Hook Unknown Pleasures
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8493-0065-4
Verlag: Metrolit Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
Die Joy-Division-Story
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
ISBN: 978-3-8493-0065-4
Verlag: Metrolit Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
Joy Division revolutionierten die Musik. Sie erfanden einen neuen Sound. Und ihr ursprünglich subversives Image wurde zum Vorbild für einen weltweit erfolgreichen 'Look'. Peter Hook, der legendäre Bassist der Band, hat ihre Geschichte aufgeschrieben: von der Gründung nach einem Sex-Pistols-Konzert, über die lange beschwerliche Zeit in verranzten Clubs, den tragischen Tod von Ian Curtis bis zur Gründung von New Order. 'Wie rohes Fleisch ... nur wenige Popmusik-Bücher haben diese Qualität.' The Guardian 'Der bunteste und intimste Blick auf Joy Division, der jemals geschrieben wurde.' Mojo 'Wer Joy Division mag, muss dieses Buch lesen.' Q Magazine
Peter Hook ist Gründungsmitglied von Joy Division und New Order. Seine besondere Art, Bass zu spielen, setzte Maßstäbe und beeinflusste Generationen von Musikern. 2010 veröffentlichte er The Hacienda. How not to run a club.
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Insight
Siebzehn Tage lang aßen wir nur Hühnchen mit Fritten
Ich wurde ungefähr um vier Uhr nachmittags im Hope Hospital in Salford geboren, am 13. Februar 1956 – und nein, es war nicht Freitag der Dreizehnte, es war ein Montag. Mutter: Irene Acton. Sie war stur, eigensinnig und hatte einen eisernen Willen. Mit anderen Worten: eine typische nordenglische Mutter. Vater: John ( Jack) Woodhead. Er war Fahrer bei den Frederick Hampson Glass Works in Salford. Das Firmengebäude ist eines der wenigen, die stehen geblieben sind, nachdem die Stadverwaltung Salford in den Siebzigern abreißen und neu aufbauen ließ. Noch heute fahre ich oft daran vorbei. Meine erste Erinnerung ist, wie ich auf dem Pier in Blackpool im Kinderwagen liege und mich jemand mit Fritten füttert. Ich glaube, es war meine Tante Jean. Nur wenig später trennten sich meine Eltern und ließen sich dann scheiden. Die Scheidungsdokumente erwähnen «Grausamkeit gegen die Klägerin» – meine Mutter. Er verprügelte sie, natürlich. Damals war es für Männer in Salford üblich, sich zu besaufen und ihre Frauen zu verdreschen. Als er etwas mit einer anderen Frau anfing, brachte dies das Fass zum Überlaufen. Meine Mutter hasste ihn dafür. Sie hasste ihn bis zu dem Tag, an dem sie starb. Obwohl sie Bill kennenlernte, ihn heiratete und vierzig Jahre mit ihm zusammen war – vierzig Jahre – hasste sie meinen Vater abgrundtief, selbst als er schon tot war. Sie wollte nicht einmal seinen Namen hören. So eine Frau war sie. Nachdem die beiden sich getrennt hatten, zogen ich, Mum und mein jüngerer Bruder Chris zu unserer Oma. Und als meine Mum den Wohnzimmerteppich im alten Haus endlich abbezahlt hatte, weil sie nicht damit rechnen konnte, dass Jack ihn bezahlte (sie wollte nicht, dass die Geldverleiher sie für unzuverlässig hielten – sie war sehr stolz), waren wir eine Zeit lang eine ganz normale Arbeiterfamilie mit nur einem Elternteil: zwei Zimmer oben, zwei unten, Außentoilette, Kohlenofen. Wir lebten an der Jane Street in Langworthy im wundervollen, dreckigen Salford. Als ich Jahre später Control schaute, den Film über Joy Division, merkte ich nicht einmal, dass er schwarz-weiß war, weil meine Kindheit genau so ausgesehen und sich genau so angefühlt hatte: düster und versmogt und braun, wie die Farbe eines nassen Pappkartons. Überall in Manchester hatte es damals so ausgesehen. Für uns Kinder gab es nichts zu tun, außer rumzulungern und eine Büchse rumzukicken oder den Stiel eines Lutschers in den heißen Teer zu drücken. Ganz Salford war unser Spielplatz: Wir wurden am Morgen rausgelassen und mussten zum Abendbrot wieder daheim sein. Ich weiß noch, dass ich mich ein paar Mal verirrte und von der Polizei nach Hause gebracht wurde. Unser erstes Spielzeug bekamen wir wahrscheinlich an dem Weihnachten, als Bill auftauchte und ich fünf war. Er machte meiner Mutter den Hof, und so überhäufte er mich und Chris mit Geschenken. Ich erinnere mich, wie ich damals runter kam – noch nie in meinem Leben hatte ich so was gesehen: Er hatte mir und dem Kleinen je ein Tretauto gekauft und noch eine ganze Menge anderer Sachen. An diesem Weihnachten verwöhnte er uns nach Strich und Faden. Zum ersten und letzten Mal. Danach gab es wieder nur eine Orange und ein paar Nüsse. Bill war Ernest William Hook. Ich hatte geglaubt, er sei ledig gewesen, als er meine Mutter kennenlernte, aber Jahre später fand ich heraus, dass er schon einmal verheiratet gewesen war und zwei Töchter hatte. Ich fand es eines Nachmittags heraus, nach einem Fußballspiel, United, natürlich. Ich besorgte damals immer ein Programmheft und brachte es dann zu Bills Vater, Opa Hook, ein lieber, alter Kerl, der zusammen mit seiner Frau am Markt von Salford einen Stand mit Secondhand-Kleidern betrieb. Sie war gestorben, und er lebte jetzt am Precinct, nachdem der saniert worden war. Auf der Kommode stand ein Bild mit zwei jungen Mädchen. Unschuldig fragte ich: «Wer ist das, Opa?» «Die andere Familie deines Vaters», antwortete er. Es kommt mir immer noch seltsam vor, dass sie nie erwähnt wurden. Anfangs, als er meiner Mutter den Hof machte, war Bill sehr nett. Ich und der Kleine schütteten einmal eine Tasse Tee in seinen Benzintank (aus Eifersucht vermutlich, weil wir es gewohnt waren, Mum ganz für uns zu haben), und er verprügelte uns nicht mal! Schimpfte bloß. Doch mit den Jahren begriffen wir das mit seiner heimlichen Familie, denn es wurde ein ziemliches Elend mit ihm. Er konnte mitunter ein echt mieser Scheißkerl sein, besonders an Weihnachten. Sein Lieblingsspruch war: «Wenn ich leide, leiden wir alle» – und er meinte es wirklich ernst. Ich ziehe heute noch meine eigenen Kinder mit diesem Satz auf. Was ihn erträglich machte, war sein Geld, schätze ich. Er war ein hoch qualifizierter Glas-Arbeiter. Schon mal von diesen Maschinen gehört, mit denen Glas geblasen wird, um Flaschen und Gläser und all das Zeug zu machen? Sein Job war es, sie zu reparieren. Er reiste dafür um die ganze Welt: Singapur, Indien, die Karibik – ein sehr weit gereister Mann und der einzige in unserer Straße mit einem Wagen, einem viertürigen 2.5. Riley RMB. Der, in den ich und der Kleine den Tee schütteten. Er kaufte uns auch einen Fernseher, wiederum der einzige in der ganzen Straße. Die Leute standen Schlange, um fernsehen zu können; wir waren auf einmal sehr beliebt. Das ist eine andere meiner frühesten Erinnerungen: Ich und Chris, wie wir, nachdem wir zu Bett gebracht wurden, rausschlichen, oben auf der Treppe hockten und der Sendung Coronation Street lauschten. Ich ging zur Stowell Memorial School und ich liebte es. Ich war glücklich. Mum und Bill heirateten – wir blieben an diesem Tag bei Oma –, und nicht viel später wurde verkündet, dass er ein neues Job-Angebot bekommen hatte. Also zogen wir um. Es war ein Job bei den Jamaica Glassworks. Und dort gingen wir hin: Wir zogen nach Jamaika. Das war 1962. Bill reiste schon voraus, und ein paar Tage später folgten ich, Mum, Chris und all unsere weltliche Habe nach Southampton. Ich umklammerte meinen Plastikbeutel mit den Spielzeugsoldaten. Es stürmte heftig, und wegen des schlechten Wetters mussten wir mit einem Schlepper zum Schiff rausfahren. Wir alle fürchteten uns vor den Riesenwellen, dem Lärm der Motoren und den Seeleuten, die uns anblafften, während sie uns an Bord des Schiffs hievten. Als ich dran war, riss die Plastiktüte, und meine Soldaten stürzten alle in die stürmische See. Ich hielt nur noch die zerfetzte Tüte in der Hand. Dann kam die Überfahrt. Oh Gott! Man muss wissen, dass meine Mutter zeit ihres Lebens die konservativste Esserin war, die man sich vorstellen kann. Sie konnte es kaum ertragen, irgendetwas zu essen, das südlich von Salford kam. Als wir nun auf einem italienischen Kreuzfahrtschiff waren, das uns nach Jamaika brachte, war sie völlig außer sich. Weil es nur ein Gericht gab, das sie essen konnte – und das bedeutete, es gab auch nur ein Gericht, das ich und der Kleine essen konnten: Hühnchen mit Fritten. Seltsamerweise mag ich Hühnchen mit Fritten immer noch – trocken, mit ein wenig Salz und viel Pfeffer – aber weiß Gott, es erinnert mich jedes Mal daran, wie es auf diesem Schiff war. Siebzehn Tage lang aßen wir nur: Hühnchen mit Fritten. Während wir beim Kinder-Abendessen saßen, sahen wir, wie die Eis-Skulpturen geschnitzt und riesige Torten bereitgestellt wurden für die Erwachsenen, die später aßen. Aber meine Mutter sagte, wir dürften keine Torten essen, weil sie schmutzig seien. Unser Chris war erst drei. Er war ein Schreihals. Ich glaube, er hat den ganzen Weg in die Karibik geschrien. Das machte uns sehr unbeliebt – besonders an den Nachmittagen, wenn alle versuchten, auf Deck ein wenig zu dösen. Es kam noch hinzu, dass wir alle seekrank wurden und die Kabine kaum verließen (mit einer denkwürdigen Ausnahme, als ich den Korridor runterrannte und platt auf die Nase fiel; alles war voll Blut). Wir machten an fantastisch schönen Orten halt: Bilbao, Madeira, den Kanarischen Inseln und Trinidad. Aber wir aßen dort nie etwas und schafften es immer rechtzeitig zurück an Bord für die ewigen Hühnchen mit Fritten. Die Reise schien unendlich lange zu dauern, aber abgesehen davon, dass Chris beinahe über Bord fiel, als wir anlegten, weil er Bill am Dock gesehen hatte, kamen wir sicher an. Unsere Unterkunft in Jamaika war ein gemieteter, frei stehender Bungalow mit drei Zimmern und einer Innentoilette – das erste Mal, dass ich in einem Haus mit Innentoilette wohnte. Überall Marmorfußböden. Eines Tages tauchten diese beiden Schwarzen bei und auf und fragten, ob sie den Kürbisbaum abernten durften. Sie würden dafür für mich und den Kleinen Maracas basteln. Echte Maracas werden aus kleinen Flaschenkürbissen gemacht – man höhlt die Mitte aus, füllt Steine rein und fertig. Meine Mum sagte «von mir aus«, die Typen stürzten sich auf den Baum, holten alle Kürbisse runter, machten uns zwei Paar Maracas und verschwanden wieder. Kurz darauf brach die Hölle los. Der Baum muss voller Spinnen gewesen sein, und in dieser Nacht wurde das Haus von ihnen überrannt. Hunderte Spinnen, überall. Sie waren riesig und sie waren giftig. Definitiv Menschenfresser. Bill rannte herum und killte sie, während Mum, ich und der Kleine schreiend auf dem Tisch standen. Wir zogen uns dann ins Schlafzimmer zurück, wo Bill die Spinnen, die unter der Tür durchkrabbelten, mit einem Schuh plattmachte, während wir heulend danebenstanden. Das ist kein Witz! Es war wie in einem Horrorfilm. Ich bekomme heute immer noch Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Ich hasse Spinnen noch immer. Kein...