E-Book, Deutsch, 459 Seiten
Hastings Das Vermächtnis der Druidin
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96148-805-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman
E-Book, Deutsch, 459 Seiten
ISBN: 978-3-96148-805-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Susan Hastings ist gelernte Geologin und war lange als Sachverständige für Geologie und Ökologie tätig. Ein Mentor im Studium entdeckte ihr schriftstellerisches Talent und motivierte sie dazu, dieses Talent zu verfolgen. Zunächst schrieb sie dann Kurzgeschichten, später zahlreiche Liebes- und Historienromane, die sie unter verschiedenen Pseudonymen erfolgreich veröffentlichte. Die Website der Autorin: katrinstephan.de/hastings/index.htm Bei dotbooks veröffentlichte Susan Hastings auch die folgenden historischen Romane: »Das Vermächtnis der Druidin«, »Der schwarze Magier« (gemeinsam erschienen in dem Sammelband »Der Medicus des Königs«), »Die Sehnsucht der Nonne«, »Die Leidenschaft der Nonne«, »Die Liebe der Wollhändlerin« und »Herzensflammen« sowie die historischen Liebesromane »Die Leidenschaft des Wikingers«, »Die Geliebte des Wüstenkriegers«, »Die Gefangene des Gladiators« (gemeinsam erschienen in dem Sammelband »Geraubt«) und »Verschleppt von einem Wikinger«, außerdem »Irische Träume«, »Der Traum von Afrika« und »Dark Heat - Gefährliche Leidenschaft«.
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Der Rückkehrer
Er war wieder da!
Llewelyn hielt den Atem an und spannte den Bogen. Die Sehne schnitt scharf in seine Wange ein, doch er spürte den Schmerz nicht. Sein rechtes Auge starrte adlergleich über den schlanken Pfeil, während er das linke zusammenkniff.
Den Pfeil hatte er selbst hergestellt. Er besaß eine feine Spitze aus Eisen, messerscharf und geeignet, sich durch Fleisch zu bohren. Und Fleisch wollte Llewelyn durchbohren. Er war ein guter Schütze, traf eine Drossel im Flug und eine Traube Eichelfrüchte auf dem höchsten Baum. Aber es eine Sache, auf Tiere oder Früchte zu schießen. Diesmal wollte er einen Menschen töten – seinen Vater! Der Pfeil sollte sein Herz treffen. Er würde nicht leiden, würde schnell sterben. Und dann wäre alles wieder so wie vorher.
Die Morgendämmerung kroch hinter dem Wald herauf und verstärkte das seltsame Zwielicht. Llewelyns Augen waren scharf, er konnte auch in der Nacht gut sehen, wenn es nur ein Fünkchen Licht gab, von den Sternen, vom Mond oder von den brennenden Gasen, die manchmal aus dem Moor entwichen. Es wäre kein Problem, den Pfeil abzuschießen, wenn sein Vater aus dem Haus trat, und das Geschoss würde sein Ziel finden.
Llewelyns linke Hand, die den Bogen aus Eschenholz hielt, begann leicht zu zittern. Den eigenen Vater töten? Welch schwerer Sünde machte er sich da schuldig!
Er presste die Lippen zu einem festen Strich zusammen. Gott würde ihm verzeihen, denn sein Vater war weder ein gottesfürchtiger Mann noch überhaupt ein Christ. Zudem besäße Llewelyn dann die Aufmerksamkeit seiner Mutter wieder ganz allein, ihre Liebe und Fürsorge. Er wäre wieder der einzige Mann in ihrem Leben, der sie beschützte und versorgte.
Ein aufkommender Wind wehte in sein offenes Auge, bis es tränte. Das Haus, die Tür, alles verschwamm vor seinem Blick. Langsam ließ er den Bogen sinken, die Sehne entspannte sich. Die Muskeln in seinen Oberarmen schmerzten, so sehr hatte er sich angespannt. Mit dem Handrücken wischte er ungehalten die Tränen weg. Was tat er hier eigentlich?
Er hockte sich auf den Stumpf einer Eiche, die vor Jahren gefällt worden war, und fuhr flüchtig mit der Hand über die tödliche Wunde des Baumriesen. Er hatte die Jahresringe nicht gezählt, wusste nicht, wie alt der Baum gewesen war, als ihm die Axt den Garaus machte. Plötzlich fühlte er die Endlichkeit des Lebens umso deutlicher.
Sein Blick ging wieder hinüber zum Haus. Ein dünner Rauchfaden kräuselte aus dem Rauchabzug. Aus der winzigen, ärmlichen Waldhütte war ein ansehnliches Haus geworden. Den Ausbau hatte er gemeinsam mit seiner Mutter bewerkstelligt. Jeder einzelne Balken zeugte von Arbeit und Schweiß, von Mühsal und Stolz. Er liebte die Frau, die ihm das Leben geschenkt hatte, und er hatte sich geschworen, stets für sie da zu sein. Auch sie hatte ihm all ihre Liebe geschenkt, all ihr Wissen vermittelt – und ihm von seinem Vater erzählt. Rupert war eine Lichtgestalt gewesen, etwas Gottgleiches. Rigana sprach stets voller Achtung und Respekt von ihm. All die Jahre hatte sich Llewelyn danach gesehnt, ihm nur ein einziges Mal zu begegnen. Sein Leben lang hatte er danach gestrebt, es ihm gleich zu tun – in dem Wissen, es nie erreichen zu können.
Es war unwahrscheinlich, dass er jemals seinem Vater von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würde. Obwohl Rigana stets behauptete, sie spüre, dass Rupert noch lebe, glaubte niemand daran, auch Llewelyn nicht. Dieses Geheimnis um Rupert de Cazeville verklärte ihn nur noch mehr.
Mit Bitterkeit beobachtete Llewelyn den Rauchfaden. Diesen Rauchabzug hatte er auch gebaut, über der Kochstelle aus Lehm und Steinen. Die alte Hütte hatte gar keinen besessen. Alles hatte er getan, für Rigana und für sich. Er war überzeugt gewesen, dass Rupert auch für sie diese Lichtgestalt war, dieses gottähnliche Wesen ohne Körper, nur Geist, Wissen, Macht.
Ja, Rupert de Cazeville besaß Macht über Rigana, weil sie ihn nie hatte vergessen können, aber er besaß auch Macht über Llewelyn, weil er sein ganzes Denken und Trachten bestimmte.
Und nun war er da! Wie oft hatte Llewelyn sich diesen Tag herbeigesehnt, sich vorgestellt, wie es wäre, seinem Vater zum ersten Mal gegenüberzustehen. Als er durch einen Zufall erfuhr, dass Rupert auf seine Burg zurückgekehrt war, konnte er keine Nacht mehr ruhig schlafen. Er hatte Rigana bedrängt, ihm zu erlauben, seinen Vater zu besuchen. Sie hatte lange gezögert. Dann hatte sie zugestimmt.
Er fuhr sich mit den Händen durch das dichte, dunkle Haar und empfand Bitterkeit. Er hatte seinen Vater hierhergeholt, zurück in die Familie, die sie niemals gewesen waren. Und er hatte erkennen müssen, dass der Vater ihm fremd war. Äußerlich ähnelten sie sich so sehr, dass man hätte glauben können, Rupert wäre gar nicht älter geworden. Selbst für Rigana war diese Ähnlichkeit faszinierend.
Vielleicht liebte sie Llewelyn auch deshalb so stark, weil er die äußerliche Reinkarnation von Rupert war, mit neunzehn Jahren, als sie ihn zu dem alten Druiden gebracht hatte und ihn nie wiedersah. Wie schmerzhaft musste dieser Abschied gewesen sein!
Doch jetzt stellte Llewelyn fest, dass Rupert ein Mensch aus Fleisch und Blut war. Er wohnte in dem Haus, das er nicht gebaut hatte. Er aß von den Früchten, die er nicht geerntet hatte. Und er lag des Nachts neben Rigana und nahm sie als seine Frau! Wie viele Nächte hörte er jetzt schon diese lustvollen Geräusche, das Knarren der hölzernen Bettstatt, das Flüstern und Murmeln, das Stöhnen und Ächzen, das Schreien und Jubeln.
Llewelyn krümmte sich zusammen. Er empfand seinen eigenen Vater als Eindringling, als Fremdkörper, und bereute, ihn je gesucht zu haben.
Und Rigana? Sie hatte schon immer diese zurückhaltende Art besessen, diese wissende Bescheidenheit, diese selbstverständliche Fügung in das Schicksal. Doch auch sie stellte sich plötzlich in ihrer Unvollkommenheit dar und schämte sich nicht einmal dafür. Jeder Blick, jede Geste, jede Berührung verriet ihre Liebe zu Rupert. Sie liebte ihn mehr und anders, als sie Llewelyn liebte. Das schmerzte ihn, und es machte ihn wütend.
Rupert war sein Lehrer geworden. Erst als sein Schüler wurde Llewelyn richtig bewusst, dass er niemals an ihn heranreichen würde. Was sich in seinem Vater an Wissen, Erfahrungen, Kenntnissen und Können angesammelt hatte, war so überwältigend, so gewaltig, dass es ihn ängstigte. Selbst in seiner menschlichen Unvollkommenheit – und dass er mit Rigana schlief, hielt Llewelyn für eine gravierende Unvollkommenheit – zeigte Rupert eine unnahbare Größe.
Er sollte nicht so denken. Den Gewinn an Wissen und Weisheit, den ihm sein Vater vermitteln konnte, würde all diese dummen und eigensüchtigen Vorurteile in alle Winde zerstreuen. Er sollte sich freuen, er sollte dankbar sein. Warum war er es dann nicht?
Er warf den Bogen zu Boden und zertrat den Pfeil. Töten war keine Lösung. Doch was war es dann?
Rupert de Cazeville sog den eigenartigen Duft nach Kräutern, Stroh und Weiblichkeit auf. Im Halbschlaf konnte er nicht unterscheiden, ob es eine seiner Visionen war oder die Realität. Er hatte keine Vision mehr gehabt, seit er König Richards Tod vorhergesehen hatte. Fast schon schien es ihm, als wäre ihm diese Gabe abhandengekommen. Er wäre darüber nicht böse gewesen. Die Gabe hatte ihm kein Glück gebracht. Er hatte Ereignisse vorhergesehen, die er letztlich nicht verhindern konnte. Wozu war die Gabe dann überhaupt da?
Stets hatte er darunter gelitten, hatte sie verflucht, sie nicht haben wollen. So sehr er sich auch dagegen gewehrt hatte, es hatte nichts genützt. Die Visionen kamen und gingen und wurden von der Wirklichkeit eingeholt.
Stöhnend drehte er sich auf dem harten Bett aus Brettern und Stroh. Er hatte schon bequemer gelegen, komfortabler gelebt, dort im Orient, wo alles hell, bunt, laut und voller fremdartiger Düfte war. Er hätte im Orient bleiben, sich nicht auf Richards Fährte begeben sollen. Aber er war seinen Visionen nachgejagt, wollte diesen unglücksseligen Kindskopf von König retten.
Rupert lachte hart auf und fuhr sich über die Augen. Es war dunkel, nur die Geräusche des nächtlichen Waldes drangen zu ihm in die Hütte.
Was ging ihn dieser König an, was hatte er mit dem Kreuzzug zu schaffen? Es war nicht sein König, es war nicht sein Glaubensfeldzug, nicht sein Gott! Es war dieser verdammte Wissenshunger, der ihn sein ganzes Leben vorwärtsgetrieben hatte.
Es hatte auf der Burg seiner Vorfahren begonnen – normannische Ritter, die gut einhundert Jahre zuvor England erobert und sich auf der riesigen Insel festgesetzt hatten. Rupert hätte sich in den Ehrenreigen seiner kämpferischen Ahnen einreihen können, aber er wollte nicht, er konnte nicht. Statt mit dem Schwert zu üben, verkroch er sich lieber auf dem Heuschober und lernte Lesen. Er war eine Schande für seinen Vater.
Es hatte Rupert nichts ausgemacht, auch nicht, als seine Mutter ihn in ein irisches Kloster schickte. Sie war wohl die Einzige, die ahnte, dass dieser Sohn anders war. Die Visionen, die den Jungen plagten, wurden stets zur Realität. Ein streng abgeschiedenes und gottesfürchtiges Leben würde ihn davon heilen, die klösterliche Einsamkeit ihn von seiner Umgebung isolieren. Und Rupert erträumte sich, im Kloster endlich richtig Lesen und Schreiben zu lernen. Doch die Klostermauern erdrückten seine Seele. Den einzigen Ausweg sah er in der Flucht.
Es war sicher göttliche Vorhersehung, dass die Kräuterfrau Rigana ihn halbtot im Wald gefunden und bei sich aufgenommen hatte. Ja, es war Schicksal, es war wohl vorbestimmt, auch wenn er nie sein eigenes Schicksal vorhersehen konnte. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er geliebt,...




