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E-Book, Deutsch, 674 Seiten

Huber Erzählungen


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-2829-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 674 Seiten

ISBN: 978-3-8496-2829-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
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Therese Huber war eine deutsche Schriftstellerin. Sie zählte zu den als 'Universitätsmamsellen' bekannten Göttinger Professorentöchtern. Dieser Band beinhaltet folgende Erzählungen: Klosterberuf Geschichte eines armen Juden Drei Abschnitte im Leben eines guten Weibes Alte Zeit und neue Zeit Theorrytes Die Frau von vierzig Jahren Der Traum des Lebens Luise Das misslungene Opfer Sophie

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Zweiter Abschnitt


Am Schlusse der vorhergehenden Erzählung erscheint Theofanie in einer Art von Krisis ihres Charakters und ihrer Lage. Wir sehen ein Mädchen, das über ihre Jahre gebildet ist an Geist und Gefühl, über ihre Jahre fest an Willen und Entschluß, aber ganz so unerfahren über Menschen und Dinge, wie es ihr Geschlecht in dem Alter, worin sie sich befand, mit sich bringen mußte. Die Menschen, unter denen sie sich befand, der Zeitpunkt, in dem sie lebte, waren nicht dazu gemacht, ihre Ansichten zu mildern, ihre Gefühle herabzustimmen. In Theofaniens Vaterlande zeigten sich die Menschen noch in größeren, stärkeren Umrissen, als bei anderen Nationen, denen Cultur und Convenienz weniger Eigenthümliches gelassen hat. Das Laster war dort roher, und die Tugend kühner; ein Volk existirte nicht, und darum war der Adel adeliger, denn er kann nur neben Sklaven bestehen. Wer jenes Land nicht kennt, der wird manches Gemälde grotesk finden, weil er die Verhältnisse seines Volkes hinein versetzt. Die polnische Nation hätte können gebildet, andere müssen neu geschaffen werden. Man beurtheile also Theofaniens Geschichte nach keinem fremden Maßstabe.

Das unkundige Mädchen dachte sich ihre Lage viel gewaltsamer, aber viel weniger gefährlich, als sie war. Der Entschluß, den sie genommen hatte, diente ihr durch seine Einfachheit und Kühnheit zur Stütze; Zwang hatte sie berechnet, aber auf Verführung hatte sie nicht gedacht; die ist einer weiblichen Tugend so fremd, daß sogar eine Clarisse einen unangenehmen Eindruck macht, wenn man sie gegen diese überdachte Vorkehrungen machen sieht. Theofanie unterwarf sich mit Unmuth dem Zwange, der sie an ein stets wechselndes, geräuschvolles Leben fesselte, und nur ihre früh angenommene Gewohnheit, über sich selbst nachzudenken, nur ihr Bedürfniß nach ernster Beschäftigung waffneten sie gegen jeden Eindruck des sie umgebenden Verderbnisses. Bei dem Fürsten fanden sich während seines Aufenthaltes auf dem Lande nur die Personen ein, die durch Privatinteresse oder Parteigeist mit ihm verbunden waren. Unter diesen war keiner der Männer, die ihren Enthusiasmus für das Große und Schöne hätten erwecken können. Großmaniev brachte viel Zeit in W–ky zu, schien aber stets durch Theofaniens Kälte zur Behutsamkeit gegen sie gezwungen zu sein. – Uns fehlen von dem Schlusse der eigenhändig von Theofanien geschriebenen Blätter nähere Details über einen Zeitraum von einem Jahre, während dessen der kurze Krieg in Litthauen stattfand, in welchem Kosziusko die Russen schlug, bis die targowitzer Conföderation jenen beendigte. Die Castellanin hatte diese Zeit mit ihrer Familie in Warschau zugebracht, und wir finden erst wieder nähere Nachrichten von Theofanien nach ihrer Rückkehr nach W–ky, wo ihre Stiefmutter ihr drittes Kindbett hielt.

Theofanie pflegte sie mit einer Sorgfalt, die sie selbst unendlich beglückte; denn sie fühlte ihren innern Beruf, wohlzuthun, erreicht. Selbst das verirrte Gemüth der Castellanin ward auf Momente von so viel Liebe ergriffen, aber sie drückte ihr Gefühl mit einer Heftigkeit aus, die dem jungen Mädchen weh that, denn sie sah wie Gewissensangst aus und erregte in Theofanien eine geheime Scheu gegen Das, was solcher Zärtlichkeit zum Gegensatze stehen könnte. Sie hatte nur zwei Schwestern und einen Bruder, den sie aber auch gern zum Mädchen gemacht hätte, weil sie alsdann alle hätte erziehen können. Ihr Eintritt in's Kloster hätte ihr noch eine lange Reihe von Jahren ihre Bildung erlaubt, denn die reine Weiblichkeit in ihrem Herzen konnte ein wohlthätiges Leben, konnte die Bestimmung ihres Geschlechtes nie von Mutterfreuden trennen. Das Wochenbett, eine darauf folgende lange Unpäßlichkeit hatten den Strom der Gesellschaft auf eine Weile unterbrochen; die ruhige Zeit verfloß aber auch und wechselte mit einer verdoppelten Flut von Zerstreuungen ab. Die russische Fürstin von S–ff, welche auf ihrem Wege nach Warschau einige Tage in W–ky zubringen wollte, veranlaßte die Vorbereitung zu den glänzendsten Festen. Eine Menge Fremder stellte sich dazu ein, und unerwartet erschien unter ihnen Mortan, der Bekannte Theofaniens bei ihrem ersten Eintritte in die große Welt. Ihn begleitete ein Mann, den wir näher kennen lernen müssen, ehe wir Theofaniens Geschichte verfolgen.

Czesinsky's Vater war ein ansehnlicher podolischer Edelmann; er hatte sein ganzes Vermögen, das der Tod seines Vaters erst vor Kurzem in seine Hand gegeben hatte, als eines der eifrigsten Mitglieder der baarer Conföderation, dem Bedürfnisse der öffentlichen Sache geweiht. Seine Güter wurden von den Russen verheert, seine nächsten Verwandten fielen als Opfer ihrer feindseligen Wuth; ihm blieb keine Heimath mehr als das Schlachtfeld, und in diesem Berufe stieß er zu den Haufen, welche der tapfere Franciscus Pulavsky in dem schrecklichsten Zeitpunkte des Krieges, der Stanislaus Thronbesteigung folgte, in Litthauen anführte, und focht an der Seite dieses Helden, als er bei Ulodowa fiel. Blutend lag Czesinsky in einem einzelnen Tannengestrüpp, von einem Schlage mit dem Flintenkolben betäubt, auf einem Haufen von Todten und Sterbenden. Alle Gefallene, die in Uniform, ja die nur in Tuchröcke gekleidet waren, hatte der Feind geplündert, Czesinsky focht in einem Schafspelze, wie die Leibeigenen ihn tragen, denn er besaß schon lange kein Eigenthum mehr als sein Schwert, und seit jener Nacht, wo er seine Mutter und Schwester, die, dem Feinde zu entgehen, in die Wälder geflüchtet waren, nach langem Suchen in einer solchen Kleidung verhungert fand, hatte er einen Schwur abgelegt, nie eine andere als diese Kleidung zu tragen, bis der Tod dieser Unglücklichen mit der letzten Kraft seines Armes gerächt sei. Die Nacht war eingebrochen, ein starker Regenschauer wusch eine leichte Wunde, die Czesinsky an der Stirn erhalten hatte, sie fing von Neuem an zu bluten, und so ward sein Leben gerettet. Mit seiner rückkehrenden Besinnung dämmerte die Ansicht seines Schicksals in ihm auf. Für ihn war nirgends mehr Hoffnung! Nicht im Kampfe – seine Waffenbrüder lagen alle auf der Wahlstatt hingestreckt, oder wurden in russischen Fesseln den asiatischen Wildnissen zugetrieben; nicht in der Heimkehr – sein Vaterhaus lag längst in Trümmern und Asche; nicht im Verbergen, bis bessere Zeiten erschienen – auf weite Strecken war kein Schlupfwinkel für ihn! Der verheerte, blutbegossene Vaterlandsboden hatte für Pulavsky's Waffenbrüder keine Zuflucht. Langsam wankte er über den Sand, um im nahen Walde ruhig zu sterben. Der Mond trat hervor, und die entstellten Todtengesichter seiner Gefährten schienen sich alle zu ihm zu wenden und ihn zur Ruhe, die sie genießen, einzuladen. Seine Kräfte schwanden ihm unversehens, er sank nieder und erwachte erst beim Aufgange der Sonne. Was mit ihm vorgegangen war, blieb ihm ein Räthsel; nur erinnerte er sich, daß er neben den Todten hingesunken war; doch jetzt lag er von dem Arme des Einen umschlungen, sein Kopf ruhte auf einer blutigen Brust. – Schaudernd war er bemüht, sich aufzurichten, als ein schwerer Beutel, der, wie es nachmals sich zeigte, Geld und Juwelen enthielt, neben ihm herabfiel. Sein erster Blick suchte das Gesicht der Todten – es war Hektor Slobasky, sein Jugendgefährte, den sein Vater als Vormund erzogen, und mit dem er seine Liebe und Sorgfalt von Kindheit an getheilt hatte. Die Verwüstung ihrer Heimath hatte sie getrennt. Jeder kämpfte hier und da, wo Tapfere sich versammelten und der Feind verheerte, für die Sache des Vaterlandes; er wußte jetzt nichts von seiner Nähe, denn erst am Morgen des Kampfes war Hektor mit einem kleinen Haufen von Osten her eingetroffen und hatte sich mit Pulavsky, der vom nördlichen Litthauen heraufzog, vereinigt. Auch Hektor focht in Bauerkleidung gehüllt, wie so Viele überall, wo Rache zu hoffen und schreckliche Vergeltung zu zahlen war, und er fiel, wie so Viele, welche die Geschichte nicht nennt und die in jener Zeit kein Auge beweinte, weil Jammer und Haß die Wollust der Thränen längst vertilgt hatte. Wie der Todte mit Czesinsky in diese Stellung gekommen war, die von Bewußtsein zeugte, bleibt unerklärt. Vielleicht rief ihn die Wärme auf einen Augenblick in's Leben zurück, die ihm Czesinsky mittheilte, der ihn mit seinem Oberleibe bedeckte; vielleicht sammelte allein die Höhe der Mitternacht noch einmal die Kraft des Lebens in seine durchbohrte Brust, daß er seinen Jugendfreund erkannte und mit seinem letzten Willen ihn liebte und für ihn sorgte. Denn gelebt mußte der Todte haben, denn sein Arm hatte Czesinsky umfaßt, und er mußte den Beutel, der sein Eigenthum gewesen war, ihm auf die Brust gelegt haben. Czesinsky legte sein Haupt auf Hektors bleiches Gesicht, das keine Wildheit, kein Schmerz entstellte, er drückte die Hand, die ihn umschlungen hatte, an seine Brust; Verzweiflung und Entschluß zum Tode fachten seine Kräfte an, als die unter seinem Drucke erschlaffende Todtenhand ein kleines Crucifix fallen ließ, das der Sterbende gehalten haben mußte. Dieses Bild – es war dasselbe, vor dem der alte Czesinsky die Knaben jeden Abend hatte beten lassen – war das Bild des für die Menschheit sich Opfernden, vor dem der Alte seine Knaben wiederholt schwören ließ, sich dem Vaterlande zu weihen. Das fromme Symbol war ein Andenken von Hektors Vater, das seit Sobiesky's Kriegen, die sein Ahnherr mitfocht, in der Familie war, und deswegen schenkte es der Alte auf seinem Todbette dem Pflegesohne, und stark und treu sprach seitdem der brave Podolier durch das Organ dieses Holzes mit seinem Gotte. Czesinsky hielt das Kreuz Anfangs in schaudervoller Betäubung fest; in...



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