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E-Book, Deutsch, 148 Seiten
David Meines Vaters Jugend
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-6951-6400-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thomas Christian David 1925-1945
E-Book, Deutsch, 148 Seiten
ISBN: 978-3-6951-6400-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Martin David ist Kinderarzt und Sohn des Komponisten.
Autoren/Hrsg.
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Neuland
Und dann. Eines Tags ließ es sich nicht mehr übersehen, Berta veränderte sich allmählich. Ihr Gesicht wirkte weicher, ihre Lippen etwas voller. Berta bekam ein Bäuchlein. Konnte es wahr sein? War es nicht nur Einbildung? Sie hatte selber große Zweifel, dass es am Ende doch wieder nichts werden könnte. Und je länger ihre Schwangerschaft andauerte, desto größer wurde die Hoffnung auf die Erfüllung, desto größer wurden aber auch die Sorgen vor einem plötzlichen unerwarteten Ende, vor den bekannten Blutungen und Bauchkrämpfen, vor dem Horror, vor dem Riesenkrater, in den sie jedes Mal tiefer und tiefer hineinstürzte, wenn sie eine Fehlgeburt hatte.
„Bekommt Mama nochmal ein Kind? Bekomme ich ein Geschwisterchen?“ fragte sich Thomas. Er traute sich Mama nicht zu fragen. Irgendwie hatte er das Gefühl, eine Wahrnehmung, es handle sich um ein sehr delikates Thema, das man nicht so unverblümt ansprechen sollte. Niemand sprach darüber. Seine Mutter wollte nicht zu früh jubeln, da sie den Verlustschmerz fürchtete. Und woher sollte man auch wissen, dass es diesmal seinen natürlichen Verlauf nehme? Nach all dem, was sie schon leidvoll durchgemacht hatte.
Auch der Vater hatte wohl eine Wahrnehmung, war aber selber verwirrt von den vorausgegangenen Schwangerschaften, die sich zuletzt immer selber ein Ende gesetzt hatten. Er beschloss, lieber nichts zu sagen, als dass er am Ende vielleicht eine falsche Frage im falschen Moment gestellt hätte und flüchtete sich wieder in seine Musik.
Eines Tages lag ein Brief aus Leipzig im Briefkasten mit interessanten Nachrichten. In der berühmten Musikstadt Leipzig wurde eine Stelle an der Musikhochschule für Komposition frei. Das wäre doch eine Chance für Johann.
Alles ging Schlag auf Schlag.
Er bewarb sich. Und prompt wurde zugesagt. Was für ein Glück. Die Vorstellung, dort arbeiten zu dürfen, wo bereits Bach, Mendelssohn, Schuhmann und viele große Musiker schon tätig gewesen waren, eine Stadt, in der es ein gutes Orchester gab, eine Oper, alte Musiktradition, war für ihn erfüllend, ja fast schwindelerregend. Was für Möglichkeiten sich da eröffnen konnten.
In der Welser Wohnung kam reges Leben auf. Es gab ab da keine ruhige Minute mehr. Alles für den großen Umzug musste vorbereitet werden. Und das, während Berta immer deutlicher schwanger war. Aber die äußeren Umstände ließen gar keine Zeit, sich mit ihr und ihrem Umstand zu beschäftigen. Vielleicht war sie selbst froh, dass so viel los war, dass es gar keine Möglichkeit für peinliches Schweigen gab.
Und dann gebar sie am 5. Juni 1934 endlich ihr zweites, gesundes Kind, ihren Lukas. Und mit einem Mal war dem regen Treiben ein Ende gesetzt, wurde alles liegen und stehen gelassen.
Was war das für eine Freude. Wie sehr weinte sie aus lauter Glücksgefühl. Ob es Johann verstand? Ob es ihm nur unangenehm war, dass sie heulte? Aber auch er hatte eine große Freude und einen großen Stolz auf das zweite Knäbelein. Und auch ihm rannen die Tränen über die Wangen. „Darf es wahr sein? Noch ein gesundes Knäbelein! Gott sei Dank! Gott sei Dank!“, dachte er. Voller Glück drückte er Berta fest und lange und meinte: „Ist er nicht süß?“
Dann konnte auch er sich nicht mehr der Tränen über halten; dann weinte auch er die Tränen der Freude und gleichzeitig die Tränen all der verlorenen Kinder.
Thomas freute sich auch. Dass Mama weinte, mochte ihn ein wenig irritieren. Denn sie weinte und lachte gleichzeitig. Und sie küsste Thomas so herzlich und überschwänglich. Dass Papa nun auch weinte, da verstand er nun gar nichts mehr. In seinem tiefen Inneren jedoch gewahrte er ihren großen Kummer, ihre Angst, die er noch nie so unmittelbar erlebt hatte und vordergründig, die unendliche Freude. Diesen süß-bitteren Geschmack vergaß er ob seines Brüderchens aber bald. „Ein Brüderchen! Wie das wohl mitsammen werden wird?“, waren seine Gedanken.
Der letzte Sommer in Österreich sollte verbracht werden, bevor nach Leipzig übersiedelt würde. Der letzte für längere Zeit. Hausrat, Kisten mit Büchern, mit Noten, das Klavichord, Kleidung, Schultasche und alle Dinge, die man für einen kleinen Säugling brauchte und vieles mehr wurden eingepackt.
Der Vater war schon vorausgefahren und hatte sich um eine Wohnung gekümmert. Er hatte alle Verträge unterfertigt und dann reiste die ganze Familie am Sommerende nach. Denn mit Schulbeginn sollte es losgehen, für Johann an der Musikhochschule, aber auch für Thomas in einer neuen Schule. Da nun der Schulwechsel anstand von der Volksschule auf ein Gymnasium, traf es sich bestens, dass es in Leipzig ein Gymnasium mit alter Musiktradition, die bis Johann Sebastian Bach zurückreichte, gab, die Thomasschule, auf welche Thomas von nun an gehen sollte. Dort wurden Latein und Altgriechisch unterrichtet, Sprachen, mit denen sich auch Johann sehr beschäftigte. Dort gab es den berühmten Thomanerchor. Thomas freute sich, dass er nun ein Thomaner geworden war.
Viel Arbeit war angesagt. Bereits in der „Sexta“, der untersten Klasse, ging es los mit Latein und Griechisch. Es gab reichlich Hausaufgaben. Auch wenn ihm vieles leicht von der Hand ging, musste doch – ganz anders als in der Volksschule - gesessen und gelernt werden. Papa konnte gut helfen, wenn es Fragen gab. Er selber hatte im humanistischen Stift St. Florian und danach im Stift Kremsmünster all diese Sprachen erlernen müssen und er verwendete diese gerne für die Texte seiner Kompositionen. Und dann kamen noch die Instrumente hinzu. Das Klavierspiel beherrschte Thomas ja bereits. Da lernte Johann den Flötisten aus dem Gewandhausorchester kennen, Carl Bartuzat. Mit dem verstand er sich von Anfang an. Er spielte gut Flöte und war eher ein zurückhaltender und bescheidener aber hochmusikalischer Mensch. Da er ebenfalls in der Musikhochschule unterrichtete, war es kein weiter Weg mehr für Johann, für seinen Thomas ein Wort einzulegen, und schon gab es Flötenstunden. Das Flöten als Gegensatz zum Klavierspiel begeisterte Thomas sehr. Hatte er bei dem einen eine Gemeinsamkeit mit den Eltern, so war er bei dem anderen endlich einmal ganz auf sich gestellt. Noten lesen war ja bereits erlernt und die Geläufigkeit der Finger bestens vorbereitet. Thomas machte solche Fortschritte, dass er von seinem Lehrer ermuntert wurde, noch mehr zu üben, damit er bald im Orchester mitwirken könne.
Und das Singen im Thomanerchor machte großen Spaß und große Freude. Da Thomas gut Notenlesen und gut intonieren konnte, fand er sich besonders schnell in neuer Literatur zurecht und konnte so unter Karl Straubes Leitung ein Zugpferd für den Sopran sein, in dessen Stimmlage er zunächst einstieg.
Schon längere Zeit hatte sich in Deutschland und in Österreich eine politische Wende vollzogen, durch die immer stärker werdende nationalsozialistische Partei. Der Einfluss erfolgte in allen Bereichen des Lebens und so auch im Schulwesen. Viele Professoren bei den Thomanern bemühten sich, den „alten humanistischen, weltoffenen Geist“ weiterleben zu lassen, was nach außen nicht immer sichtbar ward, aber im Inneren wurde dieser weiterhin konsequent gepflegt.
Diese Haltung der Thomasschullehrer war eine, die Johann sehr gefiel. Für ihn wurde es mehr und mehr die einzig vertretbare in dieser Zeit. Zusätzlich zu all den Chorproben und der Schule durfte Thomas ab der „Quarta“ und „Unterterzia“ unter der Dirigentschaft seines Vaters an kleinen Konzerten mit der Querflöte mitwirken. Johann hatte inzwischen auch die Arbeit mit dem Gewandhausorchester aufgenommen.
Lukas liebte es, wenn Thomas Flöte spielte. Als er selber alt genug war, ein Weilchen still zu halten, belauschte er ihn immer gerne, wenn er dazu Gelegenheit hatte. Meist klangen die Töne schön und hell. Bei der Geige, das hatte er bereits bei Vater gehört, konnten schon quietschige, scharfe Töne auch entstehen oder nicht genau intoniert werden. Das war manchmal so, dass es in den Ohren weh tat. Nicht so bei der Flöte.
Nachdem Thomas viel in der Schule und Johann viel und lange in der Musikhochschule, mit dem Orchester und bei Sitzungen verbrachten, kam nun Lukas als zweiter, besonderer Liebling Bertas zum Zug. Lukas war ganz anders als Thomas. Er lauschte allen Tieren nach. Besonders zogen ihn die Vögel an. Aber auch Spinnen, Käfer, Fliegen erregten sein Interesse.
Er verbrachte oft Stunden am Fenster, um den Tieren im Garten zuzusehen. Ganz anders als Thomas konnte er sich an solchen natürlichen Dingen intensiv erfreuen.
Mama merkte, dass er schon als Baby im Kinderwagen den Vögeln nachgelauscht und nachgespäht hatte. Als er Laufen gelernt hatte, wollte er so oft es möglich war hinaus, um alle möglichen Tiere aus nächster Nähe zu beobachten. Wenn Mama mit ihm durch die Parkanlagen oder entlang der Elster spazierte, einem kleinen Gewässer, das durch Leipzig fließt, und an dem entlang nette Wege führten, konnte er sich nicht genug sattsehen und satthören.
Leider mussten sie ihre Explorationen oft abbrechen, da Mama den häuslichen Pflichten zeitgerecht...




