E-Book, Deutsch, Band 8, 370 Seiten
Güsken Lies mir das Buch vom Tod
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95441-711-7
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Krimi aus Münster
E-Book, Deutsch, Band 8, 370 Seiten
Reihe: Ex-Hauptkommissar Niklas De Jong
ISBN: 978-3-95441-711-7
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lesen und sterben in Münster
Wie viele andere Städte will auch Münster zu einer Heimat des Buches werden. Eine ganze Woche lang soll bei »Münster liest« die Stadt für Bewohner und Gäste wie ein aufgeschlagenes Buch sein. Doch die ungetrübte Lesefreude wird jäh gestört, als in einer Kriminalroman-Ausstellung im neuen Landesmuseum ein Toter mit gebrochenem Genick entdeckt wird.
Exhauptkommissar de Jong macht um Mordfälle eigentlich einen großen Bogen, aber hier handelt es sich um eine persönliche Sache, denn der Tote war sein Freund Ollie Frings. Gibt es womöglich einen Zusammenhang mit dem beliebten Büchertalk »Menetekel«, den Ollie unmittelbar vor der Tat moderiert hat?
Schon bald geschieht ein weiterer Mord im Umfeld der Literatur. Während die Kripo hektisch ermittelt, um weitere Opfer zu verhindern und einen Imageschaden für die Stadt abzuwenden, führt die Spur de Jong in die Vergangenheit, in die frühen Neunzigerjahre, zu seinem ersten Kriminalfall in Münster.
Ein Doppelmord am Berg Fidel wurde damals von der Presse als »der Mundharmonika-Mord« zum grausigsten Verbrechen in der Geschichte der Stadt gekürt. Aufgeklärt wurde diese Tat nie. Bis heute?…
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3. Kapitel
Was de Jong nicht erwähnte, war, dass Ollie Frings viele Überzeugungen hatte. Das mit dem Lesen und dem Intellektualismus war nur eine von vielen, insofern konnte es sehr gut sein, dass er momentan eine ganz andere hatte. Und eine zweite Sache: Sosehr auf Frings die Bezeichnung »alter Bekannter« passte, stimmte es dennoch nicht, dass es eine Ewigkeit her war, dass sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Im Gegenteil. Erst drei Tage war es her, dass Frings nach ewig langer Zeit mal wieder auf de Jongs Hausboot aufgekreuzt war. Der Exkommissar kannte ihn nur oberflächlich, aber schon recht lange. Frings war Leadgitarrist in Janwillems ehemaliger Rockband gewesen. Janwillem, de Jongs Halbbruder, war damals mit Herz und Seele Musiker gewesen, mit demselben Herzen und derselben Seele, mit der er heutzutage als Comedian auf der Bühne stand. Frings war gut auf der Gitarre gewesen – brillant geradezu, was ihm de Jong heimlich übel genommen hatte. Als der Exkommissar sich nämlich mit Achim Bühlow zusammengetan hatte, um nach Feierabend ein bisschen Musik zu machen, war er kurz davor gewesen, Frings als zweiten Gitarristen vorzuschlagen. Aber schon bald war ihm klar geworden, wie das ausgehen würde: Achim würde eine Weile herumdrucksen, aber eines Tages keinen Hehl mehr daraus machen, dass er eigentlich lieber mit Oliver musizierte als mit de Jong, der die meisten Titel so gerade eben auf die Reihe bekam. De Jong war damals nicht gut auf Frings zu sprechen gewesen; Frings allerdings war nicht der Typ, dem es etwas ausmachte, wenn jemand nicht gut auf ihn zu sprechen war. Abgesehen davon war er für de Jong immer auch eine Art heimliches Vorbild gewesen. Weil es Frings gelungen war, immer auf den Füßen zu landen – ohne einen Arschtritt einstecken zu müssen. Das war Frings’ eigentliche Kunst. Er war kein Krösus – aber auch das bewunderte de Jong: dass er immer seinen Stil gelebt hatte und sich weder vom großen Geld noch von gesellschaftlichen Normen hatte an die Leine nehmen lassen. Statt eines festen Jobs hatte er immer dies und das gemacht. Heute Taxifahrer, morgen Musiker, anschließend bei der Müllabfuhr und hin und wieder Conférencier auf diversen Bühnenveranstaltungen. So was lag ihm. Im Sommer Losverkäufer auf der Kirmes, hatte er in der Vorweihnachtszeit hin und wieder für ein kleines Auktionshaus den Hammer geschwungen. Oliver hatte das Leben seinen Glücksvorstellungen angepasst, nicht so wie de Jong, der seine Glücksvorstellungen je nach Lebenslage und Sachzwang umdefinierte. Trotzdem – oder vielleicht deshalb? – hatte man sich mit der Zeit aus den Augen verloren. Und dann war er vor drei Tagen überraschend wieder auf der Bildfläche erschienen. Hatte de Jong auf dem Alten Mädchen besucht, seinem Hausboot, das dieser vor vielen Jahren günstig in Amsterdam erworben hatte. Er hatte sich umgesehen, anerkennend genickt und den Daumen hochgereckt. »Cooles Teil«, sagte er. Es war ein Mittwochvormittag Ende Juni gewesen, Regen war angesagt, der dann aber doch nicht gefallen war. »Tja, von hier aus sieht diese piefige Stadt ganz anders aus, was?«, meinte Frings, stieß sich von der Reling ab und ließ sich in einen der Gartenstühle fallen, die auf Deck herumstanden. »Was ist denn hier piefig?«, gab de Jong gereizt zurück. Aber Frings grinste versöhnlich und breitete die Arme aus. »Na, was kannst du mir anbieten: Wasser, Bier, grünen Tee?« »Setz dich doch«, sagte de Jong und deutete auf den Stuhl, auf dem Frings es sich bereits gemütlich gemacht hatte. »Wie geht’s denn so?«, erkundigte er sich pflichtgemäß, als er mit zwei Bier in der Hand wieder auf Deck zurückkehrte. »Bestens«, schwärmte Oliver. »Kann überhaupt nicht klagen. Gerade jetzt habe ich einen Riesenfisch an der Angel.« »Ich will nichts davon wissen.« »Aber warum denn nicht?« De Jongs Gast wirkte enttäuscht. »Ich bin hier und hab was zu erzählen.« »Gern«, sagte de Jong. »Aber nichts über Riesenfische an der Angel. Das heißt bei dir immer was Halbseidenes. Wenn nicht Erpressung. Oder Mord.« »Mord! Also jetzt übertreibst du maßlos.« »Na gut. Dann aber das Erste.« Frings stieß mit de Jong an und nahm einen Schluck aus der Flasche. »Und wenn?« »Erpressung ist illegal. Ein Verbrechen.« »Richtig, aber da wir hier unter uns sind, Niklas, kann ich dir was verraten: Ich bin so eine Art Robin Hood. Hole es mir bei den Reichen und gebe es den Armen. So viel zum Thema Verbrechen.« De Jong fand, dass es keinen Sinn hatte, auf der Sache weiter herumzureiten. Schließlich war er kein Bulle mehr und musste deshalb nicht damit kommen, dass er sich selbst strafbar machte, wenn er sich so etwas anhörte, ohne darauf zu reagieren. »Also gut«, sagte Ollie. »Dann nur so viel: Ich bin so gut wie saniert, und deshalb frage ich mich, ob ich mir nicht den Rest des Lebens freinehme. Und mich den wirklich wichtigen Dingen widme.« »Sagtest du nicht gerade, du wolltest die Kohle an die Armen weiterreichen?« »Genau.« Frings lehnte sich zurück und zeigte mit der Bierflasche auf das Kanalufer und alles dahinter. »Aber sieh dich doch mal um: Wo gibt es denn hier Arme? In dieser heilen Welt der Verwaltungsangestellten und Therapeuten? Meinst du etwa die bedauernswerten Schlucker, die sich darüber beklagen, dass es bei ihnen nur zum E-Bike vom Discounter reicht?« »Ein blöder Ort für jemanden, der Robin Hood sein will, was?« »Genau, mein Lieber, sag ich doch. Das ist Münster und nicht Nottingham.« Die Bierflasche zeigte jetzt auf de Jong. »Und trotzdem.« »Trotzdem was?« Frings musterte de Jong eingehend, ohne zu blinzeln. Nach einer Weile erschien in seinem Gesicht ein Lächeln, das sich rasend schnell zu einem Grinsen verbreiterte. »Du bist einfach zu sehr Bulle, um es zu bemerken, stimmt’s?« »Ex-Bulle.« »Geschenkt.« »Um was zu bemerken?« »Ich verarsch dich doch die ganze Zeit. Und du machst ein Gesicht, als wolltest du gleich runtergehen und die Handschellen holen.« De Jong starrte ihn nur an, ebenso verblüfft wie verärgert. »Die langweilige Wahrheit ist, dass ich meine Kohle auf rechtschaffene Weise verdiene. So wie alle hier. Hab die längste Zeit Computerprogramme geschrieben für einen Kerl, der davon keinen Schimmer hat.« »Die längste Zeit?« »Jetzt heißt es, neue Wege zu gehen.« Frings nickte. »Aber erst machen wir mal Urlaub. Rauskommen aus dem Ganzen hier.« Er drehte seine Bierflasche auf den Kopf, um sicherzugehen, dass sie leer war, und es tropfte ein bisschen. »Nur, Scarlett will nicht mit.« »Warum nicht?« »Keine Ahnung. Also komm du doch einfach mit.« »Ich?« De Jong lachte auf. »Wohin denn?« »Wie wär’s mit den Weihnachts- oder Osterinseln? Oder den Neujahrsinseln? Gibt’s die überhaupt? Egal, das Ziel ist unwichtig.« »Kommst du mir jetzt etwa damit, dass der Weg das Ziel sei?« »Ach Quatsch. Hauptsache, du lässt dein Jammertal hinter dir zurück.« »Ich sehe hier nirgends ein Jammertal«, verwahrte sich de Jong. Man konnte Frings ansehen, dass er de Jong nicht glaubte. »Giulia, die dir immer Hoffnungen macht und jedes Mal in die Arme eines anderen sinkt. Wie lange willst du das noch mitmachen?« »Das geht dich nichts an.« »Fang endlich an zu leben. Ich hab Scarlett. Wenn du wissen willst, wie eine Langzeitbeziehung funktioniert, dann frag mich.« »Will sie deswegen nicht mit«, fragte de Jong höhnisch, »weil du zu viel davon verstehst?« »Sie meint, sie brauche eine Auszeit. Was bestimmt ein Zeichen ist.« »Ein Zeichen? Wofür denn?« Ollie machte eine vage Handbewegung, dann erhob er sich ächzend und ging unter Deck, um sich in der Küche, ohne zu fragen, noch ein Bier zu holen. Das war nämlich auch so ein Punkt. Während de Jong in der Illusion lebte, eines Tages wieder mit Giulia zusammenzusein, hatte Frings in Sachen Beziehung das berühmte große Los gezogen. Scarlett. Ein Traum von einer Frau. Auf verlockende Art schön, dass de Jong selbst heute und selbst nachdem er Giulia kannte, immer noch ein Schauer über den Rücken lief, wenn sie den Raum betrat. Damals, als die Beziehung noch frisch war und die beiden die Finger nicht voneinander lassen konnten, hatte Ollie ihm des Öfteren detailliert geschildert, was sie im Bett alles miteinander trieben. Solche ausufernden Schilderungen konnte man nur abwehren, indem man davon überzeugt war, dass das mit den beiden wahrscheinlich nur ein Strohfeuer war und sicher schon nach wenigen Monaten vor die Wand fahren würde. Aber das passierte nicht. Wie sich herausstellte, konnte sich Scarlett auch niemand anderen vorstellen als Frings. An dieser Stelle war de Jong klar geworden, dass seine Bewunderung für ihn in Neid umschlug. »Also, wie steht’s?«, wollte Oliver wissen, sobald er wieder zurück war. »Keine Sorge, es geht nicht in den Indischen Ozean. Wie wär’s mit Amsterdam oder Kopenhagen? Ich hätte noch einen Platz frei.« »Nein, ehrlich gesagt hab ich gar nichts gegen das Jammertal«, antwortete de Jong. »Es wird immer so schlechtgeredet, dabei hat es wirklich sehr schöne Ecken. Und es ist lange nicht so überlaufen wie Kopenhagen.« »Darum geht’s doch überhaupt nicht. Scheißegal, ob du hier auf deinem...