E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Farn PLANET DER NAVIGATOREN
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95765-737-4
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-95765-737-4
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Pete Farn wurde 1962 im badischen Karlsruhe geboren. Statt sich jedoch von der heimischen Sonne verwöhnen zu lassen, verbrachte er viel Zeit auf Weltreisen. Ohne bodenständigen Job geht natürlich nichts: Pete war Anwendungsprogrammierer in der EDV (so nannte man früher die heutige IT) und später kaufmännischer Sachbearbeiter. Seine große Liebe gilt bis heute der elektronischen experimentellen Musik und natürlich der Science-Fiction-Literatur. Schon als Jugendlicher beschäftigte er sich mit dem Fieldrecording und eigenen fantastischen Musikkonstruktionen, die auf mehreren Tonträgern erschienen sind (u. a. auch auf dem Label »IC« von Klaus Schulze). Pete Farn lebt heute unweit von Tübingen. Der Autor im Netz: www.FARNtastisch.de.
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17.
Am Montag rief mich mein Chef zu sich ins Büro. Das hatte ich ganz vergessen. Am Morgen war der Termin für ein sogenanntes Mitarbeitergespräch.
»Hallo, Herr Wagner. Wie geht es Ihnen denn?«
»Guten Morgen, Herr Wedel. Nun, ich kann nicht …«
»Gut, gut. Wie Sie wissen, verlangt die Konzernleitung, dass wir sogenannte Mitarbeitergespräche führen. Das wurde so in unseren Verfahrensanweisungen festgelegt und daran muss auch ich mich halten.«
Er schien sich selbst motivieren zu müssen.
»Wie ich sehe, sind Sie bereits etliche Jahre bei uns.« Er schaute dabei auf eine Akte; ein dünner Schnellhefter. Bei den Gehaltsanpassungen hatte man mich des Öfteren übergangen, was letztendlich meine Schuld war. Ich glänzte nicht durch herausragende Leistungen, sondern machte schlicht und einfach den Job, für den ich vor langer Zeit eingestellt wurde. Rudi hatte mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich nicht mal einen Inflationsausgleich hätte, so gesehen immer weniger verdiene. Natürlich hatte er recht. Alle paar Jahre pilgerte ich zu Herrn Wedel und fragte nach. Dort erhielt ich die üblichen Antworten, die man als Führungskraft drauf hatte: »Durch welche besondere Leistung haben Sie sich hervorgetan, die eine Gehaltserhöhung rechtfertigen würde?«, und dergleichen mehr.
»Sind jetzt einundzwanzig Jahre, Herr Wedel. Letztes Jahr hatte ich meinen zwanzigsten«, und keiner hat es gemerkt, fügte ich insgeheim zu. Die Fluktuation in der Abteilung war in letzter Zeit größer geworden. Kaum gewöhnte ich mich an einen Kollegen, schaute sich dieser wieder nach etwas Besserem um. Es gab zwar noch Edna, die Sekretärin vom Chef, die nahezu zeitgleich mit mir angefangen hatte, dummerweise vermuteten wir, dass sie mit dem Boss eine Affäre hatte. Darum hielt ich mich zurück und war vorsichtig. Nichts war lästiger als der ständige und bisweilen destruktive Bürotratsch. Selbst wenn man sich neutral verhielt, schützte es nicht vor den Lästermäulern.
Ein kurzes Augenzucken war Wedels einzige Reaktion auf mein verpenntes Jubiläum. Er war selbst seit einem guten Jahrzehnt im Unternehmen. Als Sachbearbeiter hatte er angefangen und war anschließend kometenhaft aufgestiegen. Sicherlich hatte er sich dies verdient. Er war zugegebenermaßen fleißiger als ich und verfolgte ehrgeizige Ziele.
»Da sind Sie eine positive Ausnahme, Herr Wagner. Damit erübrigt sich die Frage, ob es Ihnen bei uns gefällt?«
Welche Chance hätte ich noch, in einem anderen Betrieb unterzukommen? Ab einem bestimmten Alter schaute man, wo man blieb. Das sagte ich ihm natürlich nicht.
Wedel sah auf einen Bogen, auf dem scheinbar die ganzen Fragen standen; er schob ihn beiseite und blickte mich direkt an. »Sparen wir uns das. Eigentlich haben Sie alles richtig gemacht, Herr Wagner.« Erstaunt schaute ich auf.
»Ausbildung. Die ersten Praxisjahre. Ein-, zweimal den Arbeitgeber gewechselt und dann die Entscheidung, bei uns zu bleiben. Für den einen bedeutet dies Langeweile, für den anderen ist es Kontinuität. Wie würden Sie das bezeichnen?«
»Ich finde, ein Betrieb braucht beides: Leute, die beständig sind, aber auch solche, die mit ihrem Ehrgeiz etwas bewegen. Zu Letzteren mag ich nicht gehören, aber ein Unternehmen wie unseres benötigt Anker an der richtigen Stelle.« Na, war das die passende Antwort?
»Bei manchem Pott ist die Verankerung gerissen. Nicht auf jeden Anker ist Verlass. Ein Boot muss lange Zeit ohne Verankerung manövrieren können, insbesondere in stürmischen Zeiten. Kein Schiff kann auf hoher See ankern, wenn sich Monsterwellen auftun. Und nicht immer ist ein Hafen in der Nähe.« Frank wäre bestimmt schlagfertiger mit den Antworten gewesen, war er doch mit der Seefahrerromantik vertraut.
Es war mir etwas mulmig zumute. Zwar gab es Gerüchte, dass es unserer Firma nicht mehr allzugut ging, aber unterm Strich hatten wir im letzten Geschäftsjahr nicht übel abgeschnitten. Andere Betriebe kämpften ebenfalls und das Gejammere gehörte zum guten Ton.
»Darf ich fragen, welche Hobbys Sie haben?«, wechselte er das Thema.
»Ich interessiere mich für die christliche Seefahrt«, antwortete ich schelmisch und absolut unüberlegt. Die Gedanken waren überall, nur nicht hier. Frank hat es, ohne es zu wollen, in mein Unterbewusstsein geschafft und das Interesse für die Nautik geweckt. Stand nun eine Meuterei an? Ich grinste vor mich hin, was Wedel aus der Ruhe brachte.
»Seefahrt?« Dabei schaute er aus dem Bürofenster, ins Leere, an einen Punkt, der Lichtjahre entfernt war.
»Ein Segen, dass diese Zeiten vorüber sind. Niemand muss heute mehr an Skorbut sterben.«
Nein, dafür bekamen die Leute Herzinfarkte, weil sie unendlich viele Überstunden schieben.
»Gut, Herr Wagner. Belassen wir es heute dabei. Sie dürfen wieder an Ihre Arbeit zurück. Es sei denn, Sie haben noch irgendwelche Fragen.« Man sah ihm an, dass er nicht wirklich Lust auf Fragen hatte und schon gar nicht auf deren Beantwortung.
Ich schaute kurz auf meine Uhr und sah, dass es fast Mittagszeit war.
»Nein, keine weiteren Fragen. Es ist sowieso Zeit, in die Kombüse zu gehen. Mal sehen, was der Smutje heute gekocht hat.«
Wedel zog eine Grimasse und schaute leicht verdattert, fing sich aber schnell wieder, und wir verabschiedeten uns voneinander.
Kaum zu glauben, aber ich fühlte mich nach diesem seltsam verlaufenen Mitarbeitergespräch hervorragend. Eventuell wäre eine Beschäftigung mit den alten Seefahrern gar nicht so übel. Das monatelange Unterwegssein, das Reisen in Gefilde, wofür es noch nicht einmal verlässliche Seekarten gab – das erinnerte mich an manche Space Operas der Science-Fiction-Literatur. Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr Parallelen stellte ich fest. Vielleicht ließe sich sogar mit Frank über diese Geschichten philosophieren; oder auch nicht, wenn er bei bestimmten Themen mit Schock reagierte.
Auf dem Weg zur Kantine kam mir Edna entgegen. Sie war auf dem Weg zum Chef. Sie nickte mir unverbindlich zu, als sie mich sah und verschwand in Wedels Büro.
Nach Feierabend fuhr ich zum Einkaufen. Im Kühlschrank herrschte eine nahezu zenartige Leere. Ein Hauch von Feng-Shui wehte durch die kühlen Fächer. Da die Firmenkantine ganz gut war, reichte mir für abends eine Kleinigkeit. Leider waren das oft Süßigkeiten. Zwar las ich immer wieder die Negativschlagzeilen zum Thema Zucker, was mich dennoch nicht abhielt, Schokolade in Unmengen zu verschlingen.
Mein Handy klingelte; Rudi musste geahnt haben, dass ich genau in diesem Moment vor dem Regal mit den süchtig machenden Sonderangeboten stand.
»Hi, Ed. Alles klar bei dir?«
»Ja. Alles im Lot«, gab ich zurück.
»Dachte, ich ruf mal an. War ja doch viel in letzter Zeit. Sind dir noch irgendwelche Erinnerungen gekommen?«
»Nein. Tut mir leid, wenn ich euch Sorgen bereitet habe. Keine Ahnung, was nach der jüngsten Sitzung bei der Org mit mir los war.«
»Vielleicht liegt es an deiner neuen Flamme, wie hieß sie noch, Sabine?«
»Das wird es sein.« Ich hatte keine Lust mehr, über diese ganze Sache zu reden. Letztendlich musste ich da durch, wobei es beruhigend war, Freunde zu haben, die sich um einen sorgten.
»Irgendwelche sonstigen Vorkommnisse?« Rudi spielte damit auf meine psychedelischen Erlebnisse an.
»Nö. Hast du schon in das GALAXY reingeschaut?«, versuchte ich das Thema zu wechseln.
»Ja. War eine verrückte Zeit, in der Magazine wie dieses entstanden. Die darin enthaltenen Geschichten sind aus heutiger Sicht zwar etwas eindimensional, andererseits fangen sie den Zeitgeist von damals ganz gut ein. Hat was.«
Ich dachte an Frank. Der würde diese alten Magazine eher belächeln. Es sei denn, es wären Seefahrergeschichten.
»Du, ich bin beim Einkaufen. Stehen irgendwelche Partys an? Soll ich was mitbringen?«
»Nein. Kommendes Wochenende habe ich Heike für mich.« Unter Ausschluss der Öffentlichkeit hieß das. Das war deutlich. Mir war es recht.
»Auch gut. Ich wünsche euch viel Spaß! Richte ihr einen Gruß von mir aus.«
»Danke. Dir ebenfalls ein relaxtes Wochenende.«
Es war erst Montag. Rudi und Heike dürften eine heiße Phase haben, wenn er sich schon jetzt abmeldete. Ich horchte kurz in mich hinein, um festzustellen, ob da eine Spur von Eifersucht war. Nein, ich gönnte es ihm wirklich. Mir konnte es recht sein, wenn die beiden etwas abgelenkt waren.
»Hauptsache, die Fock hängt nicht durch und du hast volle Segel!«
Ich packte das Handy weg und schlug diesmal bei den Schokoladenangeboten ordentlich zu.
18.
Daheim angekommen fütterte ich den ausgehungerten Kühlschrank mit den vielen Goodies. Wie sah die Planung für den Feierabend aus? Das Fernsehprogramm ließ mich wie üblich im Stich. Ich dachte daran, irgendeine DVD in den Player zu schieben. (Blu-Ray kam nicht infrage. Nachdem die DVD die alte VHS-Kassette ersetzt hatte und ich eine Menge Geld in das vermeintlich neue Supersystem investierte, war mir die Lust vergangen, wieder Hunderte Euro in noch tollere, qualitativ noch besser auflösende Filme zu vergraben. Die Filme wurden dadurch inhaltlich nicht besser.)
Als ich vor meinem Medienregal stand, in dem zig DVD und CD eingereiht waren, fiel mir eine kleine Karte auf. Hans Meiers Visitenkarte hatte ich dort hingelegt.
Ob sein Angebot für seine Firma zu arbeiten galt? Wäre von Interesse zu wissen, inwieweit meine Leistung ihren Wert hatte. Ein unverbindlicher Anruf bei ihm und ich wüsste es. Würde mir diese Information...




