Gregson | Die englische Hebamme | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 624 Seiten

Gregson Die englische Hebamme

Roman
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-20506-5
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 624 Seiten

ISBN: 978-3-641-20506-5
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wo der Monsun tobt und es nach Jasmin und Sandelholz duftet, stellt sich eine Frau ihrer größten Herausforderung ...

England, 1947. Erschöpft von den Kriegsjahren, zieht sich die junge Krankenschwester Kit Smallwood auf die Farm ihrer Freundin Daisy bei Oxford zurück. Dort hilft sie ihr bei der Planung einer Hebammenschule in Indien. Selbst in das ferne Land zu gehen, daran hätte Kit nie gedacht – bis sie den jungen indischen Arzt Anto kennenlernt. Die beiden verlieben sich und heiraten gegen alle Widerstände ihrer Familien. An Antos Seite ist Kit glücklich – doch in Indien warten große Veränderungen auf sie. In einem traditionellen und sich doch stets wandelnden Land muss Kit entscheiden, wieviel sie bereit ist, für ihre große Liebe aufzugeben.



Julia Gregson arbeitete als Model für Hardie Amies, bevor sie sich dem Journalismus zuwandte. Nach Auslandseinsätzen in Vietnam und Indien begann sie in New York, für den Rolling Stone zu schreiben und hat Mohammed Ali, Buzz Aldrin, Ronnie Biggs und die Größen Hollywoods interviewt. Inzwischen ist sie verheiratet, hat eine Tochter, vier Stiefkinder und lebt in Wales mit drei Ponys und zwei Hunden.

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Kapitel 1

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In meiner von Einsamkeit geprägten Kindheit gab meine Mutter ihr Bestes, um mir die Welt schöner und sanfter erscheinen zu lassen. So erklärte sie mir einmal während eines fürchterlichen Unwetters, ich brauchte keine Angst zu haben, denn das sei nur Gott, der im Himmel die Möbel verschiebe – ein Gedanke, der mich die ganze Nacht hellwach hielt.

Ein andermal, in Norwich, wo sie sich um einen älteren Witwer kümmerte, entdeckte ich auf unserem Heimweg vom Kino zwei Menschen, die, wie mir heute klar ist, in einer Gasse lebhaften Sex miteinander hatten. Sie spielen Eisenbahn, meinte Mutter. Ich erwiderte darauf, es sehe gar nicht aus wie unser Eisenbahnspiel, das wir manchmal spielten, indem wir unsere Fußsohlen gegeneinanderdrückten und sie tretend hin und her bewegten. Da lachte sie, oder vielleicht gab sie mir auch eine Ohrfeige. Bei ihr konnte man sich nie sicher sein.

Aber als wir an diesem feuchten Novemberabend in den Norden von Oxfordshire fuhren, hatte sie keine fröhlichen Worte auf Lager. Wir waren unterwegs zur Wickam Farm, wo Daisy Barker wohnte, meine Patentante und Freundin meiner Mutter und, wenn alles schiefging, auch ihre Arbeitgeberin. Daisy hatte uns »aus Gründen, über die wir sprechen werden, wenn ihr hier seid«, zu sich eingeladen, womit ich bestens klarkam, nicht nur, weil das ausgebombte, verbarrikadierte, rationierte London so deprimierend war, sondern weil ich die Farm liebte. Für mich war sie ein Zufluchtsort, für meine Mutter aber war sie aus Gründen, die ich nicht verstand, ein Ort der Schande.

Es regnete in Strömen, so heftig, dass die Scheibenwischer unseres Taxis gar nicht nachkamen; links und rechts ragten Hecken auf, so hoch wie kleine Häuser, und grenzten die Welt auf die feuchte Straße vor uns und einen grauen Himmel über uns ein. Und sie schluckten alle Geräusche, bis auf das Rauschen des Regens und das Krächzen eines nassen Fasans.

Eine Herde Jersey-Rinder, von der Nässe dampfend, blockierte unseren Weg bei den römischen Ruinen an der Straßenkreuzung. Unser Taxifahrer war ein freundlicher alter Herr, der die schweren Koffer meiner Mutter mit Begeisterung in den Wagen gestemmt und dabei ausgesehen hatte, als würde er alles für sie tun (sie hatte diese Wirkung auf Männer). Jetzt plapperte er vor sich hin und versuchte im Rückspiegel Blickkontakt mit ihr aufzunehmen. Neulich, meinte er, habe er alle möglichen Leute zu Miss Barker gebracht: Missionare, Schullehrer, Krankenschwestern, sogar ein paar Farbige. »Unterhält sie dort nicht eine Art indische Wohlfahrtseinrichtung?«, erkundigte er sich.

Ich spürte, wie meine Mutter neben mir erstarrte. »Keine Ahnung«, erwiderte sie im leicht pikierten Akzent der Home Counties. »Ich habe sie eine Ewigkeit nicht gesehen.«

Dabei grub sie ihre Nägel in meine Hand und verdrehte hinter seinem Rücken die Augen. Seit dem Krieg war die »Impertinenz des gewöhnlichen Mannes« eines ihrer Lieblingsthemen, selbst wenn es um Gespräche ging, die sie begonnen hatte. Aber das zeichnete meine Mutter nun mal aus: Sie sandte ständig die unterschiedlichsten Botschaften aus.

Wir hatten den Eisenzaun erreicht, der die Grenze der Wickam Farm markierte, und als wir um die nächste Kurve bogen und ich die lange Einfahrt, die gekappten Eschen und die dunklen Wälder im Hintergrund sah, schlug mein Herz schneller. Wir waren da: Wickam Farm, der einzig mir bekannte Ort, der für mich so etwas wie ein Zuhause war. Hier lebte Daisy.

Daisy mit ihren großen Zähnen und dem wiehernden Lachen war für mich so etwas wie eine Mutterfigur geworden, obwohl sie selbst keine eigenen Kinder hatte. Sie war es, die mich in meinem Bestreben, Krankenschwester zu werden, ermutigt hatte: »Das ist etwas Solides und Nützliches, auf das du zurückgreifen kannst, wenn der Krieg vorbei ist.« Und Daisy war es, die, als ich am St.-Thomas-Krankenhaus angenommen wurde, mit mir zu Garrould’s ging, um Kleider und Schürzen, das marineblaue Kostüm und den kleinen Hut zu kaufen.

Daisy, die auf liebenswerte Weise wie ein zu groß gewordenes Schulmädchen aussah, hatte vor dem Krieg in Bombay ein Waisenhaus unterhalten. Sie hatte Bücher geschrieben und politische Pamphlete verfasst und war dann während des Krieges nach Hause gekommen, um sich um die Farm zu kümmern, die vom MI6 requiriert worden war. Während dieser Zeit diente die Farm Künstlern, Bohemiens und Gelehrten als Bleibe, in der es hoch herging wie in einem Studentenschlafsaal. Wann immer es mir möglich war, verbrachte ich meine freien Tage hier und lauschte, wenn Daisy mit den klugen Männern rund um den Küchentisch debattierte und ihnen an Intelligenz und Unerschrockenheit in nichts nachstand. Ich konnte es gar nicht erwarten, sie wiederzusehen.

Als wir uns dem Haus näherten, ging das Licht auf der Veranda an. Daisy kam in einem Tweedmantel und mit Galoschen herausgeschossen und rief dem Fahrer »Vorsicht! Vorsicht!« zu, um ihn vor einem neuen, riesigen Schlagloch in der Einfahrt zu warnen. Sie schloss meine Mutter in die Arme – »Glory, wie schön, dich zu sehen« –, und ich freute mich. Ich wünschte mir, dass andere Leute meine Mutter liebten, auch wenn ich selbst das nicht konnte. Dann vergrub ich mein Gesicht zur Begrüßung in dem alten Tweedmantel.

Daisy berichtete uns, die Einfahrt sei inzwischen so gefährlich, dass es sicherer war, die letzten hundert Meter zu Fuß zu gehen. »Bereitet es Ihnen große Umstände, ihre Koffer ins Haus zu tragen?«, fragte sie den Fahrer, der nichts dagegen hatte. »Oh, wären Sie so freundlich?«, sagte sie noch, und er trottete glücklich hinterher. Es gehörte zu den vielen Gaben Daisys, jedem das Gefühl zu geben, dass ihm bei welcher Aktion auch immer eine wichtige Rolle zukam.

Das Farmhaus war ein beeindruckendes dreistöckiges spätviktorianisches Gebäude mit Giebeldach. An diesem Tag hüllte der Regen es in einen gespenstischen Dunstschleier. Seine abblätternden Fenster trugen ein struppiges Kleid aus wildem Wein, durch den vier schwache Laternen drangen.

Ein Pferd kam ans Tor galoppiert, um Daisy zu begrüßen.

»Bert wurde nach dem Krieg aus dem Wehrdienst entlassen.« Sie streichelte ihn zwischen den Ohren. »Sein Besitzer ist gefallen, und so haben wir ihn fast umsonst bekommen – nicht wahr, Bert? –, auf der größten Pferdeauktion der Welt, dem Elephant-and-Castle-Markt. Die Hälfte dieser armen Wesen wird jetzt als Fleisch vermarktet.« Sie reichte mir ein Stück Brot, damit ich es Bert geben konnte. Ich spürte seine samtig weichen Lippen auf meiner Hand und sah seine im Zwielicht leuchtenden dunklen Augen. Ich atmete tief durch.

»Ich bin so froh, wieder hier zu sein, Daisy«, sagte ich emotionaler, als ich das meiner Mutter wegen beabsichtigt hatte, die fröstelnd und angespannt neben mir stand.

»Wir sind im Moment ein wilder Haufen auf dieser Farm«, berichtete Daisy, als wir über den knirschenden Kies liefen. »Wie es aussieht, unterhalte ich hier eine Art Pension von Indienheimkehrern – ich sag doch: aufpassen.« Sie hielt den Strahl ihrer Taschenlampe auf das nächste große Loch. »Ci Ci Mallinson ist mit ihrer Tochter Flora zurück aus Bombay, sie hat das obere Schlafzimmer gemietet, und natürlich Tudor, mein Halbbruder.«

Meine bei mir untergehakte Mutter verstärkte ihren Griff. Sie hatte mir im Zug ganz beiläufig von Tudor erzählt. Er sei vierzig, was in meinen Augen schon alt war, und unverheiratet, und ihm gehöre die Hälfte der gut acht Hektar großen Farm. Tudor, dem ich nie begegnet war, der aber vielleicht, nur vielleicht, möglicherweise … nun, den Rest könne ich mir ja denken, denn, wie meine Mutter als unverbesserliche Kupplerin nicht müde wurde zu betonen, Männer waren nach dem Krieg eine Rarität, und ich näherte mich dem fatalen Abgrund von dreißig, ein Alter, in dem »die Blütezeit einer Frau zur Neige geht. Aber nicht bei dir, Liebling – und wage es nicht, vor mir mit den Augen zu rollen! Ich meine es doch nur gut mit dir.«

»Tudor hat die meiste Zeit im Internat verbracht, während ich in Indien war«, fuhr Daisy fort, »und so lernen wir uns erst jetzt richtig kennen. Wir haben euch zu Ehren mit dem Abendessen gewartet.«

»Tut mir leid, wenn wir euch haben warten lassen«, sagte meine Mutter, bereits wieder in der Defensive.

»Glory.« Daisy legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. »Ich freue mich doch so, dass ihr hier seid.«

Der düstere Flur sah noch genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Unter unseren Füßen knarrte das Löwenfell. Von den Wänden starrten uns kalt die Köpfe von Füchsen, Rehen und einem Tiger an. (Daisys Vater, der Staatsdiener in Mysore gewesen war, war ein eifriger Jäger gewesen.) Es roch angenehm vertraut nach Hunden, Speck, Suppe und feuchten Regenmänteln.

»Als Erstes müssen wir den kleinsten Raum aufsuchen«, erklärte meine Mutter Daisy und zerrte mich mit ins untere Badezimmer. »Wir sind gleich wieder da.« Sie verschloss die Tür, zog mir den Hut vom Kopf, holte einen Lippenstift heraus – er hatte keine richtige Verschlusskappe – und versuchte, ein wenig davon auf meine Wangen zu tupfen.

»Was soll das, Mummy? Das kann ich schon selbst, wenn es sein muss.« Ich riss mich los von ihr, wusch mir die Hände und versuchte, mich wieder unter Kontrolle zu bekommen.

»Vertrau mir, Liebes«, sagte sie. »Es muss sein. Du bist so blass, wir müssen zusehen, dass du ein Stärkungsmittel bekommst.«

»Kein Stärkungsmittel!«, erwiderte ich theatralisch, wohl wissend, dass wir uns jetzt nicht streiten durften. Ihr umwerfendes schwarzes Haar knisterte wie ein Waldbrand, als sie es bürstete, und sie schnaufte heftig. Um sie zu...


Gregson, Julia
Julia Gregson arbeitete als Model für Hardie Amies, bevor sie sich dem Journalismus zuwandte. Nach Auslandseinsätzen in Vietnam und Indien begann sie in New York, für den Rolling Stone zu schreiben und hat Mohammed Ali, Buzz Aldrin, Ronnie Biggs und die Größen Hollywoods interviewt. Inzwischen ist sie verheiratet, hat eine Tochter, vier Stiefkinder und lebt in Wales mit drei Ponys und zwei Hunden.



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