E-Book, Deutsch, 496 Seiten
Hand / Ashton / Meadows My Lady Jane
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98743-179-1
Verlag: CROCU
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Manchmal liegt die Geschichte völlig falsch
E-Book, Deutsch, 496 Seiten
ISBN: 978-3-98743-179-1
Verlag: CROCU
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die komische, fantastische, romantische, völlig wahre Geschichte von Lady Jane Grey! Okay ... nicht wirklich.
EDWARD ist der König von England. Doch er liegt auch im Sterben, was ungünstig ist, da er erst sechzehn ist und viel lieber seinen ersten Kuss planen würde, als darüber nachzudenken, wer einmal seine Krone erben wird.
JANE ist Edwards Cousine und viel mehr an Büchern als an Romantik interessiert. Zu Janes Unglück hat Edward ihre Hochzeit arrangiert, um die Thronfolge zu sichern. Allerdings ist an ihrem Verlobten etwas seltsam …
GIFFORD ist ein Pferd. Das heißt, er ist ein Eðian (eth-y-un, für die Uneingeweihten). Jeden Tag bei Tagesanbruch wird er zu einem edlen Hengst, doch dann – bei Einbruch der Dunkelheit – wacht er stets mit einem Mund voller Heu auf. Das ist alles sehr würdelos!
ABER SO RICHTIG ZUR SACHE GEHT ES, als Edward, Jane und G in eine gefährliche Verschwörung hineingezogen werden. Da das Schicksal des Königreichs auf dem Spiel steht, müssen unsere Helden selbst ein paar Verschwörungen anzetteln. Aber können sie ihren Plan durchziehen, bevor sie noch ihren Kopf verlieren?
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Wie sich herausstellte, war der König sterbenskrank. »Wann?«, fragte er Master Boubou, den königlichen Leibarzt. »Wie viel Zeit habe ich noch?«
Boubou wischte sich über die schweißnasse Stirn. Er hasste es, der Obrigkeit schlechte Nachrichten zu überbringen. In seinem Berufszweig führte dies schnell geradewegs in den Kerker. Oder Schlimmeres.
»Sechs Monate, vielleicht ein Jahr«, krächzte er. »Höchstens.«
Scheiße!, dachte Edward. Zugegeben, er war nun schon seit einigen Monaten krank, aber er war sechzehn Jahre alt. Er konnte doch nicht jetzt schon sterben. Er hatte nur eine Erkältung, das war alles, einen Husten, der sich womöglich etwas länger hielt als gewöhnlich, ein Engegefühl in der Brust, immer wiederkehrendes Fieber, Kopfschmerzen, gelegentliche Schwindelanfälle, manchmal einen komischen Geschmack im Mund – aber sterben?
»Seid Ihr sicher?«, fragte er.
Boubou nickte. »Es tut mir leid, Euer Majestät. Es ist ›das Leiden‹.«
Oh! Das war es also.
Edward unterdrückte ein Husten. Er fühlte sich schlechter als noch einen Augenblick zuvor, als hätte seine Lunge die schlechte Neuigkeit mit angehört und beschlossen, augenblicklich den Dienst zu versagen. Andere am »Leiden« erkrankte Höflinge husteten in blutbefleckte Taschentücher, wirkten schwächlich und zittrig und zogen sich dann irgendwann vom Hofe zurück, um abseits der Blicke der Damenwelt einen schrecklichen, röchelnden Tod zu sterben.
»Seid Ihr … sicher?«, fragte er noch einmal.
Boubou richtete seinen Kragen. »Ich kann Euch Tonika gegen die Schmerzen geben und dafür sorgen, dass Ihr es bis ans Ende so angenehm wie möglich habt, aber ja, ich bin mir sicher.«
Das Ende. Das klang gar nicht gut.
»Aber …« Er wollte in seinem Leben doch noch so viel erleben. Zunächst einmal wollte er ein Mädchen küssen, ein hübsches Mädchen, das richtige Mädchen, vielleicht sogar mit Zunge. Er wollte prächtige Bälle veranstalten, um dem Adel seine Tanzkünste zu präsentieren. Er wollte endlich einmal den Waffenmeister im Schwertkampf besiegen, da Bash der Einzige war, der stets vergaß, ihn gewinnen zu lassen. Er wollte sein Königreich erkunden und die Welt bereisen. Er wollte irgendein riesiges Tier jagen und sich dessen Kopf als Trophäe an die Wand hängen. Er wollte den Scaffel Pike besteigen, den höchsten Punkt Englands, und das Land betrachten, das sich unter ihm ausbreitete, in dem Wissen, dass er der König von allem war, was er von dort unten sah.
Doch offenbar würde nichts davon sich erfüllen.
Vorzeitig war das Wort, das die Leute benutzen würden, dachte er. Viel zu früh. Tragisch. Er konnte die Balladen, die die Barden über ihn, den großen König, der viel zu früh von ihnen gegangen war, singen würden, praktisch schon hören.
Armer König Edward, im Grabe verschwunden.
Hustete seine Lunge aus, sie ward noch nicht gefunden.
»Ich will eine zweite Meinung. Eine bessere«, sagte Edward. Die Hand, die auf der Armlehne des Throns lag, ballte er zur Faust. Ihm wurde plötzlich kalt und er zitterte, woraufhin er die pelzverbrämten Roben enger um sich zog.
»Selbstverständlich«, sagte Boubou und trat einen Schritt zurück.
Edward erkannte die Furcht im Blick des Arztes und verspürte den Drang, ihn für diese Unverschämtheit in den Kerker werfen zu lassen. Immerhin war er der König, der König bekam stets seinen Willen und der König wollte nicht sterben. Er legte die Finger um den goldenen Dolch an seinem Gürtel und Boubou trat einen weiteren Schritt zurück.
»Es tut mir aufrichtig leid, Euer Majestät«, murmelte der alte Mann. »Bitte fresst den Boten nicht!«
Edward seufzte. Er war nicht sein Vater, der womöglich tatsächlich seine Löwengestalt angenommen und den Mann verschlungen hätte, da er so schlechte Nachrichten überbracht hatte. Soweit Edward wusste, verbarg sich in seinem Inneren kein geheimes Tier. Dieser Umstand enttäuschte ihn ein wenig.
»Ihr dürft gehen, Boubou«, sagte er.
Der Arzt atmete erleichtert auf, huschte in Richtung Tür und ließ Edward zurück, der sich seinem drohenden Ableben allein stellen musste.
»Scheiße!«, murmelte er vor sich hin. Für einen König war »das Leiden« eine wirklich ungünstige Art zu sterben.
Einige Zeit später, nachdem sein drohendes Ableben im Palast die Runde gemacht hatte, kamen seine Schwestern zu ihm. Er saß auf seinem Lieblingsplatz, dem Fenstersims in einem der südlichen Türme des Greenwich Palace. Seine Beine baumelten über die Kante, während er das ständige Kommen und Gehen der Menschen im Hof unter ihm beobachtete und dem Rauschen der Themse lauschte. Er dachte, nun endlich die Bedeutung des Lebens verstehen zu können, das letzte große Geheimnis, das ihn zu folgender Erkenntnis führte: Das Leben ist kurz und dann stirbt man.
»Edward«, flüsterte Bess. Sie nahm neben ihm Platz, ihr Mitgefühl war deutlich in ihren Zügen zu erkennen. »Es tut mir so leid, Bruder.«
Er versuchte, sie anzugrinsen. Edward war ein wahrer Meister im Grinsen. Es handelte sich um sein größtes königliches Talent. Doch dieses Mal brachte er nicht mehr als eine halbherzige Grimasse zustande. »Also hast du schon davon gehört«, sagte er und versuchte, unbekümmert zu klingen. »Natürlich werde ich noch eine zweite Meinung einholen. Ich habe nicht das Gefühl, sterbenskrank zu sein.«
»Oh, mein lieber Eddie«, schluchzte Mary und tupfte sich mit einem reich verzierten Taschentuch den Augenwinkel. »Mein süßer, teurer Junge. Mein armes kleines Täubchen.«
Er schloss einen Moment lang die Augen. Er mochte es nicht, wenn man ihn Eddie nannte, und er mochte es noch weniger, wie ein Kleinkind behandelt zu werden. Doch er tolerierte die Worte aus Marys Mund. Ihm taten seine Schwestern immer ein wenig leid, immerhin hatte sein Vater sie zu Bastarden erklärt und so. In dem Jahr, in dem sein Vater seine Tiergestalt entdeckt hatte – die Leute nannten es das Jahr des Löwen –, war König Heinrich ?. zu der Entscheidung gelangt, dass allein der König alle Regeln festlegen sollte. Also hatte er seine Ehe mit Marys Mutter annulliert und sie für den Rest ihrer Tage in ein Kloster geschickt, damit er Bess’ Mutter heiraten konnte, die eine der attraktiveren Hofdamen gewesen war. Doch als Ehefrau Nummer zwei keinen männlichen Erben hervorbrachte und sich das Gerücht verbreitete, Königin Anne sei eine Eðianerin, die sich immer mal wieder in eine schwarze Katze verwandelte, damit sie die Stufen des Schlosses bis hinunter ins Schlafzimmer des Hofnarren schleichen konnte, hatte ihr der König den Kopf abschlagen lassen. Ehefrau Nummer drei (Edwards Mutter) hatte schließlich alles richtig gemacht, nämlich ein Kind mit den richtigen Genitalien zur Welt gebracht, das später Herrscher von England werden sollte. Doch da sie keine Frau war, die sich lange mit ihren Taten brüstete, starb sie direkt nach der Geburt. Danach hatte König Heinrich zwar noch drei weitere Frauen geehelicht (von einer wurde er geschieden, eine andere wurde geköpft und eine Glückliche überlebte ihn, ha!), jedoch wurden keine weiteren Nachkommen geboren.
Also waren es nur sie drei – Mary, Bess und Edward. Sie bildeten ihre eigene zusammengewürfelte Familie, da ihr Vater vermutlich verrückt und auf jeden Fall gefährlich und ihre Mütter entweder tot oder im Exil waren. Sie waren immer recht gut miteinander ausgekommen, da es zwischen ihnen niemals Meinungsverschiedenheiten darüber gegeben hatte, wem die Krone gebührte. Edward war die offensichtliche Wahl. Schließlich brachte er die nötigen Körperteile mit.
Seit seinem neunten Lebensjahr war er König. Tatsächlich konnte er sich kaum an eine Zeit erinnern, in der er kein König gewesen war, und bis zum heutigen Tag war er stets der Ansicht gewesen, dass das Königsein ihm entgegenkam. Aber gerade nützte es ihm recht wenig, dachte er verbittert. Er wäre lieber als einfacher Mann geboren worden, vielleicht als Sohn eines Schmieds. Dann hätte er vielleicht wenigstens schon ein bisschen Spaß gehabt, bevor er ins Gras biss. Und er hätte die Chance gehabt, ein Mädchen zu küssen.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Mary ernst. Marys Worte klangen immer ernst.
»Leidend«, antwortete er.
Seine Antwort brachte Bess zum Lächeln, doch Mary schüttelte nur bekümmert den Kopf. Mary lachte nie über seine Witze. Er und Bess nannten sie hinter ihrem Rücken schon seit Jahren Muffel-Mary, da sie immer so freudlos wirkte. Mary schien sich nur dann zu amüsieren, wenn ein Verräter geköpft oder irgendein armer Eðianer auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Seine Schwester war überraschend blutrünstig, wenn es um Eðianer ging.
»›Das Leiden‹ hat meine Mutter dahingerafft, weißt du?« Mary knetete unruhig ihr Taschentuch.
»Ich weiß.« Er war immer davon ausgegangen, dass Königin Catherine eher an gebrochenem Herzen als einer körperlichen Erkrankung gestorben war, jedoch er nahm an, dass ein gebrochenes Herz auch zu einem kranken Körper führte.
Er würde nie die Gelegenheit erhalten, sich das Herz brechen zu lassen, dachte er und eine weitere Welle des Selbstmitleids überrollte ihn. Er würde sich niemals verlieben.
»Es ist eine furchtbare Art zu sterben«, fuhr Mary fort. »Man hustet und hustet, bis man sich schließlich die Lunge aus dem Leib hustet.«
»Danke. Das ist sehr tröstend«, sagte...




