Dark John Sinclair - Folge 0106
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8387-2860-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hügel der Gehenkten
E-Book, Deutsch, Band 106, 64 Seiten
Reihe: John Sinclair
ISBN: 978-3-8387-2860-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Endlich als E-Book: Die Folgen der Kult-Serie John Sinclair aus den Jahren 1980 - 1989! Hügel der Gehenkten. Er war ein Schamane! Ein Magier, ein Zauberer und er hatte sich den finsteren Mächten verschworen. Seine Feinde schleifte er zum Galgenhügel, wo ein mächtiger Verbündeter wartete. Destero, der Dämonenhenker! Doch die Macht des Schamanen wurde gebrochen. Er starb. 400 Jahre später nahm er Rache. Zusammen mit Destero erweckte er den Galgenhügel zu neuem, blutigem Leben... John Sinclair - der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung. Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit!
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Schon seit drei Tagen stand der alte Zigeunerwagen vor dem Ort!
Er fiel allen auf, doch niemand traute sich, den Wagen zu öffnen und hineinzugehen. Jeder machte einen Bogen um ihn.
Ein Zigeunerlager. Das war etwas Geheimnisvolles, etwas Fremdes und etwas, vor dem man Angst haben konnte.
Denn die alte Kullina hatte es zuerst bemerkt.
Sie hörte Stimmen.
»Da wohnen welche drin«, sagte sie an diesem Abend in der Dorfkneipe. »Ich habe es genau gehört. Und wenn ich ehrlich sein soll …« Sie blickte in die Runde und sah nur angespannte Gesichter. »Soll ich ehrlich sein?«
»Ja, zum Henker, rede schon, Alte!«, fuhr der Wirt sie an und stellte ihr ein Glas mit selbstgebranntem Kräuterschnaps hin. Die Alte nahm das Glas und kippte den Schnaps. »Nicht nur Stimmen habe ich gehört, sondern auch Geräusche.«
»Welche Geräusche?«, fragte der Bürgermeister vom Stammtisch her.
»Schlimme Sachen. Schmatzen, würgen, kichern …«
»Die Alte spinnt!« Der Mann, der diese Feststellung traf, war noch jung und lebte erst seit drei Monaten im Ort. Er hieß Gulliver O’Flynn und hatte sich im Gasthaus einquartiert. Angeblich wollte er eine Arbeit über Wales schreiben. So hatte er wenigstens erzählt. Und die meisten glaubten ihm auch, denn morgens in der Frühe machte er sich schon auf den Weg. Mit Rucksack und festem Schuhwerk stieg er in die Berge hoch. Er hatte Karten bei sich, außerdem allerlei Geräte, mit denen er den Boden und die Steine untersuchte. Ein alter Schäfer hatte ihn dabei gesehen und seine Beobachtungen im Dorf mitgeteilt.
Gulliver schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Der junge Mann war ziemlich groß, hatte flachsblondes Haar und einen hellen Vollbart. In seinen Augen funkelte immer der Spott, und er war stets zu Scherzen aufgelegt.
Jetzt kam er auf den Stammtisch zu, wo auch die alte Kullina saß. Die Männer machten ihm Platz.
O’Flynn sah es und nickte dankend.
Vor dem Tisch blieb er stehen und stützte seine Hände auf. »Warum erzählst du hier Schauermärchen, Alte?«
Die Kullina kicherte. »Das sind keine Schauermärchen. Ich habe alles selbst gehört.«
»Wirklich?«
Die Alte schlug ein Kreuzzeichen.
»Ich schwöre es. Mit diesem Wagen stimmt etwas nicht. Der hat das Grauen geladen. Und kennst du eigentlich den Fluch, du junger Spund?«
»Ja, davon habe ich gehört!«
Die Alte hob warnend den dünnen Zeigefinger und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Darin wird dir sicherlich bekannt sein, dass der Wagen in der Nähe des Hügels steht.«
Gulliver winkte ab. »Diese Zeiten sind vorbei«, sagte er.
»Aber sie können wiederkommen.«
»Nein.«
Die Alte öffnete ihren zahnlosen Mund und lachte lautlos. Ihr faltenreiches Gesicht verzog sich dabei noch mehr, sodass die Haut richtig einschrumpfte. »Vielleicht wirst du es erleben, dass der Hügel noch einmal sein schreckliches Geheimnis preisgibt. Und dann ergeht es dir dreckig.«
»Der Galgen ist verschwunden«, sagte Gulliver. »Es wird keiner mehr gehängt. Warum willst du das nicht begreifen?«
»Der Fluch ist noch nicht gelöscht.« Die Alte wandte sich wieder an den Wirt. »Noch einen Schnaps.«
»Kannst du auch bezahlen?«
»Ich übernehme den«, sagte der Bürgermeister.
»Okay.«
Die Alte bekam ihr Glas und stürzte das scharfe Getränk hinunter. »Ich spürte es, nein, ich weiß es, in dieser Nacht wird etwas geschehen. Der Hügel lebte. Der Geist des Schamanen lauert in der Tiefe. Der Herrgott sei uns gnädig«, formulierte sie mit Grabesstimme, und die um den Tisch sitzenden Männer nickten gedankenschwer.
Nur Gulliver O’Flynn grinste. Dann lachte er plötzlich. »Wißt ihr was, Leute?«
Die Männer schüttelten die Köpfe.
»Ich, Gulliver O’Flynn, werde dem Geheimnis des Wohnwagens auf den Grund gehen.«
»Wie meinst du das?«, fragte der Bürgermeister.
»Ganz einfach. Ich statte ihm noch in dieser Nacht einen Besuch ab. Ich will das Rätsel lösen. Und ich will euch beweisen, dass die alte Kullina unrecht hat.«
»Ha!«, kreischte die Frau und hob beide Hände, wobei sie noch die Finger spreizte. »Das ist Wahnsinn, was du vorhast. Wer sich diesem Wagen nähert, ist des Todes.«
Gulliver O’Flynn tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. »Dann müsstest du doch auch längst tot sein«, erwiderte er. »Schließlich hast du gehorcht.«
»Ja«, flüsterte die Alte. »Du bist nicht ich, und ich bin nicht du.«
»Ist mir noch gar nicht aufgefallen«, kicherte der junge Student.
»Damit treibt man keine Späße«, belehrte ihn die Alte. »Ich war eben geschützt. Ich habe mir mein altes Holzkreuz genommen und es vor die Brust gehängt. Und ich habe mir die Hände mit Salben und Kräutern eingerieben, damit sie nicht von dem Bösen angesteckt wurden. Aber du bist nackt, du gehst ohne Schutz, und dann wird dich das Grauen vernichten.«
»Ich zittere jetzt schon«, erwiderte Gulliver.
»Dir ist wohl nicht zu raten.« Die Alte hob die mageren Schultern. Mit ihren eingefallenen Wangen sah sie wirklich aus wie eine Hexe aus dem späten Mittelalter. Hinzu kam das spitze Kinn und der zahnlose Mund. Fehlte nur noch die Warze auf der langen Nase. »Was sagt ihr denn dazu?« , wandte sie sich an die Stammtischrunde.
Die Männer hoben die Schultern.
»Soll er doch«, meinte der größte Hammelzüchter des Ortes. »Soll er gehen und sich den Tod holen. Wir suchen schon ein Grab für ihn aus.«
»Aber nicht auf dem heiligen Friedhof!« , konterte die Hexe. »Er wird im Hügel der Gehenkten verscharrt wie ein räudiger Hund.«
Gulliver O’Flynn grinste. »All right, Freunde«, sagte er. »Ihr könnt ja solange diskutieren. Wenn ich wieder zurückkomme, sagt mir dann, wo ich begraben werden soll.«
»Spotte nicht«, warnte die Alte.
»Ich gehe auf jeden Fall.« O’Flynn nickte entschlossen und schritt auf die Garderobehaken zu, um seine Jacke zu nehmen. Draußen war es kühl. Von den Bergen her fiel ein steifer Wind in die Täler. Gestern hatte es noch gewittert und gehagelt, der Winter wollte einfach nicht weichen.
Der Student warf sich seine Jacke über.
In dem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Sie quietschte in den Angeln, deshalb hörte jeder der Anwesenden das Geräusch.
Auf der Schwelle stand – der Mann aus dem Wohnwagen!
*
Plötzlich verstummte jedes Geräusch.
Die alte Kullina bekreuzigte sich hastig und zog sich bis an die Theke zurück.
Automatisch drehten sich die Köpfe dem Ankömmling entgegen, der dicht vor der Schwelle stehen geblieben war.
Der Mann bot einen unheimlichen Anblick.
Er trug einen langen grauen Mantel, dessen Kragen er hochgestellt hatte. Bis zum Kinn war der Mantel zugeknöpft, und unter seinem Saum schauten dunkle Hosenbeine hervor. Die Füße steckten in abgetretenen Schuhen, das dunkle Haar glänzte wie das Gefieder eines Raben. Von dem Gesicht war nicht viel zu erkennen. Eine Brille mit schwarzen, kreisrunden Gläsern bedeckte die Augen, das Kinn floh nach hinten weg, der Mund war kaum zu sehen. In der rechten Hand hielt der Mann einen weißen Stock. Kein Zweifel, er war blind.
Langsam ging er vor. Bei jedem Schritt schlug der Stock auf den Boden und beschrieb einen gleichmäßigen Takt.
»Guten Abend«, grüßte der Blinde. Seine Stimme klang gehetzt und rau.
Keiner erwiderte seinen Gruß. Auch nicht O’Flynn. Die Männer starrten nur auf den Blinden.
Es war für alle eine Überraschung, denn bisher hatten sie nicht gewusst, wer in dem Wagen wohnte. Und dass er leer war, konnte sich keiner vorstellen.
In der Mitte der Gastwirtschaft blieb er stehen. Direkt unter der kreisrunden schmiedeeisernen Lampe, deren Schalen ihr weiches Licht auch über den Stammtisch warfen.
Der Bürgermeister fasste sich ein Herz. Er stand auf und sprach den Blinden an. »Sie sind bestimmt der Mann aus dem Zigeunerwagen?«, fragte er.
»Ja.«
»Und was wollen Sie hier?«
»Ich … ich möchte etwas zu essen haben.«
Der Blinde hatte die Worte gesprochen, doch niemand rührte sich. Bis der Wirt sagte: »Zigeuner kriegen von mir nichts!«
Der Blinde zuckte zusammen. »War das Ihr letztes Wort?«
»Ja.«
»Es ist gut. So habe ich euch eingeschätzt. Ihr lasst einen Menschen verkommen, der hungrig ist, obwohl ihr jeden Sonntag in die Kirche geht und zu eurem Gott betet.«
»Zu wem beten Sie denn?«, rief der
Bürgermeister. »Vielleicht zum Teufel?«
»Möglich.«
»Hau ab!«, schrie der Wirt. »Los, hau endlich ab. Und morgen früh wollen wir dich mit deinem verdammten Wagen hier vor dem Dorf nicht mehr sehen, sonst stecken wir ihn an!«
»Ja, er ist ein Teufel!«, flüsterte die alte Kullina. »Ich merke es jetzt deutlich. Ich spüre die Ausstrahlung. Er ist gefährlich. Höllisch gefährlich …«
Wieder wurde die Tür aufgestoßen. Und wieder betrat eine fremde Person die Gaststätte.
Doch diesmal war es ein Mädchen.
Die Augen des jungen Studenten wurden groß. Es traf ihn wie ein Schlag. Dieses Girl musste er haben. Es war schön und …
Seine Gedanken stockten. Er beobachtete nur noch.
Das Girl lief vor und fasste den Blinden am Arm. »Komm hier weg, Vater. Hier hast du nichts verloren!«
»Saffi, ich …«
»Bitte!« Die Stimme wurde drängend.
Alle in der Gastwirtschaft schauten auf das ungleiche Paar. Aber Gulliver O’Flynn hatte nur Augen für das Girl.
Es hatte langes, lockiges und schwarzes Haar. Die Flut war etwas...




