Crews | Florida Forever | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

Crews Florida Forever


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8493-0102-6
Verlag: Metrolit Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

ISBN: 978-3-8493-0102-6
Verlag: Metrolit Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz



Mit Harry Crews gibt es nach Nic Pizzolatto einen weiteren großartigen Noir-Autoren zu entdecken, der das Genre nach allen Regeln der Kunst beherrscht. 'Florida Forever' ist ein ätzender und, angesichts des rapiden Überalterungsprozesses der westlichen Gesellschaften, sehr weitsichtiger Roman über die wachsenden Gegensätze zwischen Alt und Jung. Angesiedelt in einem Pensionärs-Trailerpark in Florida schildert er die Versuche des kriegsversehrten Veteranen Stump, die Horde von Rentnern in Schach zu halten, die, angelockt vom ewigen Sonnenschein, nach Florida gekommen sind und nun darauf pochen, bei Laune gehalten zu werden. Der durch sinnentleerte Spielnachmittage nur mühsam gewahrte soziale Frieden wird durch die Ankunft einer jungen Entertainerin gestört, deren erotische Ausstrahlung bei den Rentnern längst vergessen geglaubte Begierden weckt, die ihnen zeigen, dass sie allen Ruhigstellungsversuchen zum Trotz noch am Leben sind.

Harry Crews (1935 - 2012) wurde im berüchtigten Mahon County, Georgia, in bitterarmen, typischen White-Trash-Verhältnissen geboren. Nach einem dreijährigen Dienst als Marine, unter anderem in Korea, konnte er an der University of Florida studieren - wo er 1968 zum Professor für Literatur ernannt wurde und 30 Jahre lang unterrichtete. Mit seinen 16 Romanen, darunter 'The Gospel Singer' und 'A Feast of Snakes', und der Autobiographie 'A Childhood: The Biography of a Place' erwarb er sich den Ruf eines Kult-Autors.

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ALS JOHNSON MEECHUM die drei Stufen zu seinem fuchsiafarbenen Double-Wide-Trailer hinaufstieg und die Tür aufstieß, wartete Mabel, seine Frau, drinnen bereits mit in die Hüften gestemmten Händen. Ihr gefärbtes und toupiertes Haar umgab ihren Schädel wie eine niedliche blaue Wolke, und Johnson konnte direkt durch das Haar auf ihre altersfleckige Kopfhaut schauen. Er rückte die 22er Sportpistole zurecht, die er über dem Gesäß im Hosenbund stecken hatte. Er wusste nicht einmal, warum er sie dort mit sich herumschleppte. Sie wusste allerdings sehr wohl, dass er sie mitnahm, wenn er zu seiner morgendlichen Runde aufbrach. Sie wusste alles über ihn. Er wusste alles über sie. Alles. Manchmal war das schier unerträglich. Er fragte sich oft, wo all die Überraschungen und süßen Geheimnisse geblieben waren. Und nicht selten wäre er bereit gewesen, sich für eine winzige Überraschung, für ein unbedeutendes Geheimnis zur Ader zu lassen. Ihre scheußlichsten, intimsten Details zu kennen, war furchtbar. Er wusste sogar, dass dem Geruch, den sie auf der Toilette hinterließ, aus unerklärlichen Gründen ein leichter Mandelgeruch anhaftete. Warum, konnte er nicht sagen, er wusste es eben. Es hatte zwei Jahre Ehe gebraucht, bis er herausgefunden hatte, dass sie ihn überall hinterließ. Während der ersten beiden Ehejahre stank rein gar nichts. Doch nun, nach sechzig Jahren Ehe, stank alles. Sogar ihrem Alter, das sie wie ein schimmeliger Mantel umhüllte, haftete der Pesthauch der Sterblichkeit an. Er nahm an, denselben stinkenden Mantel hinter sich herzuziehen, aber wenn dem so war, tat er alles, um dagegen anzugehen, indem er sich praktisch täglich in Kölnisch Wasser badete. Mabel benutzte nichts dergleichen, nicht einmal Gesichtspuder. Entweder war ihr jeglicher Stolz abhandengekommen, oder sie hatte einfach kapituliert. Johnson wusste es nicht, und zu fragen, war ihm zu peinlich. Aber sogar wenn ihn eine heftige Erkältung plagte, konnte er sie aus fünf Metern Entfernung riechen. Deshalb hatte er auch angefangen, auf einer Decke auf dem Fußboden zu schlafen. Ihr hatte er gesagt, es sei wegen seines schlimmen Rückens, aber in Wirklichkeit war es wegen der fauligen, mandelgeschwängerten Ausdünstungen, die sie umwehten, als gelänge es ihr nicht mehr, den Schweiß aus den Falten und Fettschürzen ihres Körpers zu schöpfen. Am meisten Angst aber bereitete Johnson die Vorstellung, selbst einen Fäulnisgeruch zu verströmen, den kein Kölnisch Wasser der Welt würde übertünchen können. Seit Jahren schon fürchtete er den Gestank des Todes mehr als den Tod selbst. Das gab ihm das allgegenwärtige Gefühl nagender Pein und brachte ihn dazu, unerklärliche Dinge zu tun, wie etwa jeden Morgen mit seiner 22er Sportpistole in den Sumpf zu ballern. Er ging um sie herum in die Küche. Sie schien nicht einmal zu blinzeln, ja nicht einmal zu atmen. Doch sie folgte ihm in die Küche und beobachtete ihn schweigend, wie er sich aus dem Hahn ein Glas Wasser eingoss. Sie stand nun nahe genug bei ihm – direkt hinter seiner linken Schulter –, dass er ihren Camel-Atem hören und riechen konnte (ein weiterer Geruch, den sie mit sich herumtrug, als wäre sie damit geboren worden, und da sie damit geboren schien, würde sie damit auch begraben werden). Johnson hatte bereits vor fünf Jahren mit dem Rauchen aufgehört, aber er glaubte noch immer, den feinen Tabakdunst auf seiner Haut zu riechen. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass sie ihre murmelgroßen, arthritischen Knöchel noch immer fest in die Hüften gestemmt hatte. Gleich würde sie ihm sagen, dass sie ihn kommen gehört habe. Und er würde erwidern … nun, er wusste längst, was er darauf erwidern würde. „Ich habe dich kommen gehört.“ „Spielt keine Rolle.“ „Hat dich jemand gesehen?“ „In Forever and Forever sieht niemand mehr groß was.“ „Das habe ich dich nicht gefragt.“ „Das sag’ ich dir aber.“ In der nun entstehenden Stille lauschten sie der falschen Kuckucksuhr, die über dem Herd tickte. Sie war made in Taiwan. Manchmal schien es Johnson, als würde heutzutage alles in Taiwan hergestellt. Mabel nahm ihre deformierten Fäuste von der Hüfte und inspizierte sie, drehte die Handflächen erst in die eine, dann in die andere Richtung, als wären sie etwas, was sie überlegte zu kaufen. „Weißt du noch, damals, als der Himmel noch blau war?“ „Ja, ich weiß noch. Damals, als der Himmel blau war.“ Das war ihre Geheimsprache. Er wusste nicht mehr, wie lange sie sich schon mit Codeworten unterhielten. Die Codes machten ihre Unterhaltungen weniger schmerzhaft. Wenn sie ihn fragte, ob er sich noch an den blauen Himmel erinnere, wollte sie lediglich wissen, ob er sich noch erinnerte, wie es gewesen war, als sie sich noch geliebt hatten. Und ja, das tat er. Er erinnerte sich noch. Weit entfernt begann eine Sirene zu heulen. Und sich zu nähern. „Schon wieder einer“, sagte er. „Vielleicht auch nicht“, sagte sie. In diesen Dingen war sie weitaus optimistischer als er. „Doch, doch“, sagte er. „Es ist schon ein Weilchen her. Ist mal wieder Zeit für einen Übertritt.“ So nannten sie es, wenn einer der Bewohner von Forever and Forever ins Gras gebissen hatte. Niemand konnte sich mehr erinnern, wie das Wort in die Welt kam, aber es klang angemessen, zumindest für alle außer Mabel. „Dazu äußere ich mich nicht“, sagte sie. „Gut.“ „Manchmal sagst du die bösartigsten Sachen.“ „Ich habe doch nur ‚gut‘ gesagt“, erwiderte er, wusste aber, was sie meinte. Schweigend standen sie da, während das Sirenengeheul näherkam. An der breiten Straße direkt unter dem Torbogen, auf dem FOREVER AND FOREVER stand, verstummte es. Und Johnson und Mabel wussten Bescheid. „Ich schätze, du hattest recht“, sagte sie. „Ich schätze, ja“, sagte er und ließ sich ein weiteres Glas Wasser aus dem Hahn ein. Sie sahen zu, wie der Krankenwagen stumm vorbeiglitt. Auf dem Gelände von Forever and Forever waren weder Blaulicht noch Sirenen gestattet. Wenn die Ambulanz kam, um einen der Bewohner abzuholen, hatte das lautlos zu geschehen. Das hatte Stump, der Besitzer von Forever and Forever so mit der Firma, die den Abholungsvertrag innehatte, vereinbart. Stump hatte zahlreiche Vereinbarungen getroffen, und dass die Ambulanzen innerhalb des Trailer Parks weder Blaulicht noch Sirene benutzen durften, war eine davon. Er musste niemandem erklären warum. Er erklärte überhaupt nicht viel. Warum er sein Unternehmen Forever and Forever genannt hatte, war allen ein Rätsel. Stump war kein Mann, der sich darum scherte, was die Leute von ihm dachten. Genau genommen kümmerten ihn das und das Gerede darüber, wie er etwas anging, von allen Dingen, die ihn betrafen, am wenigsten. Wenn man ihm ein Problem vortrug, pflegte er zum Horizont zu blicken – und in Südflorida waren alle Horizonte weit weg – und zu sagen: „Das interessiert mich und meinen Stumpf einen feuchten Kehricht.“ Der Stumpf, den er meinte, war das, was von seinem rechten Arm übrig geblieben war, der unter dem Ellbogen nahe des Handgelenks in einem leuchtend violettroten Narbenwulst endete. Es gab jede Menge Spekulationen darüber, wie er zu diesem Stumpf gekommen war, aber niemand hatte je etwas herausgefunden. Und Stump hatte nie ein Wort darüber verloren. Die wenigen, die dumm genug waren, ihn danach zu fragen – meist Bewohner, die erst kürzlich nach Forever and Forever gezogen waren –, ernteten lediglich einen leeren Blick, der sie so verschreckte, dass sie nie wieder nachfragten. Auch fragte niemand nach Stumps Frau – wobei alle nur annahmen, dass es sich um seine Frau handelte, weil es ihnen so angemessener erschien, und erst recht äußerte sich niemand, sei es privat oder öffentlich, darüber, dass ihr Name Too Much war. Es hieß, sie sei achtzehn und mochte es durchaus sein, so viel gestanden sie ihr zu, aber eigentlich hätte sie eher wie vierzehn ausgesehen, wenn sie nicht, nun ja, zu viel gehabt hätte. Ihre Titten waren riesig, und ihre unglaublichen Arschbacken verschlangen begierig die Säume ihrer abgeschnittenen Levi’s, die viel zu eng und viel, viel zu kurz waren. Und sie kratzte sich ständig. Sie schien gar nicht damit aufhören zu wollen. Sie konnte länger und tiefer an den intimsten Stellen ihres Körpers verweilen, als die alten Leutchen sich das vorstellen wollten. Es beschämte sie, machte sie wütend und trieb sie zur Weißglut. Trotzdem konnten sie keine Sekunde lang den Blick abwenden, wenn Too Much sich am Pool oder bei den Shuffleboard-Plätzen aufhielt, oder sich niederbückte, um die Pflanzen im Trailer Park zu gießen. Wobei sie es gleichzeitig schaffte, sich niederzubücken und zu kratzen. Mabel und Johnson standen an der Spüle und sahen zu, wie die Ambulanz draußen leise vorbeiglitt. „Wer meinst du, ist es?“, fragte Mabel. „Spielt das eine Rolle?“ „Ich wundere mich immer, dass die Krankenwagen sich nicht verfahren“, sagte Mabel. „Ich war schon in Städten, die kleiner waren als Forever and Forever. Wie die immer finden, wen sie suchen, und sich nicht verfahren, oder hinterher die Ausfahrt wiederfinden, war mir schon immer ein Rätsel.“ „Oh, das ist schon vorgekommen“, sagte Johnson. „Gab mal eine Zeit, da ist es sogar ziemlich häufig vorgekommen, aber soweit ich weiß, hat die Firma irgendwann eine Karte anfertigen lassen und die Trailer nummeriert, sodass sie jetzt finden, was sie suchen. Ich würde die Schuhe, die ich an den Füßen habe, verwetten, dass niemand, der hier wohnt, schon mal in jeder Straße...



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