Gantenberg | Urlaub mit Esel | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Gantenberg Urlaub mit Esel

Roman
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-10-400756-4
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

ISBN: 978-3-10-400756-4
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Das Tier im Manne. Seeehr witzig.« Der perfekte Sommerroman über Beziehungen, Entschleunigung und die Komik der späten Erkenntnis Weil seine Frau das so möchte, fährt der Lehrer Björn Keppler in diesem Jahr nicht mit ihr in den Italien-Urlaub, sondern wandert mit einem Esel durch die Uckermark. Der Esel namens Friedhelm möchte oft eher nicht so wie Björn, und Björn wäre lieber woanders. Was hat seine Frau sich nur dabei gedacht? Und wie viel Tier verträgt die Liebe - beziehungsweise umgekehrt? »Mit amüsanten und klugen Beobachtungen gespickt - eine heitere, leichte, aber gar nicht seichte Lektüre.« Margarete von Schwarzkopf, NDR

Michael Gantenberg (geboren 1961) war WDR-Radiomoderator, Gastgeber des Satiremagazins ?Extra 3? und schrieb u.a. für DIE ZEIT und die FAZ. Für die RTL-Komödie ?Ritas Welt? erhielt er den Grimme-Preis und den Deutschen Fernsehpreis. Er entwickelte ?Alles Atze? und ?Nikola? und schrieb als TV-Autor für den ?Großen Deutschtest? (mit Hape Kerkeling) und die Krimireihe ?Unter Verdacht?. Im Jahr 2009 erschien sein Romandebüt ?Neuerscheinung?, 2010 ?Zwischen allen Wolken?. Michael Gantenberg lebt mit seiner Familie in der Nähe des Sauerlandes.
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9. Hier sind Menschen


Keine Ahnung, wie ich es überlebt habe, aber Friedhelm und ich haben den Reißerhof erreicht, mit letzter Kraft.

Die Schwellung ist ein bisschen zurückgegangen. Nicht genug, um sorgenfrei zu sein, aber genug, um zu gehen, ohne dass es würdelos aussieht oder wie bei einem übergewichtigen Walker, der seinen Sport mit den Vorbereitungen auf die Passionsspiele verwechselt.

Wir hätten uns nicht so anstrengen müssen, denn der Hof scheint unbewohnt, obwohl er in meinen Unterlagen als einzige Anlaufstation für Eselreisende in Kleinzedlitz ausgewiesen ist. Doch was interessiert es einen Uckermärker – oder heißt das Uckermarker, das muss ich noch herausfinden –, ob jemand bei ihm Asyl sucht, nur weil es ein Reiseveranstalter in seinem Angebot so vorgesehen hat.

Friedhelm kennt sich hier aus. Natürlich, Friedhelm ist wie ein altes Zirkuspferd, immer die gleiche Runde. Jeder Eselreisennovize läuft den Reißerhof am ersten Tag an, und jeder wird sich spätestens hier die Frage stellen, was das alles soll und wann der letzte Zug von Prenzlau nach Berlin fährt oder der Bus. Beide Verbindungen scheiden jetzt aus. Wenn die Sonne versinkt, flüchtet sich auch der öffentliche Nahverkehr in Richtung Berlin in schwarze Löcher.

»Hallo, ist hier jemand?«

Friedhelm hebt den Kopf und schaut mich an.

»Außer dir.«

Friedhelm schaut sich nun auch um. Noch halte ich seinen Strick und werde ihn erst wieder loslassen, wenn Friedhelm in einem Stall steht, den er aus eigener Kraft nicht mehr verlassen kann.

»Halllooooooooo?«

Friedhelm hält sich für das einzige Hallooooooooo-Ziel in ganz Kleinzedlitz und glotzt mich schon wieder an.

»Kollege, du bist echt nicht gemeint, okay?«

War das zu hart? Keine Ahnung, in dieser blöden Anleitung steht nichts über die Sensibilität von Eseln. Friedhelm reagiert, ohne dass ich es einordnen kann. Er schubbert mit einem Mal ohne Vorankündigung sein Sabbermaul an meinem Hemd ab. Zum ersten Mal spüre ich, welche Kraft dieser Esel besitzt, denn wenn er wollte, könnte er mir den gesamten Brustkorb abschubbern. Deshalb lasse ich ihn gewähren und hoffe, dass es nur eine freundliche Geste ist, auch wenn mein Hemd nun so aussieht, als hätte sich eine komplette Kleinkindgruppe darauf ausgekotzt.

»Wer sind Sie?«

Die Stimme klingt, als käme sie aus einem alten Ölfass. Ich drehe mich und sehe zum ersten Mal Elli, die Besitzerin des Reißerhofes.

»Björn Keppler. Ich bin hier gebucht.«

»Ach.«

»Ja. Und das ist Friedhelm.«

»Weiß ich, kenn’ ich. Elli.«

»Schöner Name«, lüge ich höflich.

»Scheiß Name. Durfte ihn mir nicht selber aussuchen«, kontert Elli.

»Schön. Ja, dann …«

Ich rudere mit den Armen, was Elli nicht so recht einordnen kann. Hier auf dem Land rudert man nicht mit den Armen. Hier tut man etwas Gescheites mit den Armen oder lässt es bleiben.

»Was machen Sie da?«

»Nichts.«

Jetzt macht sie meine Bewegungen nach. Wenn Elli mit den Armen rudert, sieht es aus, als spielten zwei Strohhalme Mühle. Ich muss lachen.

»Was ist denn daran so lustig?«, fragt Elli.

»Nichts, nur so.«

»Keiner lacht nur so.«

»Entschuldigung. Ich lache, weil Sie mit den Armen rudern.«

»Sie doch auch«, ergänzt Elli. »Warum tun Sie das?«

»Das mache ich nur so, einfach so«, erkläre ich und höre endlich auf zu lachen.

»Komisch.«

Elli hört nun auf, mit ihren Armen zu rudern, so komisch findet sie das dann wohl doch nicht. Da sie nun aber keinerlei Anstalten macht, etwas anderes zu unternehmen, versuche ich, das Gespräch in Richtung Dienstleistung zu bringen.

»Ja, ich denke, es ist spät geworden, und Friedhelm und ich sollten jetzt vielleicht etwas essen.«

»Wo?«

»Bei Ihnen?«

Ich lasse meine Frage so selbstverständlich klingen, als hätte ich sie eigentlich gar nicht erst stellen müssen.

»Zu spät«, antwortet Elli noch selbstverständlicher.

»Ähm, in meinen Unterlagen steht nicht so genau drin, wann man hier sein muss. Um ganz genau zu sein, da stehen überhaupt keine Zeiten drin.«

»Stimmt.«

»Dann kann ich vielleicht doch noch was essen?«

»Nein, zu spät, sagte ich ja.«

Elli geht auf Friedhelm zu und nimmt mir den Strick aus der Hand.

»Was haben Sie vor?«

Elli schaut mich entgeistert an, so als hätte ich sie gerade gefragt, ob sie ein Kind von mir möchte oder meine Socken waschen.

»Ich füttere den Esel.«

»Ach, der kriegt noch was?«

»Der kann sich ja nix selber machen, oder?«

Da hat Elli recht. Sie führt Friedhelm zu einem kleinen Stall an der Seite des Hofes, der ein altes Wellblechdach hat und einen kleinen Zugang zum Inneren des Gemäuers. Ich hoffe nicht, dass sich dort meine Unterkunft befindet.

»Äh, Frau Elli?«

»Elli reicht.«

»Gerne, Elli … ja, vielleicht zeigen Sie mir dann mal das Zimmer oder den Stall. Elli!?«

Elli mustert mich, während ich sie mustere.

Sie trägt einen dunkelgrünen Trainingsanzug, vermutlich aus NVA-Beständen. Die Hose ist in Kniehöhe extrem ausgebeult, was in Ellis Fall ganz bestimmt nicht an besonders sportlicher Beanspruchung der Textilie liegen kann, sondern nur mit der Tragehäufigkeit zu tun hat. Elli ist klapperdürr, so dürr, dass Sport eine Lebensbedrohung darstellen würde und keine Freizeitbereicherung. Elli fehlen, grob geschätzt, zwischen 30 bis 40 Kilo Körpermasse, um den Anzug auch nur halbwegs auszufüllen. Ihr Haar ist sehr kraus, ich hoffe, von Natur aus, alles andere wäre eine Bankrotterklärung des Frisörhandwerks. Wäre da nicht diese kleine Auswölbung im Brustbereich, könnte man annehmen, dass Elli ein Mann wäre. Ein sehr dünner Mann.

»Sie schlafen bei Friedhelm.«

»Das glaube ich nicht.«

»Ihr Problem. Schlafsack?«

»Wie?«

»Haben Sie einen?«

»Natürlich habe ich einen Schlafsack, aber deshalb werde ich noch lange nicht meine Nacht neben Friedhelm verbringen.«

»Wie Sie wollen. Sie können auch gerne auf dem Hof schlafen. Sie müssen nur auf Victor aufpassen, der läuft nachts frei herum.«

»Victor?«

Elli zeigt zu einer kleinen Hütte, mit einem Loch an der Seite, das groß genug ist, um eine Wildsau rein- und rauszulassen. Elli pfeift, und Victor schießt aus dem Loch. Victor ist keine Wildsau, sondern eine Abrissbirne auf vier Beinen. Sein Kopf besteht nur aus einem gigantischen Unterkiefer, der mit blutroten Schlabberlefzen von der Natur eher lieblos als wohlmeinend dekoriert wurde. Sein Oberkörper ist wuchtig wie ein Kirmesboxer, sein krauses Fell hat eine verdächtige Ähnlichkeit mit Ellis Frisur. Victor schießt auf mich los und wird knapp einen Meter vor mir plötzlich nach hinten gerissen, weil er wieder einmal erst kurz vor dem Ziel unsanft daran erinnert wurde, dass er nur nachts ohne diese dicke Stahlkette frei herumlaufen darf.

»Okay, Elli, wo genau soll ich mich hinlegen?«

Elli zeigt mir den Weg, während Victor sich in seine Hütte schleicht, um in Ruhe darüber nachzudenken, welchen meiner Körperteile er heute Nacht als Erstes zerlegen wird.

Ich habe großen Hunger und versuche, mir im Stroh ein wenigstens einigermaßen menschenwürdiges Lager zu basteln, muss aber feststellen, dass mein Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist. Das Stroh sticht durch den dünnen Stoff des Schlafsacks, und in Sicht- und Duftweite furzt Friedhelm sich in den Schlaf. Er scheint zufrieden, ich bin es nicht.

Gute Nacht!

MAILVERKEHR

Liebe Karin,

habe die erste Station meiner Reise erreicht, die Uckermark ist wirklich unglaublich schön. Viel schöner, als ich gedacht hatte. Nicht ganz so schön wie Lucca, aber schon sehr schön. Und gar nicht mal kalt. Heute Nacht schlafe ich direkt bei dem Esel im Stall. Kannst du dir das vorstellen? Ich in einem Stall? Habe sehr lecker gegessen – Hausmannskost, ein bisschen fettig, aber genau das Richtige nach einer langen Wanderung. Die Wirtin des Hofes ist sehr nett. Wir haben uns lange unterhalten, schon toll, was man über diese Landschaft hier erfahren kann, wenn man sich nur ein wenig dafür interessiert. Und die Menschen hier sind total glücklich, wenn man ihnen das Gefühl gibt, sich für sie zu interessieren. Heute hat mich ein Vieh gestochen, aber halb so wild. Das gehört dazu, oder? Wenn man in der freien Natur unterwegs ist, darf man nicht zimperlich sein.

Wenn du magst, ruf ich dich morgen mal an, würde gerne deine Stimme hören. Schreib doch mal, hier gibt es überall Netz. So, ich muss jetzt leise sein, Friedhelm schläft schon. Kleiner Scherz.

Schlaf auch schön …

Dein Björn

Gesendet vom Handy – 23:13 Uhr

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Hallo Björn,

schlaf auch schön.

Karin

Gesendet vom Handy – 1:34 Uhr

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Liebe Karin,

habe gerade durch Zufall deine Mail gesehen, kann auch nicht schlafen, bist du noch wach?

Björn

Gesendet vom Handy – 1:35 Uhr

• • •

Liebe Karin,

ich bin’s noch mal. Wir könnten auch noch telefonieren, leise. Ich kann nur nicht raus aus dem Stall, weil draußen ein Hund frei herumläuft. Feiner Kerl, nur nachts ein bisschen paranoid, kein...


Gantenberg, Michael
Michael Gantenberg (geboren 1961) war WDR-Radiomoderator, Gastgeber des Satiremagazins ›Extra 3‹ und schrieb u.a. für DIE ZEIT und
die FAZ. Für die RTL-Komödie ›Ritas Welt‹ erhielt er den Grimme-Preis und den Deutschen Fernsehpreis. Er entwickelte ›Alles Atze‹ und ›Nikola‹ und schrieb als TV-Autor für den ›Großen Deutschtest‹ (mit Hape Kerkeling) und die Krimireihe ›Unter Verdacht‹. Im Jahr 2009 erschien sein Romandebüt ›Neuerscheinung‹, 2010 ›Zwischen allen Wolken‹. Michael Gantenberg lebt mit seiner Familie in der Nähe des Sauerlandes.

Michael GantenbergMichael Gantenberg (geboren 1961) war WDR-Radiomoderator, Gastgeber des Satiremagazins ›Extra 3‹ und schrieb u.a. für DIE ZEIT und
die FAZ. Für die RTL-Komödie ›Ritas Welt‹ erhielt er den Grimme-Preis und den Deutschen Fernsehpreis. Er entwickelte ›Alles Atze‹ und ›Nikola‹ und schrieb als TV-Autor für den ›Großen Deutschtest‹ (mit Hape Kerkeling) und die Krimireihe ›Unter Verdacht‹. Im Jahr 2009 erschien sein Romandebüt ›Neuerscheinung‹, 2010 ›Zwischen allen Wolken‹. Michael Gantenberg lebt mit seiner Familie in der Nähe des Sauerlandes.



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