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E-Book

E-Book, Deutsch, 365 Seiten

de Moor Gunzenhausen

Das Leben des J.D. Salinger, von ihm selbst erzählt. Roman
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8353-8829-1
Verlag: Wallstein Erfolgstitel - Belletristik und Sachbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Das Leben des J.D. Salinger, von ihm selbst erzählt. Roman

E-Book, Deutsch, 365 Seiten

ISBN: 978-3-8353-8829-1
Verlag: Wallstein Erfolgstitel - Belletristik und Sachbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Diese fiktive Autobiographie J.D. Salingers kombiniert Fakten und Fiktion, um ein faszinierendes Rätsel, einen Roman und ein Porträt einer Ära zu schaffen.

J.D. Salinger ist einer der großen Unbekannten der Literatur, über sein Leben hat er selbst nicht viel preisgegeben und absichtlich falsche Fährten gelegt. Piet de Moor nähert sich ihm in seinem Roman, indem er ihn selbst zu Wort kommen und von seinem Leben erzählen lässt. An der Grenze zwischen Fiktion und faktischer Biographie treibt Piet de Moor ein virtuoses Spiel.
Im Zentrum dieses Lebensberichts steht vor allem Salingers Zeit während des Zweiten Weltkriegs und kurz danach. Als junger Mann nahm er an der Landung der Alliierten in der Normandie teil, nach der Schlacht am Hürtgenwald und der deutschen Kapitulation kam er als Geheimdienstoffizier ins fränkische Gunzenhausen. Neben dem Nachdenken über sein bisheriges Leben, über seine Liebschaften, berichtet dieser fiktive Salinger auch von seinem Leben in der Kleinstadt, von den Deutschen und ihren Ausflüchten in den Verhören, vermittelt über Treffen mit Victor Klemperer, Erich Kästner oder Stefan Heym und »Papa Hemingway« über den Stand der Kultur in dieser Stunde Null – ein lebhaftes Bild einer deutschen Kleinstadt in dieser Zeit. Sein eigenes Manuskript, das später der »Fänger im Roggen« werden sollte, hat Salinger auch im Gepäck, ebenso wie seine Schreibmaschine. Angetrieben vom Wunsch, zu überleben, versucht er, seinen Roman zu vollenden.
Ein Roman voller Energie, mit viel Witz geschrieben – der aber auch zeigt, wie die Grausamkeiten, die Menschen sich gegenseitig antun können, noch Jahrzehnte später widerhallen.

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I
Fünf war ich, und ich konnte schon lesen, als ich in mein Tretauto kletterte, die Haustür hinter mir zuzog (unter Mithilfe eines kräftigen Luftzugs) und in den Sommerabend verschwand. Meine Reise um die Welt war nach drei Stunden beendet. Ein Polizist kriegte mich an der 113. Straße am Schlaffitchen. Auf die Frage nach meinem Ziel antwortete ich mit einer Schlagfertigkeit, die ich inzwischen verlernt habe: »Zur Tankstelle! Kein Benzin mehr!« Als ich mit Blaulicht nach Hause gebracht wurde, gab mir Vater Sol eine Ohrfeige und Mama Miriam, für die ich immer Sonny war, einen Riegel 3Musketiers. Ich war dreckig von oben bis unten. Mama seifte mich ein, umringt von meiner Flotte an Galeonen, die ich unter die Wasseroberfläche drückte und von der nur noch die Masten aus den Schaumkronen ragten. Vater Sol drohte damit, mir eine Hundemarke mit meinem Namen um den Hals zu hängen. Ich wollte immer von zu Hause weglaufen, wenn Doris, meine Schwester, mich schikanierte. Auch das eine Mal, als sie mich mit mehr Löchern in ihren Schuhen verblüffte. Sie prahlte damit, dass ihre Schnürsenkel länger seien als meine. In solchen Momenten schmiedete ich Pläne für eine Weltreise, am liebsten in einem dieser riesigen Greyhound-Busse, auf der Suche nach einer Schwester, die mich besser abkonnte, und einem Vater, der sich allein schon deshalb glücklich schätzte, weil er mich großziehen durfte. Wütend packte ich meine Zinnsoldaten in eine Kiste und stürmte in meiner Indianerkleidung nach draußen, der Federschmuck flatterte mir auf dem Kopf. Aber aus Angst vor der eigenen Courage blieb ich auf dem Bürgersteig stehen und wartete, bis Mama Miriam kam. Einen Kuss konnte ich mir gerade noch abringen, bevor ich ihr mit meinem Plastikkriegsbeil zum unwiderruflichen Abschied winkte, für immer weg von Manhattan. Aber meine Zweifel wuchsen mit jedem Winken. Was sollte Weglaufen für einen Sinn haben bei einer Mutter, die das Gehör und den Geruchssinn eines Jagdhundes hatte? Außerdem liebte ich sie, seit ich geboren worden war und sie über meiner Wiege andauernd kindische Worte brabbelte, als müsste nicht ich, sondern sie sprechen lernen. Ich will kein böses Wort über sie hören. Man sagt zwar, dass Menschen mit rotem Haar jähzornig sind, aber ich habe Mama Miriam nie wütend erlebt. Und trotzdem hat sie das röteste Haar von allen. Sie sehen, ich schweife ab. Ich bin J. D. Salinger. Ich wurde am 1. Januar 1919 in New York geboren. Ich bin Amerikaner, fünfundzwanzig Jahre alt. Sol, mein Vater, ist ein Abkömmling des jüdischen Familienzweigs aus dem tiefen Nordosten Europas, aber mit einer Kippa habe ich ihn nie gesehen. Mama Miriam lernte er in Iowa kennen. Mama Miriam hat mir mal erzählt, dass sie im Frühjahr 1918 träumte, sie wäre mit einer Flamme schwanger, aber das war wegen mir, ich war das Geschwabbel, das in ihr herumwabbelte. Meine Schwester also heißt Doris. Ich stellte mir gerne vor, dass sie meine jüngere Schwester wäre. In Wirklichkeit ist sie sechs Jahre älter. Ich habe einen ganzen Sack voll Schwestern und Brüder, die kurz nach der Geburt gestorben sind. Schon als Kind habe ich sie mir zusammenfantasiert, ich ließ sie in Geschichten auftreten, die ich vor keinem anderen Publikum laut erzählt habe als den Königen, Damen und Buben auf den Spielkarten von Vater Sol, mit einer Vorliebe für Schwarz, vielleicht weil es die Farbe der Steinkohle ist, des Stoffes, in dem das Feuer noch die Kälte des Kellers hat. Später, um mir das Leben in den Internaten erträglicher zu machen, schrieb ich kurze Geschichten. Aber das war kein Grund, dort zu bleiben. Ich bin immer abgehauen. Erst kürzlich habe ich ein paar Storys in verschiedenen Slicks veröffentlicht. So heißen diese ziemlich bescheuert aussehenden Magazine mit stupide wirkenden, tief dekolletierten Frauen, die sich da zwischen viel scheinheiliger Werbung aufmandeln. Aber dieses Hochglanzpapier passt nicht zu meinen Helden aus Schmirgelpapier. Die hängen lieber in Wirtschaften rum, die Blutverdünner, Tripper und Vorhaut heißen. Ich habe verschiedene Militäranstalten in der Hoffnung durchlaufen, dort ohne Kopfzerbrechen schreiben zu können. Das hat geklappt, dank Kost und Logis. Aber ich habe auch gelernt, wie ein Schweizer zu saufen, wie ein Türke zu rauchen und schmutzige Reden anzuschlagen wie Felix Salten, dieser Wiener, der neben Bambi auch Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt zusammengeschrieben hat. Ich glaube nicht, dass Walt Disney sich drum reißen wird, diese Geschichte zu verfilmen, die ich, achtzehn und in Wien, mit roten Ohren und einem Ständer gelesen habe. Vater Sol schickte mich 1937 nach Österreich. Von allen Orten der Welt hielt er Wien für den idealen Platz, um aus mir einen Vorzeigegeschäftsmann zu machen. Vielleicht weil er sich gedacht hatte, dass ich damit besser zu ködern sei, steckte er mir einen Zettel in den Tasche, auf die er drei Ratschläge aus dem einzigen Roman – Bekenntnisse von Zeno – abgeschrieben hatte, den er auf Anraten eines gewissen Dikran Kujumdischan, eines armenischen Emigranten aus dem bulgarischen Russe, »mit großem Gewinn« gelesen hatte. Was sage ich? Gelesen? Nein, nur das fünfte Kapitel des Romans. Und um ganz ehrlich zu sein: nur die Seite vierundsechzig dieses fünften Kapitels. Lassen wir’s damit gut sein, denn es fällt mir schwer, zuzugeben, dass sich seine Lektüre wahrscheinlich auf die drei Absätze beschränkt hat, die er für mich von dieser Seite abgeschrieben hat, nämlich drei Ratschläge, die Vater Cosini seinem Sohn Zeno (und damit Vater Sol mir) gab: 1) man braucht nicht selbst zu arbeiten, solange man weiß, dass man verloren ist, wenn man es nicht andere für sich tun lässt; 2) etwas zu bereuen lohnt die Mühe nur, wenn man es versäumt hat, eigenen Interessen zu dienen; 3) im Geschäftsleben ist Theorie willkommen und nützlich, aber nur bei einem Drink, wenn man seine Schäfchen im Trockenen hat. Mit diesem »Lebensrezept« ging ich nach Wien. Ich lernte ein paar Brocken Deutsch. Die schnappte ich von Leah auf, einem jüdischen Mädchen. Sie wohnte unter mir, in einem Block in der Stiefelstraße Nummer 16, Leopoldstadt, der Mazzesinsel, dem jüdischen Viertel. Leah wohnte mit ihren Eltern im dritten Stock in einer Wohnung, in der ich nie weiter als bis in den Flur hinter der Eingangstür kam. In der oberen Füllung dieser Tür klaffte ein tiefer Riss, als hätte man einst eine Axt hineingehauen. An der Wand des Flurs hing ein Plakat des Jardim da Torre de Belém in Lissabon: sonnenübergossene Ufer, Wolkenfetzen am Horizont, Fregatten mit aufgeblähten Segeln an wuchtigen Masten, die träge die Mündung des Tejo ansteuerten und sich ihren Weg Richtung Ozean bahnten, mit Flaggen und Wimpeln, die in einer steifen Brise flatterten. Auf diesem Plakat war ein Vers abgedruckt, den ich auswendig gelernt habe: »O Tejo desce de Espanha / E o Tejo entra no mar em Portugal« (»Der Tejo kommt aus Spanien / Und der Tejo mündet in Portugal ins Meer.«) Nach Wien verschlug es mich ins polnische Bydgoszcz. Dort habe ich in einem Schlachthof gelernt, wie man Schweine zerlegt. Messer in die Kehle, Kopf ab, abgesengte Haare, in Därme gefülltes Blut, das Blubbern der Eingeweide in Wannen. Selbst mit meinen rutschfesten Pantoffeln an den Füßen hatte ich Mühe, in den nach Zuckerwasser riechenden Gängen senkrecht zu bleiben, die vom Schweinespeck nur so glänzten, den wir in Würfel schnitten, um uns in der Pause damit zu bewerfen. Mitte 1938 kehrte ich nach Amerika zurück und kannte mich in der europäischen Geografie besser aus als zuvor. Nie wieder würde ich Venedig mit Wien verwechseln. Das war mir bei meiner Ankunft in Europa passiert. Ich war perplex, dass Wien auch eine Seufzerbrücke hatte. Dieser Illusion gab ich mich hin, bis mich jemand aufklärte, dass ich mich nicht in Österreich, sondern in Italien befand und dass ich noch sechshundert Kilometer bis zu meinem endgültigen Ziel vor mir hatte. Beim Zwischenstopp in Triest spürte ich, wie die Instruktion von Vater Sol in meiner Jackentasche brannte. Brixham, 5. Juni 1944
Ich bin in England, Brixham. Ich bin Soldat. Es ist der 5. Juni 1944, und in Europa herrscht bereits seit fünf Jahren Krieg. Am Dienstag, dem 18. Januar 1944, schiffte ich mich mit meinen Kameraden ein. Mit dem Truppentransporter USS George Washington setzten wir von New York nach Liverpool über. Weil ich es hasste, wenn man mir zum Abschied hinterherwinkte, hatte ich Mama Miriam verboten, zum Kai zu kommen. Aber als die Trossen losgemacht wurden, sah ich sie da stehen. Sie versuchte, sich hinter einem Laternenpfahl zu verstecken, vergeblich. Die Flammen ihres roten Haars verrieten sie. Vielleicht hatte sie Angst, ich würde sie entdecken. Vielleicht wollte sie genau das. Ich tat, als würde ich sie nicht sehen. Am 29. Januar gingen wir in Liverpool vor Anker. Dort lagen wir in einem Camp und warteten, vor lauter Nervosität an den Nägeln kauend, gespannt darauf, dass es mit der Invasion losginge, Ablenkung gab es nur durch Filme, deren Dialoge ich inzwischen in- und auswendig kannte, als wäre ich es, der Margaret Sullavan (in The Mortal...


Faure, Ulrich
Ulrich Faure, geb. 1954 in Halle/Saale. Langjähriger Online-Chefredakteur beim Branchenmagazin BuchMarkt (bis Ende 2017), Publizist,Lektor sowie Herausgeber und Übersetzer aus dem Niederländischen. Zahlreiche Herausgaben zu literarischen und literaturhistorischen Themen, zuletzt Mitherausgeber der Briefausgabe Albert Vigoleis Thelen: Meine Heimat bin ich selbst. Briefe 1929-1953 (2010).

de Moor, Piet
(geboren 1950 in Belgien) ist Autor und Journalist. Zu seinen früheren Werken zählen die Essay- und Reportagenbände »Stimmen aus Mitteleuropa« (2005) und »Der gestiefelte Gott« (über Stalin, 2003) sowie die Romane »Hotel Silesia« (2008) und »Der Adamit« (2010). In den 70er-Jahren lebte er zwei Jahre in WestBerlin und unternahm verschiedene Ausflüge nach Russland, Mitteleuropa und auf den Balkan. 2016 veröffentlichte er das Sachbuch »Berlin. Leben in einer gespaltenen Stadt« und 2024 den Essay »Mit Kafka in Berlin«. Seit 2010 lebt er wieder in Berlin. »Gunzenhausen« ist sein erster auf Deutsch erscheinender Roman.



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