E-Book, Deutsch, Band 2, 400 Seiten
Reihe: Samantha Spinner
Ginns Samantha Spinner (2). In 80 Tunneln um die Welt
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-401-80879-6
Verlag: Arena Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 2, 400 Seiten
Reihe: Samantha Spinner
ISBN: 978-3-401-80879-6
Verlag: Arena Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Russell Ginns ist Schriftsteller und Spieledesigner, der sich auf Rätsel, Lieder und kluge Unterhaltung spezialisiert hat. Er hat an Projekten für die Sesamstraße, Nintendo, NASA, UNICEF und Hooked on Phonics gearbeitet. Einmal hat er sogar ein Gedicht auf der Rückseite einer Alpha-Bits-Cornflakes-Packung veröffentlicht. Russell lebt und schreibt in Washington, DC.
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ZWEITES KAPITEL
Poster Boy
»Gib acht, dass unser armes Baby sich nicht so viel bewegt, Jeremy!«, sagte Mrs Spinner.
Nipper blickte sich verwirrt um. Er brauchte einen Moment, bis ihm einfiel, dass sein eigentlicher Name ja Jeremy Bernard Spinner war. Normalerweise wurde er von allen immer nur Nipper genannt, weil er als kleines Kind ständig an Sachen genibbelt und andere gebissen hatte. Das machte er jetzt nicht mehr so oft, aber trotzdem nannten ihn alle noch Nipper. Jeremy sagte seine Mutter nur dann zu ihm, wenn sie richtig ärgerlich war.
Er saß auf der Rückbank ihres Autos, mit dem winselnden Dennis auf dem Schoß.
»Halt still«, sagte er. Er hielt den Kopf des Hundes sanft fest, damit der Mops sich nicht den wunden Schwanz lecken konnte.
Stattdessen begann Dennis, Nippers Hand abzuschlecken.
»Hiii…hihihi – lass das!«, kicherte Nipper, ließ jedoch nicht los.
Samantha saß vorne neben ihrer Mutter. Sie hatte die Sonnenbrille auf und Nipper war sich sicher, dass sie draußen nach Spuren suchte.
»Das war nachlässig und gedankenlos, den Stuhl an die Küchentheke zu schieben«, ermahnte Mrs Spinner. »Dieser Hund wartet doch den ganzen Tag lang nur auf Waffeln und … Hörst du mir überhaupt zu?«
»Ich hab doch schon gesagt, dass es mir leidtut, Mom«, gab Samantha zurück, ohne den Blick vom Fenster abzuwenden. »Ich habe etwas unter dem Tisch gesucht. Ich dachte, das ist kein großes Ding.«
»Kleine Dinge«, seufzte ihre Mom, »können große Folgen haben.«
Nipper war erleichtert, dass zur Abwechslung mal nicht er an allem schuld war. Es war ein seltsames Gefühl.
Sie fuhren auf die Klappbrücke zu, die den Stadtteil Capitol Hill mit North Seattle verband. Samantha starrte weiter aus dem Fenster. Nipper konnte sehen, dass sie das blinkende rote Licht der Space Needle – des riesigen Aussichtsturms von Seattle – betrachtete. Dann hatten sie die Brücke überquert und Nipper verlor das Stadtzentrum aus den Augen.
»Irgendein Hinweis auf die SONNE?«, flüsterte er.
Sie drehte sich zu ihm um und schüttelte den Kopf. Anschließend nahm sie die Brille ab und steckte sie in ihre Handtasche.
»Nur noch ein paar Minuten, dann haben wir es geschafft«, sagte Mrs Spinner, als sie das Auto auf den für sie reservierten Parkplatz vor der North-Seattle-Tierklinik lenkte.
Sobald das Auto anhielt, sprang Samantha heraus und öffnete Nipper die Tür. Ihr Bruder stieg aus, mit Dennis auf dem Arm.
»Hier entlang«, sagte Mrs Spinner. Sie winkte sie die Treppe hinauf, zu ihrer Klinik im ersten Stock. Oben angelangt, schloss sie eine Tür auf. In die Milchglasscheibe war eine Aufschrift graviert.
ABTEILUNG FÜR NAGETIERE UND ECHSEN
DR. SUZETTE SPINNER, TIERÄRZTIN
Es war schon nach Dienstschluss, deshalb lag der Flur im Dunkeln. Mrs Spinner knipste das Licht an.
»Bist du sicher, dass du weißt, was du tust, Mom?«, fragte Samantha und zeigte auf das Schild an der Tür.
»Ich weiß genug, um alle möglichen Arten von Tieren zu versorgen«, erwiderte Mrs Spinner.
Nipper sah zwischen seiner Schwester und seiner Mutter hin und her. Die beiden starrten einander an.
»Das schließt sowohl Hunde ein … als auch euch beide«, schloss Mrs Spinner.
Nipper streckte ihr den Mops entgegen.
»Okay«, sagte sie und steuerte auf die andere Seite des Wartezimmers zu. »Ihr zwei wartet hier, in ein paar Minuten habe ich ihn verarztet.«
Sie nahm Dennis und trug ihn durch eine Metalltür hinaus. Die Tür schwang hinter ihr zu und Samantha und Nipper waren allein.
Es war schon lange her, seit Nipper seine Mutter das letzte Mal auf der Arbeit besucht hatte. Hier sah es eindeutig nach einem Ort für Erwachsene aus. Spielzeug gab es nirgends, nur Zeitschriften über Golf und Häuser. Er spielte gerade mit einer Schachtel, auf der Milchzuckerfreier Kaffeeweißer stand, als ihm ein dickes, gebundenes Buch mit dem Titel Weltberühmte Kunstwerke, die man kennen sollte ins Auge fiel.
Nipper setzte sich auf den Boden und begann, das Buch von hinten nach vorne durchzublättern.
»Seite 967 fehlt«, sagte er. »Meinst du, einer von Moms Patienten hat sie gefressen?«
»Das bezweifle ich«, sagte Samantha, die sich über ihn gebeugt hatte. »Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der eine Echse in ein Buch beißt. Und es ist ja auch nicht so, dass man einer Echse das Lesen beibringen könnte oder dass …«
Nipper hatte schon wieder das Interesse an dem gewaltigen Kunstgeschichtsbuch verloren. Er stand auf, spazierte quer durch den Raum und betrachtete ein gerahmtes Poster an der Wand. Es handelte sich um die bunte Illustration einer tropischen Insel, die von Wolken umgeben war. Hier und da waren gezackte Bergspitzen und bonbonrosa Strände zu sehen, funkelnde Flüsse wanden sich durch üppig bewaldete Täler.
Mit Dinosauriern!
Unter der Zeichnung stand ein Gedicht:
Die vergessene Insel der Dinosaurier
In einem Meer voller Nebel
Ganz, ganz weit draußen
Liegt eine bergige Insel
Auf der Saurier hausen.
Du denkst jetzt: Wie spannend!
Wenn ich sie erwähne.
Aber nimm dich in Acht!
Sie haben sehr scharfe Zähne.
Tyrannosaurier brüllen
Und Raptoren reißen
Und ein Lythronax sucht
Nach etwas zu beißen.
Und steigst du auf Bäume
Dort am pinkfarbnen Strand
Frisst ein Pterosaurier
Dich mit Haut und Haar samt.
Es gibt auch Teergruben
Die einen verschlucken.
Wen sie erst mal haben
Werden sie nicht ausspucken.
Also, Kinder, seid brav.
Kein Geschrei und Gewinsel!
Sonst schicken eure Eltern
Euch fort auf die Insel.
Nipper starrte mit zusammengekniffenen Augen auf eine Szene am Rand des Posters. Ein Tyrannosaurus kämpfte gegen einen Triceratops. Dann sah er sich eine andere Ecke an. Dort hockte eine Maiasaura-Mutter über ihrem Nest voller Babydinosaurier.
»Boaaah«, sagte er leise und gedehnt. »Wo liegt diese Insel wohl?«
»Wie alt bist du, fünf?«, erwiderte Samantha. »Das ist bloß ein dummes Gedicht, das kleine Kinder dazu bringen soll, artig zu sein.«
Nipper hielt ihr beide Fäuste vors Gesicht und begann, an seinen Fingern abzuzählen.
»Fünf … sechs … sieben …«
»Und manche achtjährigen Jungs auch«, schnitt sie ihm das Wort ab.
Nipper machte ein finsteres Gesicht.
Samantha beugte sich vor und starrte auf das Poster.
»Es ist nicht mal ein besonders gutes Gedicht«, fügte sie hinzu. »Mit Haut und Haar samt? Und das soll sich auf Strand reimen?«
»Okay, okay, schon verstanden«, sagte Nipper.
Samantha wandte sich ab und Nipper las das Gedicht noch einmal. Unten auf dem Poster ragte ein bedrohlicher Dinosaurier über den Baumwipfeln auf, er hatte sich auf die Hinterbeine gestellt und seine tödlichen Zähne gefletscht.
Nipper formte still für sich mit den Lippen das Wort Lythronax.
Etwas quiekte und er drehte sich um.
Samantha hatte sich über einen kleinen Käfig gebeugt, der auf einem Regal in der Ecke stand.
»Oh … wie süß«, hauchte sie atemlos.
Ein pelziges Tierchen schaute zu ihr auf. Es sah ein bisschen aus wie ein Kaninchen oder vielleicht auch wie eine große Maus. Es hatte einen buschigen Schwanz, runde pinke Öhrchen und ein spitzes graues Pelzschnäuzchen. Ein kleines Etikett war um eines seiner Vorderbeine gewickelt. Nipper trat an den Käfig und legte den Kopf schief, um das Schild zu lesen.
»Chinchilla lanigera. Temuco, Chile«, las er laut.
Das Tier stellte sich auf seine Hinterbeinchen und starrte die beiden aus großen, runden Augen an. Es zuckte mit dem Näschen und gab ein leises Zwitschern von sich.
»Ich liebe Chinchillas«, sagte Samantha.
»Echt? Seit wann?«, fragte Nipper.
Die Tür zum Hinterzimmer schwang auf und ihre Mutter kam herein, mit Dennis auf dem Arm. Sie sah die beiden am Käfig stehen.
»Ihr wollt kein Chinchilla, Kinder«, sagte sie. »Die brauchen eine Menge Spezialpflege. Man muss ihnen regelmäßig Sandbäder bieten.«
Dennis trug einen weißen Plastiktrichter rund um seinen Hals. Er blickte sie traurig an.
»Es hat eine Weile gedauert, bis der Schutzkragen richtig saß«, erklärte Mrs Spinner. »Er war eigentlich für ein Capybara gedacht. Das Ding sollte Dennis für etwa einen Monat von seinem Verband fernhalten.«
Nipper stellte fest, dass Dennis’ Schwanz fest mit weißen Mullbinden umwickelt war. Der Hund drehte den Kopf angestrengt nach links, rechts, oben und unten, weil er über den Trichterkragen hinausschauen wollte.
»Was für ein Albtraum«, sagte Nipper.
Seine Mom nickte und warf Samantha einen Blick zu. Samantha schluckte.
»Lasst uns gehen«, sagte Mrs Spinner. Mit dem Mops auf dem Arm durchquerte sie das Wartezimmer und marschierte zur Tür hinaus.
Nipper betrachtete seine Schwester, als sie ihrer Mutter zur Tür folgte. Samantha sah noch einmal sehnsüchtig zu dem kleinen Metallkäfig zurück. Dann drehte sie sich um und ging nach draußen.
Nipper senkte den Blick auf einen Stapel Broschüren auf dem Regal neben dem Käfig. Er nahm sich eine davon und klappte sie auf.
»Chinchilla Direct«, las er laut. »Lieferservice.«
In den letzten paar Wochen hatte Samantha Nipper zweimal das Leben gerettet. Zuerst hatte sie einem Ninja mit einem altbackenen Brot eins übergezogen und Nipper davor bewahrt, in...