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E-Book, Deutsch, 190 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 200 mm

Frisch Er

Ein Zwiegespräch mit dem Mann, der Jesus erfand
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-290-18792-7
Verlag: Theologischer Verlag Zürich
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Ein Zwiegespräch mit dem Mann, der Jesus erfand

E-Book, Deutsch, 190 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 200 mm

ISBN: 978-3-290-18792-7
Verlag: Theologischer Verlag Zürich
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Was wäre, wenn man den Verfasser des Markusevangeliums fragen könnte, warum er schrieb, was er schrieb? Ob er das, was er über Jesus erzählte, wirklich für die Wahrheit hielt? In diesem fulminanten Buch über Jesus von Nazaret verwickelt Ralf Frisch den unbekannten Evangelisten, der seit Urzeiten den Namen Markus trägt, in ein Zwiegespräch über Helden und Dämonen, über Fiktion und Wahrheit, über Einsamkeit, Schönheit und Zorn, über die Intensität dieses Jesus von Nazaret. Bei seinem Gedankenexperiment macht Ralf Frisch keinen Bogen um theologische Tabus: Wäre es nicht klüger gewesen, der Nachwelt den Kreuzestod zu ersparen? War die Auferstehung des Nazareners womöglich nur ein Hirngespinst? Welche Zukunft hat Jesus Christus in einer Welt, die sich nach Leben und nach Erlösung sehnt, aber zur Erfüllung ihrer Sehnsucht Gott nicht braucht? Die Antworten des Evangelisten Markus kommen unerwartet. Sie haben die Kraft, Raum und Zeit zu verformen - nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch für die Gegenwart.

Ralf Frisch, Dr. theol., Jahrgang 1968, ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, Theologischer Referent der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Dozent am Zentralinstitut 'studium plus' der Universität der Bundeswehr München.
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Was ist Wahrheit?

Der Held und die Helden der Anderswelt

Jener Jesus, den uns der Evangelist vor Augen führt, ist kein möglicher Gegenstand historischer Wissenschaft und eigentlich auch kein Gegenstand anthropologischer Forschung. So, wie Markus diesen gottgleichen Menschen schildert, hat er niemals existiert und kann kein Mensch jemals existieren. Der, den er in Israel auftreten und wunderwirkend über die Erde und über das Wasser gehen lässt, gehört einem Wirklichkeitsraum an, der nicht von dieser Welt ist. Der Fremde vom Himmel ist und bleibt auch auf der Erde, die ihn hervorgebracht hat, ein Fremder. Oder anders gesagt: So wirklich und irdisch dieser Mann aus Nazaret sein mag, so sehr entspringt er doch auch dem Reich der Imagination und dem Wunschdenken des Glaubens an Gott als letztbestimmender Wirklichkeit.

Kann man sich ernsthaft vorstellen, dass die Zeitgenossen des Markus nicht bei der ersten Begegnung mit seinem Evangelium sofort begriffen, dass die Überhöhung der Gestalt Jesu ins Überirdische und Übermenschliche vor allem dazu diente, den Glauben an ihn zu stärken? Kann man sich ernsthaft vorstellen, dass die ersten Menschen, die mit dem Evangelium des Markus in Berührung kamen, nicht durchschauten, dass jeder einzelne Satz und die gesamte Komposition dieses Textes eine Verklärung des Gottessohns Jesus war – eine Verklärung, die einzig und allein die Absicht verfolgte, sich selbst zu beweisen, aber dazu natürlich nicht imstande ist, weil das Bewiesene immer schon von ihr vorausgesetzt wird? Oder hatten die Damaligen ein ganz anderes Verständnis von Wirklichkeit und ein ganz anderes Verständnis der Wahrheit von Texten als wir Heutigen, die wir freilich unsererseits allzu bereitwillig Botschaften Glauben schenken, die uns medial als Fakten vorgespiegelt werden?

Ich würde Markus gerne fragen, ob nicht auch er selbst wusste, dass das, was er schrieb, zwar gut, intensiv und kraftvoll geschrieben ist, sich aber niemals so zugetragen haben dürfte. Und ich würde ihn gerne fragen, ob eine Zeit noch an Jesus glauben kann, deren Natur- und Literaturwissenschaften zweifelsfrei demonstrieren, dass die singuläre Gestalt, die der erste Evangelist erschaffen und überhöht hat, zwar als literarische Stilisierung wirklich, jedoch im Rahmen des naturwissenschaftlich Möglichen unwirklich und unmöglich ist.

»Hast nicht auch du, Markus, und hat nicht auch der gesunde Menschenverstand deiner Zeit sehr genau gewusst, dass der Jesus deines Evangeliums nicht der Jesus von Nazaret ist, dem man vierzig Jahre vor deinem Evangelium in Palästina begegnen konnte? Zeugt nicht das Entsetzen über die Wunder Jesu, dem du in deinen Erzählungen Raum gibst, davon, wie wirklichkeitssprengend und wie wenig selbstverständlich die von dir in Schrift verwandelten Wunder Jesu auch zu deiner Zeit waren? Und zeugen nicht auch die von dir über die Zeugen der Wunder Jesu verhängten Schweigegebote davon, dass du dir selbst ganz genau darüber im Klaren warst, dass die Wunder Jesu nicht etwa nicht weitererzählt wurden, sondern sich schlicht nicht ereigneten?«

Ich stelle mir vor, dass sich Markus die Schläfen reibt, seine Stirn in Falten legt, mich dann ansieht und zurückfragt – und zwar so, dass ich ein wenig erschrecke. Denn die Gegenfrage, die er mir stellt, ist eigentlich die Frage eines anderen Evangelisten: diejenige nämlich, die Johannes Pilatus in den Mund legt.

»Was ist Wahrheit?«, fragt er mich und antwortet dann selbst. »Ich will dir sagen, was Wahrheit ist. Jesus Christus ist die Wahrheit. Und weil er die Wahrheit ist, ist alles wahr und kann nichts unwahr sein, was ich geschrieben habe.«

»Aber«, entgegne ich, »ist es nicht andersherum? Würde Jesus nicht erst dann zur Wahrheit werden, wenn das, was du über ihn geschrieben hast, auch ohne den Glauben an ihn wahr wäre? Hätte dein Evangelium nicht grössere Kraft, wenn du darin nichts erzählt hättest, von dem du selbst wusstest, dass es nicht geschehen sein konnte und niemals geschehen kann?«

Er schüttelt den Kopf und sagt: »Es kann geschehen. Es kann geschehen, weil der, den ich bezeuge, die Wahrheit ist.«

»Aber vielleicht hast du«, sage ich, »falsches Zeugnis geredet, weil deine Augen geblendet waren von deinem Glauben. Vielleicht hat dir dein Glaube nicht die Augen geöffnet, sondern dich blind gemacht. Vielleicht hast du ein Gespenst erschaffen! Und vielleicht hatten die Jünger in deinem Evangelium recht, als sie deiner Erzählung zufolge angesichts des über das Wasser gehenden Jesus riefen: ›Es ist ein Gespenst!‹ – Es fällt mir schwer, dir zu glauben, weil ich dann an jede Fiktion glauben müsste, die mich fasziniert, und an jedes Märchen, das mich in seinen Bann schlägt.«

»Ich will dir etwas sagen«, sagt er. Und in meinem Kopf verbinden sich seine Worte mit meinen Worten und seine Gedanken mit meinen Gedanken. Ich höre ihn und zugleich mich selbst, als er sagt: »Ich will dir sagen, warum die Menschen an Jesus glauben. Sie glauben an Jesus, weil sie an ihn glauben. Und die Menschen, die nicht an ihn glauben, glauben nicht an ihn, weil sie nicht an ihn glauben. Du glaubst an ihn, weil du an ihn glaubst. Ich glaube an ihn, weil ich an ihn glaube. Und jene, die als Erste an ihn geglaubt haben, haben an ihn geglaubt, weil sie nicht anders konnten, als an ihn zu glauben. Sie haben an ihn geglaubt, weil er glaubwürdig war. Und glaubwürdig ist er, weil er die Wahrheit ist.

Mein Evangelium feiert diese Wahrheit und gibt Zeugnis von dieser Wahrheit, indem es diese Wahrheit aufblühen lässt. Mein Evangelium feiert diese Wahrheit, indem es sie so sichtbar wie möglich macht – so sichtbar, dass der Raum der Wirklichkeit die Grenze zum Raum des Unwirklichen oder zumindest für unsere irdischen Sinne Unsichtbaren überschreitet. Aber selbst jene Geschichten, die den Wirklichkeitsraum sprengen und die Wirklichkeit überzeichnen, nehmen der Wahrheit weder etwas weg, noch vermögen sie ihr etwas hinzuzufügen, was sie wahrer oder weniger wahr machen würde. Weil das, was wahr ist, eine Kraft hat, die die Wirklichkeit nicht hat, tut es der Wahrheit auch keinen Abbruch, wenn sie sich von der Wirklichkeit entfernt. Verstehst du? Und wenn du es nicht verstehst, dann sag mir, wie ich den, der die Wahrheit ist, deiner Auffassung nach in meinem Evangelium so hätte bergen sollen, dass er wirklicher und wahrer geworden wäre – wahrer, als er es deiner Meinung und der Meinung deiner Zeit nach ist! Hätte ich mich seiner schämen, leiser treten und ihn als blossen Lehrer der Weisheit, als Bringer eines neuen, reineren Ethos, als schieren Humanisten, als gottesfürchtigen Freigeist, der seiner Zeit weit voraus war, oder schlicht als radikal liebenden und radikal für die Menschen leidenden und leidenschaftlich für sie eintretenden Menschen verewigen sollen? Hätte ich mich damit begnügen sollen, die Intensität der zutiefst menschlichen Existenz Jesu zu steigern? Hätte ich ihn nicht als den ganz Anderen, sondern als einen von uns in Erscheinung treten lassen sollen – als einen von uns, in dem wir nur wiedererkennen, was wir sein könnten oder sein sollten?«

Ich sage nichts. Und so gibt er selbst die Antwort auf seine Frage: »Wenn ich mich damit begnügt hätte, wäre Jesus nur Kupfer und Blech und nicht das Goldstück, das ich der Welt durch mein Evangelium weiterreiche und an die Menschen nach mir überliefere. Was diesen Jesus edel, schwer, gewichtig und intensiv macht, ist etwas anderes, nämlich dass sich der Himmel in seiner Gegenwart öffnet und in seiner Nähe die Welt durchsichtig wird für das Reich Gottes. Und weil dem so ist, sind auch die Wundergeschichten wahr, die aber ja natürlich ohnehin wahr sind. Denn niemand hätte nach seinem Tod Notiz von ihm genommen, wenn sein Charisma und seine Präsenz zu Lebzeiten geringer gewesen und wenn er nur sich selbst und nicht das Wunder der Wirklichkeit Gottes sichtbar gemacht hätte.

Du irrst also sehr. Der wahre Christus ist der, der den Wind bedroht und zum Meer spricht: ›Schweig! Verstumme!‹ Der wahre Christus ist der, dem Wind, Sturm, Wellen und Dämonen gehorchen. Der wahre Christus ist der, der stärker ist als die Wirklichkeit dieser Welt.«

»Aber ist das, was du geschrieben hast, nicht zu schön, um wahr zu sein?«, frage ich ihn.

Er sagt: »Keineswegs ist es zu schön, um wahr zu sein. Es ist zu wahr, um wirklich zu sein. Und daher muss in dem Buch, das ich geschrieben habe, etwas anderes zum Vorschein kommen als die Wirklichkeit, die du kennst und die ich kenne. Ein Evangelium ist ein Evangelium. Ein Buch ist ein Buch. Und das Leben ist das Leben. Was soll ich das Leben, wie du es kennst und wie ich es kenne, in ein Buch schreiben, das ein Evangelium, also eine gute Nachricht ist? Die Wirklichkeit ist schon da. Was soll ich sie noch aufschreiben? Wer kennt sie nicht, die Wirklichkeit? Und eines weisst du ja gewiss ebenso wie ich: Je nachdem, wo und in welcher Verfassung man sich in dieser Welt befindet, erscheint sie einem entweder als Kloake, als Hölle oder als Paradies auf Erden. Und je nachdem kann man entweder an der Welt, an Gott oder an beiden zugleich verzweifeln. Ich verzweifle an beiden nicht, weil der Gottessohn in der Welt war. Und dass der Gottessohn in dieser Welt und zugleich nicht von dieser Welt war, das habe ich in meinem Evangelium so sichtbar und so gross wie möglich gemacht. Ich habe Christus als Schrift in die Welt gesetzt und zugleich den Niederungen der Welt, in der er lebte, entrissen, damit er durch seine gravierende Gegenwart diese Welt retten kann.

Was...


Frisch, Ralf
Ralf Frisch, Dr. theol., Jahrgang 1968, ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, Theologischer Referent der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Dozent am Zentralinstitut 'studium plus' der Universität der Bundeswehr München.



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