Hawley | Vor dem Fall | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Hawley Vor dem Fall

Roman

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-641-17050-9
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



An einem nebligen Abend startet ein Privatjet zu einem Flug nach New York. Wenige Minuten später stürzt er in den Atlantik. Nur der Maler Scott Burroughs und der vierjährige JJ überleben inmitten der brennenden Trümmer. Und Scott gelingt das Unmögliche: Er schafft es, den Jungen an das weit entfernte Ufer zu retten. Während die Suchtrupps fieberhaft nach den Leichen und der Blackbox fahnden, greifen immer abstrusere Verschwörungstheorien um sich. Scott versucht verzweifelt, sich den Medien zu entziehen - und gerät dabei in eine Welt der Intrigen und Manipulationen, in der niemand vor dem brutalen Fall ins Nichts geschützt ist.

Noah Hawley ist Autor, Drehbuchschreiber und Produzent. Er wurde mit dem Emmy und dem Golden Globe ausgezeichnet. Unter anderem schrieb und produzierte er die erfolgreiche Serie »Bones - Die Knochenjägerin« und die TV-Adaption des Spielfilms »Fargo«. Hawley lebt in Los Angeles und Austin.
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EIN PRIVATFLUGZEUG STEHT an der Startbahn auf Martha’s Vineyard. Die vordere Treppe ist herabgelassen. Es ist eine neunsitzige OSPRY 700 SL, gebaut 2001 in Wichita, Kansas. Wem sie gehört, ist schwer zu sagen. Der eingetragene Eigner ist eine niederländische Holdinggesellschaft mit einer Postadresse auf den Cayman Islands, aber der Name im Logo auf dem Leitwerk lautet GullWing Air. Der Pilot, James Melody, ist Brite. Charlie Busch, der Erste Offizier, kommt aus Odessa, Texas. Die Stewardess, Emma Lightner, ist in Mannheim in Deutschland geboren, Tochter eines amerikanischen Air-Force-Lieutenants und seiner Frau, die damals im Teenageralter war. Sie zogen nach San Diego, als Emma neun war. Jeder geht seinen eigenen Weg. Trifft seine Entscheidungen. Wie es kommt, dass zwei Leute zur selben Zeit am selben Ort sind, ist Schicksal. Man steht mit einem Dutzend Fremden im Aufzug. Man fährt mit dem Bus, wartet vor der Toilette. Das passiert jeden Tag. Jeder Versuch vorauszusagen, wo wir hingehen und wem wir da begegnen werden, wäre sinnlos. Weiches Halogenlicht fällt durch die offene Kabinentür, anders als das harte Gleißen der Leuchtstofflampen in den Linienmaschinen. In zwei Wochen wird Scott Burroughs in einem Interview mit dem New York Magazine sagen, was ihn bei seinem ersten Flug mit einem Privatjet am meisten überrascht habe, sei nicht die Beinfreiheit oder die voll ausgestattete Bar gewesen, sondern die persönlich wirkende Einrichtung, als sei von einer bestimmten Einkommenshöhe an ein Flugzeug nur eine andere Art von Zuhause. Es ist ein milder Abend auf der Insel, zwanzig Grad bei leichtem Südostwind. Die planmäßige Abflugzeit ist zweiundzwanzig Uhr. Während der letzten drei Stunden ist dichter Küstennebel über dem Sund aufgezogen, und undurchsichtige weiße Schwaden wehen über den flutlichtbeleuchteten Asphalt. Zuerst erscheint die Familie Bateman, Vater David, Mutter Maggie und die beiden Kinder Rachel und JJ mit ihrem Inselwagen, einem Land Rover. Es ist Ende August, und Maggie und die Kinder waren den ganzen Monat auf Martha’s Vineyard, während David an den Wochenenden von New York herübergeflogen ist. Es ist schwierig für ihn, öfter wegzukommen, so gern er es auch einrichten würde. David arbeitet im Entertainment Business. So nennen die Leute in seiner Branche die Fernsehnachrichten heute. Es ist ein Hexenkessel aus Informationen und Meinungen. Er ist Mitte fünfzig, ein hochgewachsener Mann mit einer einschüchternden Telefonstimme. Fremde, die ihm zum ersten Mal begegnen, sehen überrascht, wie groß seine Hände sind. Sein Sohn JJ ist im Auto eingeschlafen, und während die andern auf das Flugzeug zugehen, beugt David sich hinten in den Wagen und hebt JJ behutsam und mit einem Arm vom Sitz. Der Junge schlingt seinem Vater instinktiv die Arme um den Hals, und sein Gesicht ist entspannt im Schlaf. Sein warmer Atem lässt David einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Er spürt den Hüftknochen seines Sohnes unter der Handfläche, und die Beine baumeln an seiner Seite. Mit vier ist JJ alt genug, um zu wissen, dass Menschen sterben, aber zu jung, um zu begreifen, dass es ihn eines Tages auch treffen wird. David und Maggie nennen ihn ihr Perpetuum mobile, denn eigentlich ist er den ganzen Tag nonstop in Bewegung. Als er drei war, bestand seine Kommunikation hauptsächlich darin zu brüllen wie ein Dinosaurier. Jetzt ist er der König der Unterbrechungen; er hinterfragt jedes Wort, das sie sagen, mit scheinbar endloser Geduld, bis man ihm antwortet oder ihn zum Schweigen bringt. David stößt die Wagentür mit dem Fuß zu. Das Gewicht seines Sohnes bringt ihn fast zum Straucheln, zumal er sich mit der freien Hand das Telefon ans Ohr hält. »Richten Sie ihm aus, wenn er auch nur ein Wort darüber verliert, werden wir ihn mit biblischen Klagen überziehen, bis er glaubt, es regnet Anwälte vom Himmel wie Frösche.« Mit seinen sechsundfünfzig Jahren trägt David eine hartnäckige Fettschicht am Körper. Er hat ein kräftiges Kinn und dichtes Haar. In den Neunzigerjahren hatte David sich einen Namen als Wahlkampfleiter gemacht – für Gouverneure, Senatoren und einen Präsidenten, der zwei Amtsperioden hinter sich brachte –, aber 2000 zog er sich zurück, um eine Lobbyfirma in der K-Street zu übernehmen. Zwei Jahre später trat ein alternder Milliardär mit dem Vorschlag an ihn heran, einen Vierundzwanzig-Stunden-Nachrichtensender zu eröffnen. Jetzt, nach fünfzehn Jahren und dreizehn Milliarden Dollar Umsatz, hat David ein Büro im obersten Stockwerk mit bombensicheren Glasfenstern, und er hat Zugang zum Firmenjet. Die Kinder bekommt er nicht oft genug zu sehen. Darin sind David und Maggie sich einig, aber sie streiten sich trotzdem regelmäßig deswegen. Genauer gesagt, sie spricht das Thema an, und er geht in die Defensive, obwohl er im Grunde seines Herzens genauso empfindet wie sie. Aber geht es in einer Ehe nicht genau darum, dass zwei Leute um das Landrecht an denselben fünfzehn Zentimetern streiten? Jetzt kommt auf dem Rollfeld ein böiger Wind auf. David, der immer noch telefoniert, schaut hinüber zu Maggie und lächelt. Das Lächeln sagt: Ich bin froh, dass ich hier bei euch bin. Es sagt: Ich liebe dich. Aber es sagt auch: Ich weiß, ich bin schon wieder mitten in einem geschäftlichen Telefongespräch, und du musst es mir nachsehen. Es sagt: Wichtig ist, ich bin hier, und wir sind alle zusammen. Es ist ein Lächeln, das um Verzeihung bittet, aber es liegt auch stählerne Härte darin. Maggie lächelt zurück, aber flüchtiger und trauriger. Die Wahrheit ist, sie hat es nicht mehr in der Hand, ob sie ihm verzeiht oder nicht. Sie sind seit knapp zehn Jahren verheiratet. Maggie ist sechsunddreißig, eine ehemalige Vorschullehrerin, die kleine Jungs dazu bringt, über sie zu fantasieren, noch bevor sie verstehen, was das bedeutet – eine Fixierung auf die Brust, die kleine Kinder und Teenager gemeinsam haben. Miss Maggie, wie sie damals hieß, war fröhlich und liebevoll. Sie kam jeden Morgen früh um halb sieben, um aufzuräumen, und blieb noch lange nach Feierabend, um Berichte zu schreiben und an ihrem Unterrichtsplan zu arbeiten. Miss Maggie war eine sechsundzwanzigjährige junge Frau aus Piedmont, Kalifornien, die den Lehrerberuf mochte. Sie liebte ihn. Sie war für diese Fünfjährigen die erste Erwachsene, die sie ernst nahm, die sich anhörte, was sie zu sagen hatten, und die sie behandelte, als wären sie schon groß. Das Schicksal, wenn man es so nennen möchte, führte Maggie und David an einem Donnerstagabend zu Beginn des Frühlings 2005 in einem Ballsaal im Waldorf Astoria zusammen. Der Ball war eine Wohltätigkeitsgala für eine Bildungsstiftung. Maggie war mit einer Freundin da, und David war im Vorstand. Sie war die bescheidene Schönheit im Blumenkleid und hatte Fingerfarbe in der rechten Kniekehle. Er war der schwergewichtige Mann mit dem Haifischcharme im zweireihigen Anzug. Sie war nicht die jüngste Frau auf der Gala, nicht einmal die hübscheste, aber sie war die einzige, die Kreide in der Handtasche hatte, die einzige, die einen Vulkan aus Pappmaché bauen konnte und einen rot-weiß gestreiften Zylinderhut wie in dem Buch Der Kater mit Hut besaß, den sie jedes Jahr an Dr. Seuss’ Geburtstag in der Schule trug. Mit anderen Worten, sie war alles, was David sich bei seiner Ehefrau je gewünscht hatte. Er entschuldigte sich bei seinen Bekannten und machte sich an sie heran, und sein Lächeln ließ die Jacketkronen blitzen. Rückblickend gesehen hatte sie nie eine Chance. Zehn Jahre später haben sie zwei Kinder und ein Townhouse in der York Avenue. Rachel ist neun und geht mit hundert anderen Mädchen auf die Brearley School. Maggie, die jetzt nicht mehr als Lehrerin arbeitet, bleibt zu Hause bei JJ, wodurch sie sich von den Frauen ihres Standes – den sorgenfreien Gattinnen millionenschwerer Workaholics – unterscheidet. Wenn sie morgens mit ihrem Sohn in den Park spaziert, ist sie die einzige Mutter auf dem Spielplatz. Alle anderen Kinder sitzen in europäischen Designerkinderwagen, geschoben von Inselfrauen mit Handy am Ohr. Jetzt, auf dem Rollfeld des Flughafens, zieht Maggie ihre sommerliche Strickjacke fröstelnd ein bisschen fester zusammen. Die Nebelschwaden sind zu einer träge rollenden Brandung geworden, die mit gletscherhafter Geduld über den Asphalt kriecht. »Meinst du wirklich, dass es okay ist, jetzt zu fliegen?«, fragt sie den Rücken ihres Mannes. Er ist oben an der Treppe angekommen, wo Emma Lightner, die Stewardess in ihrem adretten blauen Kostüm, ihn lächelnd begrüßt. »Das ist kein Problem, Mom«, sagt Rachel, die hinter ihrer Mutter geht. »Man muss ja nichts sehen, um ein Flugzeug zu fliegen.« »Nein, ich weiß.« »Es gibt Instrumente.« Maggie lächelt ihr beifällig zu. Rachel trägt ihren grünen Rucksack – mit den Tributen von Panem, ihren Barbies und dem iPad –, und beim Gehen schlägt er ihr rhythmisch ins Kreuz. Ein so großes Mädchen! Schon mit neun lässt sie die Frau erkennen, die sie einmal werden wird. Eine Professorin, die geduldig abwartet, bis du deine Fehler selbst erkennst. Mit anderen Worten, die klügste Person im Raum, aber keine Wichtigtuerin. Niemals. Eine Frau mit einem guten Herzen und einem melodischen Lachen. Die Frage ist, sind ihr diese Eigenschaften angeboren, oder hat das, was passiert ist, die Saat dazu gelegt? Das Verbrechen in ihrer Kindheit? Irgendwo online findet sich die ganze Geschichte in Worten und Bildern – Filmmaterial aus den Nachrichtenarchiven auf YouTube, mehrere hundert Stunden...


Hawley, Noah
Noah Hawley ist Autor, Drehbuchschreiber und Produzent. Er wurde mit dem Emmy und dem Golden Globe ausgezeichnet. Unter anderem schrieb und produzierte er die erfolgreiche Serie »Bones – Die Knochenjägerin« und die TV-Adaption des Spielfilms »Fargo«. Hawley lebt in Los Angeles und Austin.


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