Horowitz James Bond: Trigger Mortis - Der Finger Gottes
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-86425-747-6
Verlag: Cross Cult Entertainment
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mit Originalmaterial von Ian Fleming
E-Book, Deutsch, 380 Seiten
Reihe: James Bond
ISBN: 978-3-86425-747-6
Verlag: Cross Cult Entertainment
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der neue Roman von Anthony Horowitz hebt sich von den modernen James Bond-Romanen in einzigartiger Weise ab: Er beinhaltet unveröffentlichtes Material, das von Ian Fleming verfasst wurde und zu dem Horowitz exklusiven Zugang hat. In den 1950ern schrieb Ian Fleming zahlreiche Episodenentwürfe für eine James Bond-TV-Serie die jedoch nie gedreht wurde. Als Vorlage für diesen Roman wählte Horowitz 'Mord auf Rädern'. James Bond taucht in die gefährliche Welt des Motorsports ein - und gelangt bei seiner Reise um die Welt auch nach Deutschland, zum Nürburgring.
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1
AN DIE ARBEIT
James Bond öffnete die Augen. Es war genau sieben Uhr. Das wusste er, ohne einen Blick auf den Wecker neben seinem Bett werfen zu müssen. Das Licht der Morgensonne strömte bereits ins Zimmer und bahnte sich seinen Weg durch die Spalten zwischen den Vorhängen. Er hatte einen sauren Geschmack im Mund, ein sicheres Zeichen dafür, dass er am Abend zuvor einen Whisky zu viel getrunken hatte. Um wie viel Uhr war er ins Bett gegangen? Weit nach Mitternacht. Und ins Bett gehen hatte nicht schlafen bedeutet.
»Wie spät ist es?« Die Frau, die neben ihm lag, war ebenfalls aufgewacht. Ihre Stimme war weich und schläfrig.
»Sieben.« Bond streckte eine Hand aus und streichelte das kinnlange schwarze Haar. Dann ließ er die Hand sanft weiter nach unten wandern.
»Hör auf, James. Ich brauche meinen Schlaf. Es ist viel zu früh.«
»Nicht für mich.«
Bond schwang sich aus dem Bett und tappte ins Bad. Eine der Besonderheiten des umgebauten Regency-Hauses an der King’s Road in Chelsea, in dem er lebte, war die Tatsache, dass das helle, weiß gekachelte Badezimmer exakt die gleiche Größe wie das Schlafzimmer hatte. Vielleicht war das eine zu klein und das andere zu groß, aber Bond hatte sich daran gewöhnt, und es bestand absolut kein Grund, etwas daran zu ändern. Man würde einfach nur um der Konvention willen Zeit mit Architekten und Bauarbeitern verschwenden. Er trat in die gläserne Duschkabine und drehte das Wasser auf, erst sehr heiß und dann fünf Minuten lang eiskalt, wie jeden Morgen.
Er verließ die Dusche, wickelte sich ein Handtuch um die Hüften und ging zum Waschbecken. In einem Leben, in dem nichts vorhersehbar war und das ohne Vorwarnung bedroht oder beendet werden konnte, war ihm dieses morgendliche Ritual sehr wichtig. Es tat gut, jeden Tag mit dem Gefühl zu beginnen, dass alles an seinem vorgesehenen Platz war. Er rasierte sich mit dem Rasierschaum mit Orangen- und Bergamotteduft, den er immer bei Floris in der Jermyn Street kaufte. Dann wusch er die Schaumrückstände ab. Der Spiegel war beschlagen, und er wischte mit einer Hand darüber, um in graublaue Augen zu starren, die ihn ruhig musterten, wie sie es immer taten. Er sah ein schmales Gesicht und dünne Lippen, die einen Hang zur Grausamkeit hatten. Er drehte den Kopf, um die Verbrennung auf seiner rechten Wange zu begutachten, die er einer Kugel verdankte, die aus kurzer Entfernung in einer Boeing 377 Stratocruiser hoch über dem Atlantik abgefeuert worden war. Glücklicherweise war die Verletzung schon fast verheilt. Bond hatte bereits eine dauerhafte Narbe im Gesicht, und er wusste, dass man eine Verletzung als Missgeschick abtun konnte, zwei jedoch definitiv zu einem Kommentar einladen würden – was angesichts seines Berufs nicht gerade wünschenswert war.
Er zog sich eine Baumwollshorts an und ging dann ins Schlafzimmer zurück. Das Bett war leer, die Laken noch warm von der Erinnerung an die vergangene Nacht. Er trat vor den Schrank und nahm einen dunklen Anzug, ein weißes Seidenhemd und eine schmale graue Satinkrawatte heraus. Er zog sich schnell an und nahm gleichzeitig erfreut den Duft von Kaffee wahr, der aus der Küche unten zu ihm herauftrieb. Zu guter Letzt zog er schwarze Mokassins an, ließ dann sein Zigarettenetui aus Geschützbronze in seine Innentasche gleiten und machte sich auf den Weg nach unten. Es war kurz nach halb acht.
Pussy Galore wartete in der Küche auf ihn. Sie trug nicht mehr als eines seiner Hemden, das ihr natürlich viel zu groß war. Als er hereinkam, drehte sie sich um und schaute ihn mit ihren erstaunlichen violetten Augen an, die ihn bei ihrer ersten Begegnung in der Lagerhalle in Jersey City vor knapp zwei Wochen sofort in ihren Bann geschlagen hatten. Damals war sie die Anführerin einer lesbischen Organisation gewesen, den sogenannten Zementmischern. Auric Goldfinger hatte sie rekrutiert, um ihm bei der Durchführung des Raubzugs des Jahrhunderts zu helfen. Im Laufe des Abenteuers war sie erst Bonds Verbündete und dann unweigerlich auch seine Geliebte geworden. Für Bond war diese Eroberung besonders befriedigend gewesen, denn er hatte auf den ersten Blick ihre Unnahbarkeit erkannt – eine Weigerung, geliebt zu werden. Er hatte sie von dem Moment an begehrt, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Sie war in einem perfekt sitzenden Anzug auf ihn zugekommen und hatte sich in einem Raum voller Gangster behauptet. Er betrachtete sie, wie sie nun dastand: das schwarze, ungleich geschnittene Haar, die vollen Lippen, die prominenten Wangenknochen. Er konnte nur schwer glauben, dass dies eine Frau war, die Männern gegenüber lediglich Misstrauen und Hass verspürt hatte, bis er in ihr Leben getreten war.
Sie goss zwei Tassen Kaffee ein – die extra starke Mischung von De Bry, die Bond bevorzugte – und brachte dann ein einzelnes gekochtes Ei an den Tisch.
»Bitte sehr«, sagte sie. »Genau drei ein Drittel Minuten lang gekocht, so wie du es magst.«
Sie selbst aß nichts. Sie hatte sich bereits eine Bloody Mary mit einem großen Schuss Smirnoff White Label Wodka und genug Tabasco gemacht, um damit ihre Magenschleimhaut in Brand zu stecken. Sie saß mit dem Drink vor sich da und rührte ihn geistesabwesend mit einer Selleriestange um. »Also, was hast du heute vor, Bond?«, fragte sie. »Du gehst um halb neun zur Arbeit. Ich stehe normalerweise nie vor zehn Uhr auf. Mir fallen immer eine Menge Dinge ein, die man vor dem Frühstück machen kann, je nachdem, wer gerade bei mir ist. Ich wohnte früher immer in diesen protzigen Schuppen in New York, und du kannst mir glauben, dass ich dem Wort ›Zimmerservice‹ eine ganze neue Bedeutung verliehen habe. Aber du bist anders, oder? Du rettest noch vor dem Mittagessen drei Mal das Vaterland …«
Tatsächlich hatte sich Bond für eine Trainingsstunde auf der Schießanlage angemeldet, die sich im Keller seines Bürogebäudes befand. Den Rest des Tages würde er damit verbringen, den Papierkram abzuarbeiten, der sich in seiner Abwesenheit angesammelt hatte. Mittags würde er vielleicht eine kurze Pause machen, um mit Bill Tanner, dem Stabschef und seinem engsten Freund beim Service, etwas essen zu gehen. Aber er erzählte ihr nichts davon. Was hinter den Wänden des neun Stockwerke hohen Gebäudes am Regent’s Park passierte, ging nur die dortigen Mitarbeiter etwas an und durfte nicht mit Außenstehenden besprochen werden. Letztendlich war es deswegen immer am einfachsten, gar nichts zu sagen.
»Was ist mit dir?«, fragte er.
»Ich habe mich noch nicht entschieden.« Die Selleriestange drehte eine weitere Runde am Rand des Glases entlang. »Ich liebe deine Stadt. Wirklich. Alles, was du mir gezeigt hast – den Tower, den Palast, die Houses of Was-auchimmer … Ich hätte nie gedacht, dass ich mal nach London komme, und nun verstehe ich, warum ihr Briten so selbstzufrieden seid. Vielleicht könnte ich hier leben. Ich könnte anfangen, nach einer Wohnung zu suchen. Was meinst du?«
»Das ist eine Idee.«
»Eine schlechte. Die würden das nie erlauben. Wer will schon eine Gaunerin wie mich? Abgesehen von dir, und du willst mich aus den falschen Gründen.« Sie seufzte. »Ich weiß nicht. Ich bin nicht in der Stimmung, mir noch mehr Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Nicht allein.«
»Ich kann mir nicht noch länger freinehmen.«
»Schon gut. Ich werde einkaufen gehen. Das sollte ein Mädchen in London doch machen, oder? Ich werde einen Hut kaufen.«
»Mit einem Hut würdest du lächerlich aussehen.«
»Wer sagt, dass er für mich ist?«
»Ich werde nicht spät nach Hause kommen. Wir können heute Abend ausgehen. Ich kann einen Tisch im Scott’s besorgen.«
»Ja. Sicher.« Sie klang gelangweilt. »Solange du mich nicht zwingst, noch mehr Austern zu essen. Ich könnte einen Abend ohne Schleim im Mund vertragen.«
Sie wartete, bis Bond sein Ei aufgegessen hatte, dann zündete sie zwei Zigaretten an – nicht die von Morlands, seine Lieblingsmischung, die er extra anfertigen ließ, sondern ihre eigenen Chesterfields. Sie reichte Bond eine, und er nahm einen tiefen Zug. Er kam zu dem Schluss, dass die erste Zigarette des Tages eindeutig besser schmeckte, wenn sie vorher zwischen den Lippen einer schönen Frau gesteckt hatte.
Eine ganze Weile lang sprachen sie nicht. Es war eine unangenehme Stille voller düsterer Gedanken und unausgesprochener Worte. Bond trank seinen Kaffee und warf einen Blick auf die Titelseite der Times, die Pussy von draußen hereingeholt hatte. Nichts über das Spektakel in Amerika. Diese Angelegenheit war von den Titelseiten verschwunden. Ein Artikel über Apartheid. Der medizinische Forschungsrat beharrte darauf, eine Verbindung zwischen Rauchen und Lungenkrebs gefunden zu haben. Bond starrte auf die glühende Spitze der Zigarette in seiner linken Hand. Er hatte nie geraucht, weil er glaubte, es wäre gut für ihn, und wenn der Krebs auf die verrückte Idee kam, ihn...




