Feiden | Nur noch einen track lang träumen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 200 Seiten

Feiden Nur noch einen track lang träumen


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7568-6693-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 200 Seiten

ISBN: 978-3-7568-6693-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In -Nur noch einen Track lang träumen-, begleiten wir Tom, einen aufstrebenden Autor, der auf einer Release-Party plötzlich Amia wiedersieht. Doch die Atmosphäre ist durchzogen von Veränderungen: Tom, der gerade aus dem Gefängnis entlassen, und Amia, gefangen in einem Versuch, der Realität zu entfliehen. In dieser einen schicksalhaften Nacht kreuzen sich ihre Wege erneut und stürzen sie in eine turbulente Reise des Umdenkens. Dieser fesselnde Roman, geschrieben in zeitgemäßer Sprache, erkundet die beispiellose Macht der Erinnerungen. Während er sich mit der Wucht gesellschaftlicher Themen wie sexualisierter Gewalt im Kontext des Deutschraps auseinandersetzt, wirft er gleichzeitig ein Licht auf die juristische Konfrontation mit sexueller Gewalt vor deutschen Gerichtshöfen. Gibt es einen tiefgreifenden Zusammenhang zwischen Sprache und Sein? Die Leser*innen werden mitgenommen auf eine Reflexionsreise über den Wert von Erinnerungen und wie diese unsere Handlungen und Identität beeinflussen. -Nur noch einen Track lang träumen- ist nicht nur ein Roman, sondern eine eindringliche Aufforderung über das Wesen der Erinnerung nachzudenken, eingebettet in eine fesselnde Handlung, die die Leser*innen bis zur letzten Seite gefangen hält.

Nico Feiden geboren 1993 in Zell (Mosel). Nach langen Reisen durch Europa lebt & arbeitet er heute als freier Schriftsteller in Köln. Diverse Veröffentlichungen in Anthologien, Rundfunkbeiträge & TV-Berichte im SWR, ORF und bei 3Sat. 2016 erschien sein Lyrikband "Blaue Wildnis" im Elifverlag. 2017 erschien "Das Echo des Weines" im RMV-Verlag. 2017 Stipendiat am Dante Institut Florenz. Preisträger des Lyrikpreises der Stadt Baden (bei Wien). 2018 erschien sein Debütroman "Sterben können wir später" im Astikos-Verlag. 2019 war er Teil des Printemps Poetique Transfrontalier Stipendiums. Seine Theaterneufassung von Borcherts "Draußen vor der Tür" wurde in Köln uraufgeführt. 2021 und 2022 erhielt er das MKW-Stipendium der Bezirksregierung Köln. Zurzeit arbeitet er an einem neuen Lyrikband und einem Seriendrehbuch für einen Streamingdienst.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


I
Tom ist 27 Jahre alt als sie ihn einbuchten. Früher hat er gedacht, mit 27 sei er entweder berühmt oder tot, aber, dass er im Gefängnis landen würde, das hat er nicht kommen sehen und vor allem nicht, dass sie ihn ausgerechnet am Premierentag seines ersten Theaterstückes festnehmen und nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, danach oder währenddessen, nein – davor. »Typisch« denkt er, während er mit der Acht auf der Rückbank des Kripo-Opels sitzt – in Gedanken schon, die Seitentür aufgerissen, aus der Karre gesprungen, über die Leitplanke der Deutzer Brücke und mit einem Hechtsprung in den Rhein. Ob ich das wohl überleben würde?, fragt er sich, bewegungslos und still auf die schwarzwerdende Stadtsilhouette blickend. Von hier aus sieht er, wie die beleuchtete Skyline vom Seitenfenster Richtung Heck verschwindet, die reflektierenden Glasspiegelungen der futuristischen Kranentürme, der Dom, die vielen aneinandergereihten Häuser am Fluss, wirken in der Dunkelheit wie ein Herz-Rhythmus-Diagramm. Wie eine Tonspur bei Ableton und da weiß er bereits, dass er dieses Bild für lange Zeit nicht mehr sehen wird. Das Leben gibt ihm immer eine Chance und eine Lehre zugleich. Es war nie so, dass er Momente reiner Zuversicht erlebt hätte, über allem schwebte immer ein dunkler Fetzen, als Vorahnung, dass alles bereits begonnen hat, sich in seine Einzelteile zu zersetzen, als wäre sein Leben eine Brausetablette, die man nur so zum Spaß in einen Fluss wirft, um zuzusehen, wie sie sich langsam auflöst. Wenn er so richtig lost war, war dort aber auch immer ein Funken Hoffnung, als würde etwas in ihm nach Leben ringen. Also irgendwie Segen und Fluch zugleich, 'ne fucking Lehre eben. So als wenn man nachts im Club das falsche Baggy nimmt und statt Pepp 'ne fette Nase Keta zieht und schon beim Ziehen spürt, dass die Nacht ab jetzt ein verschwommener Schleier ist, der in einzelnen Sequenzen und Bässen an einem vorbeizieht. Ohnmächtig. Tom hat sein Theaterstück bis heute nicht gesehen. Der Regisseur schrieb ihm einen Brief in den Knast. dass es ein großer Erfolg war / ausverkauft / Folgetermine in Hamburg und Berlin. Das Stück hatte er damals, wütend nach einer Demo am Hambacher Forst angefangen und in nur drei Wochen niedergeschrieben. Er hatte sich auf der Demo so hilflos gefühlt. Seine Stimme nutzlos gegen die Schlagstöcke und das Pfefferspray. Als er dann wieder zu Hause war, mit gereizten Augen, als könne er nicht aufhören zu weinen, setzte er sich an seinen Schreibtisch und begann. Willkommen im Anthropozän, befasste sich mit dem Ökozid der Menschheit. Dargestellt durch eine Liebesbeziehung in der pre-apokalyptischen Zukunft, in der die Völkerwanderungen des Äquators nordwärts und die Ressourcenknappheit zu weltkriegsähnlichen Zuständen führten, in der die westliche Welt Mauern um ihre Grenzen errichtete und die Spaltung der Gesellschaft sich in zwei Gruppen widerspiegelte. Eine war jene, die autark in den Wäldern lebte, Ackerbau betrieb und zu einer ursprünglichen Form der Zivilisation zurückgekehrt ist. Die andere Gruppe bestand aus jenen, die ihre Macht durch die Digitalisierung und den Fortschritt der Wissenschaft ausgebaut hatten und aus diesen beiden verfeindeten Gesellschaften stammten die Liebenden Laila und José. Erst später wurde ihm bewusst, dass das Stück als eine Art neues Romeo und Julia angesehen werden konnte. Der Regisseur war sofort begeistert und in seinem Brief fragte er Tom, ob er nun die Zeit sinnvoll nutzen wolle, um etwas Neues zu schreiben. Keine Frage nach seinem Zustand, oder wie es ihm geht. Aber Tom denkt nicht ans Theater oder Schreiben. Er denkt an Amia, an ihre Arme, ihren Duft, an die vielen Male als sie sich verschwenderisch liebten. Die Erinnerung wirkt so weit entfernt, wie ein Bild, das am Horizont hinunterzukippen scheint. Er denkt daran, was er alles verpasst. Was seine Jungs wohl in der Großstadtnacht ohne ihn treiben, aber vor allem denkt er daran, wann sie ihn wieder aus dieser verschissenen Sieben-Quadratmeter-Zelle lassen. Er denkt an die Momente, die ohne ihn geschehen, die Zeitellipsen, die vor seinen Augen in Visionen rotieren. In einem Trugbild seiner Fantasie, voller eigener Gefühle, aber ohne Bezug zur Realität. So wie damals, als er sich damals seine Zukunft ausmalte, Wünsche, die sich visualisierten, die erst einzelne Bilder und Orientierungspunkte waren und sich selbstständig zu Filmen zusammensetzten. Das Seltsamste an diesen Filmen war, dass sie mit einer Super 8 Kamera gedreht zu sein schienen. Er sah sich in einer Zukunft, die wie eine Vergangenheit wirkte, kein Stück gealtert, auf einer Holzveranda mit einer gesichtslosen Frau. Nur ein Schatten seiner Vorstellung. Eine Silhouette in den Konturen der Phantasie. Und vor ihnen zirpten die Zikaden im warmen Abend. Der Garten war voll wildem Wein, von weit her trug der Wind das Meer in salzigen Partikeln mit sich und die Frau an seiner Seite klimperte auf einer Gitarre, sang vor sich hin. Ein Lied wie eine lang verlorene Erinnerung. Er saß tief gebeugt über einem Manuskript. Das Haus lag bis auf ein paar flimmernder Kerzen vollkommen in Dunkelheit. Manchmal bemerkte er dann, dass die Frau aufhörte zu singen und kurz darauf spürte er ihre Lippen auf seinen und ehe er ihr in die Augen schauen konnte, hatte sie sich schon abgewandt und ging mit leichten Schritten in die Dunkelheit des Gartens. Es war die Art von Filmen, bei denen er stets hoffte, sie würden niemals enden. Nur dieses Mal geht es weder um eine nicht-existente Zukunft, noch um eine gelebte Vergangenheit, denn alles existiert und geschieht im Augenblick. Ohne ihn. Wo er sein will, ist woanders. Tom sitzt an seinem Schreibtisch, atmet den dichten Rauch seiner Selbstgedrehten gegen die kahle Wand und schaut zu, wie der Qualm sich in der abgestandenen Luft der Zelle transpiriert. Die Zeiger des kleinen Weckers sind schon wieder stehengeblieben, irgendwann in der Nacht. Er stellt sich auf den Stuhl und blickt aus dem zu hoch gelegenen, vergitterten Fenster in den grauen Oktobermorgen. Die Wolken hängen schwer über dem Horizont, wie tiefergelegt. Eine graue Decke ohne Anfang. Ohne Ende. Es könnte 7 oder 8 Uhr sein, das kann er nur schätzen. Mal wieder ist er eingeschlafen, ohne den Aschenbecher zu leeren. Die Luft riecht nach kalter Asche und die vielen Kippenstummel, die wie kleine Särge eines Massengrabes nebeneinander liegen, lassen erahnen, dass er viel geraucht hat. Zu viel. Immerhin hat er noch Tabak, zwar nur diesen Schwarzen Krauser, den die Gefangenen alle ohne Filter rauchen und der seine Lunge bei jedem Atemzug wie eine defekte Dampflok aufheulen lässt, aber das Falsche ist besser als nichts. Jedenfalls im Gefängnis. Tom hat früh mit dem Rauchen angefangen und er versucht nicht mal damit aufzuhören. Warum auch? Wenn die Welt den Bach runtergeht, was macht es dann noch für einen Unterschied? Wenn dann der nächste Krieg oder die Apokalypse kommt, wird er sich eine anmachen und denken, dass er sich richtig entschieden hat. Toms Gelassenheit, die Dinge so hinzunehmen wie sie sind, ist eine seiner größten Stärken. Er wirkt oft so, als würde er in sich ruhen, selbst wenn die Außenwelt im Chaos versinkt. Mit 17 ist er als Tramper in Spanien unterwegs gewesen und hatte in der Nähe von Granada seinen Rucksack in einem Busch versteckt, um auf einem Dorffest zu tanzen. Dumme Idee. Als er nachts, betrunken vom Rotwein seinen Rucksack holen wollte, war er weg. Sein vollgeschriebenes Notizheft, sein Ausweis und all sein Geld. Weg, wie von der Nacht verschluckt. Es war später Oktober und er stand in Hemd und kurzer Hose in der Dunkelheit. Nach einer durchzitternden Nacht auf der fein vergitterten Bank des Bahnhofs, nahm er den ersten Zug nach Barcelona, von dort aus nach Paris und dann weiter über Brüssel nach Köln, ohne Ticket natürlich. Es hat vier Tage gedauert. Vier Tage, in denen er fror und nichts aß. In Köln deckte er sich dann mit einem neuen Zelt und Rucksack ein, lieh sich ein paar Euros von einem Kumpel und zog sofort wieder los. In keiner Sekunde hatte er daran gedacht, die Reise abzubrechen, für ihn war selbst diese Odyssee mit leerem Magen ein Abenteuer. Etwas Existenzielles, dass durch seine Alternativlosigkeit seine Bedeutung vom Leben neu sortierte. Als die Ärztin ihn bei der Zugangsuntersuchung in der JVA abhörte, fragte sie, ob er schon öfters im Gefängnis gewesen sei, weil sein Puls so ruhig blieb. »Das bleibt er immer«, antwortete er, während er nackt auf der splittrigen Holzbank saß, die Beamten ihn beobachteten und nur darauf warteten, ihn ausgiebig zu durchsuchen. Leibesvisitation à la Justiz – das volle Programm, mit Mund auf, Zunge hoch, Sack heben, Arschloch spreizen und Fußsohlen zeigen. Aber peinlich war ihm das nicht. Er amüsierte sich darüber wie über einen schlechten Scherz, den man sich so lang erzählt, bis er endlich gut ist. Aber ein Scherz ist das Ganze schon lange nicht mehr. Jedenfalls keiner, über den er irgendwann lachen kann. Das Gefängnis ist ein Ort, an dem der Geist außerstande ist, sich einen eigenen Raum zu...



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