E-Book, Deutsch, 425 Seiten
Hunting My One And Only
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7363-1749-9
Verlag: LYX.digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 425 Seiten
ISBN: 978-3-7363-1749-9
Verlag: LYX.digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Helena Hunting lebt mit ihrer Familie und zwei Katzen in einem Vorort von Toronto. Tagsüber ist sie Grundschul-Englischlehrerin, nachts wird sie Bestseller-Autorin von heißen und berührenden Liebesromanen.
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PROLOG
Lass nicht zu, dass die Monster dich kriegen
Lavender Sechs Jahre alt »Es ist total lustig da drin, Lavender. Es wird dir gefallen!«, versichert mir mein großer Bruder Maverick mit einem Lächeln und einem Zwinkern. Ich erwidere sein Lächeln. Er findet fast alles lustig, und meistens hat er recht damit. »Die Spiegel sind das Beste!«, verkündet Kodiak. Er ist Mavericks bester Freund, doch er ist auch mein Freund. »Wir sorgen dafür, dass du Spaß hast.« Ich nicke und schlinge die Arme um meinen Körper, um mir mein ängstliches Zittern nicht anmerken zu lassen, aber es funktioniert nicht. »Lavender, Schatz, ist dir kalt?«, fragt Daddy. »Wo ist deine Jacke?« Mommy sieht in ihrer Tasche nach. »Wir haben sie wohl im Auto vergessen. Ich laufe zurück und hole sie. Ich bin gleich wieder da.« »Ach, menno«, murrt Maverick. Es ist zu leise, als dass unsere Eltern es hören könnten, aber ich schon. Seine Frustration ist eine dicke Decke, die schwer auf meinen Schultern lastet. Maverick wartet nicht gern, und sie haben bereits minutenlang versucht, mich zum Mitkommen zu überreden. »Schon okay. Sie kann meinen Hoodie haben.« Kodiak löst ihn von seiner Taille und reicht ihn mir. Ich nehme ihn mit einem kleinen Lächeln und lasse meine Arme in den weichen Stoff der Ärmel gleiten. Er ist warm und riecht nach Waschmittel. Der Hoodie trägt das Eishockey-Logo von dem Team, das mein Daddy trainiert und für das Kodiaks Daddy spielt. Ich lasse die Hände in die Taschen gleiten, und meine Finger berühren Bonbons und leeres Einwickelpapier. Kodiak hat immer Jolly Ranchers dabei. Die mag er am liebsten. Ich mag am liebsten die Marshmallows in den Lucky Charms, obwohl es eigentlich Frühstücksflocken sind und keine Süßigkeit. »Willst du wirklich mitgehen?«, fragt Mommy leise, als sie mir hilft, die Ärmel aufzurollen. Ich nicke, spreche es aber nicht aus. Ich traue meiner Stimme gerade nicht. Außerdem hat Mommy gesagt, dass wir nach dem Gruselkabinett Trichterkuchen haben können, und ich will nicht der Grund dafür sein, dass wir ihn nicht bekommen. Mommy und Daddy schauen einander an. Sie reden die ganze Zeit ohne Worte miteinander. River und ich tun das auch. Es ist anders, denn River ist mein Zwillingsbruder und in vielerlei Hinsicht gleich. Wir brauchen nicht immer Worte, um zu wissen, wie sich der andere fühlt, was gut ist, denn manchmal kommen mir die Worte nicht über die Lippen. »River, du hältst Lavenders Hand schön fest, ja? Das ist deine Aufgabe«, sagt Daddy mit strenger Stimme. »Du hältst ihre Hand die ganze Zeit.« Das ist die Stimme, die er häufig bei River benutzt, aber nie bei mir. »Ich halte Lavenders Hand. Ich lasse nicht los. Ich passe auf sie auf«, wiederholt River. Daddy nickt ernst und wendet sich mir zu, wobei sich sein Ausdruck verändert. Sein Gesicht ist wie ein fluffiger Marshmallow, es wird weich und viel freundlicher. »Du sagst River, wenn es dir da drin nicht gefällt, ja? Robbie, Mav und Kody sind bei dir.« Ich nicke und flüstere Okay. Daddy küsst mich auf die Stirn und packt Rivers Schulter. »Pass auf deine Schwester auf, und bleib bei deinen Brüdern.« River nickt und hält meine Hand so fest, dass es sich beinahe anfühlt, als würden sich meine Knochen biegen. Ich will ihm sagen, dass es wehtut, aber alle laufen auf das Gruselkabinett zu, und ich will ihnen den Spaß nicht verderben, obwohl ich jetzt schon Angst habe. Mir macht alles Angst. Zu viel Lärm. Zu viele Menschen. Vor allem, wenn ich sie nicht kenne. Es gibt nur wenige Menschen und Dinge, die mir ein Gefühl von Sicherheit geben. Meistens gehört River dazu, aber heute Abend fühle ich mich wie auf einem Karussell, von dem man nicht herunterkann. Ich will, dass River Spaß hat. Doch der Lärm und die Leute sind zu viel. Ich bleibe dicht bei ihm und umklammere seine Hand. Meine Handfläche ist feucht und glitschig. Mir ist kalt und heiß. Ich sollte ihm sagen, dass ich zurückgehen und bei Mommy und Daddy bleiben will, aber es ist zu laut, und ich kriege kein Wort heraus. Ich sage mir, dass es danach etwas Süßes gibt, und ich wieder dort sein werde, wo ich mich am sichersten fühle. Und ich mochte, wie stolz Daddy aussah, als ich sagte, dass ich ins Gruselkabinett gehen wollte. Robbie, Maverick und Kodiak gehen voraus und bewegen sich durch ein Gewirr von Spiegeln. Kodiak blickt mit zusammengezogenen Brauen über seine Schulter. Er packt Mav am Hemd, damit er langsamer macht, während River sich beeilt, um mit ihnen Schritt zu halten. Maverick lacht und verschwindet um die Ecke. Kodiak zögert, sieht sich noch einmal um, bevor er ebenfalls verschwindet, und River drängt mich, schneller zu gehen. Ich stoße mit meinem eigenen Spiegelbild zusammen und umklammere Rivers Hand noch fester. Unsere Spiegelbilder sind überall. Rivers Augen glänzen vor Aufregung, und er lächelt breit. »Dir geht’s gut, ja?«, fragt er, den Blick noch immer nach vorn gerichtet auf das, was da um die Ecke sein mag. Ich nicke, weil laute Musik spielt, und er mich nicht hören würde. Als wir uns von den Spiegeln entfernen, verschwindet ein Teil der Angst, aber dann müssen wir zwischen etwas hindurchlaufen, was aussieht wie Daddys Sandsäcke in unserem Gym zu Hause, nur dass sie Clownsgesichter haben. Ich mag sie nicht, weshalb ich die Augen schließe und mich von River hinterherziehen lasse. Ich stoße mit Gegenständen zusammen, und jemand läuft von hinten in mich hinein. Ich stolpere, Rivers Hand entgleitet mir, und ich falle auf die Knie. Jemand stolpert über mich, und ein Fuß trifft mich an der Seite, also krieche ich beiseite. Es gibt Blitzlichter hier drin, und nach jedem Aufblitzen ist es schwer herauszufinden, in welche Richtung ich muss. Die hängenden Clowns schwingen über mir hin und her und werfen mich wieder um, wenn ich aufzustehen versuche. River ruft nach mir, aber meine Angst macht die Welt trüb und verschwommen, und ich fühle mich wie unter Wasser. Ich kann nicht mehr atmen oder sehen oder sprechen. Aus diesem Grund wollte Daddy, dass River die ganze Zeit meine Hand hält. Wenn ich Angst bekomme, kriege ich kein Wort heraus und fühle mich wie erstarrt. Das macht es schwer, mich zu finden, vor allem an einem Ort wie diesem. Das Panikungeheuer in meinem Kopf wird immer größer, und ich kann nur flach atmen. Ich versuche, mich an all die Handlungen zu erinnern, die mir meine Kunstlehrerin Queenie beigebracht hat, aber mein Verstand rast und rast, und ich will nur noch zu meiner Mommy und nicht mehr hier sein. Ich krieche von den Füßen weg, und die größeren Kinder schieben sich mit stampfenden Schritten zwischen den herabhängenden Clowns hindurch. Ich stoße mir die Wange an etwas Hartem, und meine Augen füllen sich mit Tränen, aber als ich aufblicke, sehe ich eine Tür mit einem Schild, auf dem NUR FÜR PERSONAL steht. Ich weiß nicht, was das bedeutet, doch ich bekomme lieber Ärger, als hierzubleiben. Ich drehe den Knauf und spähe durch den Türspalt. Es ist ein Flur mit Treppen. Ich blicke über die Schulter zu den hängenden Clowns. Ich kann da nicht noch einmal durch. Ich trete hinaus in den Flur. Ich fühle mich gleichzeitig besser und schlechter. Ich will einfach nur zu meiner Mommy. Ich will nach Hause und mich zu ihr und Daddy ins Bett kuscheln, wo es am sichersten ist. Die Wände im Flur sind gelb und schmutzig. Leute haben mit Filzstiften darauf herumgekritzelt. Ich eile auf die Treppen zu und stolpere erneut, falle auf den Hintern und rutsche ein paar Stufen hinab. Sie sind schmutzig und nass, und meine Sachen jetzt auch. Ich habe auf einmal Tränen in den Augen, denn meine Mommy hat das Kleid genäht, und ich will nicht, dass es kaputtgeht. Am Fuß der Treppe ist eine große Tür. Sie ist rot, aber die Farbe ist abgeblättert und darunter ist sie braun. Es sieht aus wie getrocknetes und frisches Blut. In der Ecke ist ein Streifenhörnchen und kratzt an der Tür, um durch einen schmalen Spalt zu kommen. Es gibt Streifenhörnchen bei der Hütte, wo wir im Sommer hinfahren. Wir füttern sie mit Erdnüssen, und sie sind zutraulich und klettern einem in den Schoß, um nach den Erdnüssen zu greifen. Aber unsere Mommy passt auf, dass wir nicht unser Gesicht berühren und uns die Hände waschen, nachdem wir sie gefüttert haben. Ich glaube, das hier ist zu ängstlich, um zutraulich zu sein. Es will raus, genau wie ich. »Hi, mein Kleiner.« Meine Stimme ist kaum ein Flüstern. »Ich kann dir die Tür aufmachen.« Ich drücke gegen die Stange, doch sie ist schwer, und meine Arme zittern. Das Streifenhörnchen kauert sich in die Ecke, und jetzt laufen die Tränen, weil ich Angst habe, nicht rauszukommen, und ich will nicht wieder in das Gruselkabinett, wo die hängenden Clowns sind. Wenn wir nur die Tür aufbekommen, dann kann ich zurück zu meiner Mommy und meinem Daddy, und dann bin ich in Sicherheit. Die Tür klickt schließlich, aber eine dicke Kette verhindert, dass sie ganz aufgeht. Das Streifenhörnchen huscht hinaus, und ich quetschte mich durch den schmalen Spalt. Mein Kleid verheddert sich, und der Rock spannt. Oh nein. Ich will nicht, dass Mommy böse mit mir ist. Es ist laut hier draußen, Lichter blitzen und Leute schreien und lachen. Ich hole tief Luft, die nach Zigarettenrauch schmeckt. Die Tür hinter mir fällt mit einem lauten Klicken zu. Ich bin wie erstarrt und rühre mich nicht vom Fleck. Ich weiß nicht, wo ich bin oder wie ich zu den anderen...