E-Book, Deutsch, 254 Seiten
Geißler Ökonomisierung durch Kalkularisierung
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7445-1087-5
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Zahlenbasierte Leistungsindikatoren und ihr Einfluss auf die Autonomie der Wissenschaft
E-Book, Deutsch, 254 Seiten
ISBN: 978-3-7445-1087-5
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Obwohl mittlerweile seit mindestens 30 Jahren über eine vermeintliche Ökonomisierung debattiert wird, bleibt der Begriff weiterhin diffus und wird für eine ganze Vielzahl unterschiedlicher Phänomene herangezogen. In seiner Studie unterscheidet Pascal Geißler verschiedene Verständnisse dessen, was gemeinhin als Ökonomisierung firmiert und schafft so eine begriffliche Ordnung der Debatte. Dabei interessiert ihn insbesondere die Frage, ob die identifizierten Phänomene zwingend der Logik der modernen Ökonomie, d.h. einer kapitalistischen Logik, folgen oder ob sie auch im Dienst anderer Handlungslogiken stehen können. Konkret betrachtet Geißler das Phänomen der Kalkularisierung, für das er mit Bibliometrie, Hochschulrankings und indikatorbasierter Mittelvergabe im Feld der Wissenschaft sehr prägnante Beispiele findet. Als konzeptioneller Rahmen der AuseinanderSetzung mit einer populären Gesellschaftsdiagnose dient ihm die Theorie sozialer Felder. Er rekonstruiert das wissenschaftliche Feld in diesem Kontext und arbeitet heraus, wie das autonome Feld der Wissenschaft mit vielfältigen externen Ansprüchen, z.B. im Spannungsfeld von anwendungsorientierter und Grundlagenforschung, umgeht und welche Konsequenzen die Versuche heteronomer Einflussnahme für die Feldautonomie haben. Er zeigt, dass Kalkularisierung zwar im Sinne heteronomer Eingriffe in ein autonomes Feld erfolgen, gleichzeitig aber der autonomen Logik des wissenschaftlichen Feldes dienlich sein kann.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Spezielle Soziologie Wissenssoziologie, Wissenschaftssoziologie, Techniksoziologie
- Sozialwissenschaften Pädagogik Pädagogik Bildungssystem Vergleichende und Empirische Bildungsforschung
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Spezielle Soziologie Wirtschaftssoziologie, Arbeitssoziologie, Organisationssoziologie
Weitere Infos & Material
2 Die Debatte um eine Ökonomisierung der Gesellschaft
Zur Frage nach der Ökonomisierung der Gesellschaft oder der Ökonomisierung einzelner gesellschaftlicher Bereiche ist (nicht nur in der Soziologie) mittlerweile eine beachtliche Zahl von Publikationen erschienen. Die Bandbreite der Arbeiten reicht dabei von explizit gesellschaftstheoretischen Varianten (Gabbard 1998; Diedrich und Heilemann 2011; Krönig 2007; Richter 2009) über Arbeiten zu einzelnen gesellschaftlichen Sphären (Bronwen 2003; Robertson 1992; Harms und Reichard 2003a; Löffler 2003b; Röhl 2009; Schlamelcher 2009; Peetz 2014) bis hin zu konkreten Fallstudien, die einzelne Organisationen oder Branchen in den Blick nehmen (Akyel 2013; Roth 2013; Miele 2013; Altmeppen 2009; Czerwick 2007; Dietz 2011; Gause 2004; Krauß et al. 2007; Küsters 2008; Spatschek et al. 2008). Es gibt in der Soziologie einen intensiven Diskurs über die Diagnose der Ökonomisierung. Die Intensität der Diskussion und die hohe Zahl an Publikationen täuschen aber darüber hinweg, dass es innerhalb der Debatte keine einheitliche Begriffsverwendung gibt und eine klare Bestimmung und Abgrenzung des thematisierten Phänomens fehlen. In den wenigsten Debattenbeiträgen finden sich eine Begriffsdefinition oder der Versuch einer Erläuterung, aus der ein empirischer Indikator abzuleiten oder die Möglichkeit des Operationalisierens zu erahnen wäre. Es scheint fast so, als würde die Diagnose Ökonomisierung in einer Selbstverständlichkeit gebraucht, die keiner weiteren Definition mehr Bedarf. Gleichzeitig werden eine ganze Reihe unterschiedlicher Phänomene als Ökonomisierung bzw. deren Ausdruck zusammengefasst, obwohl es möglich wäre, zwischen unterschiedlichen empirischen Phänomenen zu unterscheiden und sie einzeln in den Blick zu nehmen. „Ein verbindlicher Konsens darüber, welche empirischen Phänomene durch den Begriff ‚Ökonomisierung‘ abgedeckt werden, hat sich bislang nicht herausgebildet.“ (Akyel 2013: 32) Auch die Konsequenzen dieses Prozesses können nicht erfasst werden, da darüber „nicht auf der Grundlage eines einheitlichen Begriffsverständnisses befunden“ (Vogel 2007: 161) werden kann. Ökonomisierung wird häufig als ein Bündel von Prozessen beschrieben, sodass auch einschlägige Handbuchdefinitionen eher weit gefasst sind. Uwe Schimank und Ute Volkmann begreifen Ökonomisierung z. B. als „einen Vorgang, durch den Strukturen, Prozesse, Orientierungen und Effekte, die man gemeinhin mit einer modernen kapitalistischen Wirtschaft verbindet, gesellschaftlich wirkmächtiger werden“ (Schimank und Volkmann 2008: 382). Dass es sich hierbei um eine Definition mit Handbuchstatus handelt, überrascht auf den ersten Blick. Mit dem Verweis auf „Strukturen, Prozesse, Orientierungen und Effekte“ wird auch ohne konkrete Benennung eines Phänomens deutlich, dass es sich hierbei um Dinge handelt, die soziologisch auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu verorten sind. Bei näherer Betrachtung wird aber klar, dass eine engere Definition kaum möglich ist, weil eine solche die Bandbreite der diskutierten Themen und Phänomene nicht abdecken könnte. Es handelt sich bei der zitierten Definition demnach nicht um eine Nominaldefinition und die Bestimmung eines Phänomens, sondern vielmehr um eine Formulierung, die ein inhaltliches Spektrum abzudecken versucht und als programmatischer Aufschlag verstanden werden kann. Auch andere Definitionen und Begriffsbestimmungen sind eher vage und helfen nicht dabei, für die konkrete Arbeit näher zu bestimmen, was nun unter Ökonomisierung zu verstehen ist. Üblich sind Definitionen, die verschiedene empirische Phänomene zusammenzubinden versuchen. Ökonomisierung wird dann z. B. definiert als „die grundsätzliche Ausrichtung an marktwirtschaftlichen Prinzipien, wie Profitmaximierung, als auch den Einsatz von Kosten-Leistungs-Rechnung und anderen betriebswirtschaftlichen Management-Methoden, Maßnahmen zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung und die Definition von und Beschränkungen auf so genannte Kernaufgaben“ (Küsters 2008: 3859). Diese Aufzählung hilft nicht dabei, den Kern des zu betrachtenden Phänomens zu identifizieren. Hier werden ganz unterschiedliche Dinge zusammengefasst, obwohl es auch möglich wäre, ausführliche Überlegungen zu jedem einzelnen anzustellen. Der Hinweis, es gehe bei Ökonomisierung um einen „Bedeutungszuwachs wirtschaftlicher Rationalitäten“ (Bogumil 2003: 209), verengt die Bandbreite nur vordergründig, indem ein konkreter Punkt benannt wird. Die fehlende Bestimmung dessen, was die „wirtschaftliche Rationalität“ ist (bzw. mehrere davon, da hier im Plural formuliert wird), lässt ebenfalls eine hinreichende Spezifikation vermissen, die empirische Forschung konkret anleiten könnte. Insgesamt zeigt sich also ein breites und alles andere als einheitliches Verständnis dessen, was mit dem Begriff der Ökonomisierung gemeint ist und wie Ökonomisierung konzeptualisiert wird (zu einer ähnlichen Einschätzung kommen auch Akyel 2013: 31 ff.; Bergmann 2011: 17 ff.; Peetz 2014: 17).8 Gewissermaßen als Konsequenz der mangelnden begrifflichen Klarheit werden innerhalb der Diskussion regelmäßig Dinge als Ökonomisierung bezeichnet, die einander zwar nicht zwangsläufig widersprechen, vom konzeptionellen Ansatz her aber zu unterscheiden wären. Dazu kommt, dass genauso häufig nicht überprüft wird, wie die Gegenthese zur Ökonomisierungsdiagnose aussehen müsste bzw. was eigentlich der Ausgangspunkt ist, von dem aus „ökonomisiert“ würde. „Im Bereich des Wohlfahrtsstaates etwa gelten sowohl Leistungsku¨rzungen (‚Sparmaßnahmen‘) als auch die marktförmige Produktion vormals staatlicher Leistungen als Belege für ein Vordringen wirtschaftlichen Denkens. […] Umgekehrt war zuvor allerdings weder von einer Verstaatlichung der Freizeit durch kommunalen Schwimmbadbau die Rede und ebenso wenig von einer Politisierung der Erziehung durch Abschafung des Schulgeldes.“ (Kaube 2012: 330) Entsprechend einfach ist es auch, die These einer Ökonomisierung der Gesellschaft zu widerlegen. Steffen Roth gelingt dies z. B., weil er für seine empirische Überprüfung ebenfalls eine Definition und Operationalisierung von Ökonomisierung nutzt (und nutzen kann!), die an kein gemeinsam geteiltes Verständnis anschließt. So kommt er als Ökonom zu dem für die Soziologie wenig schmeichelhaften Ergebnis, die These der Ökonomisierung sei mehr „intellektuelles Artefakt“ (Roth 2013: 1495) als empirisches Phänomen. Die uneinheitliche Verwendung von Begriffen ist in den Sozialwissenschaften ein immer wieder anzutreffendes Phänomen, genauso wie die Bezeichnung ein und desselben Phänomens mit unterschiedlichen Begriffen.9 Heterogenität und begriffliche Unklarheit sind so lange kein Problem, wie sie angemessen reflektiert werden und Ausdruck der Arbeit an diesen Begriffen sind. Kein soziologischer Begriff kommt von selbst in die Welt, er muss erst entsprechend herausgearbeitet und geschärft werden. Anderenfalls droht die „Einheit des Phänomens“ (Peetz 2014: 17) zu verschwinden. Die zentralen Fragen dieses Kapitels sind erstens, ob es eine solche Einheit für die Ökonomisierungsdiagnose überhaupt gibt oder ob nicht vielmehr als Ausdruck dieser Diagnose ganz unterschiedliche Begriffe und Phänomene verstanden werden, die in einer eigenständigen Betrachtung viele weitere und ganz andere Ergebnisse zutage fördern würden, als bloß Ausdruck einer größeren Entwicklung zu sein. Und zweitens, ob die Rede von der Ökonomisierung der Gesellschaft nicht verdeckt, dass empirisch zu beobachtende Veränderungen möglicherweise gar nicht zwingend ein Merkmal der Ökonomie sind. Ich werde im Folgenden versuchen, ein gewisses Maß an begrifflicher Ordnung zu schaffen, indem ich die Annahme einer Ökonomisierung zunächst zurückstelle und einen Blick darauf werfe, welche konkreten Phänomene sich in der Debatte finden lassen und wie sie auf einen begrifflichen Nenner zu bringen sind. Ich werde die Phänomene herausarbeiten, die unter dem Begriff Ökonomisierung zusammengefasst werden, sie einzeln betrachten und prägnante und dominante Beschreibungen dessen benennen, was in der Literatur als Ökonomisierung bezeichnet wird. Zunächst werde ich jedoch kurz ausführen, an welchen theoretischen Strang der Debatte ich meine Überlegungen anknüpfe und wie aus der Beobachtung eines Phänomens eine Gesellschaftsdiagnose konstruiert wird. 2.1 Ökonomisierung als Grenzverletzung
Bei aller Uneinheitlichkeit in den Begriffen lässt sich zumindest an einer Stelle eine Gemeinsamkeit in der Ökonomisierungsdebatte beobachten. Die von der Mehrheit aller Beiträge geteilte Grundannahme ist die einer „Raummetaphorik […], nach der es verschiedene gesellschaftliche Bereiche gibt“ (Krönig 2007: 13). Dabei wird Gesellschaft in immer mindestens zwei Bereiche unterteilt: einen...