E-Book, Deutsch, Band 1, 592 Seiten
Reihe: Royal Blood
Herman Schattenkrone
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-10-403411-9
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Royal Blood
E-Book, Deutsch, Band 1, 592 Seiten
Reihe: Royal Blood
ISBN: 978-3-10-403411-9
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eleanor Herman ist New-York-Times-Bestsellerautorin und Meisterin des Cliffhangers. Gekonnt verwischt sie die Grenzen zwischen historischen Skandalen und epischer Fantasy, um in ?Royal Blood? die Geschichte des brillantesten Herrschers aller Zeiten neu zu erzählen - Alexander dem Großen.
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Kapitel 1
Katerina rennt über die Wiese, so schnell sie kann. Sie versucht, auf Steine und Wurzeln zu achten.
Ihr Herz hämmert wild. Ihre Beine tun weh. Die Gazelle vor ihr vollführt kleine, elegante Sprünge, ihre Hufe berühren kaum den Boden. Sie bewegt sich so schnell, dass sie kaum mehr ist als ein verschwommener Fleck; braunweißes Fell, lange schwarze Hörner – eine Kreatur, die nicht nur der Erde angehört, sondern auch dem Himmel.
Vor ihnen zeichnet sich der große Wald ab, und weit jenseits davon liegen, wie Katerina weiß, all die Dörfer und Wälder zwischen Erissa und der Hauptstadt. Eine plötzliche Brise weht durch ihre zerzausten braunen Haare. Ihre Lungen brennen. Instinktiv weiß sie, dass die Gazelle sie nicht fürchtet; sie fordert sie heraus. Katerina spürt den Herzschlag des Tieres, seine Hitze, seine – ein Pulsieren in ihrer eigenen Brust. Die Gazelle , dass sie sie einholt.
Als Kat klein war, hat ihre Mutter ihr oft gesagt, sie solle ihre Fähigkeit, die Gedanken und Gefühle von Tieren zu verstehen, besser geheim halten – so etwas könne sie in Gefahr bringen. Doch das war, bevor …
In ihrer Erinnerung taucht das Bild ihrer Mutter auf, ihre strahlend blauen Augen, ihre goldbraunen Haare, die zum Vorschein kommen, wenn der cremefarbene Schleier verrutscht. Sie hört ihre Stimme: tief und rau, mit einem ganz leichten karischen Akzent. Einen Moment fühlt sich Kat von dem vertrauten Anblick getröstet. Doch dann schnürt ihr der Schmerz, der immer folgt, die Kehle zu, und wieder einmal mündet ihre Erinnerung in einem lauten, verzweifelten Schrei.
Kat strauchelt, und die Gazelle macht einen großen Satz, wobei sie gleichzeitig mit Hinter- und Vorderbeinen ausschlägt. Blanke Wut packt Kat, spornt sie an, schneller zu laufen, durch dichtes, rasiermesserscharfes Gras, das in ihre nackten Beine schneidet.
Die Sonne senkt sich dem Horizont entgegen. Die Gazelle blickt kurz zu ihr zurück mit ihren großen, feuchten braunen Augen.
Dann taucht sie in den Wald ein. Kat folgt dichtauf, den Blick auf die Hörner geheftet, die vollkommen aufrecht bleiben, selbst als die Gazelle durchs Unterholz prescht – wie Fackeln weisen sie ihr den Weg. So flink wie möglich setzt Kat dem Tier nach, weicht Hindernissen aus und duckt sich unter tiefhängenden Ästen hindurch.
Nur noch ein paar Schritte, dann kann sie die Hand ausstrecken und …
In vollem Lauf prallt sie gegen ein Hindernis.
Mit einem leisen Aufschrei stürzt sie zu Boden, sieht über sich den blauen Himmel und grüne Äste, dann Gras und Schlamm und wieder den Himmel, und dann … Dunkelheit. Als Kat wieder zu sich kommt, liegt sie mit der linken Wange auf dem Boden. Sie öffnet die Augen, und ihr Blick klärt sich langsam.
»Kat!« Jacobs Stimme. »Ist alles in Ordnung? Es tut mir so leid. Ich dachte, du hättest mich gesehen.«
Vorsichtig setzt Kat sich auf und reibt sich den Kopf. Ihr Atem geht keuchend. Vor ihr stehen starke, gebräunte Beine, die hinaufführen zu dem muskulösen, eindrucksvollen Körper ihres ältesten Freundes. Jacob, der Junge, den Kat, wie es ihr manchmal scheint, besser und länger kennt als sich selbst. Ein Junge, den sie bis vor kurzem zu gleichen Teilen als Spielkamerad und als furchtbare Nervensäge angesehen hat. Jetzt ist er größer und attraktiver und lässt sich irgendwie nicht mehr so leicht in eine dieser beiden Kategorien stecken.
Kat verrenkt den Hals, um an ihm vorbeizuschauen, doch die Gazelle ist nicht mehr zu sehen. Sie hat sie verloren.
»Hier.« Jacob streckt ihr eine Hand hin, um ihr aufzuhelfen.
Kat ist so außer Atem, dass sie kein Wort herausbringt, und in ihrem Kopf dreht sich alles, aber sie nimmt seine Hand und lässt sich von ihm hochziehen.
Jacob hebt die Augenbrauen, wodurch sein breites, gebräuntes Gesicht ein bisschen albern aussieht. »Du bist dreckig«, stellt er wenig hilfreich fest. »Und deine Beine sind voller Kratzer, Kat.« Er schüttelt den Kopf, als wäre sie ein widerspenstiges Pony, das immer wieder aus seinem Gehege ausbricht.
»Es geht mir gut, Jacob«, schnaubt sie und klopft sich den Dreck von ihrer Hose. »Oder zumindest ging es mir gut, bis du mir in die Quere gekommen bist.«
»Wie kommst du bloß auf die Idee, eine Gazelle zu Fuß zu verfolgen?« Fassungslos schüttelt er den Kopf. »Du bist verrückt.«
»Und du bist ein Tollpatsch«, gibt sie zurück.
Er lächelt. »Stimmt.«
Kat muss lachen und schubst ihn aus dem Weg. »Wenn du mir schon den Spaß verderben musst, dann kannst du wenigstens mein Zeug nach Hause tragen. Komm, gehen wir«, sagt sie und wirft ihm ihre Tasche voller Messer und Netze zu.
Er fängt sie auf. »Meine Güte, was ist da drin?«
»Nur meine Jagdausrüstung«, erklärt sie achselzuckend.
»Kat, warte. So … So kannst du nicht zurück.«
Sie dreht sich zu ihm um und starrt ihn einen Moment wortlos an. Sie weiß immer noch nicht recht, was sie von diesem Jacob halten soll, diesem Jacob, der seit ein paar Monaten existiert, vielleicht auch schon ein bisschen länger – diesem Jacob, der mehr ist als ein lustiger Komplize … dessen breite, muskulöse Schultern und schiefes Grinsen immer wieder dafür sorgen, dass ihr Herzschlag aus dem Takt gerät.
» kann ich nicht zurück Was soll das heißen?«, fragt sie mit argwöhnisch zusammengekniffenen Augen, dabei weiß sie ganz genau, dass sie reichlich ramponiert aussieht.
Er verdreht die Augen. »Wasch dich wenigstens kurz am Teich, bevor wir zum Essen zurückgehen. Das ist … wichtig.«
Sie wirft ihm einen fragenden Blick zu – irgendetwas verheimlicht er ihr, das merkt sie wie immer sofort. Als er nichts weiter sagt, seufzt sie und folgt ihm zu dem großen, tiefen Teich am westlichen Rand der Wiese, wo sich in der Abenddämmerung Wölfe und Füchse aus dem Wald wagen, um das klare Wasser zu trinken. In den heißesten Sommernächten hat sie sogar schon einmal einen Bären mit seinem Jungen dort baden sehen – zwei dunkle, massige Silhouetten im Wasser, die genauso gut dicke Baumstämme hätten sein können, wenn nicht Luftblasen aus ihren Mäulern aufgestiegen wären.
Kat zieht ihre Lederschuhe und ihren Gürtel aus und watet, nur mit ihrer Tunika bekleidet, in das kühle Wasser, das ihr bis zur Taille reicht. Ihr Atem geht ruhiger; das Schwindelgefühl in ihrem Kopf hat nachgelassen. Mit einem wohligen Seufzen schließt sie die Augen.
Da hört sie neben sich ein leises Plätschern. Jacob ist ihr in den Teich gefolgt.
»Jetzt sag schon. Warum warst du hinter der Gazelle her?«, fragt er, hörbar amüsiert. »Du hattest offensichtlich nicht vor, sie zu töten.«
»Ich habe sie nicht gejagt, ich bin mit ihr um die Wette gelaufen.« Kat lässt sich unter die Wasseroberfläche sinken und spürt, wie ihre Haare in der trüben Stille umhertreiben. Zwar weiß Jacob so gut wie alles über sie – dass sie Gänsefleisch am liebsten mag, wenn es schon fast verbrannt ist, dass sie an ihrem Daumen nagt, wenn sie nervös ist, und sich nach draußen auf die Felder zurückzieht, wenn sie traurig ist. Aber das würde er nicht verstehen: Dieses Gefühl tief in ihrer Brust, dieses , das niemand sonst hat. Die Tatsache, dass Tiere in ihrer seltsamen Sprache aus Hunger, Bedürfnissen und Trieben zu ihr sprechen. Die Entschlossenheit, die sie in ihnen spürt. Die Klugheit.
Und manchmal auch ihre Warnungen.
Kat taucht auf, atmet tief durch und reibt sich die Augen. »Ich war zum ersten Mal kurz davor, sie einzuholen, aber dann hast du alles kaputtgemacht«, mault sie und bespritzt ihn mit Wasser.
Jacob dreht den Kopf zu spät weg und fängt an zu lachen, dann rächt er sich mit einer noch größeren Ladung Wasser. Mit einem schrillen Schrei läuft Kat zum Teichufer – bei jedem Schritt spürt sie den Widerstand des Wassers in ihren müden Beinen. Jacob folgt ihr und spritzt sie von hinten nass. Zum Gegenschlag bereit wirbelt sie zu ihm herum, und er bleibt abrupt stehen. Mit offenem Mund starrt er sie an.
»Was ist? Hast du Angst?«, fragt sie mit einem frechen Grinsen, bevor ihr bewusst wird, dass sein Blick nicht auf ihr Gesicht gerichtet ist, sondern auf ihren Körper. Sie sieht an sich hinunter und schnappt nach Luft. Ihre ungebleichte Tunika ist klitschnass … und durchsichtig. Er sieht … nun, so ziemlich Hitze steigt ihr ins Gesicht, und sie bedeckt sich schnell mit den Armen.
Jacob kommt durch das dichte, hüfthohe Wasser auf sie zu und legt ihr die Hände auf die Schultern, noch während sie beschämt zurückweicht. Sein Blick ist so intensiv, so voller Gefühl, dass Kat sich plötzlich nicht mehr rühren kann.
Seine Brust hebt und senkt sich, als würde ihm das Atmen schwerfallen. »Kat, ich wollte dir etwas sagen. Ich …« Er macht den Mund wieder zu – anscheinend schafft er es nicht, das auszusprechen, was immer ihm auf dem Herzen liegt.
Kat kann sich nicht erinnern, Jacob in ihrer Gegenwart je sprachlos erlebt zu haben. So, wie er sie jetzt anschaut, während das Teichwasser aus seinen Haaren tropft und über sein markantes Gesicht läuft, scheint es fast, als sehe er sie zum ersten Mal.
Sein Mund öffnet sich erneut, und auf einmal merkt Kat, dass sie zittert.
Dann beugt er sich zu ihr, so nah, dass sie den vertrauten, erdigen Geruch von Lehmstaub in seinen Haaren riecht, so nah, dass sein Mund den ihren berührt. Plötzlich zieht er sie an sich, und ihre Arme lösen sich wie von selbst von ihrer nassen Tunika und...




