E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: Dein Erfolg
Greiser Wenn der Erfolg plötzlich Pause macht
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96740-210-0
Verlag: GABAL
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Reparaturanleitung für Ihre Karriere
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: Dein Erfolg
ISBN: 978-3-96740-210-0
Verlag: GABAL
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christian Greiser ist Executive Coach und Unternehmensberater. Der 'Karrieremechaniker' begleitet Vordenker, Gestalter, Entscheider und Unternehmer auf ihrem persönlichen Entwicklungspfad und hilft ihnen sich ihrer wahren Werte, Talente und Stärken bewusst zu werden. In seiner Arbeit verbindet er ein Gespür für persönlichkeitsbezogene Themen mit der Perspektive eines Senior-Strategieberaters und mit eigener operativer Führungserfahrung. Bevor er sich selbstständig machte, war Christian Greiser Senior Partner bei der Boston Consulting Group (BCG) und weltweit für eine der größten Praxisgruppen verantwortlich. Er hat in unterschiedlichen Kulturkreisen gearbeitet, multinationale Konzerne beraten und Führungskräfte bis zur Vorstandsebene gecoacht. Als Career Advisor hat er andere Partner bei ihrer Karriereentwicklung begleitet und war als Recruiting Director viele Jahre für den BCG-Nachwuchs verantwortlich. Der studierte Ingenieur hat zuvor ein Geschäftssegment bei der Mannesmann AG geleitet. Er hat in Braunschweig, Paris und London studiert und ist Fellow am Institute of Coaching (McLean, Affiliate of Harvard Medical School). Seit über 15 Jahren meditiert Christian Greiser mit Zen-Meistern in Europa und Asien und ist Mitgründer eines globalen Achtsamkeitsnetzwerks. Diese Erfahrung fließt auch in sein Coaching ein.
Autoren/Hrsg.
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Prolog: Plötzlich ist der Motor aus |
Ganghwa, Südkorea, 9. September 2007: Im Kloster
Ich werde von einem dumpfen Klopfen wach. Es hört sich an, als ob jemand langsam einen Nagel einschlüge. Es ist dunkel und mein Rücken schmerzt von der harten Matratze. Ich taste nach meiner Uhr, 3:30 Uhr. Wo bin ich? Gedankenfetzen tauchen auf, »Busfahrt, Mönche, Kloster … Kloster! Ich bin in einem Kloster.« Statt Glocke gibt es hier Holzbrett und Hammer als Wecksignal, es ist Zeit für das Morgenritual. Zum Ankleiden bleiben nur ein paar Minuten. Der graue Meditationsanzug ist hart und kratzt, die schwarzen Stoffschuhe drücken. Vor meiner Zelle auf dem Flur treffe ich Jules, einen groß gewachsenen Belgier. »Sind wir zu spät?«, fragt er etwas ängstlich. »Ich hoffe nicht«, sage ich, während wir hektisch aus dem Schlaftrakt in das Dunkel draußen vor der Tür stürmen und uns eilig auf den Weg zum Tempel auf dem kleinen Hügel machen. Er liegt im Zentrum der Klosteranlage. Es regnet leicht.
Wir sind Gäste in einem Kloster und haben uns erst gestern kennengelernt. Ich bin als Unternehmensberater nach Südkorea gekommen. Zusammen mit meinem Team unterstütze ich einen großen Maschinenbau-Kunden bei der Restrukturierung seiner koreanischen Tochtergesellschaft. Es gibt viele Probleme: veraltete Produkte, schlechter Service, zu niedrige Preise, zu geringe Produktivität der Fabrik und damit hohe Verluste. Selbst über eine Teilverlagerung der Produktion nach China wird diskutiert. Aus Beratersicht geht es um das gesamte Programm. Der Kunde hat sich mit einer Übernahme verhoben. Da kurzfristig eine bilanzielle Überprüfung ansteht, arbeiten wird unter hohem Zeitdruck. Wir haben zwölf Wochen Zeit, ein tragfähiges Restrukturierungskonzept vorzulegen. Ich habe mich zu diesem Abenteuer von einem Kollegen überreden lassen. Es ist das erste Mal, dass ich in Korea bin.
Die Wochenenden habe ich bisher in Seoul verbracht. Meine Familie ist zu Hause in Deutschland. Nur einmal bin ich bisher zurückgeflogen. Ansonsten habe ich im Hotel gearbeitet oder die Stadt erkundet. Ich war häufig in Insadong, einem Künstler- und Antiquitätenviertel. Hier gibt es Pinselmacher, Schilderschnitzer, Galerien und zahlreiche kleine Restaurants. Die Straßen sind mit Menschen gefüllt, es ist bunt und riecht fremdartig. Jemand hat mir erzählt, dass es Ginseng-Duft ist. Ich habe mit meinem Handy kleine Filme gedreht und an meine Kinder geschickt. Ich vermisse meine Familie.
Im Fitnessraum des Hotels auf dem Laufband habe ich einen Film über Zen-Meditation gesehen. Hier in Korea gibt es die Möglichkeit, für ein Wochenende mit den Mönchen zu leben, ein sogenannter Templestay. Teilnehmer erhalten die Möglichkeit, an den Tagesabläufen und Ritualen teilzunehmen, die buddhistische Kultur kennenzulernen, in den schönsten Klöstern Koreas zu übernachten und vor allem zu entspannen, zu reflektieren und wieder Energie zu tanken. Ich habe mich für ein Wochenende angemeldet.
Gestern bin ich im Kloster angekommen. Die Anreise war ein Abenteuer. Ich spreche kein Koreanisch, der Busfahrer sprach kein Englisch. Ich habe versucht, mit Händen und Füßen zu kommunizieren, vergeblich. Eine Gruppe kichernder Jugendlicher hat mir schließlich geholfen. Einer von ihnen sprach ein bisschen Englisch und konnte dolmetschen. Anschließend wurde ich neugierig befragt, wo ich herkomme und warum ich in ein Kloster fahre. Als ich schließlich in einem kleinen Dorf in der Nähe des Klosters ausgestiegen bin, haben sie etwas mitleidig hinter mir hergeschaut. Als ob ich Schloss Dracula besuchen wollte.
Das Kloster liegt in einer herrlichen Hügellandschaft, umgeben von Laubwäldern mit hohen Bäumen. Am Eingang kam mir schon ein Mönch entgegengelaufen, mit einem breiten Lachen im Gesicht. Er hat mich direkt in mein Zimmer geführt und mir graue Kleidungsstücke übergeben, die ich als Teilnehmer hier vor Ort tragen muss. Dann habe ich die anderen Templestay-Teilnehmer getroffen. Jules ist Vertriebsmanager in einem Automobilkonzern. Dann sind da noch drei Studentinnen aus Frankreich, ein junger japanischer Mediziner und ein älterer Brasilianer, der früher Augenarzt war und jetzt als Aussteiger lebt. Bei einer Tasse Tee haben wir uns näher kennengelernt. Den Rest des Tages haben wir mit einer Einführung in die strengen Klostergepflogenheiten verbracht, zum Beispiel wie man einen Tempel betritt, wie man sich verbeugt, welche Mantras und Gesänge es gibt. Vor allem habe ich die Atmosphäre im Kloster gespürt, es ist eine seltsame Mischung aus Ruhe und Energie zugleich.
Mystische Atmosphäre
Ich weiß eigentlich nicht genau, warum ich an diesen Ort gekommen bin. Sicherlich ist es Neugierde, aber auch die Suche nach Ruhe. Die ersten Wochen waren unglaublich anstrengend. Seoul ist von Menschen überfüllt, es ist heiß, die Luftfeuchtigkeit macht mir zu schaffen, die endlosen Taxifahrten durch die lärmende Stadt sind zermürbend, der Druck auf dem Projekt ist hoch. Immer wieder gibt es im Team kulturelle Missverständnisse. Niemand sagt hier »Nein«, das heißt aber nicht, dass damit »Ja« gemeint ist. Ich muss zwischen den Zeilen lesen, das kostet auf Dauer Zeit und Kraft. Ich finde keine Zeit zum Nachdenken. Hier im Kloster kann ich zumindest für ein Wochenende Handy und Blackberry ausschalten.
Als Jules und ich an diesem Morgen fast im Laufschritt den Tempel betreten, sind die anderen bereits dort. Beim Morgenritual herrscht eine mystische Atmosphäre. Der Mantra-Gesang der Mönche vermischt sich mit dem Geräusch des frischen Morgenregens draußen vor den geöffneten Tempeltüren. Die vielen Kerzen und Laternen wirken geheimnisvoll, die Räucherstäbchen verströmen einen würzigen Duft. Wir nehmen an den 108 Verbeugungen vor Buddha teil. Anschließend gibt es eine Morgenmeditation. Gestern Abend haben wir eine erste Meditationseinführung erhalten: Sitzen in Kraft und Stille auf dem harten Meditationskissen, Konzentration auf den Atem, Zählen der Atemzüge von eins bis zehn beim Ein- und Ausatmen, immer wieder von vorn. Damit werden die Wogen der Gedanken geglättet – soweit die Theorie.
Mir fällt die Übung heute Morgen schwer. Die Einheit von Körper und Geist will sich einfach nicht einstellen, trotz der besonderen Atomsphäre im Tempel. Ich bin müde. Immer wieder schweifen meine Gedanken ab, ich bin kurz davor einzuschlafen. Der Rücken schmerzt vom geraden Sitzen auf dem Meditationskissen. Vielleicht ist es auch die Nachwirkung der harten Matratze in der Nacht. In den Knien spüre ich einen stechenden Schmerz. Einen Stuhl gibt es hier leider nicht. Ich beobachte Jules und die anderen. Sie sitzen alle ruhig auf ihren Kissen, alle scheinbar tief entspannt. Mein Wettbewerbsinstinkt erwacht. Was sind die Erfolgsfaktoren bei dieser Übung? Hier geht es doch nur darum, einfach zu sitzen und dabei an nichts zu denken. Was ist so schwer daran? Warum gelingt mir das nicht?
Wieder und wieder schweife ich beim Zählen in Gedanken ab und schaffe es bestenfalls bis fünf. Ich quäle mich und mache fast einen Leistungssport aus der Übung. Die Schmerzen im Rücken und in den Knien nehmen zu. Langsam macht sich bei mir eine innere Wut breit. Was um alles in der Welt mache ich hier eigentlich? Ich könnte um diese Zeit noch gemütlich in meinem komfortablen Bett im Westin-Chosun-Hotel in Seoul liegen. Ich würde ein hervorragendes Continental Breakfast bekommen statt sauer riechendem koreanischen Kimchi im Kloster. Außerdem müsste ich dringend eine Präsentation vorbereiten. Stattdessen sitze ich hier auf dem Fußboden inmitten der ganzen Tempelfolklore und spiele Freizeitmönch. Warum? Ich bin kurz davor aufzuspringen und rauszugehen.
Was bleibt, wenn alles weg ist?
Erst jetzt fällt mir auf, dass sich der Morgenregen gelegt hat, nur ein paar Vögel sind draußen zu hören. Es herrscht eine intensive Stille. Keine lärmende Stadt, kein Handy, kein Fernsehen, kein Radio. In diesem Moment habe ich das Gefühl, dass die Welt um mich herum plötzlich stillsteht. Als ob jemand auf Stopp gedrückt hätte. Zunächst spüre ich eine tiefe Ruhe. Dann, wie aus dem Nichts, höre ich auf einmal laut und deutlich eine innere Stimme: »Und? Wer bist du jetzt?«, »Wer bist du, wenn du mal nicht dem Erfolg nachhetzt?«, »Wer bist du jenseits von Beruf und Familie?« Dabei kommt es mir fast so vor, als ob ein Teil von mir für einen Augenblick verschwunden sei, ich fühle mich leer, stehe an einem Abgrund und klammere mich irgendwo fest. »Lass los und mach einen Schritt nach vorn«, sagt die innere Stimme ruhig. »Es wird dir nichts passieren.« Eine regelrechte Panik erfasst mich. Dann höre ich den Gong, die Meditation ist zu Ende. Erleichtert und...