E-Book, Deutsch, Band 2, 328 Seiten
Reihe: Ein Joe-Pitt-Thriller
Huston The Vyrus: Blutrausch
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98690-533-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Joe-Pitt-Thriller 2 | »So blutig wie brillant«, urteilt die Washington Post
E-Book, Deutsch, Band 2, 328 Seiten
Reihe: Ein Joe-Pitt-Thriller
ISBN: 978-3-98690-533-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Charlie Huston wurde 1968 in Oakland, Kalifornien geboren. Nach einem Theaterstudium zog er nach New York, wo er als Schauspieler und Barkeeper arbeitete, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine »Vyrus«-Reihe, für die er unter anderem mit dem wichtigsten amerikanischem Krimipreis, dem Edgar-Award, nominiert wurde, erzählt den Überlebenskampf von Privatermittler Joe Pitt in der New Yorker Unterwelt. Charlie Huston lebt mit seiner Frau, einer bekannten Schauspielerin, in Los Angeles. Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine packende Serie um den New Yorker Privatermittler Joe Pitt: »The Vyrus: Stadt aus Blut« »The Vyrus: Blutrausch« »The Vyrus: Das Blut von Brooklyn« »The Vyrus: Bis zum letzten Tropfen« »The Vyrus: Ausgesaugt« Außerdem bei dotbooks erschienen ist sein Thriller »Killing Game«.
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Kapitel 1
Das Glas bricht.
Was mich nicht besonders wundert. Eher überrascht mich, dass es nicht vorher schon zu Bruch gegangen ist, als der zuckende Irre mich dagegengeschmettert hat. Nicht, dass das so außergewöhnlich für diesen Laden wäre. Im ersten Jahr nach der Eröffnung mussten sie gleich mehrfach das Schaufenster ersetzen. Schließlich fanden die Betreiber wohl, es wäre auf lange Sicht billiger, in Sicherheitsglas zu investieren. So mussten sie die Scheibe nicht nach jeder Schlägerei erneuern. An sich ein ganz vernünftiger Gedanke. Ich will mich auch nicht beschweren. Ohne diese brillante Idee würde ich jetzt auf dem Bordstein liegen, meine schöne Lederjacke wäre in Streifen geschnitten und mein Gesicht mit einem interessanten neuen Muster überzogen. Aber jetzt bricht das Glas doch. Ganz ohne Zweifel, es bricht. Warum ich mir da so sicher bin? Weil der Irre gerade mein Gesicht mit aller Kraft dagegenpresst. Die große Frage lautet, ob die Scheibe aus einem Sicherheitsglas ist, das in tausend winzige Stücke zerbröselt, oder aus einem, das in große Scherben zersplittert. Winzige Stückchen wären gut, große Scherben weniger. Es knackt, und vor meinen Augen erscheinen klitzekleine Sprünge.
Okay, es ist wohl an der Zeit, dass ich mir weniger Gedanken über das Glas mache und mehr über den Irren, der mir gerade im Nacken sitzt. Von den Barkeepern oder den Gästen kann ich keine Hilfe erwarten. Nicht, nachdem sie mit angesehen haben, wie der Kerl den Rausschmeißer mit einem Billardqueue verprügelt hat. Und leider ist auch mein Freund und Helfer, die Polizei, nirgendwo zu sehen. Nicht, dass ich besonders scharf darauf wäre, den Cops in die Arme zu laufen. Nein, ich komme schon alleine klar. Es ist ja weiß Gott nicht das erste Mal, dass ich mich in so einer Situation befinde. Ich wünschte nur, der Irre wäre auf PCP. Wenn es lediglich PCP wäre, könnte ich leicht mit ihm fertig werden. Aber der? Der Kerl verlangt nicht nur Eleganz und Stil, sondern auch ein kleines bisschen Fingerspitzengefühl.
Er presst mein Gesicht noch fester gegen die große Glasscheibe. Die Leute, die draußen an der Bar vorbeigehen, zucken zusammen, als sie meine platt gedrückte Visage sehen. Das Glas knackt erneut, die Sprünge werden noch einen Millimeter breiter. Der Spinner hört nicht auf, aus vollem Hals irgendwelchen Irrsinn zu brüllen. Er kreischt so laut, dass er fast Boxcar Willie aus der Jukebox übertönt.
You load sixteen tons and what do you get?
Another day older, and deeper in debt.
Genau so ist es, verdammt.
Er wird stinksauer, weil es ihm nicht gelingt, meinen Kopf durch die verdammte Scheibe zu rammen, was er anscheinend wirklich gerne tun würde. Er holt aus, aber bevor er mein Gesicht ein weiteres Mal gegen das Glas schmettern kann, habe ich schon einen Schritt nach rechts gemacht und meinen Arm aus seinem Griff befreit. Ich zucke vor Schmerz zusammen, als er mir ein Haarbüschel ausreißt. Trotzdem trete ich ihm mit dem rechten Fuß in seine linke Kniekehle und ramme den Ellenbogen in seinen Nacken. Mit dem Kopf voraus schleudere ich ihn durch die Glasscheibe. Die Zuschauer auf dem Gehweg springen zur Seite, als er auf dem Asphalt landet. Ich folge ihm durch das Loch in der Scheibe, vorbei an den messerscharfen, großen Scherben.
Er kam aus dem Klo und rastete aus.
Vorher hatte ich den wild zuckenden Spinner gar nicht bemerkt. Warum auch? Ich war ja nicht bei der Arbeit. Mich interessierte nichts als der Schnaps in meinem Glas, die Zigarette in meinem Mundwinkel, der Billardtisch und das Mädchen neben mir. Das Mädchen interessierte mich ganz besonders. So ein Mädchen zieht in einem Schuppen wie diesem unweigerlich alle Männerblicke auf sich. Neben einem Mädchen wie Evie bin ich so gut wie unsichtbar. Schuld daran ist ihr volles rotes Haar, ihr von vielen Nacht- und Wochenendschichten hinter dem Tresen gestählter Körper und ihr Lächeln. Sie ist der Typ Frau, den die Kerle gerne anstarren, ohne den Mut aufzubringen, Kontakt aufzunehmen. Schade aber auch. Sie verpassen nämlich das Beste. Sie verpassen, wie cool sie ist, wie schlau und unkompliziert. Wie dem auch sei, mit einem Mädchen wie Evie an deiner Seite verwandelst du dich sofort in eine Art Schatten. Du bist einfach nur das glückliche Arschloch, das den Platz mit der besten Aussicht ergattert hat.
Es ist eine kalte Nacht. Evie trägt eine Lederhose und ihre alte, enge Thermoweste, auf deren Vorderseite das Jack-Daniel’s-Logo gestickt ist. Heute Nacht klebt sie förmlich an meiner Hüfte. Jeder Kerl in dem verdammten Schuppen wünscht sich, mit mir den Platz zu tauschen. Kein Wunder, dass ich den Spinner nicht sofort gerochen habe.
Normalerweise hätte ich ihn schon längst gewittert. Garantiert. Schließlich riecht er genau wie ich, nur anders. Aber ich war mit dem ganzen Early Times, den ich gekippt, den vielen Luckies, die ich geraucht habe, und nicht zuletzt mit Evie, die sich an mich schmiegte, mehr als ausreichend in Anspruch genommen. Trotzdem konnte er noch nicht allzu lange hier drin gewesen sein. Ganz gleich, wie abgelenkt ich war, früher oder später hätte ich ihn gerochen. Es hätte ja auch nicht unbedingt gleich Ärger geben müssen. Wir hätten uns ein Weilchen angestarrt, uns wie zwei große Hunde beschnuppert, wären aber nicht gleich aufeinander losgegangen. Zumindest nicht hier in aller Öffentlichkeit. So läuft das nämlich normalerweise nicht. Jedenfalls hatte ich mir meine Billardkugel gerade so richtig schön zurechtgelegt, um mit einem gewagten Stoß auch noch den Rest abzuräumen, als er aus dem Klo stürzt und durchdreht.
Er war sicher nicht der übliche Nullachtfünfzehn-Junkie, der sich auf dem Klo einen Schuss verpasst und dann voll zugedröhnt durch die Gegend stolpert. Der Spinner kam aus dem Scheißhaus galoppiert wie der gottverdammte tasmanische Teufel. Er zuckte in Krämpfen, wirbelte mit den Armen, trat nach allem, was in seiner Nähe war und schmiss Tische und Leute um, völlig durchgeknallt. Keiner wollte ihm in die Quere kommen, während er mit Schaum vor dem Mund den wilden Mann spielte. Der Rausschmeißer, eigentlich ein ganz netter Kerl namens Gears, kam rüber und versuchte, vernünftig mit ihm zu reden.
? Ganz ruhig, Mann, ganz ruhig. Komm runter. Bist anscheinend auf einem richtig üblen Trip, aber keine Angst, wir sind ja da. Ich hab schon den Krankenwagen alarmiert, die bringen dich in die Intensivstation und spülen die ganze Scheiße aus dir raus. Jetzt beruhig dich erst mal.
Gears sprach ganz sanft und ging langsam mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Er hätte genauso gut versuchen können, einen tollwütigen Hund zu besänftigen. Der Spinner hielt kurz inne, dann ging er auf Gears los. Er ließ seinen Arm wie einen Knüppel kreisen. Und er war verdammt schnell. Gears hatte Glück, er fiel auf den Hintern, und der Arm zischte an ihm vorbei und krachte in die aus massiven Holzbrettern bestehende Lehne einer Sitzbank. Einige der Bretter sind glatt durchgebrochen.
Dann flippt der Spinner wieder aus. Die Leute bringen sich so gut es geht in Sicherheit und beobachten ihn ängstlich. Inzwischen hat er auch meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Gears rappelt sich wieder auf, murmelt irgendwas von verschissenem PCP, reißt eins der verbogenen Queues aus dem Regal an der Wand und geht auf den Spinner los. Mittlerweile habe ich seinen Gestank in der Nase und weiß, der Typ ist ganz bestimmt nicht auf PCP. Pech für Gears. Ich weiß nicht, was der Kerl eingeschmissen hat, aber eins ist sicher, er ist verdammt gefährlich.
Gears wartet, bis der Typ ihm den Rücken zukehrt, und zieht ihm dann mit einem satten Knall das Queue über den Schädel. Aber bevor sich Gears so richtig darüber freuen oder zu einem weiteren Schlag ausholen kann, hat sich der Typ schon umgedreht, Gears das Queue abgenommen und ihm die Füße unter dem Hintern weggetreten. Er ist jetzt voll damit beschäftigt, herauszufinden, ob man ein Billardqueue zu Kleinholz verarbeiten kann, indem man es jemandem ins Gesicht schlägt. So langsam wird es Zeit für meinen Einsatz. Nicht, dass Gears mein bester Kumpel wäre. Außer seinem Namen weiß ich eigentlich kaum was über ihn. Ich grüße ihn eben, wenn ich hier bin. Aber der Spinner ist völlig außer Kontrolle, und die Show, die er abzieht, ist ganz schlecht fürs Geschäft. Wenn ich mich nicht um ihn kümmere, werden es die Cops tun. Und dann wird die ganze Situation ziemlich schnell ungemütlich. Nichts ist schlimmer als Bullen, die einen Typen voll Kugeln pumpen, während der Typ sich einfach weigert zu sterben. Natürlich werden Gears, die Behörden und die Presse behaupten, dass das PCP daran schuld war. Trotzdem könnten die falschen Leute von der Sache Wind bekommen und anfangen, herumzuschnüffeln. Leute, die ich hier nicht haben will. Nicht in meinem Viertel. Also stürze ich mich auf den Typen. Vielleicht kann ich ihn auf den Boden werfen, in den Schwitzkasten nehmen und hier rausschaffen. Danach muss ich mir irgendeine Geschichte einfallen lassen, die ich den Gästen erzähle. Vielleicht, dass ich ihn kenne und mich um ihn kümmern werde. Jedenfalls muss ich ihn von hier wegschaffen, bevor die Cops auftauchen, an einen sicheren Ort bringen, wo ich ihn loswerden kann, bevor er noch mal so eine Show abzieht. Das ist der Plan. Leider schüttelt der Irre mich einfach von seinem Rücken und schleudert mich gegen die Fensterscheibe. Als ich entgegen seinen Erwartungen davon abpralle, statt hindurchzukrachen, packt er mich an den Haaren und versucht, meinen Schädel durch das Glas zu stoßen. Aber ich habe Glück. Trotz seiner Schnelligkeit und Kraft ist er ein lausiger Kämpfer.
Sobald er auf dem Gehweg liegt, kann ich das tun, was ich eigentlich schon in der Bar mit ihm vorhatte:...