E-Book, Deutsch, Band 1, 330 Seiten
Reihe: Ein Joe-Pitt-Thriller
Huston The Vyrus: Stadt aus Blut
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98690-532-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Joe-Pitt-Thriller 1 | »Huston ist der brillanteste Stilist des Genres«, sagt Stephen King
E-Book, Deutsch, Band 1, 330 Seiten
Reihe: Ein Joe-Pitt-Thriller
ISBN: 978-3-98690-532-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Charlie Huston wurde 1968 in Oakland, Kalifornien geboren. Nach einem Theaterstudium zog er nach New York, wo er als Schauspieler und Barkeeper arbeitete, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine »Vyrus«-Reihe, für die er unter anderem mit dem wichtigsten amerikanischem Krimipreis, dem Edgar-Award, nominiert wurde, erzählt den Überlebenskampf von Privatermittler Joe Pitt in der New Yorker Unterwelt. Charlie Huston lebt mit seiner Frau, einer bekannten Schauspielerin, in Los Angeles. Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine packende Serie um den New Yorker Privatermittler Joe Pitt: »The Vyrus: Stadt aus Blut« »The Vyrus: Blutrausch« »The Vyrus: Das Blut von Brooklyn« »The Vyrus: Bis zum letzten Tropfen« »The Vyrus: Ausgesaugt« Außerdem bei dotbooks erschienen ist sein Thriller »Killing Game«.
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Kapitel 1
Ich kann sie riechen, noch bevor ich sie sehe. Die noch halbwegs durchblicken, beschmieren sich mit Puder, Parfüm und Ölen. Im Endstadium stolpern sie dann stinkend durch die Gegend. Nur die ganz Schlauen kommen auf die Idee, sich zu duschen. Auf lange Sicht hilft ihnen das natürlich auch nichts. Sie sterben sowieso. Eigentlich sind sie schon tot.
Die, nach denen ich suche, blicken also noch halbwegs durch. Sie ziehen eine Wolke aus Chanel Nr. 5, Old Spice oder sonst was hinter sich her ? für gewöhnliche Nasen nicht mal allzu aufdringlich. Ich schließe meine Augen und ziehe die Luft ein. Es könnten ja wirklich nur ein paar von diesen Idioten aus Jersey oder Long Island sein. Aber mein Instinkt behält recht. Unter dem ganzen Parfüm liegt ein kaum merklicher, süßlicher Geruch. Der Gestank von etwas, das noch nicht lange tot ist und gerade erst angefangen hat zu verwesen. Ich habe sie gefunden, da bin ich mir sicher. Fast hundertprozentig. Es laufen ja nicht viele von diesen Dingern herum. Noch nicht. Ich schlendere die Avenue A entlang und bleibe dann an der Kreuzung zur St. Marks direkt vor Ninos Pizzeria stehen.
Mit dem Ring an meinem Mittelfinger klopfe ich auf die Theke. Einer der neapolitanischen Kellner kommt zu mir rüber.
? Ja?
? Gibt’s was Frisches?
Er schaut mich verständnislos an.
? Welche Pizza ist am frischesten?
? Tomate und Knoblauch.
? Auf keinen Fall Scheißknoblauch. Was ist mit Broccoli? Wie lange liegt die hier schon rum?
Er zuckt mit den Schultern.
? Also gut, gib mir ein Stück. Aber nicht zu heiß. Ich hab keine Lust, mir den Gaumen zu verbrennen.
Er schneidet mir ein Stück ab und schiebt es zum Aufwärmen in den Ofen. Tomatenpizza mit Knoblauch hätte ich schon auch essen können. Es ist nicht so, dass der Knoblauch mir schaden würde. Aber ich mag das Zeug einfach nicht.
Während ich an der Theke warte, mustere ich die anderen Gäste. Das übliche Freitagabendpublikum: zwei Studenten von der NYU, ein paar Gammler und Hausbesetzer, zwei Yuppies auf einer Abenteuerreise ins East Village, ein paar Hip-Hopper, alle betrunken. Und diejenigen, nach denen ich suche. Sie stehen zu dritt um einen der hinteren Tische. Eine Gruftietante der alten Schule und zwei spindeldürre Typen mit unglaublich hohen Wangenknochen. Typische Modejunkies, die in irgendwelchen Löchern leben, aber auf jeder Szeneparty willkommen sind, weil sie Heroin verticken. Genau die Art von Arschlöchern, die mir noch gefehlt hat.
? Einmal Broccoli.
Der Neapolitaner bringt mir meine Pizza, und ich gebe ihm drei Dollar. Gruftie und die Junkies sehen den beiden Studenten hinterher, die aus dem Laden stolpern. Ungefähr eine Minute lang warten sie vor ihrem unberührten Essen, dann folgen sie ihnen. Ich bestreue mein Stück mit roten Paprikaflocken, nehme einen großen Bissen und verbrenne mir prompt den Mund. Der Pizzamann kommt mit meinem Wechselgeld zurück. Ich schlucke, und der geschmolzene Käse versengt mir die Kehle.
? Ich hab doch gesagt, nicht zu heiß.
Er zuckt mit den Achseln. Der Typ macht den ganzen Tag nichts anderes, als Pizzastücke in den Ofen zu schmeißen und sie wieder rauszuholen. Nicht zu heiß? Da hätte ich genauso gut Coq au vin bestellen können. Ich nehme die 50 Cent Wechselgeld, lasse mein Pizzastück auf die Theke fallen und folge Gruftie und den Junkies. War sowieso Scheißknoblauch in der Pizzasoße.
Die Studenten haben die Straße überquert, um die Abkürzung durch den Tompkins Square Park zu nehmen, bevor ihn die Bullen um Mitternacht dichtmachen. Das Trio folgt ihnen in einigen Metern Abstand. Gerade erreichen sie den alten Steinbrunnen, in den die Worte Glaube, Hoffnung, Mäßigung, Barmherzigkeit eingemeißelt sind. Auf der anderen Seite des Parks biegen die Studenten östlich in die Neunte Straße ein. Mitten durch Alphabet City. Na toll.
Der Block zwischen Avenue B und C ist menschenverlassenes Niemandsland. Bis auf die Studenten, ihre Verfolger und mich.
Gruftie und die Junkies beschleunigen ihre Schritte. Ich schlendere einfach weiter. So schnell können sie gar nicht verschwinden, als dass ich es nicht bemerken würde. Bei dem, was sie vorhaben, brauchen sie ein ungestörtes Plätzchen. Dort sollen sie es sich in aller Ruhe gemütlich machen und sich in Sicherheit wiegen. Dann bin ich am Zug.
Sie sind jetzt direkt hinter den Studenten. Unter einer kaputten Straßenlampe teilen sie sich auf und kreisen die beiden ein. Ein Handgemenge, Geschrei, und plötzlich sind alle verschwunden. Fuck.
Ich renne hinterher und blicke mich um. Links von mir steht ein verlassenes Gebäude. Es war mal eine Schule, dann ein puertoricanisches Gemeindezentrum. Jetzt ist es nur ein verfallenes Loch.
Ich folge ihrem Geruch über die Treppen und durch einen kleinen Innenhof bis zu einer mit Graffiti verschmierten Doppeltür. Sie war jahrelang mit einer Kette versperrt, die heute Nacht jedoch schlaff an einem aufgesägten Vorhängeschloss hängt. Sieht danach aus, als hätten sie diesen Platz gezielt ausgewählt. Dann sind sie wohl doch noch nicht so bescheuert, wie ich dachte.
Vorsichtig öffne ich die Tür und spähe hinein. Nach etwa zehn Metern zweigt zu beiden Seiten ein Gang ab. Die Dunkelheit stört mich nicht. Im Gegenteil. Ich schlüpfe durch die Tür, schließe sie hinter mir und ziehe Luft durch die Nase. Es riecht, als sei das hier schon eine ganze Weile ihr Quartier. Der erste Schrei gibt mir die Richtung vor: an der Abzweigung rechts und durch die geöffnete Tür eines Klassenzimmers.
Einer der Studenten liegt mit dem Gesicht auf dem Boden. Gruftie kniet auf seinem Rücken und hat ihm bereits ihr Messer in den Nacken gerammt. Jetzt versucht sie, die Klinge in seinen Schädel zu treiben, um ihn aufzubrechen. Die Junkietypen stehen dabei und warten wie die Kinder auf die Weihnachtsbescherung.
Der andere Student kauert in der Ecke. Wie üblich in solchen Situationen hat er sich vor Angst bepisst. Er rollt wild mit den Augen und kreischt, als würde er gleich vor Angst sterben. Ich hasse dieses Geräusch.
Ein Knirschen.
Das Mädchen hat das Messer da, wo sie es haben will, und dreht heftig am Griff. Der Schädel des toten Studenten springt auf. Sie greift mit beiden Händen in den Spalt, stemmt ihn mit aller Gewalt auseinander und öffnet den Kopf wie eine reife Frucht. Wie einen verdammten Granatapfel. Als sie Brocken von Gehirnmasse herausschaufelt, kommen die Junkies gierig näher. Für den Studenten kommt jede Hilfe zu spät, also warte ich ab und beobachte sie, während sie essen. Das Gewimmer des anderen Studenten wird noch eine Oktave höher. An die Arbeit.
Nach drei lautlosen Schritten erreiche ich den ersten. Ich nehme ihn in den Schwitzkasten, presse meine rechte Hand auf sein Gesicht und packe mit der Linken seinen Hinterkopf. Mit einem heftigen Ruck drehe ich seinen Schädel im Uhrzeigersinn. Ich fühle, wie sein Rückenmark zerreißt und lasse ihn fallen. Noch bevor er auf dem Boden landet, habe ich schon den Zweiten an den Haaren. Das Mädchen richtet sich auf und kommt mit dem Messer auf mich zu. Ein Schlag gegen die Kehle schickt den Junkie zu Boden. Was ihn nicht umbringt, mir aber etwas Zeit verschafft. Gruftie schwingt das Messer in hohem Bogen, und die Spitze der Klinge schlitzt mir die Stirn auf. Blut läuft mir in die Augen.
Wer auch immer sie war, bevor sie gebissen wurde: Sie konnte einigermaßen mit einem Messer umgehen und hat es noch nicht völlig verlernt. Sie zieht sich zurück und wartet, bis ihr Kumpel sich wieder aufgerappelt hat, damit sie mich gemeinsam in die Zange nehmen können. Hinter dem leblosen Blick ihrer Augen scheint noch ein bisschen Verstand zu lauern. Jedenfalls genug, um Pizza zu bestellen, die Studenten als Beute auszumachen und ein Schloss aufzusägen. Aber nicht genug, um mir gefährlich werden zu können ? sofern mir kein Fehler unterläuft. Als ich auf sie losgehe, stößt sie mit dem Messer nach mir. Ich packe die Klinge.
Ihr Blick wandert von mir zu meiner Hand. Meine Finger halten das Messer fest umschlossen, obwohl zwischen ihnen Blut hindurchsickert. Für einen Augenblick erhellt sich das trübe Licht in ihren Augen etwas. Ihr wird bewusst: Sie ist im Arsch. Ich entwinde ihr das Messer, werfe es in die Luft und fange es am Griff wieder auf. Sie will wegrennen. Ich packe ihre Lederjacke, ramme ihr das Messer ins Genick und durchtrenne ihr Rückenmark. Anschließend lasse ich ihren erschlafften Körper fallen. Denn inzwischen hat sich der Junkie wieder aufgerappelt. Ich trete ihn zu Boden, setze meinen Stiefel auf seine Kehle und verlagere mein Gewicht, bis ich sein Genick brechen höre.
Dann gehe ich in die Hocke und wische meine Hände an seinem Hemd ab. Mein Blut ist längst geronnen und die Wunden an Hand und Stirn schließen sich bereits. Ich untersuche die Leichen. Einem fehlen ein paar Zähne und sein Zahnfleisch ist mit Verletzungen übersät. Anscheinend hat er in einen Schädel gebissen. Möglicherweise in den des Vollidioten von vor ein paar Tagen. Der mit dem Loch im Kopf, der mich auf ihre Spur gebracht hat.
Beide Junkies haben kleine Bisswunden im Genick. Ich vergleiche Radius und Größe der Zahnspuren mit dem Gebiss des Mädchens. Könnte passen. Wahrscheinlich hat sie die beiden mit dem Bakterium infiziert. So was passiert manchmal. Nach einer Infektion greifen die Bakterien sofort das Gehirn an und reduzieren ihr Opfer auf seinen Fresstrieb. In seltenen Fällen jedoch schaffen die Betreffenden es vorher, andere zu infizieren. Sie beißen zu, ohne die ganze Mahlzeit zu verputzen. Warum sie das tun, weiß niemand. Eher zartbesaitete Menschen würden wahrscheinlich sagen: weil sie einsam...