Gardam | Bell und Harry | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Gardam Bell und Harry


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-446-26362-8
Verlag: Hanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-446-26362-8
Verlag: Hanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



London ist laut und anstrengend, die Batemans sehnen sich nach Ruhe und haben sich für den Sommer auf dem Land in Yorkshire eingemietet. Vor allem der Vater, ein nervöser Journalist, hofft auf Entspannung in der bäuerlichen Umgebung. Hier trifft sein kleiner Sohn Harry auf Bell, den jüngsten Sohn der Vermieter, und eine tiefe Jungenfreundschaft beginnt. Sommer für Sommer und mit jedem gemeinsam erlebten Abenteuer wird diese Freundschaft erneuert, so unterschiedlich die Sphären, in denen sie mit ihren Familien leben, auch sind. Ein hell leuchtendes Ferienbuch von Jane Gardam, in dem die Spannung zwischen Stadt- und Landmenschen mit so viel Weisheit und Humor eingefangen ist.

Jane Gardam, geboren 1928 in North Yorkshire, wurde für ihr viel bewundertes schriftstellerisches Werk mehrfach ausgezeichnet. Neben der BestsellerTrilogie um Old Filth erschienen zuletzt »Robinsons Tochter« (2020), »Mädchen auf den Felsen« (2022) und »Gute Ratschläge« (2024). Jane Gardam starb 2025 in Oxfordshire.
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Bell und Harry


Ich heiße Bell Teesdale. Ich bin ein Junge. Ich bin acht.

In dem Tal, in dem ich wohne, stehen überall kleine Häuschen, bei denen das Gras zwischen den Steinen rauswächst und die seit Jahren niemand haben will. Sie sind zu alt oder zu weit weg von allem oder liegen ein bisschen zu hoch für die Bauern heute. Es gab hier mal Bergbau — deswegen wird die Region auch »Hohles Land« genannt —, aber jetzt nicht mehr. Also sind die ganzen kleinen Häuser verlassen.

Sie haben große Gärten drum herum, und Weiden für Schafe und so, und riesige Heufelder. Vielleicht ein bisschen zu viel Löwenzahn, der im Juni silbern wird, aber richtig gutes Heu ergibt, eine gute Woche oder zwei nachdem die Schafe im Räudebad waren.

All diese kleinen Bauernhäuser standen jahrelang leer, die alten Bauernfamilien sind weg, die Dächer fallen ein, die Schwalben und Mauersegler sausen rein und raus, und ihr Dreck läuft innen an den Wänden runter.

Und jetzt kommen neue Leute. Sie kaufen diese kleinen Häuser, wenn sie können, oder sie mieten oder pachten sie. Leute aus Manchester oder sogar aus London, mit großen Kombis voller abgepackter Lebensmittel, die man hier sonst gar nicht hat, und großen Sofahunden, die noch nie ein anderes Tier gesehen haben.

In Mallerstang kommen überall kleine Bäche aus den Hochmooren herunter. Sieht hübsch aus. Die Abbruchkanten hinunter, trocken im Sommer, bis ein einziger Regentropfen sie wieder wie Seidenfäden die Abbruchkanten hinunterrinnen, -plätschern und -pladdern lässt. Wie Spinnweben. Und wenn der Wind durchs Tal weht, schnappen diese Bächlein nach Luft, sie erheben sich von ganz allein, wie die Wildpferde in Wateryat Bottom. Sie erheben sich auf die Hinterbeine. Oder steigen auf wie Rauch von ganz vielen Lagerfeuern, es ist gar kein Wasser, sondern Rauch im Wind zwischen Castledale und dem Moorcock Richtung Wensleydale. Sieht hübsch aus.

Und jetzt kommen Leute aus der Stadt und gucken sich das alles an, obwohl sie früher immer nur in den Lake District gefahren sind. Sie kommen und mieten und pachten. Und reden so südenglisch. »Warum kommen die?«, habe ich unseren Grandad gefragt, der das Farmhaus verpachtet hat, in dem er früher gewohnt hat (meine Gran ist gestorben). »Hier gibt’s doch gar nichts für die. Was wollen die denn mit ’ner Farm? Die sitzen da nur drin rum. Die machen gar nichts.«

»Sie ruhen sich aus«, sagt mein Grandad. »Die nehmen die Häuser zum Ausruhen von London.«

Also, die Familie, die in das alte Haus von meinem Grandad kommt, Light Trees, die ruht sich jedenfalls nicht aus. Kein Stück. Da ist eine Mutter und ein Vater und vier oder fünf große Jungs, von denen manche nur Freunde sind, und ein kleiner Junge, Harry, und sie machen einen Lärm, den man bestimmt bis Garsdale hört.

Die haben jetzt das Wohnhaus — also das alte von Gran und Grandad —, aber wir haben immer noch die ganzen Farmgebäude und arbeiten da und haben das Recht auf das Heu von dem Feld am Haus. Es gibt gute Kuhställe, einen Bullenstand, Räudebäder zum Dippen der Schafe und eine Box zum Scheren. Also scheren wir immer noch dort und dippen und verabreichen Medikamente und bringen die Kühe zum Bullen. Manchmal haben wir gut hundert Schafe auf dem Hof, und die Leute kommen mit dem Auto nicht mal bis zum Tor. Aber so steht’s halt im Vertrag. Mein Dad sagt immer: »Wir holen gleich die Schafe rein, Mr Bateman« — so heißen die, Bateman — »wir holen die Schafe rein. Wollen Sie erst Ihren Wagen rausfahren? Dann warten wir so lange.« Vielleicht vier oder fünf oder sechs von unseren Schäferhunden in Habtachtstellung, und denen ihr Sofahund beobachtet unsere Hunde, kommt ihnen aber nie näher. Dann dudelt ihre Musik aus dem Haus, und die Jungs rufen irgendwas und lachen, und man hört Stimmen aus dem Radio, manchmal sogar aus zwei, und die Mutter aus London kocht so italienisches Abendessen, und das Telefon klingelt (sie haben sich ein Telefon geholt, wie sie sich auch einen Kühlschrank geholt haben), und sie alle sagen, die ganze Londoner Bagage: »Was für ein wunderschöner Abend, Mr Teesdale« — mein Dad —, »was machen Sie denn heute mit den Schafen? Wir lernen ja hier so viel!«

Der kleine Junge, Harry, steht dabei und sagt gar nichts.

Und dann kommt diese eine Nacht, die erste Nacht vom Heumachen, und wir sind alle draußen, sogar mein Dad. Es ist perfekt. Ein heißer Sommer und eine heiße Nacht und ein leuchtend heller Mond. Gestern hat mein Dad gesagt: »Morgen machen wir Heu. Wir mähen den ganzen Tag, und wenn es sein muss, auch die ganze Nacht. Vielleicht regnet es am Sonntag.«

Mein Dad hat immer recht. Also sind wir alle — meine Mum, und unsere Eileen und Eileens Freund und Grandad und alle — draußen und mähen, bis wir ungefähr zur Teazeit fertig sind mit High Field und Miner’s Acre. Und dann machen wir uns ans Home Field — das ist ein großes, gutes Feld um Light Trees rum. Light Trees steht mittendrin.

Unser Trecker und der Mäher rattern ordentlich, viel lauter als ihre Radios — ratter, ratter, ratter, immer und immer und immer wieder im Kreis —, und nach einer Weile, also vielleicht nach zwei Stunden, werden Köpfe aus den Fenstern gesteckt. Dann, so um zehn, elf Uhr, als das Sommertageslicht schwindet und es immer noch ratter, ratter macht, gehen in Light Trees die Lichter an und aus, und dann kommt der Londoner Vater raus.

Erst steht er nur da. Dann stromert er herum und guckt. Ratter, ratter, ratter. Eine Runde und noch eine und noch eine. Dann winkt er ein bisschen. Dann ruft er was. Schließlich, gegen Mitternacht, brüllt er, aber wir können nicht aufhören. Wenn man einmal anfängt, Heu zu machen, muss man es auch zu Ende bringen.

Und dann geht der Trecker kaputt, und es ist Stille. Stille wie zu Anbeginn der Welt oder an ihrem Ende, und der Londoner Vater und ein paar von den großen Jungs kommen rüber (die Mutter ist bestimmt drinnen und hat sich Ohropax reingemacht oder so, weil der Mäher alle zwei, drei Minuten am Haus vorbeirattert, so dicht allerdings auch wieder nicht. Und immer weiter weg, je näher wir dem Ende kommen), und er sagt: »Geht der Lärm noch lange, Teesdale?«

»Wenn ich die Karre repariert krieg, nicht«, sagt mein Dad und frickelt mit irgendwelchen Schraubenschlüsseln herum.

»Das bedeutet Krach«, sagt der Londoner Vater.

»Meinetwegen nicht«, sagt mein Vater. »Ich streite mich nicht.«

»Nein, nein«, sagt der Londoner Vater. »Es macht Krach. Sie machen verdammt viel Krach.«

»Ich mache gar nichts«, sagt mein Dad, schiebt den Unterkiefer vor und bringt den Trecker wieder ans Laufen. Er macht mehr Lärm denn je, und blauer Qualm steigt im Mondlicht aus dem Auspuff auf.

Sie haben nämlich aneinander vorbeigeredet. Krach heißt bei uns vor allem, dass man sich streitet. Bei denen heißt es aber anscheinend Lärm, oder jedenfalls heute Nacht ist das so. Ich habe das verstanden, aber mein Dad hatte zu tun und war müde und wollte dem Regen zuvorkommen, also hat er nicht weiter achtgegeben. Mein Dad hätte auch Chinesisch sprechen können und der Londoner die Eskimosprache, dann hätten sie sich genauso gut verstanden. Die großen Jungs schienen auch nichts zu kapieren, und sie fingen an zu murmeln und kickten mit den Füßen in dem frisch geschnittenen Gras herum, das der Mäher hinterlassen hat. »Ruhe und Frieden auf dem Land«, sagt einer. »Ruhe und Frieden. Schlimmer als am Piccadilly Circus.«

Ich trete etwas zurück. Ich war zum Scherschuppen geschickt worden, ein Stück John Robert holen, und dann musste ich nachsehen, ob das Moortor für die Nacht geschlossen war, und wie ich auf dem Rückweg so übers Feld komme, sehe ich den kleinen Jungen, Harry, aus dem Schlafzimmerfenster gucken, und unsere Blicke begegnen sich. Und irgendwie weiß ich, der ist schon okay, Londoner hin oder her. Ich weiß, dass er versteht, dass wir so viel Lärm machen müssen, um vor dem Regen das Heu einzubringen. Vielleicht müssen wir noch die ganze Nacht weiterarbeiten. Vielleicht sogar mit Beleuchtung. Ich winke ihm kurz, aber er zieht den Kopf zurück und verschwindet. In der Versenkung. Hätte man auch nicht gedacht, dass Londoner so schüchtern sind.

Na ja, so gegen Morgen sind wir fertig. Am nächsten Tag wenden und schwaden wir das Heu. Und am übernächsten — weil es so ein wunderbar heißer Sommer ist — machen wir schon Ballen und bringen sie in die Scheunen, extra denen zuliebe das vom Light Trees Home Field zuerst, damit sie es hinter sich haben. Das ist natürlich eine lautstarke Angelegenheit, und die Londoner...


Gardam, Jane
Jane Gardam, geboren 1928 in North Yorkshire, wurde für ihr viel bewundertes schriftstellerisches Werk mehrfach ausgezeichnet. Neben der BestsellerTrilogie um Old Filth erschienen zuletzt »Robinsons Tochter« (2020), »Mädchen auf den Felsen« (2022) und »Gute Ratschläge« (2024). Jane Gardam starb 2025 in Oxfordshire.



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