Buch, Deutsch, 272 Seiten, gebunden, Format (B × H): 120 mm x 187 mm, Gewicht: 306 g
Buch, Deutsch, 272 Seiten, gebunden, Format (B × H): 120 mm x 187 mm, Gewicht: 306 g
ISBN: 978-3-0369-5056-3
Verlag: Kein + Aber
Mit viel schwarzem Humor parodiert Tom Hofland in seinem Roman die verloren gegangene Menschlichkeit am Arbeitsplatz. Ein virtuoser Pastiche aus Krimi, Horrorroman, absurder Groteske, tragikomischem Büroroman und überspitzter Satire.
Als Qualitätsmanager bei einem großen Pharmakonzern führt Lute ein beschauliches Leben. Doch mit der Übernahme der Firma durch einen Schweizer Investor soll plötzlich seine gesamte Abteilung wegrationalisiert werden. Eine bittere Pille für Lute: Nicht nur muss er zig loyale Kollegen loswerden, er soll sie auch noch dazu bewegen, von sich aus zu kündigen. Als Lombard, ein selbstständiger Personalvermittler, ihm seine Dienste anbietet, ist Lute froh, die Verantwortung abgeben zu können. Und tatsächlich: Lombard sorgt skrupellos dafür, dass ein Mitarbeiter nach dem anderen verschwindet, und Lute kann seine Hände in Unschuld waschen. Doch mit den ersten Todesfällen wird klar, dass er einem Wolf im Schafspelz Tür und Tor geöffnet hat.
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PROLOG
Pascal Bonare legt seine blutige Hand auf den Schreibtisch. Der Kommissar tritt näher und mustert sie. Den dunkelblauen Anzugärmel, das weiße Hemd mit den roten Flecken, einen Manschettenknopf mit abgeplatztem Blattgold.
Er sieht die behaarte Hand – den leicht krummen Mittelfinger, der wohl mal gebrochen war, betrachtet das dunkle, fast schwarze, auf dem Handrücken geronnene Blut.
»Ihr Blut?«
»Ich glaube nicht.« Pascal hebt die Hand, um zu zeigen, dass er nicht verletzt ist.
Der Kommissar nickt und nimmt ihm gegenüber am Schreibtisch Platz. Der Ledersessel ächzt unter seinem schweren Körper.
»Zwei Frauen also, Herr Bonaire?«
»Bonare.«
»Bonaire? Wie die Insel?«
»Wie die Insel ohne i.«
»Bonare.«
»Genau.«
Der Kommissar zieht die Tastatur zu sich heran.
»Zwei Frauen also?«
Pascal nickt.
»Die eine dunkelhaarig, die andere blond gelockt.«
Mit zwei Fingern gibt der Kommissar etwas in den Computer ein.
»Die beiden waren mit einem Fiat Coupé unterwegs? Einem roten?«
»Mit einem roten Fiat Dino Coupé 2400 von 1969. Ich weiß das deshalb so genau, weil mein Onkel vor drei Jahren denselben Wagen zu Schrott gefahren hat.«
»Denselben oder den gleichen?«
»Den gleichen.«
Die alten, vergilbten Tasten bleiben an den Zeigefingern des Kommissars kleben. Er starrt auf den Bildschirm.
»Und dieser Mann, war das ein Freund von Ihnen?«
»Ein Geschäftskontakt. Gerade erst kennengelernt. Eigentlich kannte ich ihn gar nicht.«
»Ein Italiener?«
»Ich denke schon.«
»Laut dem Kellner war er Deutscher.«
»Tatsächlich?«
Der Kommissar nickt.
»Wie gesagt«, meint Pascal. »Im Grunde kannte ich ihn gar nicht.«
Erst jetzt merkt er, dass seine rechte Hand, die mit dem Blut, zittert. Er ballt sie zur Faust, aber das Zittern hört nicht auf. Das ist auch dem Kommissar nicht entgangen.
»Wenn es Ihnen zu viel wird, reden wir ein andermal weiter.«
Pascal atmet tief ein und flach aus.
»Es geht schon.«
Der Kommissar reckt halbherzig den Daumen und wendet sich wieder dem flimmernden Bildschirm zu.
»Sie sitzen also mit Ihrem deutschen Bekannten in einem Restaurant. Sie waren vor ihm da und haben schon eine kleine Vorspeise gegessen. Jetzt bestellen Sie die Meeresfrüchte und er … auch so was Ähnliches?«
»Das porcheddu. Damit nahm er es genau. Ohne Salz.«
»Stimmt. Das porcheddu ohne Salz. Sie essen, Sie besprechen ein paar Dinge, ein Kellner kommt von einem anderen Tisch und fragt, ob alles nach Wunsch ist, und in dem Moment sehen Sie die Frauen.«
»Eine Frau«, erwidert Pascal. »Die Dunkelhaarige. Ich hab sie für die Geschäftsführerin gehalten, weil sie so gut gekleidet war. Sie kam aus der Küche.«
»Und ging direkt auf Sie zu?«
»Sie kam aus der Küche schnurstracks auf uns zu.«
»Und dann?«
»Und dann? Hob sie eine Pistole.«
»Hatte sie die Waffe bereits in der Hand?«
»Das weiß ich nicht, ich glaube schon.«
»Glauben Sie das, oder wissen Sie es?«
»Ich glaube es.«
»Gut. Wie oft hat sie geschossen?«
»Drei Mal. Auf meinen Gast. Aus nächster Nähe.«
»Tot?«
»Zweimal in die Brust und einmal durch sein linkes Auge. Ganz gezielt.«
»Und dann? Haben Sie die Flucht ergriffen?«
Pascal schüttelt den Kopf.
»Warum nicht? Hatten Sie keine Angst, der Nächste zu sein?«
»Nein, ich war mir sicher, dass das nicht passieren wird.«
»Jetzt müssen Sie mir aber schon erklären, warum Sie sich da so sicher waren.«
»Das hab ich ihr angemerkt. Sie hatte nur ihn im Visier. Hatte ausschließlich Augen für ihn. Ihr Blick ging einfach durch mich und den Kellner neben uns hindurch.«
Der Kommissar schielt auf den Bildschirm.
»Der Kellner sagt, sie hätte eine Sonnenbrille aufgehabt.«
»Stimmt«, bestätigt Pascal. »Ja, ich konnte ihre Augen nicht erkennen. Trotzdem wusste ich, dass sie es nicht auf uns abgesehen hat. Keine Ahnung, warum – vielleicht auch weil alles so selbstverständlich gewirkt hat, genauso gut hätte sie eine Karaffe Wasser bringen können. Sie hat es mit derselben zielstrebigen Selbstverständlichkeit getan.«
»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen«, sagt der Kommissar.
»Was ich damit meine, ist, dass es fast schon etwas Routiniertes hatte. Sie kam auf uns zu, bis sie direkt vor mir stand, hob die Hand, gab drei Schüsse ab und ging dann durch die Vordertür hinaus. Es war im Nu vorbei. Etwas rein Geschäftliches. So selbstverständlich wie das Herausgeben von Wechselgeld.«
Der Kommissar trommelt mit den Fingern auf den Schreibtisch. Er hat die Stirn in tiefe Falten gelegt.
»Nun gut, und dann haben Sie die andere Frau bemerkt?«
»Draußen stand der Fiat. Ich konnte ihn durchs Fenster sehen.«
»Wie lang stand er da schon?«
»Keine Ahnung. Eine Stunde vielleicht, vielleicht kam er auch gerade erst angefahren.«
»Und die Frau?«
»Die Blondgelockte saß am Steuer. Die Dunkelhaarige ist eingestiegen, und dann sind sie weggefahren.«
»Mit quietschenden Reifen?«
»In aller Seelenruhe. Ordnungsgemäß. Sie hat geblinkt.«
»Sonst noch irgendwelche Auffälligkeiten? Irgendetwas Außergewöhnliches? Seltsame Gäste im Restaurant?«
»Mein Geschäftspartner fuhr einen großen Pickup. So einen amerikanischen. Und da war ein Hund.«
»Ein Hund?«
»Ein Hund.«
»Was für ein Hund?«
»Ein schwarzer Pudel.«
Der Kommissar legt die Finger wieder auf die Tasten. »Und Sie sind sich sicher, dass es ein Pudel war?« Er tippt etwas.
»Ja. Das sind auffällige Tiere.«
»Stimmt. Hier bekommen wir allerdings eher Labradoodles zu sehen.«
»Es war ein Pudel.«
»Das sagten Sie bereits. Aber hätte es nicht auch ein Labradoodle sein können?«
»Haben Sie schon mal einen Labradoodle gesehen, Herr Kommissar? Die haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit Pudeln.«
»Nun gut, da war also ein Hund«, sagt der Kommissar. »Und das war auffällig?«
Pascal zuckt mit den Schultern.
»Sie haben mich gefragt, ob ich etwas Ungewöhnliches bemerkt habe. Das ist mir in Erinnerung geblieben.«
Der Kommissar gibt wieder etwas in den Computer ein, zu Pascals großer Verärgerung immer noch mit zwei Fingern.
»Herr Bonare«, sagt der Kommissar plötzlich. »Wissen Sie, dass Sie mich ungemein an meinen Bruder erinnern?«
»An Ihren Bruder?«
»Und wie! Die gleichen Augen. Oder sind es die Augenbrauen? Der Rahmen oder das Gemälde selbst?« Der Kommissar lacht auf, fängt sich aber wieder. »Mein Bruder ist ein anständiger Kerl: aufrichtig, gewissenhaft, sanftmütig. Der hätte sich nicht mal als Kind an der Bonbondose vergriffen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Pascal lässt die Schultern hängen. Er interessiert sich kein bisschen für das, was ihm der Kommissar da von seinem Bruder erzählt.
»Aber seine Sanftmut macht ihn auch … wie soll ich das ausdrücken? Verletzlich. Er hatte manchmal das Gefühl, dass die Menschen sich über ihn lustig machen, und leider kann ich das nicht von der Hand weisen. Anfangs erlaubten sich die anderen Scherze mit ihm, aber irgendwann war es sein eigener Verstand.«
Bei diesen Worten tippt sich der Kommissar an die Schläfe. Pascal Bonare fährt mit der Hand über seine noch immer zitternde Faust, als müsste er ein Tier beruhigen.
»Herr Kommissar, ich weiß nicht recht, worauf Sie hinauswollen.«
»Herr Bonare, wo ist Ihr Freund jetzt?«
»Er ist nicht mein Freund, nur ein Geschäftskontakt.«
»Von mir aus können Sie sein Lover sein«, sagt der Kommissar auf einmal streng, »wir wüssten bloß gern, wo er sich aufhält.«
Pascal weicht auf seinem Stuhl zurück wie ein Schüler, der sich beim Direktor melden muss.
»Woher soll ich das wissen?«
Der Kommissar beschreibt eine Vierteldrehung, setzt eine winzige Lesebrille auf, feuchtet mit der Zunge den Daumen an und nimmt ein Blatt Papier vom Tisch.
»Ich lese noch ein letztes Mal vor, was Sie ausgesagt haben, als meine Kollegen Sie im Restaurant antrafen. Ich zitiere: ›Mein Geschäftskontakt wurde zweimal in die Brust und einmal ins linke Auge getroffen. Von dem Blut, das mir in die Augen gespritzt ist, war ich vorübergehend blind. Aber nachdem ich es mit meiner Serviette abgewischt hatte, sah ich, dass die Schützin seelenruhig
zum Ausgang lief. Mein Geschäftskontakt, das Gesicht – oder was noch davon übrig war – zur Decke gerichtet, hing wie ein nasser Sack in seinem Stuhl. Das Rückgrat schien gebrochen zu sein, so unnatürlich war die Haltung. Dann richtete er sich röchelnd auf, griff mit einer Hand nach der Serviette, presste sie energisch gegen das Loch, wo vorher sein Auge gewesen war, und stand auf. Mit seinem guten Auge würdigte er mich keines Blickes, fluchend und zeternd in einer mir unverständlichen Sprache lief er zur Küche und verschwand durch die Schwingtür.‹«
Der Kommissar mustert Bonare über den Rand seiner Lesebrille hinweg.
»In einer Ihnen unverständlichen Sprache?«
»Vielleicht sollten Sie das lieber den Kellner fragen, der scheint sich ja mit Fremdsprachen auszukennen.«
»Dass Sie den Mann nicht verstanden haben, lass ich mir ja noch gefallen. Das ist hier nicht das Seltsamste, da pflichten Sie mir doch sicherlich bei?«
»Natürlich.«
»Herr Bonare, ich war Soldat, habe also so einiges erlebt. Einen Hund mit einem Messer im Rücken, der noch drei Wochen weiterläuft und Pfötchen gibt, um ein Stück Speck zu bekommen. Einen Mann, der kurz nach seiner Enthauptung noch einen Zug von einer Zigarette nimmt. Aber ein Kerl, dessen lebenswichtige Organe einschließlich seines Gehirns aus nächster Nähe von Kugeln durchsiebt werden und der anschließend aufsteht und fluchend – in welcher Sprache auch immer – den Raum verlässt: Das ist mir neu.«
»Aber so war es nun mal, Herr Kommissar.«
Der fährt sich mit faltigen Händen über das müde, von Pigmentflecken übersäte Gesicht. Und während er aus dem Fenster auf die Bucht von Porto Cervo schaut, denkt er an sein kleines Boot. An seine Familie, die jetzt zu Hause das Abendessen zubereiten dürfte. Er denkt an den Welpen, den er seiner Tochter gekauft hat und mit dem er gleich noch zum Welpenkurs gehen muss. Er denkt an seine Frau, die ihm am Vorabend betrunken versprochen hat, ihn täglich oral zu befriedigen, wenn sie nur nie diesen Hund ausführen muss. Er weiß, dass das Quatsch ist, hofft aber dennoch, dass dieses Versprechen wenigstens teilweise eingelöst wird. Er hätte kein Problem damit, sich auf dieselbe Weise erkenntlich zu zeigen, ja fände das sogar wunderbar. Aber er weiß, dass sie nicht darauf steht, und gibt sich damit zufrieden. Auch wenn das nicht sehr befriedigend ist.
»Sie können jetzt gehen«, sagt der Kommissar schließlich. »Aber bitte bleiben Sie in der Nähe, wir melden uns, falls nötig.«
Pascal Bonare nickt kurz, steht auf und geht mit raschen Schritten zur Tür.
»Und noch etwas, Herr Bonare.«
Pascal dreht sich um.
»Ihr Freund. Ihr Bekannter, was auch immer: Wenn Sie ihn sehen, in Ihren Träumen, als Vision oder wo auch immer Sie diese Hirngespinste herhaben: Dann richten Sie ihm doch bitte aus, dass er hierherkommen soll. Ich hätte da noch ein paar Fragen an ihn.«
»Die Schlange ist zwar verwundet, kann aber noch beißen, Herr Kommissar«, sagt Pascal und verlässt den Raum.