Herwig | Oskar an Bord | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: dtv- premium

Herwig Oskar an Bord

Roman
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-423-42824-8
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: dtv- premium

ISBN: 978-3-423-42824-8
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kidnapping für Anfänger Tina und Markus sind das harmloseste Ehepaar der Welt - allerdings mit einem riesigen Schuldenberg. In seiner Verzweiflung überfällt Markus eine Tankstelle, seine entsetzte Frau wird zufällig Zeugin. In ihrer Panik flüchten sie mit dem nächstbesten Auto, nicht ahnend, dass in diesem der 87-jährige Oskar sitzt, der gerade von einem Pflegeheim ins nächste transportiert werden soll. Oskar ist hellauf begeistert, dass endlich mal wieder was los ist, und entpuppt sich als gewiefter Ex-Kleinkrimineller. Während Polizei und Medien die Verfolgung aufnehmen, beginnt für die drei Flüchtenden das Abenteuer ihres Lebens.  

Ulrike Herwig wurde 1968 geboren und wuchs in Jena auf. Sie studierte Englisch und Deutsch und lebte fast zehn Jahre lang in London. 2001 zog sie mit ihrer Familie nach Seattle, USA, wo sie auch heute noch wohnt. Seit vielen Jahren schreibt sie unter verschiedenen Pseudonymen für Kinder und Erwachsene.
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1


Der Tag hatte als Griff ins Klo begonnen und steigerte sich allmählich zu einem Griff in die gesamte Kanalisation der Stadt.

Am Morgen hatte Tina feststellen müssen, dass das gemeinsame Konto wieder mal überzogen war und sie noch eine ganze Woche bis zum nächsten Lohn ausharren mussten. Der Streit darüber mit Markus war heillos außer Kontrolle geraten, und wenn Tina nur an die kommende öde Woche voller Nudeln und Ketchup und langer Gesichter dachte, wäre sie am liebsten sofort nach Australien ausgewandert. . Aber dafür fehlte selbstredend das Geld.

Der rettungslos stumpfsinnige Job beim -Katalog trug kaum zur Verbesserung ihrer Laune bei, ganz im Gegenteil. Zumal Tina gerade kostbare Zeit ihrer Mittagspause verlor, weil die Hälfte der Kollegen krank war und irgendeine zögerliche Kundin am Telefon sich nicht entscheiden konnte, ob sie die Bermudashorts Größe 50 lieber in Rostrot oder Nugatbraun bestellen sollte. Irrelevant übrigens, wie Tina heimlich fand, weil sie beide scheußlich aussahen.

Sie schielte zu Marion, ihrer Kollegin am Nachbartisch, die gerade lustlos durch den Katalog blätterte. »Meinen Sie jetzt den Kordblazer in Grüngelb?«, hörte Tina sie ins Telefon fragen. Tina unterdrückte ein Lachen. Der Kordblazer in Grüngelb war von ihr und Marion zum absoluten Hassobjekt der Frühjahrskollektion gewählt worden. Wer den anzog, lief herum wie SpongeBob. Marion sah jetzt zu Tina und verdrehte die Augen. Tina deutete als Antwort ein pantomimisches Würgen an. Sie grinsten sich an. Wenigstens hatte Tina hier in diesem Saftladen eine Seelenverwandte.

»Ich weiß nicht«, seufzte Tinas Kundin jetzt am anderen Ende der Leitung. »Das Nugatbraun ist schon schick, aber das Rostrot ist auch nicht übel. Was meinen denn?«

»Beide Shorts sind sehr hübsch und hochwertig.« Fingertrommeln.

»Na, ja … Hm.«

»Vielleicht möchten Sie erst in Ruhe zu Hause auswählen und später noch mal zurückrufen?«, schlug Tina mit einschmeichelnder Stimme vor. »Machen Sie doch erst mal Mittagspause.« Kleiner Wink mit dem Zaunpfahl. »Und melden Sie sich in einer Stunde oder so wieder, Frau …« Tina schielte auf den Bildschirm mit der Kundennummer. Wie hieß die gleich?

Am anderen Ende herrschte konsterniertes Schweigen. Dann erklang die Stimme wieder, sichtlich beleidigt. »Scheller. Scheller.«

Ach du Schande! Die Kundin war ein Mann!

»Oh, ich …« Tina schluckte, tausend Entschuldigungen rasten durch ihren Kopf, aber keine passte, und deshalb versetzte sie Scheller den Todesstoß aller Kundenbetreuer: Sie unterbrach einfach die Verbindung.

Zum Glück merkte ihre Chefin nichts, denn die hackte gerade auf der armen Marion herum, und Tina schnappte ihre Handtasche und floh hinaus in die Freiheit, an die frische Luft, auch wenn es draußen bereits 28 Grad im Schatten waren. Sie wollte zu ihrem Stammbäcker, um sich das einzig Gute zu gönnen, was dieser Tag ihr zu bieten hatte: ein knuspriges belegtes Ciabatta-Brötchen mit Rucola, Tomaten und Mozzarella. Für zehn Minuten Kauvergnügen würde das Brötchen Tina in ein paralleles Universum entführen. Nach Italien in ein laues, sorgloses Leben voller Olivenhaine und Basilikum, in ein weißes Häuschen bei einer kühlen Meeresbrise und …

Der Bäcker hatte zu.

Das durfte doch nicht wahr sein, verdammt noch mal! Weit und breit gab es kein anderes Geschäft mit Lebensmitteln, außer der Tankstelle unten an der Straße.

»Haste mal ’n Euro?«, bettelte nun auch noch eine Stimme von links. »Für die Morli?« Neben Tina war die verrückte alte Frau mit dem Strohhut aufgetaucht, die in einer der betreuten Wohnanlagen in der Nähe wohnte und den ganzen Tag lang durch die Straßen schlich und ihre Katze in einer Strandtasche herumtrug. , lag es Tina auf der Zunge.

»Die Morli hat Hunger.« Die alte Frau war unglaublich dick angezogen, roch streng, hatte rote Bäckchen wie ein Kind und streichelte ihre Katze.

Tina zögerte kurz, dann reichte sie der Frau einen Euro. »Na klar, hier.« An diesem schrecklichen Tag heute war eh alles egal. Wenigstens bin ich noch nicht völlig übergeschnappt und laufe im Hochsommer mit Strohhut, Fellweste und Katze durch die Gegend, dachte Tina. Sie war ja schon für Kleinigkeiten dankbar.

»Danke, Mensch, das kriegste irgendwann tausendfach wieder!«, sagte die alte Frau und lächelte ein zahnloses Lächeln.

Tina lächelte nachsichtig zurück. Ein Euro, der mit tausend Geschwistern zurückkehrte, war immer willkommen, gar keine Frage. Wie war das noch mal mit dem guten Karma?

Prompt rauschte ein Audi R8 vorbei und spritzte Tina voller Pfützenwasser, ein letzter Gruß des lächerlich kleinen Gewitters vom Vorabend. Am Steuer des Wagens saß ein junger Mann, kaum älter als Tinas Sohn Paul. Fassungslos blickte sie ihm hinterher. Wie konnte das sein? Wie konnte es sein, dass ein junger Mensch so schlechte Manieren und so viel Geld hatte, während Tina und Markus trotz ihrer nervigen Vollzeitjobs nie auf einen grünen Zweig kamen? Die jungen Leute handelten wohl alle mit Drogen. Was sonst brachte denn so viel Geld ein? Erst neulich hatte man in Pauls Schule einen Drogendealer aus der neunten Klasse geschnappt, der seine Asperger-Pillen pulverisiert und für teures Geld als Crack an seine Klassenkameraden verkauft hatte. So viel Dreistigkeit und Entrepreneurgeist waren schon fast wieder bewundernswert, fand Tina. Manchmal konnte man von der Jugend direkt noch was lernen. Sie hielt die restlichen vier Euro fest in der Hand, seufzte und marschierte in Richtung Tankstelle.

Fahles Neonlicht verlieh der Tankstelle das gemütliche Ambiente einer Leichenhalle, ein Eindruck, der durch die hinter der Kasse mit offenem Mund vor sich hin dämmernde Verkäuferin in gelber Kittelschürze noch verstärkt wurde. Tina sah sich um. Ganz offensichtlich war das von Autofahrern am meisten benötigte Produkt Bier – dicht gefolgt von Sonnenbrillen und Diddl-Glückwunschkarten.

Außer Tina befand sich noch ein Mann im Laden, der die hässlichste Brille trug, die sie je gesehen hatte, eine Art orthopädischer Schuh fürs Gesicht. Er las ungeniert in einer Zeitung und runzelte dabei die Stirn, zwei junge Männer in Trainingshosen und Unterhemden beäugten neben ihm fachmännisch eine Pyramide aus Bierdosen, und eine Frau in Tinas Alter mit dunklen Augenringen schlürfte in der vollmundig betitelten einen Kaffee aus dem Pappbecher.

, verhöhnte ein Plakat mit Schokoladenwerbung alle Anwesenden. Tina begab sich in die und betrachtete die kraftlosen Brötchen in der Auslage, die wahrscheinlich trotz ihrer verschämt hervorlugenden Salatblätter den Nährwert eines Topflappens hatten. Extrem teuer waren die welken Teile obendrein. Aber was blieb sonst noch übrig? und ein labbriges Croissant? Oder gleich eine Tüte Studentenfutter? Tina stolperte ziellos in dem dämmrigen Laden herum. Egal. Wenigstens war es hier drin schön kühl. Sie würde sich einfach neben die Frau mit den Augenringen setzen und die restlichen vierzig Minuten ihrer Mittagspause ebenso an die Wand starren wie sie. Wenn jemand sie beide dann in Schwarzweiß fotografieren würde, war das Kunst. Wenn nicht, war es einfach ein Scheißleben.

Die Typen im Unterhemd bezahlten jetzt, draußen fuhr ein Krankenwagen vor und tankte, die Tür klingelte und noch jemand kam herein. Tina wandte sich ab. Wenn sie nur eine kleine Tüte Erdnüsse nahm, konnte sie noch eine Klatschzeitung dazukaufen und für eine Weile in das Leben der Stars und Promis eintauchen und ihr eigenes dabei vergessen. Sie streckte verlangend ihre Hand nach einem der grellen Blätter aus. »

Von der Kasse her erklang jetzt ein kleiner Aufschrei. »Oh, nein!«

Nanu, was war denn da los? War etwas umgekippt? Tina hatte nur die Augenring-Frau im Blick, die jetzt entsetzt die Hand vor den Mund hielt. Der Mann mit der orthopädischen Brille hatte seine Zeitung fallen lassen und die Hände hochgehoben.

»Alles. Und da rein, aber zack, zack!«, befahl eine Männerstimme.

Ein Überfall! Tina fing unvermittelt an zu zittern. Sie konnte den Täter nicht sehen, weil die Regale ihr die Sicht versperrten, aber das musste nicht bedeuten, dass er sie nicht entdeckt hatte.

»Nehmen Sie doch bitte die Pistole weg, ich mach ja schon!«, tönte die panische Stimme der Verkäuferin. Sie schluchzte.

Der Typ war bewaffnet, oh Gott. Tina duckte sich unwillkürlich und versteckte sich hinter dem Süßwaren-Display, am liebsten wäre sie in die Kiste mit den Gummibärchen hineingekrochen.

»Na los, los«, befahl die Stimme wieder. Sie kam Tina ausgesprochen bekannt vor, war das etwa jemand, den sie …? Tina sah vorsichtig hoch zu dem großen Spiegel an der Decke, der so angebracht war, dass man den ganzen Laden im Blick haben konnte. Was sie sah, ließ sie nach Luft schnappen. Das konnte doch nicht wahr sein! Der Mann, der da vorn an der Kasse...


Herwig, Ulrike
Ulrike Herwig wurde 1968 geboren und wuchs in Jena auf. Sie studierte Englisch und Deutsch und lebte fast zehn Jahre lang in London. 2001 zog sie mit ihrer Familie nach Seattle, USA, wo sie auch heute noch wohnt. Seit vielen Jahren schreibt sie unter verschiedenen Pseudonymen für Kinder und Erwachsene.

Ulrike Herwig wurde 1968 geboren und wuchs in Jena auf. Sie studierte Englisch und Deutsch und lebte fast zehn Jahre lang in London. 2001 zog sie mit ihrer Familie nach Seattle, USA, wo sie auch heute noch wohnt. Seit vielen Jahren schreibt sie unter verschiedenen Pseudonymen für Kinder und Erwachsene.



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