Diez Grieser | Mentalisieren in der Elternarbeit (Leben Lernen, Bd. 352) | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 352, 224 Seiten

Reihe: Leben lernen

Diez Grieser Mentalisieren in der Elternarbeit (Leben Lernen, Bd. 352)

Interventionen und Beziehungsgestaltung in Beratung und Therapie
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-608-12430-9
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Interventionen und Beziehungsgestaltung in Beratung und Therapie

E-Book, Deutsch, Band 352, 224 Seiten

Reihe: Leben lernen

ISBN: 978-3-608-12430-9
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mentalisieren als zentrale elterliche Fähigkeit fördern Der erfolgreiche MBT-Ansatz in der modernen Elternarbeit Konkrete Hilfestellungen für die Anwendung in verschiedenen Settings (Elternberatung, Gruppensetting, Familientherapie) Mit Fallbeispielen aus Therapie und Beratung Die Arbeit mit psychosozial belasteten, psychisch kranken und traumatisierten Eltern stellt Psychotherapeut:innen, Berater:innen und Sozialarbeiter:innen immer wieder vor herausfordernde Situationen. Bei diesen Eltern entstehen aufgrund ihrer Schwierigkeiten, ihre Kinder passend zu mentalisieren, oft Teufelskreise, die dazu führen, dass sie ihre Kinder vernachlässigen und psychisch oder körperlich misshandeln. Dieses Buch stellt die verschiedenen Formen von Mentalisierungsproblemen bei belasteten Eltern dar und zeigt, wie die mentalisierungsbasierte Arbeit mit Eltern aussehen kann. Im Zentrum steht dabei eine Haltung, die eine vertrauensvolle Beziehung zu diesen Eltern entwickeln hilft und durch spezifische Formen der Interaktionsgestaltung elterliches Mentalisieren fördert. Zusätzlich sind Interventionen, die implizites Lernen als Basis von Veränderungsprozessen ermöglichen, ein wichtiger Fokus für die mentalisierungsorientierte Arbeit mit Eltern.

Maria Teresa Diez Grieser, Dr. phil., Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Psychoanalytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin EFPP. Nach langjähriger Tätigkeit im klinischen Bereich und in der Präventionsforschung ist sie als psychoanalytische Psychotherapeutin und Supervisorin in eigener Praxis in Zürich tätig. Seit 2016 leitet sie den Forschungsbereich und die Angebotsentwicklung in den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten St. Gallen.
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Kapitel 2

Elternschaft


2.1


Die Geburt eines Kindes verändert die innere und äußere Welt der Eltern entscheidend – sofern diese in der Lage sind, solche Prozesse zuzulassen und zu erleben. Sie ist aber auch für die erweiterte Familie ein wichtiges Ereignis, das je nach Kultur mehr oder weniger starke Erwartungen und Gefühle weckt. Es verändert in gewissen Kulturen den Status der Eltern deutlich, und das Kind kann als Hoffnungsträger für die gesamte Familie einen besonderen Platz einnehmen. Es wird in allen Fällen in eine familiäre Matrix hineingeboren, in der ihm eine Stelle zugewiesen wird. Dies zeigt sich beispielweise in der Namensgebung, die eine Verbindung zu Verwandten, häufig der vorgängigen Generation, herstellen kann. Immer ist das Kind für die Eltern und deren Familien Träger von Fantasien und Erwartungen, die seinen Entwicklungshorizont von Anfang an einfärben.

Doch die Veränderung der inneren und äußeren Welt der Eltern beginnt – sofern die Schwangerschaft bewusst wahrgenommen und erlebt wird – schon viel früher. Wie mittlerweile hinlänglich bekannt (vgl. im deutschen Sprachraum z. B. Klitzing et al. 1999), wird das ungeborene Kind zum Zentrum zahlreicher Fantasien, Projektionen und Wünsche seitens der werdenden Eltern. Es entwickelt sich so ein imaginäres Kind, welches für Mutter und Vater unterschiedlich sein kann. Solche elterlichen Projektionen müssen im Laufe der Schwangerschaft und nach der Geburt des realen Kindes angepasst werden. Manchmal gelingt dies jedoch nicht, z. B. weil das geborene Kind nicht den hohen narzisstischen Erwartungen entspricht und die Eltern keinen Trauerprozess wegen deren Nicht-Erfüllung durchlaufen wollen oder können.

Mit der Geburt eines Kindes wird aus dem Paar, aus der Dyade, eine Triade. Dass der für die gesunde Entwicklung des Kindes notwendige trianguläre Beziehungsraum entsteht, ist von der triadischen Kompetenz der Eltern abhängig (Grieser 2011). Diese kann anhand verschiedener Dimensionen erfasst und beschrieben werden: u. a. anhand der Flexibilität der elterlichen Vorstellungen vom Kind, der Fähigkeit, Dritte zuzulassen, und der Kohärenz elterlicher Narrative über die Erfahrungen mit den eigenen Eltern. Triangulierungskonflikte sind im Übergang zur Elternschaft ein häufiges Phänomen.

Bei genügender Flexibilität und Reflexivität der Eltern können die Interaktionen mit dem realen Kind als neue Erfahrungen in Form von Vorstellungen über das Kind und über sich selbst in Beziehung zum Kind verinnerlicht und vorhandene Fantasien teilweise ersetzt werden.

Die Geburt eines Kindes führt bei den Müttern zu einer psychischen Organisation, die Daniel Stern (2020) als »Mutterschaftskonstellation« bezeichnet hat; sie ist dadurch geprägt, dass eine Auseinandersetzung mit der eigenen Mutter, mit sich selbst und mit dem Säugling aktiviert wird, was eine weitere Triade entstehen lässt: Mutter der Mutter – Mutter – Baby. Dabei beeinflussen die frühen Bemutterungserfahrungen und die alten Beziehungsschemata bezüglich der eigenen Mutter die Gefühle und die Beziehung zum eigenen Kind deutlich. Analog zu den Müttern finden wir auch bei den Vätern eine spezifische »Vaterschaftskonstellation«, für beide Geschlechter stellt der Übergang zur Elternschaft immer eine normative Krise dar, die mit innerpsychischen Veränderungen einhergeht (Garstick 2013).

Die Auseinandersetzung mit der Elternschaft braucht seitens der Eltern Lust und Interesse im Hinblick auf ihre neue Rolle und die Fähigkeit, sich zum einen mit eigenen Gefühlen, Gedanken und Fantasien auseinanderzusetzen, zum zweiten mögliche Empfindungen, Gedanken und Fantasien anderer Menschen wahr- und anzunehmen und zum dritten Verknüpfungen zwischen eigenem Befinden und Verhalten und dem Befinden und Verhalten der anderen herzustellen. Dies ist die Fähigkeit zu mentalisieren, und diese stellt eine zentrale Voraussetzung für die gelingende Entwicklung eines Kindes dar.

2.2


Die Entwicklung eines Kindes kann nicht unabhängig von der elterlichen Fürsorge, die es erfährt, und dem zwischenmenschlichen Kontext, in dem es aufwächst, verstanden werden. Dabei ist die Feinfühligkeit der Eltern als ein Aspekt elterlicher Fürsorge im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung in den letzten Jahrzehnten besonders eingehend untersucht worden. Feinfühligkeit wurde ursprünglich als genaue, prompte und kontingente Reaktion auf affektive Signale des Kindes definiert. Nach der Bindungstheorie ist die Feinfühligkeit der Mutter die Grundlage, auf der sich die soziale, emotionale, kognitive und symbolische Entwicklung des Kindes entfaltet (Bowlby 2021; Ainsworth et al. 1978).

Angesichts der Auswirkungen der Sensibilität der primären Bezugspersonen auf die kindliche Entwicklung ist es wichtig, Risikofaktoren im Hinblick auf eine gelingende Entwicklung zu ermitteln. Ein niedriger sozialer Status, ein schlechter physischer Gesundheitszustand und ein Mangel an familiärer Unterstützung stehen aufseiten der Eltern nachweislich in Zusammenhang mit einer eingeschränkten Sensibilität (Agnafors et al. 2019). Auch psychische Gesundheitsprobleme und Widrigkeiten können eine sensible Elternschaft untergraben. Wenn das Stressniveau hoch und die Wahrnehmung der eigenen elterlichen Fähigkeiten begrenzt ist, sind Eltern möglicherweise nicht in der Lage, die kindbezogenen Emotionen bei sich so zu aktivieren, dass eine angemessene Betreuung möglich ist (Booth et al. 2019). In solchen Situationen ist ein frühzeitiges Erkennen der Probleme und ein Bereitstellen von alternativen Bezugspersonen, die den Kindern sichere Bindungserfahrungen ermöglichen können, als prioritär zu betrachten.

2.3


Was Elternschaft – als Teil der erwachsenen Identität – konkret in einer Zeit und Kultur bedeutet, wird stets auch durch gesellschaftliche Veränderungen geprägt. Die medizinisch assistierte Fortpflanzung macht es z. B. seit einigen Jahrzehnten möglich, dass Paare mit Fruchtbarkeitsproblemen sowie gleichgeschlechtliche Paare ihren Wunsch nach Generativität in Form von Fortpflanzung und Elternschaft realisieren können. Dies hat dazu geführt, dass bestehende Vorstellungen bezüglich biologischer und sozialer Elternschaft und der Einfluss dieser Vorstellungen auf die Konstruktion von Familienbildern, insbesondere aber auf die Identitätsentwürfe betroffener Kinder, vermehrt in den Fokus gerückt sind und kontrovers diskutiert werden.

Die zusätzliche Sensibilisierung für sozioökologische und kulturelle Aspekte und die Vielfalt an Beziehungskonstellationen im Zusammenhang mit der Elternschaft haben ebenfalls zu konzeptuellen Neukalibrierungen und notwendigen Reflexionsprozessen in der Praxis geführt. Das westliche WEIRD-Modell (WEIRD für: Western, Educated, Industrialized, Rich, Democratic; Henrich 2020), das die Bedeutung der Dyade von Mutter und Kind sowie der Reflexion betont, kann nicht als allgemeingültig bezeichnet werden, denn in vielen Kulturen weltweit überwiegen sogenannte multiple Fürsorgesysteme, in denen Mütter weder die einzigen noch die primären Bezugspersonen ihrer Kinder sind (Diez Grieser & Müller 2024, S. 30 f.). Geht es um die Begleitung und Behandlung von Familien aus anderen Kulturkreisen (Keller 2022), dann ist entsprechend eine kultursensible und -informierte Haltung eine wichtige Voraussetzung für gelingende Prozesse der Zusammenarbeit mit diesen Eltern.

Es ist davon auszugehen, dass in unserer Gesellschaft die Elternschaft für die Mehrheit der Erwachsenen eine bewusste Entscheidung darstellt und die Beziehung zu den Kindern emotionale Bedürfnisse abdecken und persönliche Entwicklung ermöglichen soll. Die Bedeutung der Kindheit hat sich im Laufe der letzten 100 Jahre in Europa stark gewandelt, weshalb die Elternschaft anders verstanden und gelebt wird. Der Fokus liegt auf dem Aufbau einer sicheren Bindungsbeziehung in der frühen Kindheit und einer bis zum frühen Erwachsenenalter beständigen Begleitung und Unterstützung der Kinder, damit diese zu gesunden und autonomen Menschen heranwachsen können, die in der Lage sind, gesellschaftliche Prozesse mitzugestalten. In den verschiedenen Phasen der kindlichen Entwicklung ergeben sich deshalb entsprechend den jeweiligen kindlichen Bedürfnissen und Ressourcen spezifische elterliche Entwicklungsaufgaben (siehe Tab. 1).

Tab. 1: Elterliche Aufgaben im Verlauf der kindlichen Entwicklung

Kindliche Entwicklungsphasen

Entwicklungsaufgaben der Eltern

Säuglingsalter

Versorgung, Schutz, Bindung

Kleinkindalter

Emotionale Entwicklung fördern

Selbständigkeit unterstützen, Erforschung der Welt ermöglichen, Begrenzungen

Vorschulalter

Mentalisierend in die magische Denkweise der Kinder eintauchen, die Welt erklären, sich als Identifikationsfigur zur Verfügung stellen

Schulalter

Orientierungspunkt sein, Werte und...


Diez Grieser, Maria Teresa
Maria Teresa Diez Grieser, Dr. phil., Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Psychoanalytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin EFPP. Nach langjähriger Tätigkeit im klinischen Bereich und in der Präventionsforschung ist sie als psychoanalytische Psychotherapeutin und Supervisorin in eigener Praxis in Zürich tätig. Seit 2016 leitet sie den Forschungsbereich und die Angebotsentwicklung in den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten St. Gallen.

Maria Teresa Diez Grieser, Dr. phil., Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Psychoanalytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin EFPP. Nach langjähriger Tätigkeit im klinischen Bereich und in der Präventionsforschung ist sie als psychoanalytische Psychotherapeutin und Supervisorin in eigener Praxis in Zürich tätig. Seit 2016 leitet sie den Forschungsbereich und die Angebotsentwicklung in den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten St. Gallen.



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