Hallerbach | Intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 285 Seiten

Reihe: Verlag für systemische Forschung

Hallerbach Intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing

Systemische Interpretationen
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8497-9069-1
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Systemische Interpretationen

E-Book, Deutsch, 285 Seiten

Reihe: Verlag für systemische Forschung

ISBN: 978-3-8497-9069-1
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Diese Arbeit betrachtet das Phänomen Mobbing aus einer bisher noch nicht beachteten Perspektive. Sie richtet ihren Fokus auf das System Familie und fragt dabei nach kollektiven Sinngebungen sowie Wirklichkeitskonstruktionen in Bezug auf eine innerfamiliäre Verarbeitung des Phänomens. In drei Einzelfallstudien wurde untersucht, ob sich intergenerationelle Muster im Umgang mit dem subjektiven Mobbingerleben eines jüngsten Familienmitgliedes abzeichnen. Mit Hilfe von narrativen Interviews im häuslichen Umfeld der Familien, Genogrammen und der teilnehmenden Beobachtung wurden die Lebenswelten von drei ehemals von Mobbing betroffenen Schüler:innen sowie deren Familien erforscht. Durch die systemische Blickrichtung konnten schließlich drei intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing herausgearbeitet werden. So ziehen sich die Muster 'Erleben, ausgeschlossen und anders zu sein', 'instabile Beziehungen' sowie 'familiäre Widerstandsfähigkeit' durch drei Generationen der in dieser Arbeit untersuchten Familien. Vor dem Hintergrund des erhobenen Datenmaterials zeigt sich somit, dass das subjektive Mobbingerleben der drei ehemals mobbingbetroffenen Schüler:innen durch ihre jeweiligen familiären Lebenswelten eingefärbt wurde. Gleichzeitig zeigen sich signifikante Unterschiede hinsichtlich der weiteren Lebensgestaltung der Schüler:innen. An diesem Punkt bietet diese Arbeit Impulse für Fachkolleg:innen in der Praxis an. In Anlehnung an die grundlegende Theorie Satirs bezüglich offenen und geschlossenen Familiensystemen werden Anregungen gegeben, die zu einer Transformation hemmender Muster beitragen können.

Anna Hallerbach studierte Soziale Arbeit (B.A.) und Erziehungswissenschaft (M.A.). Ihre Begeisterung für systemisch orientiertes Denken und Handeln begann nach ihrem ersten Studium. Daraufhin absolvierte sie eine Weiterbildung zur systemischen Beraterin und Therapeutin/Familientherapeutin sowie zur systemischen Supervisorin am Helm Stierlin Institut in Heidelberg. Ihre beruflichen Erfahrungen erstrecken sich über verschiedene Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Beratungsarbeit von Familien. Derzeit arbeitet sie im Feld der Führungskräfteentwicklung eines großen Unternehmens in Koblenz.
Hallerbach Intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Einleitung


Zu Beginn dieser Arbeit möchte ich zu einem kleinen Gedankenspiel einladen:

Man stelle sich ein Mobile vor. Anschließend stelle man sich vor, eine beliebige Stelle des Mobiles zu berühren, sodass sie zu schwingen beginnt. Dabei wird zu beobachten sein, dass die in Bewegung versetzte Stelle Einfluss auf das gesamte Mobile nimmt. Es fängt an, auf allen Ebenen mitzuschwingen und sich somit im Gesamten zu bewegen.

Ein typisches Mobile besteht aus vielen kleinen Teilen, die alle miteinander in Verbindung stehen und sich zugleich gegenseitig beeinflussen. Diese Aktion wird als ein Kerngedanke des systemischen Denkens verstanden. Durch die systemische Brille betrachtet, werden einzelne Elemente nicht isoliert wahrgenommen. Sie werden vielmehr in ihrem Lebenskontext als Teil eines Systems betrachtet. Die Metapher von einem Familiensystem als Mobile findet Verwendung, um die Wechselwirkungen zwischen Individuen in einem System zu veranschaulichen. Wie ein Mobile besteht auch die Familie aus mehreren Mitgliedern, die alle miteinander verbunden sind. Situationen, die Bewegung in ein Familiensystem bringen, wirken sich somit auf alle Teile des Systems aus. Dabei können die Auswirkungen über Generationen hinweg spürbar sein. Ist zu beobachten, dass Bewegungen einer gewissen Regelmäßigkeit folgen, kann aus systemischer Perspektive davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um Muster in einem System handelt. Solche Muster zeigen sich in erster Linie in Form von sich wiederholenden Interaktionen in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Möchte man sich auf die Suche nach Mustern in einem familiären System begeben, gilt es beispielsweise zu erfragen: Wie gehen die einzelnen Mitglieder des Systems miteinander um? Wie kommunizieren sie miteinander? Was kehrt immer wieder? Dabei sind die Muster an sich vorerst nicht zu bewerten. Es geht nicht um richtige, falsche, genaue oder ungenaue Muster, lediglich die Frage nach der Zielerreichung ist ausschlaggebend (vgl. Satir 2002, S. 18). Das heißt, das einzig Wichtige auf der Suche nach Mustern in Systemen ist die Frage danach, was erreicht werden soll und inwieweit erlernte Muster dabei hilfreich sein können.

Die Suche nach Mustern in familiären Systemen dient dieser Arbeit als Deutungsinstrument. Der zu untersuchende Gegenstand bildet ein Phänomen, das in den letzten Jahren zunehmend, wie im Folgenden noch gezeigt wird, Raum in der Kinder- und Jugendhilfe einnimmt: Mobbing. Bei Mobbing handelt es sich um eine zielgerichtete, häufige und dauerhafte Ausübung negativer Handlungen gegenüber einem ausgewählten Opfer (vgl. Wyrwa 2016, S. 12). Praktische Erfahrungen im Feld der Kinder- und Jugendhilfe zeigen, dass der Begriff Mobbing oft alltagssprachlich gebraucht und der Terminus somit inflationär verwendet wird. Insofern bedarf es einer wissenschaftlichen Bestimmung dessen, was unter dem Begriff zu verstehen ist. Es existieren mehrere Studien, die die Häufigkeit von Mobbing belegen und somit auch die gesellschaftliche Relevanz der Thematik aufzeigen. Exemplarisch ist hier die PISA-Studie (Programme for International Student Assessment, 2015) zu nennen. Die Studie wird alle drei Jahre von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris im Auftrag der jeweiligen Regierung organisiert. In Deutschland ist es die Kultusministerkonferenz, die die Untersuchung von Schülern in Auftrag gibt. Im April 2017 veröffentlichte die PISA-Studie eine Sonderauswertung mit Daten zum Lernumfeld und Lernverhalten der 15-Jährigen in Deutschland. Daraus geht hervor, dass jeder sechste Schüler1 in dieser Altersgruppe regelmäßig Opfer von teils massivem Mobbing an seiner Schule wird (vgl. OECD 2017, PISA 2015 Results (Volume III)). Der OECD-Direktor Andreas Schleicher fordert im Umfeld der Studie: „Mobbing müssen wir in Deutschland viel stärker thematisieren, weil es hier oft noch an den Rand gedrängt wird“ (Schleicher 2017, tagesschau.de; Link siehe Literaturverzeichnis). Weitere wissenschaftliche Studien zum Thema Mobbinghäufigkeit im Kindes- und Jugendalter finden sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit (Kapitel 1). Neben Mobbingfällen, die sich durch geschulte Fachkräfte aufweichen lassen, zeigt die Vergangenheit, dass einigen Schülern nicht rechtzeitig geholfen wurde. Unter der Schlagzeile „Munition und Mobbing“ berichtet die Süddeutsche Zeitung im Mai 2017 von dem 17-jährigen Amokschützen Tim K. Seine Nachhilfelehrerin berichtete in einem Kondolenzschreiben an seine Eltern von massiven Mobbingattacken gegen Tim (vgl. o. A. 2010, sueddeutsche.de; Link siehe Literaturverzeichnis). Im November 2006 ist der 18-jährige Schüler Sebastian B. in seiner ehemaligen Schule in Emsdetten Amok gelaufen. Er verwundete sechs Schüler, bevor er sich selbst mit der Waffe tötete. 31 weitere Menschen erlitten Verletzungen. Ähnlich wie bei Tim K. wird seine Rolle als Mobbingopfer als eine entscheidende Komponente der Bluttat angesehen. So schrieb Sebastian B. in seinem Blog: „Ich will das sich mein Gesicht in eure Köpfe einbrennt! Ich will nicht länger davon laufen! Ich will meinen Teil zur Revolution der Ausgestossenen beitragen! Ich will RACHE!“ (vgl. Gunkel 2016, spiegel.de; Link siehe Literaturverzeichnis). Im Februar 2019 nahm sich eine elfjährige Grundschülerin aus Berlin das Leben. In der Presse wird Mobbing als Ursache für ihren Suizid angegeben. Der Fall sorgte bundesweit für Entsetzen. Die damalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (2019) gab diesbezüglich an: „Es ist erschütternd, welche tragischen Folgen Mobbing haben kann. Es geht durch alle gesellschaftlichen Schichten und jede Schulform.“ (vgl. Schneider 2019, sueddeutsche.de; Link siehe Literaturverzeichnis). Die Politik reagierte 2018 auf die zunehmende Mobbingproblematik an Schulen. So begann das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit dem Programm „Respekt Coaches / Anti-Mobbing-Profis“. Das Programm wurde bundesweit an 400 allgemeinbildenden und beruflichen Schulen angeboten. Zu den Zielen dieses primärpräventiven Programms zählen die Förderung von Respekt und Toleranz, die Prävention von Extremismus und eine Förderung des Schul- und Klassenklimas. 2021 wurde eine zweijährige wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts publiziert. Der Endbericht spricht sich deutlich für eine Fortführung und Weiterentwicklung des Programms aus (vgl. BMFSFJ 2021, bmfsfj.de; Link siehe Literaturverzeichnis).

Das Phänomen Mobbing ist nicht ausschließlich ein Abbild von Definitionen und quantitativen Werten. Daher ist eine weitere wesentliche und für diese Arbeit essenzielle Komponente die der subjektiven Betroffenheit, also die Fragen danach, wann und in welcher Intensität Betroffene ihr Leid, in diesem Fall Mobbing, wahrnehmen. Es geht um individuelle Wahrnehmungen von Verletzung und Ausgrenzung. Demnach ist nicht die Definition allein Anhaltspunkt dafür, ob sich ein Kind oder ein Jugendlicher als Mobbingbetroffener ansieht. Vielmehr fragt diese Arbeit nach subjektiven Empfindungen der Betroffenen und ihrer Familien.

An dieser Stelle soll noch einmal auf das Bild des Mobiles als Familiensystem zurückgekommen werden. Es wurde erwähnt, dass alle Teile des Mobiles miteinander in Verbindung stehen. Berührt man ein Teil, versetzt man das gesamte Mobile in Bewegung. Das Mobile wird versuchen, wieder in seine gewohnte Balance zu finden. Es schwingt so lange, bis es sich wieder eingependelt hat. Übertragen auf die subjektive Empfindung eines Familienmitglieds bedeutet dies, dass alle Erfahrungen, die ein Teil des Systems macht, im Kontext seiner Familie zu betrachten sind. Das bedeutet, um die individuelle Sichtweise eines Menschen zu verstehen, ist es aus systemischer Sicht notwendig, diesen Menschen in seinem gesamten Lebenskontext, mit all seinen „Fäden“ zu betrachten. Mit Blick zum Hauptthema vorliegender Arbeit könnte dies bedeuten, dass die Erfahrungen der von Mobbing betroffenen Kinder und Jugendlichen familiär eingefärbt sind. Oder anders ausgedrückt: Die individuelle Sicht von betroffenen Kindern und Jugendlichen wird getragen durch die Muster ihrer familiären Alltagspraxis.

Im Zusammenhang mit der Thematik Mobbing könnten beispielsweise folgende Fragen relevant sein: Wie sprechen betroffene Familie über Mobbing? Welche Rollen spielen Selbstwert und Selbstvertrauen? Wie definieren betroffene Familien eine Opferrolle? Wie lösen betroffene Familien Konflikte? Gibt es in ihren Familiensystemen dominante hierarchische Strukturen? Zusammenfassend könnte die wichtigste Frage lauten: Wie kommunizieren die von Mobbing betroffenen Familien miteinander? Anders ausgedrückt: Welche Techniken haben sie entwickelt, um sich zu verstehen und die jeweilige Bedeutsamkeit zu erfahren? Als Forscher im Familiensystem steht die Frage nach möglichen Mustern der Familie im Umgang mit dem Phänomen Mobbing im Vordergrund.

Vorliegende Arbeit mit dem Titel „Intergenerationelle Muster bei der Verarbeitung von Mobbing. Systemische Interpretationen“ möchte mittels qualitativer Einzelfallstudien demnach untersuchen, ob sich familiäre Muster im Umgang mit dem...


Anna Hallerbach studierte Soziale Arbeit (B.A.) und Erziehungswissenschaft (M.A.). Ihre Begeisterung für systemisch orientiertes Denken und Handeln begann nach ihrem ersten Studium. Daraufhin absolvierte sie eine Weiterbildung zur systemischen Beraterin und Therapeutin/Familientherapeutin sowie zur systemischen Supervisorin am Helm Stierlin Institut in Heidelberg. Ihre beruflichen Erfahrungen erstrecken sich über verschiedene Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Beratungsarbeit von Familien. Derzeit arbeitet sie im Feld der Führungskräfteentwicklung eines großen Unternehmens in Koblenz.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.