Buch, Deutsch, 180 Seiten, KART, Format (B × H): 170 mm x 240 mm, Gewicht: 470 g
Ergebnisse und Perpektiven zur Sprachentwicklung türkischer Kinder mit CI.
Buch, Deutsch, 180 Seiten, KART, Format (B × H): 170 mm x 240 mm, Gewicht: 470 g
ISBN: 978-3-941146-30-3
Verlag: Median-Verlag von Killisch-Horn GmbH
'Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.'
- Ludwig Wittgenstein
Spracherwerb gehört zu den zentralen Themen bei der Förderung von
Kindern mit einer Hörschädigung. Für hörgeschädigte Kinder mit türkischem
Migrationshintergrund stellt sich aufgrund gehäuft auftretender Schwierigkeiten die
Aufgabe einer angemessenen Sprachförderung in besonderer Weise.
Die vorliegende Publikation befasst sich mit der Frage, wie Spracherwerbsprozesse
von Kindern mit Migrationshintergrund und einer Hörschädigung in der Erst-/
Familiensprache und in der Zweitsprache verlaufen können und von welchen
sprachlichen und außersprachlichen Faktoren sie abhängig zu sein scheinen.
Auf der Basis der Ergebnisse einer Pilotstudie werden Verläufe des
Spracherwerbsprozesses hörender und hörgeschädigter deutscher Kinder mit
denen hörender und hörgeschädigter Kinder mit türkischem Migrationshintergrund
vergleichend dargestellt und interpretierend ausgewertet.
Die Ergebnisse zeigen auf, wie sehr der kindliche Spracherwerb – gerade in den
ersten Lebensjahren des Kindes – multifaktoriellen Bedingungen ausgesetzt ist.
Insbesondere soziokulturelle Faktoren, unter denen die Kinder aufwachsen, sowie
das Bildungsniveau der Eltern beeinflussten die sprachliche Entwicklung und
Bildungssozialisation der untersuchten Kinder.
Auf der Grundlage der interpretierten Daten werden mögliche Wege aufgezeigt,
wie der Spracherwerb nicht nur von zweisprachig hörgeschädigten Kindern besser
unterstützt werden könnte.
Das Buch richtet sich an alle pädagogischen Fachkräfte, die Familien und
hörgeschädigte Kinder mit einem Migrationshintergrund begleiten. Aber auch an
diejenigen, die sich mit Fragen einer bilingualen Erziehung hörender Kinder mit
türkischem Migrationshintergrund beschäftigen.
Zielgruppe
Schwerhörigenpädagogen, Kliniken, Hörgeräteakustiker
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Inhalt
Inhaltsverzeichnis 3
Vorwort 7
Dank 9
Einleitung 11
1 Menschen mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland (MtMD) 14
1.1 Sozio-ökonomische Lage und Bildung 14
1.2 Wertevorstellungen im Islam 16
1.3 Krankheit und Behinderung im Islam 18
1.4 Zur Sprachsituation von Türken in Deutschland 21
2 Kinder mit einer Hörschädigung 24
3 Zweisprachigkeit 28
3.1 Erwerbstypen im Zweitspracherwerb 28
3.2 Einflussfaktoren auf den Prozess des Zweitspracherwerbs 30
3.2.1 Biologische und kognitive Faktoren 32
3.2.2 Sprachliche Faktoren 33
3.2.3 Soziale Faktoren 35
3.2.4 Kommunikative und pädagogische Faktoren 41
3.2.5 Sozialpsychologische Einflussfaktoren 42
3.3 Frühe sukzessive Zweisprachigkeit 43
3.3.1 Prosodie und Lautentwicklung in der L2 43
3.3.2 Wortschatzentwicklung in der L2 44
3.3.3 Phasen der Bedeutungsentwicklung im Wortschatzerwerb 45
3.3.4 Schritte im Morphologie- und Syntaxerwerb 46
3.4 Spracherwerb von Kindern mit türkischem Migrationshintergrund 48
3.4.1 Meilensteine im L1-Erwerb hörender türkischer Kinder 48
3.4.2 Spracherwerb hörender türkischer Kinder in der L2 50
3.4.3 Zum Spracherwerb türkischer Kinder mit Cochlea-Implantat (CI) 51
4 Forschungsprojekt 54
4.1 Untersuchungspopulation 54
4.2 Methoden und Design 56
4.2.1 Qualitative Verfahren: Problemzentrierte Interviews 57
4.2.2 Quantitative Instrumente der Untersuchung 58
5 Ergebnisse 60
5.1 Familien-, Wohn- und Bildungssituation 60
5.1.1 Sprachkompetenz der türkischen Eltern 61
5.1.2 Bildungsziele und Erziehungsverhalten 64
5.1.3 Aufgabenverteilung in der Familie 65
5.1.4 Coping 67
5.1.5 Gesprächsanlässe in den Familien 71
5.1.6 Nutzung von Medien 72
5.1.7 Sprachvoraussetzungen, Sprachtrennung und Sprachmischung 75
in Familien mit türkischem Migrationshintergrund
5.1.8 Pädagogisch-therapeutisches Umfeld 77
5.2 Allgemeine Entwicklung 79
5.3 Sprachentwicklung 84
5.3.1 Phonologie 84
5.3.2 Lexikon 86
5.3.2.1 Nomen 87
5.3.2.2 Funktionswörter 88
5.3.2.3 Verben 90
5.3.2.4 Rezeptiver türkischer Wortschatz 94
5.3.3 Morphologie 96
5.3.3.1 Verbmorphologie 96
5.3.3.2 Genuszuordnung im Deutschen 99
5.3.3.3 Kasusflexion 100
5.3.3.4 Pluralmarkierungen 104
5.3.4 Satzverständnis 106
5.3.5 Satzproduktion 110
5.3.6 Erzählkompetenz 118
5.3.7 Phonologisches Arbeitsgedächtnis und Gedächtnisspanne 119
für Wortfolgen
5.3.8 Entwicklung des Satzgedächtnisses 121
5.3.9 Zur Bedeutung der Sprache für das Kind 124
5.4 Diskussion der Ergebnisse 126
5.4.1 Gesamtentwicklung der Kinder 127
5.4.2 Phonologische Entwicklung 129
5.4.3 Bilinguale Wortschatzentwicklung 130
5.4.4 Beobachtungen zur bilingualen Morphologie 134
5.4.5 Entwicklung des Satzverständnisses 139
5.4.6 Entwicklung der Satzproduktion 141
5.4.7 Aufgabenbewältigung beim Erzählen der Geschichte 142
5.4.8 Aussagen zum Satzgedächtnis 143
5.4.9 Aspekte zum phonologischen Arbeitsgedächtnis und 146
der Gedächtnisspanne
5.4.10 Zusammenhänge zwischen Sprachumfeld und Sprachentwicklung 146
6 Zusammenfassender Überblick 149
6.1 Kommunikative und außersprachliche Einflussfaktoren 152
7 Wege für die Praxis 155
7.1 Verständnis der Situation von Familien mit türkischem 155
Migrationshintergrund
7.2 Unterstützung von Familien mit türkischem Migrationshintergrund 158
7.3 Zweisprachige Diagnostik und Förderung 162
7.4 Verbesserung der Professionalität 165
8 Grenzen überwinden: Kleine Schritte – große Wirkung? 168
9 Literatur 171
10 Abbildungsverzeichnis 178
11 Tabellenverzeichnis 179
Vorwort
Die vorliegende Publikation wendet sich einem bisher in der Spracherwerbsforschung völlig vernachlässigten Thema zu, nämlich der Frage, wie der Spracherwerbsprozess von Kindern mit Migrationshintergrund und einer Hörschädigung in der Erst-/Familiensprache und in der Zweitsprache vonstatten geht.
Hierbei kommen die Autoren zu sehr bemerkenswerten Ergebnissen, die Anlass geben sollten, das bisher vorliegende Wissen zum Spracherwerbsprozess von Kindern mit Migrationshintergrund durch weitere empirische Studien zu vertiefen, da im deutschsprachigen Raum Untersuchungen zu diesem Aspekt rar gesät sind, aber die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund, die potenziell zwei-/mehrsprachig aufwachsen, stetig ansteigt.
Ich möchte an dieser Stelle die Untersuchungsergebnisse nicht vorwegnehmen, sondern erlaube mir im Folgenden, auf einige zentrale Befunde zu fokussieren.
Zuallererst zeigt die Studie auf, wie sehr der kindliche Spracherwerb – gerade in den Anfangsjahren – multifaktoriellen Bedingungen ausgesetzt ist. Das bedeutet, bei Kindern mit Migrationshintergrund, stärker als bisher, neben der Analyse biologischer und kognitiver Gründe,
insbesondere auch auf soziokulturelle Faktoren, unter denen die Kinder aufwachsen, zu fokussieren. Damit wird deutlich, wie sehr die niedrige soziale Schichtzugehörigkeit und die Bildungsdefizite der untersuchten türkischstämmigen Eltern sich negativ auf die sprachliche Entwicklung und Bildungssozialisation ihrer Kinder auswirken.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Untersuchung besteht darin, die Rolle der Erst-/Familiensprache beim Erwerbsprozess der Zweitsprache Deutsch nachzuzeichnen. In Zeiten, in denen in unzähligen Kindergärten und Grundschulen Eltern mit Migrationshintergrund der gut gemeinte Ratschlag erteilt wird, mit ihrem Kind viel und nur Deutsch zu kommunizieren, belegt die Studie, dass dieser Ratschlag für viele Betroffene kontraproduktiv sein kann. Denn bei den im Rahmen der Studie untersuchten Kindern – mit oder ohne Hörschädigung – offenbarte sich die determinierende Rolle der Erstsprache für den kindlichen Zweitspracherwerb oder anders formuliert: Kinder mit einem altersangemessenen Niveau in der Erstsprache – und insbesondere auch diejenigen mit Hörschädigung – erwarben, im Vergleich zu Kindern mit einem niedrigen Niveau in der Erst-/Familiensprache, schneller und differenzierter Strukturen der deutschen Sprache, insbesondere in den Bereichen Verbkomplex, Morphologie sowie Syntax und Satzverständnis. Insofern sollten Eltern mit Migrationshintergrund stärker als bisher darin bestärkt werden, zeitlich intensiver und sprachlich differenzierter mit ihren Kindern zu kommunizieren, um damit den Zweitspracherwerbsprozess positiv zu unterstützen.
Darüber hinaus offenbaren die Untersuchungsergebnisse ein Desiderat, dass nämlich in Deutschland nach wie vor keine Instrumente zur Erhebung des Sprachstandes von zwei-/mehrsprachigen Kindern existieren und die Modifikation von bereits bestehenden Sprachstands-erhebungsverfahren im Hinblick auf diese Zielgruppe eine nicht hinnehmbare Situation darstellt, allein schon aus Gründen erforderlicher Testgüte. Insofern kann die Studie auch als Aufforderung zur Entwicklung entsprechender Verfahren gelesen werden.
Die Frage einer zielgruppenspezifischen Sprachdiagnostik ist eng verknüpft mit Fragen der angemessenen beruflichen Qualifikation der in diesem Feld Tätigen. Hier mahnt die Studie die längst überfällige pädagogische (Weiter-)Qualifizierung derjenigen Berufsgruppen an, die mit gehandicapten Kindern und Familien mit Migrationshintergrund arbeiten. Es wird deutlich, dass sie ohne entsprechendes Expertenwissen immer der latenten Gefahr ausgesetzt sind, den Sprachentwicklungsstand ungenau oder gar fehlerhaft zu diagnostizieren, was sich entscheidend auf die Therapieerfolge auswirken kann.
Ich wünsche der vorliegenden Publikation viele interessierte Leserinnen und Leser, insbesondere aus dem Kreis der Ausbilder/innen und bildungspolitischen Entscheidungsträger/innen und hoffe, dass auch sie nach der Lektüre zu der Einsicht kommen, dass dringender Handlungsbedarf in diesen Themenfeldern besteht, soll der Anspruch, inklusive Bildung für alle Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen, aufrichtig gemeint sein. Wie die einzelnen Realisierungsschritte aussehen können, zeigt die vorliegende Publikation eindrucksvoll auf.
Havva Engin
Heidelberg, im Dezember 2012