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Engels Bullerbü brennt

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96130-397-7
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

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ISBN: 978-3-96130-397-7
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Jan ist in den Vierzigern. Jan hat eine Frau und zwei Kinder. Während sein Leben passiert, schreibt er Mails an Murphy, den es nicht gibt. Er erinnert sich an sein früheres Ich und betrachtet sein jetziges. Er blickt auf die verschiedenen Episoden seiner Beziehung zurück und auf das, was früher alles vor ihnen lag. Irgendwie hatte er feststellen müssen, dass Leben nicht ist wie in schwedischen Kinderbüchern. Jan bleibt zu Hause, während Sonja arbeitet. Er hat Zeit. Viel Zeit. Und er hat Fragen, sehr viele Fragen. Warum zum Beispiel geht alles schief, was schiefgehen kann? Aber geht denn wirklich alles schief? Ist da nicht viel Gutes in diesem 'Vater, Mutter, Kinder'? Ist eventuell Astrid Lindgren an allem schuld? Sind denn zwei schon zu viel, um glücklich zu sein? Und wird am Ende wirklich alles gut, weil es sonst nicht das Ende wäre, wie ein dummer Postkartenspruch sagt? Beobachten wir Jan und Sonja, die vor Langem beschlossen haben, sich zu lieben.

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5 LOVE IS THE KEY
    Aber sicher ist es besser, wenn wir der Reihe nach vorgehen. Also nehmen wir an, Jan sei das erste Mal am Meer gewesen, während Sonja dort jeden Stein kannte, da sie jeden Sommer mit ihren Eltern dort gewesen war. Setzen wir mal voraus, Jan könne nicht gut schwimmen und Sonja mache sich nicht viel aus Radfahren, weshalb sie viel spazieren gingen. Hier sind sie, Hand in Hand und jung, an irgendeinem kleinen Ort an der deutschen Küste. Wenn das hier ein Film wäre, dann müsste man sich nun als perfekte Hintergrundmusik wohl irgendeinen amtlichen Pop-Song von einer gewissen sommerlichen Leichtigkeit dazu denken; nicht zu seicht und nicht zu anspruchsvoll.   Sonja hat erst seit kurzem den Führerschein und mit ihrem Kindergeld den alten R4 mit Revolverschaltung bei ihrem Vater abgestottert. Sie sind jetzt ein halbes Jahr zusammen, und die Schulzeit ist vorbei. Nach dem Abi wollte Sonja eigentlich Chemie studieren, aber der Umstand, dass sie auf einem Auge nur geringe Sehkraft hat, stand dem im Wege. Sie hat das erst seit kurzem verarbeitet und sieht nun ihrer stattdessen eilig gewählten Ausbildung neutral entgegen. Jan wird nach dem Urlaub seinen Zivildienst antreten. Beide gelten als ruhig und vernünftig, als reif für ihr Alter. Sie sind keine Partygänger und hängen nicht rum. In der Schule sind sie nicht die Besten, aber auch nicht renitent oder faul. Sie haben Fichtes dialektischen Dreischritt gelernt. These – Antithese – Synthese, haben gelernt, dass alles relativ ist und am Standpunkt des Betrachters hängt. »Lass uns wegfahren!«, sagt Sonja, und Jan sagt: »Okay!« Jan ist erst ein Mal, vor Jahren, mit seinen Eltern weggefahren, an die Mosel, ansonsten hat es keinen Urlaub gegeben. Ganz wie sie es von ihrem Vater kennt, setzt sich Sonja eines Mittags mit dem Autoatlas hin und plant die Strecke. Sie bevorzugt Landstraßen, ohnehin hätte es keine sinnvolle Autobahnverbindung ans Meer gegeben. Jan beugt sich mit ihr über die Karten, ohne je gelernt zu haben, diese zu lesen. Er hat keine gute Orientierung, ist nie viel herum gekommen. Selbst in seiner Umgebung kann es vorkommen, dass er Orte nicht kennt. So wie den Ort, an dem er jetzt sein Abitur gemacht hat. Nach einer kurzen Zeit an einer Kunstschule, die er selbst beendet hatte, hatte es nur wenige Gymnasien gegeben, die ihn mitten im Jahr aufnehmen wollten. Er fand allerdings mit seinen Eltern ein Aufbaugymnasium in U., das dazu bereit gewesen war. Er war nie zuvor in U. gewesen, obwohl es nur 12 Kilometer entfernt liegt. Da keine andere Wahl blieb, war er also Schüler in U. geworden. Eigentlich fühlte er sich zu dieser Zeit das erste Mal als vollwertiger Schüler, da er jetzt mit dem Bus zur Schule fuhr, während vorher alle seine Schulen so nah an seinem Zuhause gelegen hatten, dass er laufen konnte. Nach der Abifeier machen sie sich auf den Weg. Jan ist ein guter Beifahrer. Er steckt Sonja Bonbons in den Mund, reicht ihr zu trinken, ohne, dass sie das Steuer loslassen muss. Er macht das Fenster auf und wieder zu. Er vergleicht Sonjas markierte Route mit den Schildern am Straßenrand. Schon im Münsterland läuft der Motor heiß, und sie halten an einer Tankstelle mit kleiner KFZ-Werkstatt. Für 20 Mark müssen sie ein Kabel an der Lüftung überbrücken lassen. Danach will Sonja erst nicht weiter, aber sie beschließen, doch zu fahren, den Wagen aber an der Ferienwohnung stehen zu lassen. Sie haben ein Appartement bei Privatleuten gefunden. Sonja hasst Camping, sie hat alle Sommerwochenenden mit ihren Eltern im Wohnwagen an einem See in der Nähe ihres Heimatortes verbracht. Jan hat keine Ahnung von so etwas und eine Hemmung, wildfremde Leute anzurufen, also kümmert sich Sonja darum. Da es noch zu früh ist, um die Wohnung zu beziehen, fahren sie erst ans Meer. Sie parkt den Wagen hinter dem Deich, auf dem Parkplatz des Schwimmbades, und öffnet die Türen. Es ist ein Schreck, fast ein Schock für Jan. Er ist Stadt, Land und Fluss gewohnt. Einige Sekunden vergehen, ehe er bemerkt, was es ist. Die Stille. Kein Straßenlärm, keine noch so entfernte Baustelle, nichts. Nur Ruhe und ganz leicht, hinter dem Deich, ein Rauschen, Raunen. Als müssten sich die Ohren daran gewöhnen wie die Augen an die Dunkelheit, konnte er plötzlich doch Stimmen hören und Wind. Sie steigen aus. Der Deich ein sattgrüner Balken, leicht schräg abfallend, der makellos blaue Himmel ein straff gespanntes Laken dahinter. Das Meer liegt ruhig da und voll. Es ist groß, weit hinten Schiffe, die sich an die Geräuschlosigkeit halten. Sie ziehen die Schuhe aus. Andere Dimensionen. Was man als Ziel ins Auge fasst und abschätzt, liegt plötzlich weiter entfernt, als man dachte. Sie sehen die äußere Spitze der Insel, die dem Festland gegenüberliegt, und beschließen stumm, parallel zu ihr dort hin zu laufen, aber sie erreichen sie nicht. Noch erwartet Jan kleine Störfälle, wie zu Hause. Dinge, die sie daran hindern, einfach nur hier zu sein und zu gehen, wohin sie gehen wollen. Anfechtungen, Ablenkungen, Notwendigkeiten. Wie er es gewohnt ist, vermutet er ein Omen in der toten Möwe, die böse zerzaust und gefleddert im Sand liegt. Er sieht zu Sonja, vermutet Trauer oder Ekel, aber sie meint nur: »Muss doch so sein.« Sie stehen am Meerwasser-Schwimmbad und schauen durch die Panoramascheibe den Schwimmern zu, beäugen junge Eltern mit Bollerwagen. Jan will plain air malen, er hat einen billigen Farbkasten dabei und hockt sich in den Sand. Während sie aus Muscheln Muster legt, malt er einen dicken blauen Streifen über die untere Hälfte des Blattes und einen helleren auf die Obere, fertig ist das Seestück. Er macht zehn davon in einer Stunde. »Schau mal hier, erklär mir mal diese Pflanze!«, fordert Sonja. Jan hat keine Ahnung, er vermutet Sanddorn, spricht von Vitamin C und Nationalgemüse der Gegend. Sonja lacht laut, rennt voraus und ruft: »Das ist wilder Rhabarber, du Blödmann!« Jan geht das erste Mal richtig essen. Als Kind ist er ab und zu mit den Eltern beim Chinesen in der Kreisstadt gewesen. Sie gehen in die Pizzeria in der Hauptstraße. Sie trinken eigentlich keinen Alkohol, aber zum gemeinsamen Essen, allein, mit Kerzen, passt ein Wein nun einmal irgendwie besser als Cola oder Wasser. Sie trinken einen Lambrusco spumante als wäre es alter Bordeaux. Er lobt den Wein kennerhaft, immer, wenn sich eine Gesprächspause einstellt. Abends unter der Bettdecke üben sie das Schalten mit der Knüppelschaltung. Von ihrer Ferienwohnung im Ort bis ans Meer sind es gut vier Kilometer. Sie könnten den Bus nehmen, aber es gibt einen Weg über den Deich, den Sonja kennt. Entlang an einem Schleusenwerk mit Kanal. Jan muss das alles erst lernen wie eine Fremdsprache. Priel und Siel und Marsch und Geest. Bei Wind ist das ein ganz schönes Stück Weg, aber alle paar Hundert Meter steht eine Bank. Über diesen Weg kommt man da an den Strand, wo das furchtbare Riesenhotel steht. Nie im Leben, sagen sie, würden sie dort wohnen wollen. Sie schauen sich am Anleger für die Fährschiffe um. Es nieselt leicht. Sie haben im Supermarkt einen billigen Schirm gekauft, auf dem Moin Moin steht, mit einem Herzchen daneben. Schiffe kommen an und legen ab. Busse kommen, Menschen steigen ein und aus. Busse fahren ab. Saisonarbeiter aus der ehemaligen DDR mit mühselig gezüchteten Friesenbärten betreiben den Kutschbetrieb, das Buddelschiff-Museum hat Ruhetag. Die Fischbratbude direkt am Meer bietet Schutz vor dem Regen. Trotzig essen sie wenigstens im überdachten Außenbereich. Sonja favorisiert Räucherfisch, zu dem Jan sich noch nicht durchringen kann, sie haben zu Hause nie viel Fisch gegessen. Er hält sich an ein Brötchen mit Fischfrikadelle. Die Möwen kommen auf die leeren Tische geflogen und suchen Reste. Jan trinkt ein herbes Bier, es ist gegen Mittag. Er findet, das gehört sich so, im Urlaub. Der Bart, den er sich aus den gleichen Gründen hat wachsen lassen wollen, will nicht so richtig. Zurück an der Bushaltestelle, sehen sie einen aufgeregt wirkenden älteren Herrn, der fortlaufend auf seine Armbanduhr schaut. Sie beobachten ihn, eng aneinander geschmiegt unter ihrem Schirm. Ein Bus fährt ein, Menschen steigen aus. Eine ältere Frau ist dabei, erst Ausschau haltend, dann lächelnd. Der Mann geht zu ihr, sie kommt unter seinen Schirm, er reicht ihr den Arm, und sie gehen nicht weit an Sonja und Jan vorbei. Das ältere Pärchen spricht leise miteinander, der Herr sieht verschwörerisch zu den beiden hinüber und sagt lächelnd im Vorbeigehen: »´Ich stehe im Regen und warte auf dich´, das war mal ein alter Schlager.« Er hebt kurz den Schirm, wie zum Gruß, und beide gehen in Richtung Hafen davon. »Auf den Inseln scheint schon die Sonne!«, sagt Sonja, und tatsächlich wird der Nachmittag klar. Sonja und Jan kommen an, nehmen die Gegend langsam in Besitz, wie alle anderen hier, aber jeder für sich. Es gibt keine Besitzansprüche, die Einheimischen halten sich zurück, sie wissen, in den langen Wintermonaten werden sie hier fast allein sein, werden aufatmen, aber sich auch wieder auf die Einnahmen des Sommers freuen. Ein fairer Handel. Diese Gegend ist stillschweigend Jans und Sonjas Gegend geworden. Eine Gegend, in der irgendwie keine Großstadt denkbar ist. Ereignislosigkeit, wohltuendes Nichts-Verpassen-Können. Keine Pflichtprogramme, dafür Berechenbarkeiten. Eine Gegend, im Sommer ganz auf Familien mit Kindern ausgerichtet, im Herbst dann auf Rentner. Diese Welt mit wildem Rhabarber und Sanddorn, aber ohne Eltern. Kalender...



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