Erdene, Sengijn
Sengijn Erdene
ist einer der bedeutendsten mongolischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er wurde 1929 in der Familie eines burjatischen Viehzüchters geboren, der wenige Jahre zuvor aus der Burjatischen ASSR in die Mongolei emigriert war. Dort erlebte Erdene als Kind die Schrecken der stalinistischen „Säuberung“, der auch sein Vater zum Opfer fiel. Nach Abschluss der Schule studierte er Medizin und arbeitete mehrere Jahre als Psychiater, bevor er sich ganz dem literarischen Schaffen widmete.
Erdenes frühe Gedichte waren wenig spektakulär. Doch als er – noch ganz unter dem Eindruck seiner Arbeit mit psychisch kranken Menschen – anfing zu beschreiben, wie die Menschen seiner Zeit auf Probleme des mongolischen Alltags reagierten, hatte er sein Metier gefunden. In einer Zeit ideologischer Zwänge, die wenig Raum für Kreativität zuließen, begeisterte er die mongolischen Leser mit sensiblen, lebensnahen Geschichten, und bald umgab ihn der Nimbus eines „Meisters der psychologischen Novelle“.
Sein Menschenbild beruht auf dem Ideal des kreativen, nach Selbstverwirklichung strebenden Menschen, der die bestehende Gesellschaft trotz ihrer Widersprüche bejaht. Viele seiner Erzählungen und Romane haben einen autobiografischen Hintergrund. Immer wieder führt er den Leser in die malerische Landschaft seines Heimattals im Chentij-Gebirge, wo er die ersten glücklichen Jahre seiner Kindheit verbrachte, wo er als Sechsjähriger die – allerdings bald wieder abgebrochene – Laufbahn eines Lamas einschlug, wo er mit seinen Freunden in dem verfallenden Serüün-Tempel spielte und wo er Abschied nehmen musste von seinem Vater, der als „Konterrevolutionär“ hingerichtet wurde. Die traumatisch überschatteten Bilder seiner Kindheit verfolgten den Schriftsteller sein Leben lang. Doch musste er sich viele Jahre mit Andeutungen begnügen („Das Ende des Serüün-Tempels“, Erzählung, 1980; „Der Lebenskreis“, Roman, 1983); es war nicht ungefährlich, am Lack der doktrinären Gesellschaft zu kratzen, die sich als gerecht und allein seligmachend darstellte.
Erst unter dem Einfluss der sowjetischen Glasnost-Bewegung kam es in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre auch in der Mongolischen Volksrepublik (MVR) zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit den fünf Jahrzehnte lang totgeschwiegenen Verbrechen gegen Lamas und Angehörige der burjatischen Minderheit. Erdene schreibt seinen Roman „Wir treffen uns in unserem nächsten Leben wieder“ (1993), dem er den Untertitel „Eine Tragödie“ beifügt. In dem Essay „Schwarze Schwäne“ (1997) schreibt er wohl zum ersten Mal ohne künstlerische Verfremdung und voller Trauer von den Ereignissen um das Jahr 1937 und der Ermordung seines Vaters – ein ergreifender Bericht über das Schicksal einer burjatischen Familie und eine seiner letzten Veröffentlichungen vor seinem Tode im Jahre 2000.
Erdenes Erzählungen, Romane und Essays wurden in viele Sprachen übersetzt und zum Teil verfilmt. In deutscher Sprache erschien der Band „Sonnenkraniche“ (Erzählungen; Verlag Volk und Welt, 1979). Diesem wurde die Erzählung „Die Frau des Jägers“ entnommen, die hier in einer überarbeiteten Fassung vorgestellt wird. "Das Ende des Serüün-Tempels“ erscheint zum ersten Mal in deutscher Sprache.
Bauwe, Renate
Die Übersetzerin Renate Bauwe ist promovierte Mongolistin. Sie lehrte drei Jahrzehnte an der Berliner Humboldt-Universität mongolische Sprache und Literatur. Daneben ist sie seit vielen Jahren als literarische Übersetzerin tätig. Mit dem 1976 beim Verlag Volk und Welt erschienenen Band "ERKUNDUNGEN - 20 mongolische Erzählungen" erschloss sie dem deutschsprachigen Leser eine bis dahin völlig unbekannte Literaturlandschaft.
Sengijn Erdene:
Sengijn Erdene
ist einer der bedeutendsten mongolischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er wurde 1929 in der Familie eines burjatischen Viehzüchters geboren, der wenige Jahre zuvor aus der Burjatischen ASSR in die Mongolei emigriert war. Dort erlebte Erdene als Kind die Schrecken der stalinistischen „Säuberung“, der auch sein Vater zum Opfer fiel. Nach Abschluss der Schule studierte er Medizin und arbeitete mehrere Jahre als Psychiater, bevor er sich ganz dem literarischen Schaffen widmete.
Erdenes frühe Gedichte waren wenig spektakulär. Doch als er – noch ganz unter dem Eindruck seiner Arbeit mit psychisch kranken Menschen – anfing zu beschreiben, wie die Menschen seiner Zeit auf Probleme des mongolischen Alltags reagierten, hatte er sein Metier gefunden. In einer Zeit ideologischer Zwänge, die wenig Raum für Kreativität zuließen, begeisterte er die mongolischen Leser mit sensiblen, lebensnahen Geschichten, und bald umgab ihn der Nimbus eines „Meisters der psychologischen Novelle“.
Sein Menschenbild beruht auf dem Ideal des kreativen, nach Selbstverwirklichung strebenden Menschen, der die bestehende Gesellschaft trotz ihrer Widersprüche bejaht. Viele seiner Erzählungen und Romane haben einen autobiografischen Hintergrund. Immer wieder führt er den Leser in die malerische Landschaft seines Heimattals im Chentij-Gebirge, wo er die ersten glücklichen Jahre seiner Kindheit verbrachte, wo er als Sechsjähriger die – allerdings bald wieder abgebrochene – Laufbahn eines Lamas einschlug, wo er mit seinen Freunden in dem verfallenden Serüün-Tempel spielte und wo er Abschied nehmen musste von seinem Vater, der als „Konterrevolutionär“ hingerichtet wurde. Die traumatisch überschatteten Bilder seiner Kindheit verfolgten den Schriftsteller sein Leben lang. Doch musste er sich viele Jahre mit Andeutungen begnügen („Das Ende des Serüün-Tempels“, Erzählung, 1980; „Der Lebenskreis“, Roman, 1983); es war nicht ungefährlich, am Lack der doktrinären Gesellschaft zu kratzen, die sich als gerecht und allein seligmachend darstellte.
Erst unter dem Einfluss der sowjetischen Glasnost-Bewegung kam es in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre auch in der Mongolischen Volksrepublik (MVR) zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit den fünf Jahrzehnte lang totgeschwiegenen Verbrechen gegen Lamas und Angehörige der burjatischen Minderheit. Erdene schreibt seinen Roman „Wir treffen uns in unserem nächsten Leben wieder“ (1993), dem er den Untertitel „Eine Tragödie“ beifügt. In dem Essay „Schwarze Schwäne“ (1997) schreibt er wohl zum ersten Mal ohne künstlerische Verfremdung und voller Trauer von den Ereignissen um das Jahr 1937 und der Ermordung seines Vaters – ein ergreifender Bericht über das Schicksal einer burjatischen Familie und eine seiner letzten Veröffentlichungen vor seinem Tode im Jahre 2000.
Erdenes Erzählungen, Romane und Essays wurden in viele Sprachen übersetzt und zum Teil verfilmt. In deutscher Sprache erschien der Band „Sonnenkraniche“ (Erzählungen; Verlag Volk und Welt, 1979). Diesem wurde die Erzählung „Die Frau des Jägers“ entnommen, die hier in einer überarbeiteten Fassung vorgestellt wird. "Das Ende des Serüün-Tempels“ erscheint zum ersten Mal in deutscher Sprache.
Renate Bauwe:
Die Übersetzerin Renate Bauwe ist promovierte Mongolistin. Sie lehrte drei Jahrzehnte an der Berliner Humboldt-Universität mongolische Sprache und Literatur. Daneben ist sie seit vielen Jahren als literarische Übersetzerin tätig. Mit dem 1976 beim Verlag Volk und Welt erschienenen Band "ERKUNDUNGEN - 20 mongolische Erzählungen" erschloss sie dem deutschsprachigen Leser eine bis dahin völlig unbekannte Literaturlandschaft.