E-Book, Deutsch, 428 Seiten
. / Deckert Gespräche, Fragmente, Handbuch
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-347-37049-4
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Moderne Gesamtausgabe auf der Grundlage der Übertragung von Rudolf Mücke neu übersetzt, mit Anmerkungen versehen und eingeleitet von Tino Deckert
E-Book, Deutsch, 428 Seiten
ISBN: 978-3-347-37049-4
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
EPIKTET (etwa 50-120 n.Chr.) war einer der einflussreichsten Vertreter der späten Stoa und kann zu Recht als ein Philosoph der Freiheit gelten. Sein Leben war geprägt von Fremdbestimmung, denn Epiktet wurde als Sklave geboren und diente am Hof des römischen Kaisers. Nach seiner Freilassung unterrichtete Epiktet selbst stoische Philosophie, bis er durch Kaiser Domitian aus Rom vertrieben wurde und sich im Nordwesten Griechenlands niederließ. Epiktets Denken hingegen war bestimmt von einem Kernkonzept der inneren Freiheit: Freiheit, verstanden als Freisein von Leidenschaften, innerer Unruhe und der Abhängigkeit von äußeren Gütern. Diese zentrale Unterscheidung, die Einteilung aller Dinge in »mein« und »fremd«, ist die Grundlage für ein gutes Leben, denn wer verstanden hat, was wirklich von uns abhängt, dem können äußere Umstände in seinem Streben nach Glück und Seelenruhe nichts anhaben. Die Philosophie Epiktets ist eine Mischung aus orthodoxem Stoizismus mit kynischen und sokratischen Elementen; seine Sprache ist stets lebensnah und seine Ausdrucksweise mal predigend, mal locker-ironisch. Dies alles dient dem Ziel der praktischen Umsetzung seiner Philosophie: Epiktet will die Menschen aufrütteln und sie zu einem besseren Leben anleiten. Weil er lebte, wie er lehrte, beeindruckt Epiktet seine Leser mit seinem holistisch-radikalen Ansatz zum guten Leben seit nunmehr fast 2000 Jahren. Die vorliegende Ausgabe enthält alle erhaltenen Gespräche (Diatribe), die Fragmente aus den verloren gegangenen Büchern sowie das prominente Handbuch (Encheiridion). Die zugrundeliegende Übersetzung von Rudolf Mücke (1926) wurde umfassend überarbeitet und um Textanmerkungen, eine ausführliche Einführung in Leben, Werk und Philosophie sowie drei Register ergänzt. Tino Deckert (Hrsg.) hat Philosophie und Wirtschaft in Mainz studiert. Er arbeitet im Bereich Erneuerbare Energien und ist nebenberuflich als Autor und Dozent in der Erwachsenenbildung tätig.
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Buch I I.1 Was in unserer Macht (eph‘ hemin) und was nicht in unserer Macht (ouk eph‘ hemin) steht [1] Unter den anderen Fähigkeiten (dynamis) werdet ihr keine finden, die imstande ist sich selbst zu prüfen, geschweige denn, sich selbst zu akzeptieren oder zurückzuweisen. [2] Die Grammatik, wie weit kann sie sich selbst untersuchen? So weit, dass sie entscheiden kann, was richtig oder unrichtig geschrieben ist. Die Musik? Dass sie entscheiden kann, ob man richtig oder falsch singt. [3] Untersucht hiermit eine von diesen sich selbst? Keineswegs. Aber wenn etwas an einen Freund zu schreiben ist und es bedarf dazu der Schriftzeichen, so wird die Grammatik es dir sagen. Ob man aber dem Freund schreiben oder nicht schreiben sollte, das wird sie dir nicht sagen. So verhält es sich auch mit der Musik hinsichtlich der Melodien. Ob man aber jetzt singen und die Kithara spielen soll, wird sie dir nicht sagen. [4] Welche aber wird es dir sagen? Diejenige, welche imstande ist, sich selbst und alles andere zu untersuchen. Welche ist das? Das Denkvermögen (dynamis he logike). Dieses ist das einzige, das sich selbst betrachtet, was es ist, was es kann und welchen Wert es hat; das seinen eigenen Wert zu schätzen weiß und alle anderen Vermögen und Künste prüft. [5] Denn wer sagt uns, dass das Gold schön (kalos) ist? Es selbst sagt es nicht. Es kann nicht reden. Vielmehr sagt uns das die Fähigkeit, Vorstellungen zu gebrauchen (chrestike dynamis tais phantasiais). [6] Wer beurteilt die Musik, die Grammatik und anderen Künste? Wer bestimmt ihren Gebrauch? Wer setzt ihnen Ziel, Maß und Schranken? Niemand anderes als das Denkvermögen. [7] Die Götter haben hiermit, wie es ihrer würdig war, das Allergrößte, das über alles die Herrschergewalt hat, nämlich den rechten Gebrauch der Vorstellungen (chresin ten orthen tais phantasiais),7 in unsere Macht (eph? hemin), alles andere hingegen nicht in unsere Macht (ouk eph? hemin) gegeben. Etwa darum, weil sie es nicht wollten? [8] Mir scheint, sie hätten auch dies in unsere Macht gegeben, wenn sie gekonnt hätten. Allein, das war ihnen schlicht unmöglich. [9] Denn, da wir auf der Erde leben und mit einem solchen Leib verbunden sind und in solcher Gesellschaft leben, so war es ja unmöglich, dass wir von den Außendingen (ektos) nie gehindert würden. [10] Aber was sagt Zeus:8 »Wäre es möglich gewesen, Epiktet, so hätte ich auch deinen armseligen Leib (somation)9 und dein bisschen Habe frei und von jeder Einschränkung unabhängig gemacht. [11] Darüber darfst du dich nicht täuschen, diese Dinge sind nicht dein, sie gehören nicht zu dir, sie sind nur schön gemengter Ton. [12] Da ich dazu nicht in der Lage war, habe ich dir ein Teilchen (meros) von meinem Wesen mitgegeben; nämlich, das Vermögen des Entschlusses, etwas zu tun (horme) und zu lassen (aphorme), das Vermögen des Begehrens (orexis) und Vermeidens (ekklisis), kurz, das Vermögen von deinen Vorstellungen Gebrauch zu machen. Wenn du dieses sorgfältig ausbildest und all das Deine da hineinsetzt, so wirst du nie Einschränkungen oder Hemmungen erfahren, nie klagen, nie tadeln, niemandem schmeicheln.« — [13] Wie? Scheint dir das etwas Geringes zu sein? — »Bestimmt nicht!« — So lass es dir daran genügen und danke den Göttern. [14] Obwohl wir die Möglichkeit haben, uns nur um eine Sache zu kümmern (epimeleia) und uns dieser zu widmen, wollen wir uns doch lieber um viele Dinge bemühen und an eine Menge Sachen gebunden sein: an den Leib, an Besitz, an einen Bruder, an einen Freund, an ein Kind, an einen Sklaven. [15] Da wir uns an so vielerlei binden lassen, so muss es uns wohl zu einer Last werden, die uns zu Boden zieht. [16] Daher kommt es, dass, wenn uns etwa die Witterung verhindert, unter Segel zu gehen, wir gramvoll dasitzen und alle Augenblicke ans Fenster gehen, um zu schauen, was für ein Wind am Himmel ist. »Noch immer Nordwind! Ei, der leidige Nordwind! Wann will es denn auch einmal Westwind werden?« Sobald es ihm gefällt, guter Freund! Oder sobald es Aiolos10 gefällt. Denn Gott hat nicht dir, sondern Aiolos die Verwaltung der Winde aufgetragen. [17] — »Was sollen wir denn tun?« — Schaffen, dass dasjenige, was in unserer Macht steht, im besten Zustand ist, und alles andere so gebrauchen, wie es kommt. — »Wie kommt es denn?« — Wie es Gott will. [18] »Dass ich denn jetzt allein durch das Beil sterben muss!« — Was? Willst du denn, dass allen die Köpfe abgeschlagen werden, dass du dich damit trösten kannst, in Gesellschaft zu sterben? [19] Willst du deinen Hals nicht auf dieselbe Weise hinstrecken, wie es Lateranus11 in Rom tat, als ihn Nero zum Beil verurteilt hatte? Er hielt seinen Nacken hin, und als er bei dem ersten Schlag, der zu schwach gewesen war, ein wenig gezuckt hatte, hielt er den Nacken wieder hin. [20] Kurz vorher war Epaphroditos,12 Neros Freigelassener, zu ihm gekommen und wollte ihn verhören. Er gab ihm zur Antwort: »Wenn ich etwas sagen wollte, so würde ich es deinem Herrn selbst sagen.« [21] Was muss man also unter solchen Umständen zur Hand haben (procheiron echein)?13 Was denn anderes als sich darüber klar sein, was ist mein, und was ist nicht mein, was steht in meiner Macht, und was steht nicht in meiner Macht? [22] Ich muss einmal sterben. Muss ich aber auch darüber seufzen und jammern? Ich muss in Fesseln liegen. Muss ich aber auch deswegen Tränen vergießen? Ich wurde des Landes verwiesen. Was verwehrt mir, dabei lachend, frohen Mutes und wohlauf fortzuwandern? — [23] »Sage deine Geheimnisse!« — Nein, denn das liegt bei mir. — »So lass ich dich ins Gefängnis stecken.« — Was sagst du, Mensch? Mich? Meine Beine kannst du fesseln, aber meinen freien Willen (prohairesis) kann selbst Zeus nicht überwinden. — [24] »Ich lasse dich enthaupten.« — Habe ich jemals gesagt, dass allein mein Hals unverwundbar ist? [25] Solche Gedanken sollten die Philosophierenden studieren (melete), dergleichen täglich schreiben und sich in diesen Grundsätzen trainieren. [26] Thrasea14 sagte oft: »Ich will lieber heute hingerichtet, als morgen des Landes verwiesen werden.« Aber was sagte ihm Rufus15 hierüber? [27] »Wenn du den Tod als das Schwerere vorziehst, so ist deine Wahl töricht. Ziehst du es aber als das Leichtere vor, so sage mir, wer hat dir die Wahl gegeben? Willst du denn nicht lernen, mit dem, was dir beschert ist, immer zufrieden zu sein?« [28] Was sagte Agrippinus16 in einem ähnlichen Fall? »Ich will mir selbst nicht im Weg stehen.« Man kündigte ihm an: Der Senat sitzt deinetwegen zu Gericht. [29] »Möge alles gut gehen, aber wir haben jetzt 11 Uhr« (um diese Zeit pflegte er Leibesübungen vorzunehmen und dann ein kaltes Bad zu nehmen), »lasst uns gehen und unsere Übungen machen.« [30] Als er sie gemacht hatte, kam einer und sagte: Höre, du bist verurteilt. — »Verbannung oder Tod?«, fragte er. — Verbannung. — »Und mein Vermögen?« — Es wurde dir nicht konfisziert. — »Gut, gehen wir also und speisen in Aricia zu Mittag!« [31] Das heißt es, sich in den Dingen zu üben, die man üben soll; Begehren und Vermeiden in eine solche Verfassung gesetzt haben, dass sie auf jedes Hindernis und jeden widrigen Zufall vorbereitet sind. Ich muss sterben: Wenn es jetzt sein muss, so sterbe ich jetzt. [32] Soll es aber noch Aufschub haben, so speise ich jetzt zu Mittag, weil es eben Mittagessenszeit ist, und will dann nach dem Essen sterben. Wie? So wie es dem zukommt (prosekon), der fremdes Eigentum (allotrion)17 zurückgibt. I.2 Wie man bei allem seinen Charakter (prosopon)18 bewahren kann [1] Dem vernünftigen Lebewesen (to logiko zoo) ist nur das Unvernünftige (alogos) unerträglich; was vernunftgemäß (eulogos) ist, kann es ertragen. Schläge sind nicht von Natur aus unerträglich. — [2] »Wie ist das zu verstehen?« — Sieh wie es sich abspielt! Die Spartaner19 lassen sich geißeln, nachdem sie gelernt haben, dass dieses aus einem vernünftigen Grund geschieht. — [3] »Ist denn das Erhängen nicht unerträglich?« — Nein, denn sobald einer glaubt,...