E-Book, Deutsch, 536 Seiten
Hamerling Aspasia
1. Auflage 2017
ISBN: 978-80-272-3827-9
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Roman - Lebensgeschichte der griechischen Philosophin und Redner
E-Book, Deutsch, 536 Seiten
ISBN: 978-80-272-3827-9
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hamerlings Buch 'Aspasia' ist ein faszinierendes Werk, das die Geschichte und die romantischen Beziehungen des antiken Athen beleuchtet. Der Autor präsentiert die mysteriöse Figur der Aspasia, die als intelligente und einflussreiche Frau an der Seite von Perikles agierte. Liebe, Macht und Intrigen sind zentrale Themen des Romans, der in einem poetischen und dramatischen Stil gehalten ist. Hamerlings detaillierte Beschreibungen des antiken Lebens und der politischen Spannungen bieten dem Leser einen Einblick in die Welt der alten griechischen Gesellschaft.
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II. Frau Telesippe
In wachen Gedanken hatte Perikles seit der Zusammenkunft der Männer im Hause des Pheidias die Nächte hingebracht. Ihn beschäftigte der Schatz von Delos, mit welchem eine neue Zeit für die Macht und Herrlichkeit der Athener gekommen; der Nachklang jener Gespräche, welche im Hause des Pheidias geführt worden waren, hallte beständig in seiner Seele wider, und schloß er, dem Wirbel dieser Gedanken sich zu entziehen, die Augen, so führte ein halbwacher, flüchtiger Traum ihm das anmutreiche Bild der Milesierin zurück, und der feuchte, aphrodisische Glanz ihrer bezaubernden Augen durchstrahlte ihm die Tiefen der Seele.
Mancherlei Pläne, seit langer Zeit erwogen, gärten in Perikles. Schwankende Gedanken befestigten sich allmählich in ihm, und Entschlüsse sprengten über Nacht, wie Rosen, die Knospe.
Sinnend saß er eines Morgens in seinem Gemache. Da kam, ihn zu besuchen, sein Freund Anaxagoras. Seit den ersten Jugendtagen mit dem weisen Klazomenier vertraut, war Perikles so manche Morgenstunde noch immer beschäftigt, mit der offenen, feurigen Seele des Griechen die neuen Offenbarungen in sich aufzunehmen, wie sie kühne Denker jetzt, vor allen Anaxagoras selbst, über kindliche Anschauungen der Väter sich erhebend, aus der Tiefe des sich auf sich selbst besinnenden Geistes zu schöpfen begannen.
Heut aber merkte der weltweise Mann eintretend sogleich, daß Gedanken andrer Art seinen Freund gefangen hielten; er fand den sonst würdevoll Gefaßten erregt und sein Auge von jenem matten Feuer leuchtend, das eine in Gedanken durchwachte Nacht verrät.
»Ist das Volk heute zu einer Versammlung von Wichtigkeit auf den Hügel der Pnyx berufen?« fragte der Greis, dem Olympier ins Antlitz blickend; »ich erinnere mich, nur bei solcher Gelegenheit dich so nachdenklich getroffen zu haben.«
»In der Tat versammelt sich heute das Volk«, sagte Perikles, »und wichtige Dinge sind es, die ich da zu betreiben mir vorgesetzt habe. Mir bangt, ob ich durchdringen werde ...«
»Du bist Stratege«, erwiderte Anaxagoras, »du bist Verwalter der öffentlichen Einkünfte, du bist Leiter der öffentlichen Bauten, du bist Ordner der öffentlichen Feste, du bist – die Götter wissen, wie sie alle heißen, die Aemter und Würden, welche die Athenäer dir mit ordentlichen und außerordentlichen Vollmachten immer wieder von neuem übertragen; gleichviel: du bist, was das allein Wichtige ist und in einem Freistaate die Hauptsache – du bist der große Redner, welchen sie den »Olympier« nennen, weil mit dem Donner deiner Rede eine Art Herrschergewalt verknüpft ist, wie mit dem Donner des Zeus. Und du bist ängstlich?«
»Ich bin es!« versetzte Perikles, »und ich versichere dich, daß ich niemals den Rednerstein der Pnyx besteige, ohne insgeheim die Götter anzurufen, damit meinen Lippen kein unbedachtes Wort entfahre, und damit ich nie einen Augenblick vergesse, daß es Athener sind, zu welchen ich spreche. Du weißt, wie ungeduldig das Volk zuletzt schon geworden, als ich es immer wieder veranlaßte, neue Geldmittel zur Errichtung der mittleren langen Mauer und zur Erneuerung des Piräus zu bewilligen. Und nun hat mich Pheidias beschwatzt, mich mit neuen großen Plänen angesteckt. Sein und der Seinigen gärender Drang soll nicht länger gezügelt, unser Athen soll mit den lang bedachten Werken dieser Männer geschmückt und vor dem ganzen übrigen Hellas verherrlicht werden. Du weißt, ich gehöre zu denjenigen, welche Neues nur mit Bedacht ergreifen, das Ergriffene aber festhalten und mit feurigem Mute betreiben. Und so habe ich auch in dieser Sache mich anfangs viel bedacht; jetzt aber bin ich im stillen vielleicht schon heißer entbrannt als Pheidias selbst und die Seinigen.«
»Ist das Volk der Athener nicht warm beseelt, nicht kunstliebend?« sagte Anaxagoras. »Und ist nicht der reiche Schatz von Delos angekommen?«
»Ich fürchte das Mißtrauen«, erwiderte Perikles, »welches geheime und offene Gegner säen. Die Partei der Oligarchen ist nicht ganz überwältigt. Auch weißt du, daß es Lakonerfreunde gibt und solche, die dem Lichte und allem Heiter-Schönen abhold sind. Hast du es doch selbst erfahren, seit du zwischen den Säulen der Agora zuerst hervorgetreten, um uns Athenäern die Botschaft der reinen, freien, geistgebornen Wahrheit zu verkündigen. Indessen ich werde heute einen Trumpf ausspielen, der vorerst mir die Menge völlig verpflichtet. Es gibt arme Bürger, die von der Hand in den Mund leben, und die morgen hungern müssen, wenn sie heute ihre Arbeit ruhen lassen, um ihre Bürgerpflicht nicht zu versäumen, in die Volksversammlung gehen. Warum sollten sie nicht mit ein paar Obolen aus der Staatskasse entschädigt werden? Auch die armen Bursche dauern mich, die gern den öffentlichen Schauspielen beiwohnen möchten, aber das Eintrittsgeld nicht aufbringen können. Sie sollen von Staats wegen hingehen dürfen, um sich an den Werken der Poeten unvermerkt zu bilden und zu veredeln, während sie bloß ihrem Vergnügen nachzugehen glauben. Und jene guten alten Käuze, welche zu Tausenden aus dem Volke ausgelost und den vielen Gerichtshöfen als Beisitzer zugeteilt werden, sie sollen künftig nicht mehr ohne Entgelt den langen Tag verlieren, um die zahllosen Streithändel ihrer Mitbürger im Schweiße ihres Angesichts zu schlichten. Athen ist reich, neue goldene Quellen rauschen um uns und ergießen sich von den Ländern der Bundesgenossen her in unseren Staatsschatz. Ein großer Ueberschuß ist in den Kassen. Ich habe mich gefragt: soll er als Hort der Zukunft zurückgelegt werden, oder soll er der Gegenwart zu gute kommen? Ich glaube, daß die Gegenwart auf ihn ein größeres Recht hat. Das Volk soll die Frucht seiner Siege und seines Aufschwunges genießen, es soll frei und glücklich sein; ein schönes, beneidenswertes, menschenwürdiges Dasein soll in unserm göttergeliebten Athen begründet werden.«
»Ich habe den würdevollen Perikles öfter schon aufwallen sehen in solch edler Glut«, bemerkte Anaxagoras, »aber diese heutige Aufwallung scheint mir stärker zu sein als alle früheren.«
»Ich danke den Göttern«, erwiderte Perikles, »daß sie mir zur Besonnenheit der Erwägung das rasche Feuer des Entschlusses und den zähen Mut der Ausführung gegeben. Bist du etwa unzufrieden mit mir? Scheine ich dir allzuweit zu gehen in meinen Entwürfen oder in meinen Rücksichten auf das freilich immer unberechenbare und zuweilen undankbare Volk?«
»Laß es mich offen gestehen«, erwiderte der Greis, »ich befasse mich nicht mit Politik. Ich bin kein Athener, ich bin vielleicht nicht einmal ein Hellene, sondern Weltbürger, Philosoph. Mein Vaterland ist der unendliche Weltraum.«
»Aber du bist weise«, sagte Perikles, »und kannst das Tun der Staatsmänner beurteilen, ob es zum guten oder zum bösen ausschlagen wird.«
»Davor werde ich mich hüten!« rief Anaxagoras. »Nicht bloß die Poeten, auch die Staatsmänner folgen unwissend einem Götterwink, sind von einem Dämon besessen, der sie begeistert und schier unbewußt sie treibt zu dem, was für den Augenblick wahrhaft nötig und nützlich. Vorschnell urteilen und irren wird oft der gemeine Menschenverstand, wenn es sich um das Tun gottbegeisterter Staatsmänner handelt. Ich habe mich in die Tiefen der Natur versenkt und überall den Geist in ihr waltend gefunden! Der Geist aber, er ist unfehlbarer und mächtiger im Schaffen und Wirken als im Urteilen ...«
So besprachen sich vertraulich die beiden Männer im Gemache des Perikles. In diesem Augenblicke aber trat ein Sklave herein, von des Perikles Gattin Telesippe gesendet.
Eine wunderliche Botschaft war es, mit welcher dieser Sendling kam von der waltenden Herrin des Hauses. Vom Landgute des Perikles war der Schaffner diesen Morgen hereingekommen und hatte einen jungen Widder mitgebracht, der auf besagtem Gute zur Welt gekommen, und dem statt zweier Hörner nur eines sproßte mitten auf der Stirn. Dies Tier nun hatte der Schaffner soeben, nicht ohne ängstliche Bedenken, seiner Herrin vorgewiesen. Telesippe, eine Frau von frommen Gesinnungen, hatte rasch nach dem Seher Lampon gesendet, damit er sofort das Wunderzeichen deute. Nun rief sie den Gemahl, daß er komme, um das seltsame Gebilde mitanzusehen und den Ausspruch des Sehers mit ihr zu vernehmen.
Perikles hörte die Erzählung des Sklaven an und sagte dann gutmütig zu dem Freunde: »Laß uns der Frau den Willen tun und hinausgehen, um den einhörnigen Widder anzustaunen.«
Anaxagoras erhob sich und folgte willig dem Perikles.
Sie traten hinaus ins Peristyl des Hauses.
Das Haus des Perikles war einfach. Es war nicht größer, nicht reicher ausgeschmückt als das eines andern athenischen Bürgers von bescheidenen Mitteln. Es war einfach wie die Lebensweise des Eigentümers. In einem Freistaate muß der einflußreichste Mann einfach leben, wenn er sich gegen das Mißtrauen seiner Mitbürger behaupten will. Aber auch ohne Berechnung und Absicht wird ein Mann, der rastlos sich dem Gemeinwesen widmet, sein eigenes Hauswesen immer ein wenig vernachlässigen. Einfach und schmucklos war auch das Peristyl im Hause des Perikles. Aber es mangelte nicht des traulichen Reizes, der mit diesem eigentümlichsten, anmutendsten Teile des Hauses, diesem saalartigen, von Säulen umgebenen kleinen Hofe überall verbunden war. Fand man sich hier doch im Innersten und unter freiem Himmel zugleich. Abgeschlossen war man da von allem Lärm der Außenwelt und doch im Verkehr mit den frischen Lüften des Himmels, die von oben hereinwehten, mit Sonne, Mond und Sternen, die ungehindert aus der Höhe ihr Strahlengold in die Marmorhalle warfen. Die Schwalben flogen vertraulich...




