Jensen | Aus See und Sand | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 346 Seiten

Jensen Aus See und Sand

(vollständige Ausgabe)
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8391-3795-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

(vollständige Ausgabe)

E-Book, Deutsch, 346 Seiten

ISBN: 978-3-8391-3795-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Wilhelm Jensen (15.2.1837 - 24.11.1911) war ein deutscher Lyriker und Schriftsteller. Jensen umfangreiches Werk besteht auf über 150 Romanen, Novellen, Gedichten und Theaterstücken.

Wilhelm Jensen (15.2.1837 - 24.11.1911) war ein deutscher Lyriker und Schriftsteller. Jensen umfangreiches Werk besteht auf über 150 Romanen, Novellen, Gedichten und Theaterstücken.
Jensen Aus See und Sand jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


II.


Das Dorf Loagger lag auf einer alten Dünenschwellung, die, sich mäßig abflachend, bis zur See hinunterging, Hier bedurfte es deshalb, eine ziemliche Strecke weit, keiner Schutzdämme gegen die Flut, dann indes zeigten im Norden wie im Süden waagrecht abgeschnittene, gleichmäßig ins Endlose sich verlängernde Deiche die das Ufer begrenzende Marschniederung an. Auf dieser weideten Rinder und der fruchtbare Boden trug seinen Eigentümern Wohlstand ein. Doch Loagger nahm nicht teil daran; über der Sandunterlage seines Umkreises hatte sich nur da und dort eine dünne Ackerkrume gebildet, die mageren Ertrag an Hafer, hauptsächlich aber an Buchweizen gab. Die Mehrzahl der Bewohner lebte nicht vom Feldbau, sondern vom Fischfang; von alters griffen die heranwachsenden jungen Burschen zumeist zum Schiffergewerbe, gingen als Deckjungen in die Weite, als Matrosen um die Erde, in der Hoffnung, einmal mit Zurückgelegtem in der Tasche an ihren Kindheitsstrand heimzukommen. Aber selten erfüllte sich's einem; diesem versagte es eigene Schuld, in Kneipen und bei gefälligen Schönen fremder Küsten lief ihnen der schwerverdiente Lohn leichtflüssig aus den Fingern; Wollen und Vollbringen des jungen Blutes gingen nicht Hand in Hand. Andere zog die weißarmige Ran, die immer nach jungen Männern Begierige, in ihre Arme, überall auf sie lauernd, in der Glut zwischen den Wendekreisen, wie im Eismeer, im fernen Ozean, wie dicht am. heimischen Strand. Manchmal kam nach kürzerer oder erst nach langer Zeit eine Botschaft davon, manchmal auch blieb jede Kunde aus. Vater und Mutter, Geschwister und Braut warteten umsonst, bis eines Sonntags der Pastor auf der Kanzel den Namen des Verschollenen in die Fürbitte für die nicht mehr Wiederkehrenden einflocht. Man sah den aus der Kirche Rückschreitenden an, dass der Prediger ausgesprochen, was sie selbst schon lange schweigsam gedacht. Hartes hatte er verkündigt, doch zugleich eine Last von ihnen genommen. Mit einer Träne im Augenwinkel gingen sie an ihr Tagesgeschäft, die gleichfalls harte Arbeit des Lebens fortsetzend.

Ein ärmliches und einsames Stückchen Welt war's hier mit angesiedelten Menschenleben zwischen ihren drei Eigentümern aus Urzeit, Wasser, Sand und Wind. Unveränderlich blieben sie, während die Geschlechter jenes Lebens kommend und gehend wechselten. Aber das nämliche hatten die ersten gesehen, wie das heutige, immer Tropfen, die ruhelos der Wind ans Ufer trieb, und Körner, die er rastlos am Dünenhang rollte. Und so war's ein Erdenfleck, der da und dort in einem Kopf die Vorstellung regen konnte, auch die Menschheit komme, gehe und bleibe wie Wellen und Sand. Daran mochte sich auch wohl der Gedanke knüpfen, was für jene in diesem Gleichnis der Wind sei und zu welchem Ende er sein nie endendes Spiel betreibe. Die hinterlassene Niederschrift Jasper Simmerlunds ließ aufschimmern, dass ihm hin und wieder solche Fragen gekommen und er sich Antwort drauf zu geben gesucht. Doch zugleich auch, er habe sich nicht mit ihnen abzufinden vermocht oder vielmehr sei, ehe er dazu gelangt, vor ihnen umgekehrt. Er war ein Dorfschullehrer gewesen, wohl mit stärkerem Antrieb zum Denken und weiterem Gesichtskreis, als die Mehrzahl der mit ihm auf gleicher geistiger Ausbildungsstufe Stehenden. Noch man empfand, seine Augen waren zurückgeschreckt, mit dem Blick über eine Grenze hinauszutrachten, an der er sich beschied. Und auch das ließen seine Aufzeichnungen erkennen, er hatte sich, mehr im Ungewissen Gefühl als mit deutlicher Auffassung, nicht immer in Übereinstimmung mit dem Dorfpastor Hans Christian Hollesen befunden.

Die Strohdachhäuser Loaggers lagen auf dem Dünenrücken, in ihrer Mitte und zugleich am höchsten die Kirche. Sie hob sich über ihnen auf wie ein aus starkem Felsgestein errichteter Schutzbau, dessen Mauern Beängstigten Zuflucht vor Bedrohung und Gefahr verhießen, einer Burg des Mittelalters gleich, unter deren Schirmhut sich wehrlose Landbebauer zu einer Gemeinschaft zusammengetan. Wollte man den Vergleich weiterbilden, so war Pastor Hollesen der Burgherr, um dessen Burgfried seine Hörigen hausten.

Dem Wind und dem Sand konnte er nicht gebieten, sie besaßen älteres Bodenanrecht als er. Auch an der Westseite des Kirchhofswalles häufte der erstere unablässig Korn auf Korn, eine schräge Böschung anschwellend, um den Sand über den Oberrand des Schutzdeiches hinüberzuwälzen. Als Pastor Hollesen nach Loagger gekommen, hatte er einmal gestanden und dem Weiterschritt dieses Vorganges zugesehen. Schweigend, mit einem Ausdruck, als erkenne er sich nicht die Befugnis zu, in ein Recht der Natur, der großen Grundbesitzerin, einzugreifen. Aber dann hatte er angeordnet, die hochaufwachsende Körnermasse abzutragen und an den Strand zurückzukarren. Im Weitervordringen hätte der Flugsand die kargblühenden Pflänzchen auf den Grabhügeln überschüttet und erstickt; die Natur bekämpfte sich selbst, ließ ihre Angehörigen miteinander ringen, und Christian Hollesen sprach sich doch ein Recht ihr gegenüber zu. Er beschützte das Schwächere, weil es dem Menschengefühl das Schönere war.

Der Turm über den Findlingsblöcken der Kirchenmauer trug eine alte Dachhaube, der matten Farbe grauweißen Schneeises gleich. Er ragte nicht hoch, doch bildete er den höchsten Punkt im Umkreise vieler Meilen, und wie er schon fernher sichtbar war, so ging der Blick aus seinem Glockenschalloch weithin nach allen Seiten. Von der See aus gewahrte der Schiffer ihn als ersten Verkünder der noch nicht sich über dem Wasser aufhebenden Küste, und ähnlich sah er landein über endlose, sich in grauen Dunst verlierende Flächen. Bald hinter Loagger begann die Heide, den größten Teil des Jahres hindurch wie von einem dunkelbraunen Schorf bedeckt, hell gestreift und gescheckt von weißen Sandstrecken. Sie war nicht wirklich eben, wie sie aus der Weite erschien, sondern ihrem Dünenursprung gemäß mannigfach gewellt, zu niedrigen Hügellücken ansteigend und kleinen Tälern einsinkend; hin und wieder zeigten niedriger Buschwuchs und silberrindig flimmernde Birkenstämme das Vorhandensein der Schöpferin und Ernährerin des Lebens, zwischen der Dürre angesammelter Feuchtigkeit. Dort mischten Moorgründe sich ein, zuweilen mit scharf abgekanteten, fast schwarzen Rändern auf Torfstich durch die entfernten Umwohner deutend; einzelne vermorschte Hütten aus grauem Lattenwerk, mit Heidebülten zugedeckt, boten Unterschlupf gegen jäh ausbrechende Unwetter. Frei ging der herrschende Westwind auch hier über das Land, und wie er aus der Meerfläche die Wellen aufkämmte, so strich er das Gezweig von Bäumen und Sträuchern, das er auf der Heide fand, gleich Haarsträhnen gegen Osten zurück.

Dann traf er aus festeren Widerstand eines weitgedehnten Waldgürtels, den die Natur und die Menschenhand gemeinsam hergestellt, denn aus dem Laubbaumwuchs der ersteren stachen mit dunklerer Färbung Tannen hervor. Man erkannte vom Kirchhof des Dorfes aus an der verschiedenen Höhe der Wipfel, dass der Boden unter ihnen sich stellenweise zu stärkeren Hügelwölbungen anheben müsse, von deren einer ein turmartiger Aufbau neben dem Oberrand eines langgestreckten Helmdaches über Buchenkronen wegsah; das war Schloss Helgerslund, uraltes Besitztum der Freiherren von Rhade, nach dem Tode des letzten dieses Namens in die Hand des Herrn Friedrich von Brookwald übergegangen, der die Erbtochter des Abgeschiedenen, eine Schwester des beim Wettsegeln auf der Nordsee jung verunglückten Meinolf von Rhade, geheiratet hatte. Etwa zwei Stunden weiter nach Süden, von Loagger ungefähr gleichweit wie Helgerslund entfernt, umschloss der Wald noch ein Herrenhaus, das der Freiherrn von Alfsleben, doch es lag tiefer eingesenkt, so dass nichts von ihm sichtbar ward. Überhaupt traf die Rundschau weit und breit wenig Menschenbehausungen an, ließ auch die anderthalb Meilen südlich entlegene kleine Hafenstadt nur an ihrer Kirchturmspitze ahnen, denn eine Umbiegung des Deiches verdeckte völlig die Häuser.

Ja, ein ärmliches und einsames Stückchen Welt und Menschenleben, an zwanzig Dächer in einem Halbbogen um die Dorfkirche hingestreut, zwischen ihnen sandiger Grund oder eine kurznarbige, mehr graue als grüne Grasdecke. An den Ostseiten der Häuser ab und zu, in ihrem Windschutz, der kümmerliche Versuch eines Gärtchenanbaus, doch nur am Pastorat wirklich zum Bild eines kleinen Gartens aufgediehen, von sorglicher Pflege und Ausdauer zeugend. Ein paar Spalierbäume kletterten an der Wand empor, hinter der Wandung verflochtener Lattenzäune waren einige Sträucher in die Höhe gekommen und beschirmten wieder zwischen sie hineingeborgene Blumenbeete. Das Pfarrhaus, dem Kirchhof an seinem Südrand benachbart, war nicht von anderer Bauart als die Dorfhäuser, nur umfänglicher und augenscheinlich in seiner Anlage schon aus ferner Zeit stammend, denn es zeigten sich stellenweise einzelne kleinere von den Granitsteinen, die vermutlich bei dem Kirchenbau nicht mehr erforderlich gewesen, in seine Wände eingemauert. Das gab ihm etwas Gefestetes, sicher auf sich Ruhendes, in einem Gegensatz zu dem weiter an den Strand hinabgerückten Schulgebäude. Klein, aus wenig haltbarem Baumaterial zusammengefügt, lag dies auf dem Flugsandbette, als sei es von Wind und Wellen dorthin getragen, ein Spielzeug ihrer Laune, das sie ebenso wieder mit sich fortnehmen könnten. Doch hatten sie bis jetzt kein Gelüst danach gehegt, und Menschenhände nahmen nur wenn die Zeit gekommen, aus dem Schulhause, wie aus jedem anderen, den Inwohner fort, um ihn hinter den Kirchhofswall zutragen, in den allersichersten Schutz, den die Burg des Pastors Christian Hollesen zu verleihen imstande war.

Am Morgen nach dem Aprilabend, an dem Tilmar Hellbeck die ihm unerwartet gebotene besser besoldete Lehrerstellung ausgeschlagen, wanderte von Norden her ein Mann in...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.