Grond Almasy
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-7099-7520-6
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-7099-7520-6
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Walter Grond geboren 1957, lebt in Melk/Wachau. War unter anderem Herausgeber der Literaturreihe 'Essay' und der Zeitschriften Nebelhorn, ABSOLUT und Liqueur. Autor der Romane 'Landnahme', 'Labrys', 'Das Feld', 'Stimmen' und 'ABSOLUT GROND'. Autor und Organisator von 'GROND ABSOLUT HOMER'. Im Frühjahr 2002 Arbeit am Projekt 'Schreiben am Netz' am Collegium Helveticum der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit der Neuen Zürcher Zeitung. Seit 2004 Projektleiter von readme.cc, ab 2005 Herausgeber (mit Beat Mazenauer) der Reihe 'Lesen am Netz. Bücher, Websites' im Studienverlag/Haymon Verlag, lesenamnetz.org. Bei Haymon: 'Der Soldat und das Schöne'. Roman (1998), 'Der Erzähler und der Cyberspace'. Essays (1999), 'Old Danube House'. Roman (2001), 'Almasy'. Roman (2002), 'Schreiben am Netz'. Literatur im digitalen Zeitalter (gem. mit Johannes Fehr, 2003), 'Drei Männer'. Novelle (2004), 'Der gelbe Diwan'. Roman (2009) sowie zwei Bände der Reihe 'Draußen in der Wachau'. Der etwas andere Reisebegleiter (2011 und 2012). Im Herbst 2012 erscheint sein neuer Roman 'Mein Tagtraum Triest'.
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DIE HÖHLE DER SCHWIMMER
Von Ladislaus Eduard Almásy machte sich Nicolas Lemden während der Produktkonferenz zum ersten Mal ein Bild. Der Autopionier und Wüstenforscher war groß und hager, sein Haar blond und nach hinten gekämmt. Auf vergilbten Fotos posierte er vor einer Limousine, auf einem Wüstenflugplatz, neben einem Kamel. Unbeholfen ließ er die Arme hängen und drehte die Füße nach außen. Die Art aber, wie Almásy – auf anderen Aufnahmen – die Zigarette mit gestreckten Fingern hielt, bestärkte Lemdens Vorstellung von einem Aristokraten.
Den Managern, die um den Konferenztisch saßen und dem Film über Almásy folgten, war die Neugierde ins Gesicht geschrieben. Der legendäre Abenteurer hatte in den zwanziger Jahren als Werksfahrer gearbeitet. Stimmungsvoll erzählte der Film von waghalsigen Wüstenfahrten, die Almásy anfänglich organisiert hatte, um in Ägypten einen neuen Markt für Autos zu erschließen.
Wichtige Konferenzen wie jene über das Werbekonzept für den neuen Geländewagen fanden mit Blick auf den Himmel statt. Die Vorstandsetage befand sich im zwölften Stock des Towers, der mit einer Glasfront umhüllt war. Das Video spielte auf den sechs Monitoren in der Teakholzwand, Fenster in eine Welt, die die Männer in ihren Lederstühlen zu hypnotisieren schien. Längst zog Almásys Flug über die Wüste die Konzernleiter in seinen Bann. Sie umkreisten die Pyramiden von Giza, flogen hinaus in die Dünen.
Als die alten Werksanlagen in der Provinz ins Bild rückten, ging ein Gelächter um den Tisch. Hier hatte Ladislaus Almásy seine erste Wüstenreise geplant. Daher griff die Marketingabteilung eine Idee der Werbeagentur auf und schlug vor, das Auto auf den Namen dieses schillernden Aristokraten zu taufen – als ALMASY sollte das Geländefahrzeug auf den Markt kommen.
Den Einwand, daß niemand den alten ungarischen Namen richtig aussprechen würde, nämlich das als und die Betonung auf der ersten Silbe wie im Ungarischen üblich, ließ man nicht gelten. „Soll doch jeder sagen, wie er will“, hatte es in einer Diskussion zu dem Punkt geheißen. Und: „Den mißverständlichen Akzent über dem zweiten lassen wir einfach weg.“
Für das neue Produkt bedeutete Almásy tatsächlich das ideale Image, sagte sich auch Nicolas Lemden. Ein Rennfahrer, Flieger und Techniker, Expeditionsleiter, Forscher und Entdecker, im Zweiten Weltkrieg Offizier und Spion. . Der junge Produktmanager notierte den möglichen Slogan und beobachtete dann wieder seine Vorgesetzten.
Die Männer richteten sich aus ihrer gebückten Haltung auf und gerieten immer mehr in den Sog der Vergangenheit. Ein Europäer hatte in den dreißiger Jahren seinen Wohlstand der Leidenschaft für die Wüste geopfert! Der Schauspieler, der im Werbefilm diesen Almásy darstellte, hantierte mit einem Kompaß, während andere einen kleinen, mit Ausrüstung überfrachteten Lastwagen über eine Düne manövrierten. Eine dunkle Stimme kommentierte, in der Zwischenkriegszeit sei ein ausgeprägter sportlicher Geist eher britischer Art im einstigen Hochadel der österreichisch-ungarischen Monarchie durchaus vorhanden gewesen, dazu noch in der Person Almásys eine pfadfinderhafte Romantik, Abenteurergeist, exzellente Fitneß, eine hohe Allgemeinbildung und Selbstsicherheit im Auftreten. Almásy sei auch ein Pionier der Lüfte gewesen, langjähriger Fluglehrer in Ägypten, der Internationale Airport von Kairo trage seinen Namen: .
In zwei Monaten würde Nicolas Lemden als Leiter eines Teams den neu entwickelten Wagen bei der Automesse in Kairo präsentieren. Seinerzeit hatten Wüstenexpeditionen außergewöhnliche Gewandtheit im Kompaßlesen und Kartenzeichnen erfordert. Almásy war ein Orientierungsgenie, das neue Fahrzeug ein High-tech-Gerät der Luxusklasse, würde sogar Halbschuhtouristen Wüstensafaris ermöglichen. Mit einem Satelliten-Navigationsfunksystem ausgestattet, könne der Bordcomputer nicht nur jeden x-beliebigen Standort berechnen, sondern erlaubte es dem Lenker auch, vom letzten Wüstenwinkel aus mit seinen Freunden zu kommunizieren.
Der Kommentator sprach in geheimnisvollem Tonfall, hauchte geradezu, Almásy sei immer wieder nach Ägypten zurückgekehrt. Er habe als erster ausgedehnte Autofahrten unter den extremen Bedingungen der Sahara gewagt und später kombinierte Flug- und Autoexpeditionen geleitet, ein von Gerüchten umrankter Mann, ein Europäer, den seine Beduinenfreunde , Vater des Sandes, genannt hätten.
Im Video war das Geräusch eines Filmprojektors zu hören. Nicolas beugte sich vor und schaute gespannt auf den Monitor. 1929 hatte ein Kameramann den Abenteurer in die Wüste begleitet, und dessen Aufnahmen waren nun auf dem Video zu sehen. Auf flimmernden Schwarzweißbildern betrat jetzt der echte Almásy eine Veranda am Rand einer Wüste, über die die Kamera schwenkte. Almásy rauchte, lächelte, durchaus charmant, ein wenig verschlagen. Sprach er mit Afrikanern, stützte er seine Arme in die Hüfte, nicht herrisch, eher gütig und herablassend.
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Männer mit Lederkappen, Almásy auf einer Couch, wie er ein Whiskeyglas zum Toast hebt. Automobilisten, die sich ins Cockpit ihrer Fahrzeuge zwängen.
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Männer, die einen Wagen auf Strickleitern über eine Düne ziehen. Räder, die im Sand durchdrehen, Almásy auf den Knien, mit den Händen schaufelt er ein Rad frei, Schwarze eilen herbei, mit Spaten und Strickleitern.
Der Assistent am unteren Ende des Konferenztisches war längst in Träume versunken, die Augen des Technischen Direktors glänzten, und selbst aus dem Gesicht des Generaldirektors, der den Ruf peinlicher Korrektheit genoß, war jegliche Nüchternheit verschwunden. Vor siebzig Jahren hatte ein Mitteleuropäer sein halbes Leben in der Wüste verbracht, Land vermessen und Karten gezeichnet, neue Routen durch die Dünen versucht, Expeditionen angeheuert, um nach alten Legenden zu stöbern. Und nun gingen Männer, die einem großen Konzern vorstanden, diesem Almásy und seinem Wüstenwahn auf den Leim!
Durch die Glasfront fiel diffuses Licht, und bei dunklen Bildern spiegelte sich Nicolas’ Gesicht auf einem Bildschirm. Nicolas verstand sich als Analytiker, der hart zu kalkulieren wußte. Als Stratege verbarg er das freilich, und so stellte er jetzt zufrieden fest, wie gewinnend sein Bild auf dem Monitor lächelte.
Mit der filmischen Morgenröte verschwand das Gesicht vom Bildschirm. Warum gingen Europäer in die Wüste? fragte sich Nicolas. Wollten sie den Tod überwinden? Ein Fall für die Couch eines Psychoanalytikers? Oder hieße es nicht besser: für den eines Psychoanalytikers, um den exotischen Reiz zu bedenken, den der Orient auf gelangweilte Europäer ausübte? Die ganze Ägyptologie eine Freudsche Fehlleistung. Nicolas würde nicht in die Falle der Sentimentalität tappen.
Sein Blick schweifte zur Glasfassade, dahinter flatterten mehrere Sonnensegel im Wind. , ging es Nicolas durch den Kopf, denk an die Fähigkeiten, die du in Kürze den Männern um den Konferenztisch unter Beweis stellen wirst. Er besaß ein selektives Wahrnehmungsvermögen, schaute einen Film an, speicherte Informationen, registrierte gleichzeitig die Reaktionen seiner Vorgesetzten und konnte dabei an etwas anderes denken. Gerade malte er sich den Körper seiner neuen Praktikantin aus, ja, sie sitze unten im Park, räkle sich in der Frühlingssonne. Sie hatte Konsequenz als ihre hervorstechende Eigenschaft bezeichnet. Eine Frau, die konsequent sein wollte: die Vorstellung erregte ihn.
Er lehnte sich zurück in den Stuhl. Da spürte er eine Hand im Rücken, der Werbeagent hatte sich auf die Lehne gestützt, ein schwammiger Vierzigjähriger mit langem Pferdeschwanz. Neben dem Generaldirektor saß eine junge Frau. Ihr kurzes Haar ließ die Ohren frei, große wohlgeformte Ohren, und sie behielt ihre Hände unter dem Tisch. Nicolas kannte sie nicht.
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Frauen in Tropenanzügen, zum Ausflug in die Wüste gebeten, die Fahrt entlang der Pyramiden von Giza, bestaunt von Beduinen und Kamelen.
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Sandstürme, die Fahrzeuge nebeneinander auf ebenem Wüstengelände.
Und wieder blieb Nicolas’ Blick an der Fremden am unteren Ende des Tisches hängen. Er taxierte sie als durchschnittlich attraktiv, im etwas billigen Outfit wirkte sie fehl am Platz.
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Ein Floß, Almásy raucht eine...




