E-Book, Deutsch, 264 Seiten
Reihe: Dein Erfolg
Kahle Mobilität in Bewegung
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96740-097-7
Verlag: GABAL
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie soziale Innovationen unsere mobile Zukunft revolutionieren
E-Book, Deutsch, 264 Seiten
Reihe: Dein Erfolg
ISBN: 978-3-96740-097-7
Verlag: GABAL
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Unsere Mobilität ist im radikalen Umbruch. Elektromobilität zieht in unseren Alltag ein, wir teilen unsere Fahrzeuge und Fahrten, lassen uns auf der App die besten Fahrwege anzeigen, springen vom Scooter in die Bahn und ins Auto und testen die ersten autonom gefahrenen Meter. Wir erfinden Mobilität neu – überall auf der Welt.
Mobilität ist aber noch viel mehr als die Frage: "Wie komme ich von A nach B?" Sie ist ein menschliches Grundbedürfnis, der Ausdruck unserer Bewegungsfreiheit in unserer demokratischen Gesellschaftsordnung. Sie ist Grundvoraussetzung für alle, die soziale und menschliche Begegnungen wünschen, sich austauschen und persönlich treffen möchten. Sie ermöglicht uns Selbstbestimmung und die freiheitliche Gestaltung unseres eigenen Lebens. Und sie steht für die Art und Weise, wie wir uns bewegen und bewegt werden.
Doch unsere Mobilität ist auch immer noch ungerecht: Sie schließt ganze Gruppen aus und nimmt nicht immer die Bedürfnisse aller in den Blick. Nari Kahle wirft in ihrem hochaktuellen Buch die zentralen Zukunftsfragen auf: Wie kann Mobilität besser gestaltet werden? Wie können soziale und wirtschaftliche Aspekte unserer Mobilität zusammengedacht werden? Und wie können wir alte Mobilitätsformen neu denken sowie neue Ansätze entwickeln, die alte Probleme besser lösen?
Immer mehr Menschen und Unternehmen träumen nicht nur von einer zugänglicheren, sozial nachhaltigeren Mobilität, sondern arbeiten tagtäglich daran. In diesem Buch geht es um ihre Geschichten, die Ideen von kreativen Köpfen, Macherinnen und Mobilitäts-Revoluzzern, und darum, ausgewählte Entwicklungen und neue Lösungen von Mobilität zu bewerten, die gesellschaftlich besser sind als die, die wir bislang kennen. Kurzum: Es geht um Denkanstöße, wie wir als Gesellschaft eine bessere Mobilität schaffen – für jeden Menschen, für unsere Gesellschaft und unsere Welt.
Weitere Infos & Material
Vorwort von Professor Muhammad Yunus
Ich erinnere mich noch lebhaft an eine der eindrücklichsten Reisen, die ich jemals unternommen habe. Im Jahr 1955 erhielt die Pfadfindergruppe, zu der ich gehörte, die Chance, nach Europa und Nordamerika zu reisen, um in Kanada am World Scout Jamboree der Boy Scouts Association, einem internationalen Pfadfindertreffen, teilzunehmen. Ich war fünfzehn Jahre alt. Es war eine unvergessliche Reise voller Eindrücke, die sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt haben. So war es wahrlich ein Erlebnis, den Atlantik hin und zurück auf Luxuslinern zu überqueren, zu sehen, wie die Länder Europas aus den Ruinen des Zweiten Weltkriegs auferstanden, und die Welt mit den Augen eines Kindes zu betrachten, das im ländlichen Umfeld eines südasiatischen Landes aufgewachsen war. Diese Reise war eine phänomenale Erfahrung. Was ich als Fünfzehnjähriger hier lernen durfte, sollte mein gesamtes weiteres Leben prägen. Schneller, als wir es uns gewünscht hätten, rückte der letzte Tag des Pfadfindertreffens näher. Das Ende unseres großen Abenteuers schien sich anzukündigen. Das betrübte uns sehr, denn wir spürten, dass es für uns noch so viel zu entdecken gäbe. Die Organisator:innen unserer Reise hatten jedoch eine andere Idee. Sie dachten sich: Warum machen wir die Rückreise nicht zu einem Teil des Abenteuers für die 27 Jugendlichen? Also änderten sie den Reiseplan und beschlossen, uns auf dem Landweg durch ganz Europa bis nach Karatschi in Pakistan zu bringen, wo unsere Reise offiziell begonnen hatte. Sie würden den Flugpreis sparen und für das Geld stattdessen drei Kleinbusse kaufen, die anschließend in den Besitz der Pfadfinderorganisation Pakistans übergehen würden. Natürlich gab es Bedenken. Manche sagten: »Nein, die Distanz ist zu groß, um sie mit Kleinbussen zu überwinden.« Andere sagten: »Nein, da müssten wir zu viele Grenzen passieren.« Zuletzt aber waren alle dafür. Wir waren jung und fanden alles besser, als nach Hause zu kommen und wieder zur Schule gehen zu müssen. Den Atlantik überquerten wir auch diesmal per Schiff. In London angekommen, trafen wir alle erforderlichen bürokratischen und anderen Vorbereitungen für die lange Reise. Die erste Etappe führte uns nach Wolfsburg in Deutschland, wo wir im Werk von Volkswagen drei nagelneue Kleinbusse erwarben (besser bekannt als Bulli). Unmittelbar vom Werksgelände setzten wir zu unserer langen Fahrt an. Jeder einzelne Tag der Reise war Spannung pur. Wir fuhren von Stadt zu Stadt und nahmen auch Umwege in Kauf, um besonders interessante Städte zu besichtigen, die nicht direkt entlang der Route lagen. Dort, wo es uns gefiel und wir mehr sehen wollten, blieben wir länger. Unvorhergesehene Umstände führten ebenfalls zu längeren Aufenthalten. Am Ende dauerte die Fahrt von Deutschland entlang der Mittelmeerküste durch Länder wie die Türkei, den Libanon, Irak und Syrien bis zurück nach Karatschi vier Monate. Hinzu kamen zwei weitere Wochen für den Weg quer durch Indien bis in meine Heimatstadt Chittagong in Bangladesch. Auf unserer langen Reise begegneten wir so vielen warmherzigen und gastfreundlichen Menschen, dass sich die ganze Welt für uns anfühlte wie unser Zuhause. Diese Erfahrung brachte mich zu der festen Überzeugung, dass wir globale Mobilität brauchen, um allen Menschen ein Umfeld zu ermöglichen, in dem sie Orte erreichen und die Welt erkunden können. Menschen auf der ganzen Welt sind begierig darauf, ihre Nachbarländer und die große Welt zu bereisen und hautnah zu erleben. Auch im Alltag sind wir Menschen auf Mobilität angewiesen. Ohne Mobilität können wir nicht leben. Mobilität ist eine Lebensnotwendigkeit, wo immer wir uns befinden. Dabei unterscheidet sie sich natürlich abhängig von den ökomischen Gegebenheiten eines jeden Landes. In Bangladesch beispielsweise besitzen die meisten Menschen kein eigenes Auto. Sie können sich schlicht keines leisten. Aber ich denke, das verschafft Bangladesch zugleich die Chance, die Zukunft besser zu planen. Wir können gewissermaßen bei null anfangen. Das gibt uns die Möglichkeit, mehr über den Transport für die Masse nachzudenken anstatt über private Autos. Wir können uns für umweltfreundliche Lösungen entscheiden. Wir können uns auf grüne Antriebe konzentrieren und fossilen Treibstoffen eine Auslauffrist setzen. Wir können neue Mobilitätsdienste für selbst organisierte Fahrgastgruppen einführen, die ihre Routen, Zeiten und Fahrpreise selbst bestimmen – für die einmalige Fahrt genauso wie auf regelmäßiger monatlicher Basis. Wir können die Nutzung von Fahrzeugen durch jeweils nur eine Person unattraktiv machen. Bangladesch ist das am dichtesten besiedelte Land der Welt. Im Schnitt leben hier auf einem Quadratkilometer mehr als 1000 Menschen. Was würde passieren, wenn jede Person ein eigenes Auto hätte – womöglich auch noch mit fossilem Antrieb? Wir gehören bereits jetzt zu den Hauptleidtragenden der Klimakatastrophe. Da sollten wir nicht auch noch maßgeblich zu ihrer Verschärfung beitragen. Mobilität ist aus verschiedenen Gründen ein großes Problem in Bangladesch. Die zwei wichtigsten sind die Luftverschmutzung und die Zahl der Verkehrstoten. In Dhaka, der Hauptstadt des Landes, ist der Verkehr schlicht unerträglich. Dhaka gehört weltweit zu den Städten mit der schlechtesten Luftqualität. Verkehrsstaus und Hupkonzerte sind hier fester Bestandteil des Alltags. Während des letzten Jahres hat die Welt aus der Covid-19-Pandemie einige höchst wichtige und positive Dinge mit Blick auf die Mobilität gelernt. Die Pandemie hat uns gezwungen, unsere Mobilität drastisch zu verringern. Wir haben uns daran gewöhnt, viele Dinge auch ohne Mobilität zu meistern. Viele dieser wertvollen Veränderungen unserer Lebensweise, die die Pandemie uns aufgedrängt hat, werden wir auch dann beibehalten, wenn die Pandemie dereinst hoffentlich Vergangenheit sein wird. Es sind Veränderungen, die uns gefallen. Wir sagen ihnen eine große Zukunft voraus. Wir haben erfahren, dass wir Büros und ganze Unternehmen von zu Hause aus betreiben können. Wir tun dies nicht länger im Sinne einer Notfallmaßnahme, sondern weil es für uns bequem ist und unter Umweltgesichtspunkten ratsam erscheint. Wir haben erkannt, dass wir die meisten unserer Meetings virtuell abhalten können. Das spart Zeit (wir stecken nicht länger in Staus fest, was sich in Dhaka über Stunden hinziehen kann) und Geld. Wir können jetzt zu unseren Meetings und Konferenzen so viele Teilnehmer:innen einladen, wie wir nur wollen – von überall im Land und in der Welt und ohne die Hilfe einer Eventorganisation. Für Bildungseinrichtungen ist der virtuelle Alltag zur neuen Normalität geworden. Wir haben gesehen, wie Parlamentssitzungen und hochrangige UN-Meetings virtuell stattfinden können. Konferenzen wurden globaler – ganz ohne zusätzliche Kosten. Jede virtuell durchgeführte globale Veranstaltung spart Tonnen von Kohlenstoffemissionen. Virtuelle Meetings und Zusammenkünfte werden auch künftig helfen, die Gefahr einer globalen Ausbreitung von Viren zu reduzieren. Plötzlich schießen die unterschiedlichsten Online-Unternehmen aus dem Boden. Viele unserer neuen Verhaltensweisen wurden uns von den Umständen aufgenötigt, aber wir werden sie fortan beibehalten, nachdem wir mittlerweile Gefallen an ihnen gefunden haben. Und wir werden sie im Lauf der Zeit weiter ausgestalten und noch mehr zu schätzen wissen. Es gilt, Mobilität im Lichte dieser neuen Realität vollkommen neu zu denken. Die Pandemie hat einen wichtigen Lernprozess in Gang gesetzt. Wir werden den virtuellen Umgang miteinander weiter pflegen – nicht nur, um uns vor der Pandemie zu schützen, sondern unserer Umwelt und unserer Gesundheit zuliebe. Wir sollten baldmöglichst Richtlinien aufstellen, um virtuelle anstelle von physischen Interaktionen auf den unterschiedlichsten Ebenen zu fördern. Die Aufsichtsräte sollen ihr Management auffordern, Wege zu finden, wie sie die Menge der zurückgelegten Flugzeug- und Autokilometer Jahr um Jahr verringern können. Dies wird die virtuelle Interaktion fördern. Mobilität, ja. Aber Mobilität muss mit sozialer und ökologischer Verantwortung verbunden werden. Mobilität ist ein Bereich, in dem es unerlässlich ist, die individuellen mit den kollektiven Bedürfnissen in Übereinstimmung zu bringen. Durch die Balance von sozialer und ökologischer Verantwortung ergibt sich ein klares Bild für die Zukunft der Mobilität: Sie muss verantwortungsbewusst, nachhaltig, bedarfsgerecht, einfach, hilfreich und erschwinglich sein. Und dabei muss uns stets bewusst sein: Als Alternative bleibt uns immer auch die virtuelle Option. Die Mobilität der Zukunft muss das Ziel verfolgen, den Verkehr zu reduzieren. Den Vorrang sollten zwei- und dreirädrige Gefährte haben, während das...