Ermann / Huber | Träume und Träumen | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 114 Seiten

Ermann / Huber Träume und Träumen


3. aktualisierte Auflage 2020
ISBN: 978-3-17-035555-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 114 Seiten

ISBN: 978-3-17-035555-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Modern dream studies began when Sigmund Freud=s book ?The Interpretation of Dreams= was first published more than 100 years ago. For the first time in cultural history, dreams were regarded as individual creations arising from the life of the mind and became a way of exploring the unconscious. From then on, dream interpretation was a core element of psychoanalytically based psychotherapy. Originally based on purely psychological findings, it developed further to become a comprehensive dream science in which psychological and neuroscientific approaches meet. The author traces these developments. He takes different depth-psychological approaches into account and discusses findings from neuroscientific dream research. Finally, he explains the special features of the treatment using low-structured dreams, which occur in individuals with severe personality disorders and in a state of deep regression.

Prof. Michael Ermann is a psychoanalyst in Berlin and professor emeritus of psychotherapy and psychosomatics at Ludwig Maximilian University in Munich.
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2. Vorlesung
Zur Metapsychologie des Träumens und der Träume


Das dynamische Unbewusste


Das siebente Kapitel der Traumdeutung enthält den Kern der psychoanalytischen Metapsychologie, abgeleitet aus und angewandt auf Freuds Arbeit mit Träumen. Es ist der erste umfassende Entwurf einer Theorie des dynamischen Unbewussten.

Was verstehen wir unter dem »dynamischen Unbewussten«? Es ist das Unbewusste, das im Verlauf der persönlichen Lebensgeschichte durch Verdrängung erworben wird. Die Bezeichnung »dynamisch« deutet darauf hin, dass es durch den psychischen Prozess der Verdrängungsabwehr entsteht und nicht von vornherein vorhanden bzw. konstitutionell angelegt ist oder im genetischen Sinne vererbt wird. Die Grundlage der später verdrängten Erfahrungen mögen triebbedingt und damit biologisch determiniert sein; das Verdrängte jedoch ist stets aus Erfahrungen mit der Umwelt entstanden. Die Prozesse im dynamischen Unbewussten und die Beziehung zum Bewusstsein bilden den Kern der psychoanalytischen Theorie.

Das dynamische Unbewusste wird vom kollektiven Unbewussten, dem »objektiv Psychischen« abgegrenzt. Dieses beruht auf der Zugehörigkeit des Einzelnen zur Gattung Mensch, zur menschlichen Gesellschaft und zu bestimmten Kulturen und enthält allgemein menschliches Wissen über das Menschsein, seine Entwicklung und über die Gesetzmäßigkeiten des Lebens und des Sterbens. Dieses Wissen findet in Märchen, Mythen oder Archetypen Ausdruck, also in urtümlichen Geschichten und Bildern, die von Kulturen und vom Einzelnen überformt, aber nicht erschaffen werden. Es ist insbesondere die Analytische (komplexe) Psychologie, die sich in der Tradition von C. G. Jung18 mit dem kollektiven Unbewussten beschäftigt.

Die Psychoanalyse befasst sich heute aber nicht nur mit den Inhalten des Unbewussten, die durch Verdrängung entstehen. Durch die Schule von Melanie Klein haben genuine unbewusste Phantasien, die die Entwicklung als ursprünglich zum Seelenleben gehörende, niemals bewusste Inhalte der inneren Welt begleiten, in den letzten Jahrzehnten starkes Interesse gefunden. Es handelt sich um angeborene psychische Aktivitäten, welche die gesamte Entwicklung begleiten und durch Erfahrungen umgestaltet werden: Phantasien über Versorgung und Verschmelzung, Symbiose und Trennung, über Zeugung und Sterben. Das ist ein Wissen, das nicht direkt aus der Erfahrung stammt, sondern das als seelische Repräsentation der Triebe dem Individuum von Anfang seiner Existenz an innewohnt.19

Freuds Konzept des dynamischen Unbewussten ist eng mit dem der Verdrängung verknüpft. Verdrängt wird, was mit den Forderungen der äußeren Realität nicht vereinbart werden kann und unlösbare Konflikte schafft. Das sind insbesondere Triebregungen, die mit gesellschaftlichen Normen und Werten, mit Geboten der Erziehung oder mit liebevollen Einstellungen zu Beziehungspersonen, aber auch mit der Angst vor Strafe nicht in Einklang gebracht werden können. So werden die libidinösen Strebungen der kindlichen Wunschwelt zum bedeutendsten Inhalt des dynamischen Unbewussten.

Freud folgte einer Zeitströmung, als er sich Ende des 19. Jahrhunderts vornehmlich mit der unterdrückten Sexualität befasste. Um diese Zeitströmung zu beleuchten, sei daran erinnert, dass 1903 Otto Weiningers sexistisches und antifeministisches Buch »Geschlecht und Charakter«20 erschienen war, das völlig offen das gesamte sexologische Wissen seiner Zeit ausbreitete und Frauen als reine Geschlechtswesen charakterisierte. Freud ging noch einen Schritt weiter und sprach in seinen »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie«, die 1905 erschienen waren, sogar den Kindern eine infantile Sexualität zu. Die kindliche Wunschwelt, die verdrängt wird und den Kern des dynamischen Unbewussten ausmacht, ist demnach vor allem eine sexuelle.

Das Verdrängte und das Bewusste


Aus der Unvollkommenheit der Verdrängung der infantilen libidinösen Wunschwelt speist sich das Unvernünftige im menschlichen Wesen – z. B. Fehlleistungen, Neurosen und eben auch Träume. Solche Manifestationen des dynamischen Unbewussten treten zu Tage, wenn die Verdrängung nicht vollständig ist und Fehlleistung, neurotisches Symptom oder auch ein Traum als eben noch bewusstseinsfähiger Kompromiss zwischen Verdrängungsabwehr und verdrängten Inhalten im Bewusstsein erscheinen.

In der Traumdeutung geht es Freud vor allem um diese Erkenntnis. Er betont, dass das Verdrängte auch dann wirksam ist, wenn es an der Oberfläche des Bewusstseins gar nicht erkennbar wird. Deshalb stellt er das Buch auch unter das Motto Flectere si nequeo superos, acheronta movebo.

Dieses Motto stammt von Vergil und wird vom Rudolf Alexander Schröder so übersetzt: »Weigern’s die droben, so werde ich des Abgrunds Kräfte bewegen.« Etwas freier kann man auch übersetzen: »Wenn ich die höheren Kräfte (Götter) nicht bewegen kann, dann werde ich mich mit den Kräften der Unterwelt verbünden.«

Zum Verständnis dieses Mottos hilft die folgende Geschichte: Hera, die Göttermutter, war eine mächtige und wohl auch machtbesessene Frau. Sie hatte eine große Rivalin, die schöne Aphrodite, die vor allem bei den Männern Erfolg hatte. Sie hatte auch bei Jupiter, dem Göttervater und Gatten Heras, große Chancen. Weil Hera sie nun bekämpfte und ihr eine tiefe Verletzung zufügen wollte, gedachte sie ihren Sohn, den ebenfalls schönen und erfolgreichen Aeneas, zu töten und sie dadurch an ihrer verletzlichsten Stelle zu treffen. Doch Jupiter wusste dies zu verhindern. Er hatte andere Pläne. Für die Gründung Roms benötigte er Aeneas. Denn dieser sollte Lavina, die Tochter des larzischen Fürsten heiraten, was auch dem Wunsch des Aeneas entsprach. Dieser Plan brachte Hera in größte Schwierigkeiten und veranlasste sie, Unterstützung in der Unterwelt zu suchen. Sie rief also die Acheronten, die niederen Götter zu Hilfe. Die intriganteste unter allen war Alekto, die sich einschaltete, um das Einvernehmen zwischen Aeneas und Jupiter zu zerstören. Dazu waren ihr alle Mittel recht, und so stiftet sie Krieg in Lazium. Nun geschah das Unglaubliche: Die Heere zogen aus, die Menschen bekämpften sich und man vergaß die Heirat des Aeneas mit Lavina. Diese kam nie mehr zustande.

Mit der Wahl dieses Mottos betont Freud seine umwälzende Erkenntnis, »dass das Unterdrückte auch beim normalen Menschen fortbesteht und psychischer Leistungen fähig bleibt. Der Traum ist selbst eine der Äußerungen dieses Unterdrückten: »… Das seelisch Unterdrückte, welches im Wachleben … am inneren Ausdruck gehindert … wurde, findet im Nachtleben und unter der Herrschaft der Kompromissbildungen Mittel und Wege, sich dem Bewusstsein aufzudrängen.« Wenn es also nicht ausreicht, die bewussten Prozesse zu ergründen, so muss man sich mit den Kräften des Untergrundes, mit dem Unbewussten befassen.

Aber wie kann man diese ergründen? In diesem Zusammenhang steht der berühmte Satz: »Die Traumdeutung aber ist die Via regia zur Kenntnis des Unbewussten im Seelenleben.«21 Dieser Satz, millionenfach zitiert, ist einen klärenden Hinweis wert. Freud betont, dass die Via regia, der Königsweg, zur Kenntnis des Unbewussten führt und nicht, wie oft fälschlich angenommen zum Unbewussten bzw. in das Unbewusste hinein. Das ist ein erheblicher Unterschied. Denn zum Unbewussten selbst können wir keinen Zugang bekommen, weil es als Ort nicht existent ist. Es ist ein geistiges Prinzip, ohne Ort und Zeit, das wir nicht wahrnehmen, sondern uns nur erschließen können. Freud hat uns mit seiner Traumdeutung dazu einen Weg gewiesen.

Grammatik der Träume


Freud präzisiert die Vorgänge im Unbewussten, indem er ihre Logik, ihre Grammatik als Primärprozess beschreibt und vom Sekundärprozess abgrenzt, der das Wachbewusstsein beherrscht. Diese Unterscheidung ist aus der Sicht der Wissenschaftsgeschichte eine besonders bedeutsame Konzeptualisierung. Mit dem Primärprozess beschreibt er Gesetzmäßigkeiten, die das kindliche Denken beherrschen, später im Unbewussten erhalten bleiben und beispielsweise in der Sprache der Träume ins Bewusstsein dringen.

Primärvorgang und Traumarbeit


Das Paradigma der Primärvorgänge ist die sogenannte Traumarbeit, d. h. das unbewusste Denken, welches die ursprüngliche Idee für einen Traum, z. B. ein Begehren, in eine »träumbare« Form umwandelt, also in eine Form, die vom Bewusstsein des Träumers im Schlaf toleriert werden kann. Bei dieser Umgestaltung wird das Unbewusste in gewisser Weise verharmlost und an die Vorgaben seines Über-Ichs angepasst. Dabei finden...


Prof. Michael Ermann is a psychoanalyst in Berlin and professor emeritus of psychotherapy and psychosomatics at Ludwig Maximilian University in Munich.



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