisten Arztpraxen geschlossen waren, vergingen erst sechs, dann sieben und schließlich acht Wochen, und Owolabi hatte noch immer keinen Termin für die übliche Untersuchung nach der Geburt bei ihrer Gynäkologin. In diesen ersten Wochen quälte sie insbesondere eine Frage: Warum fühlte sie keine Bindung zu ihrem Baby? Sie hatte erwartet, bei Everlys Geburt eine tiefe Zuneigung zu empfinden, dass sie sich auf Anhieb so sehr in ihre Tochter verlieben würde, dass ihr diese Gefühle über die ersten verwirrenden Tage hinweghelfen und sie die Schmerzen nach der Geburt vergessen und sogar die Wirren der Pandemie überstehen lassen würden. »Ich habe erwartet, dass sich automatisch ein Schalter in mir umlegt, aber nichts passierte«, sagte sie mir. Und sie fragte sich: »Bin ich jetzt eine schlechte Mutter, weil ich nicht so empfinde?« Obwohl meine Erfahrungen als erstmalige Mutter in den Einzelheiten unterschiedlich waren, ist mir doch vieles an den Geschichten von Owolabi Mitchell, Emily Vincent und so vieler anderer Eltern sehr vertraut. Unsere Erwartungen an uns selbst stimmten nicht mit der Realität überein. In den Tagen und Wochen nach der Geburt meines ersten Sohnes empfand ich Freude und ehrfürchtiges Staunen. Was ich nicht empfand, war eine natürliche Ruhe oder ein Gefühl der Klarheit und Gewissheit in meinen Gedanken oder Handlungen. Stattdessen war ich vielmehr in Aufruhr, in einer ständigen und ungewohnten inneren Bewegung. Wir alle hatten die Pforte der Geburt durchschritten und mussten mit Schrecken...


Conaboy, Chelsea
CHELSEA CONABOY arbeitet als Wissenschaftsjournalistin mit dem Schwerpunkt Gesundheit. Sie war Teil des mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Teams des Boston Globe für die Berichterstattung über den Bombenanschlag beim Boston-Marathon und hat in Zeitungen wie Politico, The Week und das Boston Globe Magazine veröffentlicht. Sie lebt in Maine mit ihrem Mann, ihren zwei kleinen Söhnen und ihrem eigenen sich verändernden mütterlichen Gehirn.


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